Abstract
Als äußere Hernien werden Ausstülpungen des parietalen Peritoneums durch Schwachstellen in der Bauchwand bezeichnet, die in der klinischen Untersuchung insbesondere unter Erhöhung des intraabdominellen Drucks als Vorwölbungen tastbar und sichtbar sein können. Zu den häufigsten äußeren Hernien zählt die Leistenhernie, deren äußere Durchtrittsstelle der äußere Leistenring darstellt. Weitere wichtige Hernienformen sind die Schenkelhernie (mit Durchtrittspforte unter dem Leistenband) und die Nabelhernie, die sich durch eine Faszienlücke im Nabel nach außen vorwölbt. Je nach Lokalisation können weitere, seltenere Hernienformen unterschieden werden.
Allen Hernien ist gemeinsam, dass sie durch eine Kombination aus Erhöhung des intraabdominellen Drucks (Adipositas, Aszites, Schwangerschaft, Husten oder Pressen) und angeborenen oder erworbenen Muskellücken entstehen. Die kausale Therapie besteht in der Reposition des Bruchsackinhalts, der Abtragung des Bruchsacks und dem Verschluss der Bruchpforte. Häufig ist die Unterstützung der Bauchwand durch die Einlage eines Netzes indiziert.
Allgemeiner Aufbau von Hernien
- Ausstülpung des parietalen Peritoneums durch eine angeborene oder erworbene Schwachstelle
- Bruchpforte: Schwachstelle oder Lücke, durch die sich die Hernie schiebt
- Innere Bruchpforte: Austrittspunkt der Hernie aus dem Bauchraum bei äußeren Hernien
- Äußere Bruchpforte: Austrittspunkt der Hernie aus der Bauchwand bei äußeren Hernien
- Bruchsack: Innere Auskleidung der Hernie
- Umgibt den Bruchinhalt direkt, meist parietales Peritoneum
- Bruchinhalt: Inhalt der Hernie
- Bruchpforte: Schwachstelle oder Lücke, durch die sich die Hernie schiebt
Äußere Hernien - Formen
Äußere Hernien entstehen aufgrund von Ausstülpung des parietalen Peritoneums durch angeborene oder erworbene Schwachstellen bzw. Lücken in der Bauchwand. Sie können als Vorwölbungen bei der körperlichen Untersuchung tastbar sein.
- Epidemiologie
-
Inzidenz: 2–4% in Europa
- 95% äußere Hernien (davon ca. 75% Leistenhernien)
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Inzidenz: 2–4% in Europa
- Ätiologie
- Intraabdominelle Druckerhöhung
- Angeborene oder erworbene Bindegewebsschwäche
- Traumatische Schädigungen der Bauchwand
- Angeborene offene Bruchpforte
- Verlauf: Hernien folgen dem Weg des geringsten Widerstandes, weshalb sie häufig entlang von Strukturen verlaufen, die durch die Bauchwand ziehen
- Formen: Die verschiedenen Hernienformen sind in den folgenden Sektionen bzw. anderen Kapiteln beschrieben
- Klinik
- Evtl. Schmerzen (ziehend oder stechend) an der Bruchpforte
- Tastbare und ggf. sichtbare Vorwölbung des Bruchsacks
- Bei Inkarzeration (Einklemmung, von lat. carcere = „Kerker“) einer Hernie: Starke Schmerzen und Ileussymptomatik
- Durchblutungsstörung des betroffenen Darmabschnitts: Darmischämie, Nekrose und Peritonitis
- Diagnostik
- I.d.R. klinisch zu stellende Diagnose (Anamnese, Inspektion, Palpation)
- Nur im Einzelfall bildgebende Diagnostik (Sonographie, CT)
- Reponierbarkeit
- Reponible Hernien: Frei beweglicher Bruchinhalt in Bruchsack und -pforte, der spontan oder manuell reponibel ist
- Irreponible Hernie: Fixierter Bruchinhalt in Bruchsack und -pforte, der nicht mehr reponibel ist, bspw. aufgrund einer engen Bruchpforte
- Inkarzerierte Hernie: Einklemmung in der Bruchpforte begleitet von massiven Schmerzen und ggf. Ileussymptomatik
- Allgemeine Therapieprinzipien
- Einzige definitive Therapieoption ist die operative Versorgung
- Ziel ist eine Reposition der Hernie und ein operativer Verschluss der Bruchpforte, ggf. mit zusätzlicher Netzeinlage
- Asymptomatischer Befund ohne Inkarzeration: I.d.R. ambulantes Management mit elektiver Operation
- Z.n. Reposition bzw. irreponible Hernie ohne Inkarzeration: Erwägung einer stationären Verlaufsbeobachtung mit zügiger Operation
- Ein Repositionsversuch sollte langsam mit beiden Händen und bei entspannter Bauchdecke vorgenommen werden
- Aufgrund der Komplikationsgefahr bei Reposition (Reposition nekrotischer Darmanteile, En-bloc-Reposition , Pseudoreposition ) sollte eine operative Versorgung frühelektiv nach Reposition erfolgen und der Patient in der Zwischenzeit stationär aufgenommen werden
- Inkarzerierte und(!) nicht-reponible Hernie: Notfalloperation indiziert
Je kleiner die Bruchpforte, umso höher das Risiko einer Inkarzeration!Die Inkarzeration stellt eine Notfallsituation dar, die ein schnellstmögliches chirurgisches Handeln erfordert!
Hernia umbilicalis (Nabelhernie)
- Definition: Faszienlücke im Nabel führt zur Ausstülpung des parietalen Peritoneums und ggf. zur Vorwölbung von Baucheingeweiden (großes Netz, Dünndarm, Dickdarm) durch die Bauchwand
- Bruchpforte: Anulus umbilicalis
- Ätiologie
- Bei Säuglingen/Kleinkindern
- Persistieren des physiologischen Nabelbruchs, der während der Embryonalperiode besteht
- Insb. bei Frühgeborenen, pulmonalen Infekten, vermehrter Bauchpresse → Steigerung des intraabdominellen Drucks → Ausstülpung des parietalen Peritoneums, bevor sich eine Nabelnarbe bilden kann → Hernienbildung im Bereich des Anulus umbilicalis
- Bei Erwachsenen
- Seltener echte Nabelhernie mit Bruchpforte im Bereich des Anulus umbilicalis
- Meist paraumbilikale Hernie: Hernie mit Bruchpforte neben dem Nabel, i.d.R. ohne Regressionstendenz
- Häufig bei weiblichem Geschlecht, Gravidität, Adipositas, starker Gewichtsabnahme, Aszites
- Bei Säuglingen/Kleinkindern
- Klinik: Vorwölbung, ggf. mit Schmerzen in der Nabelregion
- Diagnostik: Klinische Diagnose (Anamnese, Inspektion, Palpation)
- Ggf. Sonographie zur Diagnosebestätigung
- Differentialdiagnosen
- Beim Neugeborenen
- Omphalozele (Nabelschnurhernie)
- Gastroschisis
- Bei Kindern jenseits des Neugeborenenalters und Erwachsenen
- Beim Neugeborenen
- Therapie
- Bei Säuglingen/Kleinkindern: Hohe Rückbildungsrate, daher i.d.R. abwartendes Vorgehen indiziert
- Bei Erwachsenen: Operative Versorgung (sofern das operative Risiko es zulässt)
- Indikation
- Inkarzeration (absolute Indikation)
- Präventiv zur Vermeidung einer Inkarzeration
- Symptomatische Hernien
- Vorgehen
- Bei kleinem Fasziendefekt: Direkte Fasziennaht über offenen Zugang mit semizirkulärer Schnittführung unterhalb des Nabels (nach Spitzy)
- Bei größerem Fasziendefekt: Netzeinlage bei Nabelhernie
- Kann offen oder geschlossen mittels Laparoskopie erfolgen, unterschiedliche Netzeinlagen möglich
- Sublay-Mesh-Technik: Einlage des Netzes zwischen Rektusmuskulatur und hinterem Blatt der Rektusscheide
- Underlay-Technik (präperitoneale umbilikale Mesh-Plastik, „PUMP“): Präperitoneale Netzeinlage zwischen hinterem Blatt der Rektusscheide und Peritoneum
- Inlay-Technik: Einnähen des Netzes in den Fasziendefekt bei großer Ausdehnung und nicht-adaptierbaren Defekträndern
- Intraperitoneales Onlay-Mesh (IPOM): Minimalinvasive, intraperitoneale Netzeinlage
- Nicht mehr verwendet wird die Onlay-Technik (Epifasziale Netzeinlage auf das vordere Blatt der Rektusscheide), die aufgrund hoher Rezidivraten obsolet ist
- Kann offen oder geschlossen mittels Laparoskopie erfolgen, unterschiedliche Netzeinlagen möglich
- Indikation
Exkurs: Rektusdiastase
- Definition: Auseinanderweichen der Mm. recti abdomini mit Vorwölbung der abdominellen Organe
- Ursache: Erhöhter intraabdomineller Druck, insb. im Rahmen einer Schwangerschaft
- Sonderform: Physiologische Rektusdiastase beim Säugling
- Therapie
- Konservative Maßnahmen: Gewichtsabnahme, Training der Bauchmuskulatur, ggf. Tragen eines Korsetts
- Operative Maßnahmen: I.d.R. nicht indiziert, hohe Rezidivraten bei direkter Naht der Rektusscheide, ggf. Netzeinlage möglich
[1]
Narbenhernie
- Definition: Hernie im Bereich einer alten Narbe (i.d.R. Laparotomienarbe), an der sich ein peritonealer Bruchsack durch die Bauchwand schiebt
- Epidemiologie
- Häufigste Form der ventralen Bauchwandhernien, selten Inkarzeration
- Insb. bei medianer Laparotomie
- Ätiologie: Funktionell schwaches Narbengewebe nach chirurgischen Eingriffen
- Risikofaktoren
- Wundinfektion
- Intraabdominelle Druckerhöhung: Adipositas, Bauchpressen, Husten, schweres Heben nach der OP
- Notfalllaparotomie
- Eingriffe bei Bauchaortenaneurysma
- Männliches Geschlecht
- Begünstigende Medikamente (bspw. Glucocorticoide)
- Risikofaktoren
- Therapie
- Versorgung frühestens 6 Monate nach Laparotomie
-
Aufgrund hoher Rezidivrate bei konventionellem direkten Verschluss wird i.d.R. ein spannungsfreier Verschluss mittels Netzeinlage durchgeführt
- Netzeinlage analog zur Netzeinlage bei Nabelhernie in Sublay-Technik (Goldstandard), Onlay-Technik (höheres Rezidivrisiko) oder über die laparoskopische Versorgung in IPOM-Technik
Seltene äußere Hernien
Epigastrische Hernie
- Definition: Herniation mit Bruchpforte im Bereich der supraumbilikalen Linea alba (zwischen Nabel und Xiphoid)
- Bruchinhalt ist meist zunächst nur präperitoneales Fettgewebe, bei größerem Defekt im Verlauf ggf. auch Peritoneum und Organanteile
- Epidemiologie: Nicht selten multiple epigastrische Hernien
- Klinik: Typischerweise Oberbauchbeschwerden, die sich insb. bei Anspannung der Bauchdecke oder Veränderung der Körperposition zeigen
- Diagnostik: Klinische Diagnose
- Differentialdiagnostisch müssen v.a. Erkrankungen von Magen, Duodenum, Pankreas und der Gallenwege ausgeschlossen werden
- Therapie: Operative Versorgung analog zur Nabelhernie
Spieghel-Hernie
- Definition: Laterale Bauchwandhernie durch einen Defekt der sog. Spieghel-Aponeurose , meist an der Kreuzungsstelle mit der Linea arcuata
- Ätiologie/Epidemiologie: Seltene Hernienform, die immer erworben ist und v.a. bei Frauen auftritt
- Klinik: Ggf. Vorwölbung im rechten oder linken Unterbauch beim Valsalva-Manöver
- Häufig Inkarzeration als Erstmanifestation
- Diagnostik: Meist zusätzlich zur klinischen Untersuchung Sonographie und/oder CT notwendig
- Vorgeschaltete diagnostische Laparoskopie kann ebenfalls sinnvoll sein
- Therapie: I.d.R. absolute OP-Indikation wegen hoher Einklemmungsgefahr
- Offener oder laparoskopischer Zugang möglich
[2]
Richter-Hernie
- Definition: Partielle (inkomplette) Darmwandhernie: Nur ein Teil der Darmwand fällt vor und bildet den Bruchinhalt (nicht die gesamte Zirkumferenz des Darmes)
Littré-Hernie
- Definition: Darmwandhernie, die als Bruchsackinhalt ein Meckel-Divertikel enthält (Unterform der Richter-Hernie)
Hernia obturatoria
- Definition: Hernie mit Bruchpforte durch das Foramen obturatum
- Verlauf gemeinsam mit A., V. und N. obturatorius entlang des Canalis obturatorius (zwischen M. pectineus, M. adductor longus und M. obturatorius externus)
- Ätiologie: Erworbene Hernie, meist durch Erschlaffung des Beckenbodens (Z.n. multiplen Geburten, Bindegewebserschlaffung im Alter)
- Epidemiologie
- Überwiegend Frauen betroffen
- Altersgipfel 60–80 Jahre
- Klinik: Schmerzen und Parästhesien im Bereich der Oberschenkelinnenseite durch Irritation des N. obturatorius
- Diagnostik: I.d.R. Sonographie oder CT zur Diagnosesicherung
- Therapie: Indiziert bei Inkarzeration (absolut) oder klinischen Beschwerden (relativ), ggf. bei Zufallsfund
- Präperitonealer oder transperitonealer OP-Zugang
- Ggf. bei großen Defekten Netzeinlage
[2]
Hernia ischiadica
- Häufigste Bruchpforte: Foramen ischiadicum majus (90%)
- Hernia suprapiriformis: Austritt oberhalb des M. piriformis (60%)
- Hernia infrapiriformis: Austritt unterhalb des M. piriformis (30%)
- Seltenere Bruchpforte: Foramen ischiadicum minus (10%)
- Hernia spinotuberosa: Austritt zwischen M. piriformis und Lig. sacrotuberale
- Klinik
- Bei chronischen, irreponiblen Hernien: Ggf. Ischialgien
- Bei Inkarzeration: Ggf. Stenosesymptome
- Diagnostik: Differenzierung mittels Bildgebung (CT, MRT)
- Therapie: Operative Versorgung offen oder laparoskopisch mit vorsichtiger Reposition wegen Nachbarstrukturen (N. ischiadicus, A. glutea superior und inferior, N. pudendus)
- Versorgung mit Netz empfohlen
Hernia perinealis (Beckenbodenhernie)
- Hernia perinealis anterior (nur bei Frauen): Austritt vor dem M. transversus perinei profundus, i.d.R. zwischen M. transversus perinei profundus und M. ischiocavernosus
- Hernia perinealis posterior: Austritt hinter dem M. transversus perinei profundus und superficialis
- Hernia ischiorectalis: Austritt durch den M. levator ani in die Fossa ischioanalis
- Die Durchtrittsstelle befindet sich i.d.R. inmitten des M. levator ani oder zwischen diesem und dem M. coccygeus
Hernia lumbalis
- Hernia lumbalis superior (Grynfeltt-Hernie): Bruchpforte im Bereich des kostolumbalen Dreiecks zwischen 12. Rippe und M. iliocostalis
- Hernie wird vom M. serratus posterior, M. obliquus internus abdominis und M. obliquus externus abdominis umgeben
- Hernia lumbalis inferior (Petit-Hernie): Bruchpforte im Bereich des iliolumbalen Dreiecks zwischen M. latissimus dorsi, M. obliquus externus und Crista iliaca
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- K42.- :Hernia umbilicalis
- K43.-: Hernia ventralis
- K43.0: Narbenhernie mit Einklemmung, ohne Gangrän
- Narbenhernie: inkarzeriert, irreponibel, stranguliert, Verschluss verursachend (jeweils ohne Gangrän)
- K43.1: Narbenhernie mit Gangrän
- K43.2: Narbenhernie ohne Einklemmung und ohne Gangrän
- Narbenhernie o.n.A.
- K43.3: Parastomale Hernie mit Einklemmung, ohne Gangrän
- Parastomale Hernie: inkarzeriert, irreponibel, stranguliert, Verschluss verursachend (jeweils ohne Gangrän)
- K43.4: Parastomale Hernie mit Gangrän
- K43.5: Parastomale Hernie ohne Einklemmung und ohne Gangrän
- Parastomale Hernie o.n.A.
- K43.6-: Sonstige und nicht näher bezeichnete Hernia ventralis mit Einklemmung, ohne Gangrän
- Jede unter K43.6- aufgeführte Hernie: inkarzeriert, irreponibel, stranguliert, Verschluss verursachend (jeweils ohne Gangrän)
- K43.60: Epigastrische Hernie mit Einklemmung, ohne Gangrän
- K43.68: Sonstige Hernia ventralis mit Einklemmung, ohne Gangrän
- Hernie: hypogastrisch, Mittellinien-, Spieghel-, subxiphoidal
- K43.69: Nicht näher bezeichnete Hernia ventralis mit Einklemmung, ohne Gangrän
- K43.0: Narbenhernie mit Einklemmung, ohne Gangrän
- K43.7-: Sonstige und nicht näher bezeichnete Hernia ventralis mit Gangrän
- K43.9-: Sonstige und nicht näher bezeichnete Hernia ventralis ohne Einklemmung und ohne Gangrän
- K45.-: Sonstige abdominale Hernien
- Inklusive: Hernia
- abdominalis, näher bezeichnete Lokalisation, andernorts nicht klassifiziert
- ischiadica
- lumbalis
- obturatoria
- pudendalis
- retroperitonealis
- Inklusive: Hernia
- K45.0: Sonstige näher bezeichnete abdominale Hernien mit Einklemmung, ohne Gangrän
- K45.1: Sonstige näher bezeichnete abdominale Hernien mit Gangrän
- K45.8: Sonstige näher bezeichnete abdominale Hernien ohne Einklemmung und ohne Gangrän
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.