Abstract
Die Abhängigkeit von der Substanz Ethanol ist eine Erkrankung, an der ca. 2 Millionen Menschen in Deutschland leiden. Alkoholbezogene Störungen gehören zu den am häufigsten vergebenen Krankenhausdiagnosen. Die individuelle Alkoholverträglichkeit variiert stark. Für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit beziehen die ICD- und DSM-Kriterien daher Abhängigkeitsmerkmale wie Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen und die Vernachlässigung anderer Aktivitäten zugunsten des Alkoholkonsums mit ein. Diagnostisch können neben einer genauen Alkoholanamnese Screening-Tests wie der AUDIT oder der CAGE-Test sowie die Bestimmung von CDT und Transaminasen wegweisend sein.
Klinisch sind mehrere Krankheitsbilder auf den Konsum der toxischen Substanz zurückzuführen, die unter den Verlaufs- und Sonderformen beschrieben werden. Während die akute Intoxikation, der pathologische Rausch und die Alkoholhalluzinose durch eine vermehrte Aufnahme entstehen, ist das Entzugssyndrom mit gefürchteten Komplikationen wie einem Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens) Folge eines absinkenden Alkoholspiegels. Die zahlreichen Folgeerkrankungen (z.B. Leberzirrhose, Wernicke-Korsakow-Syndrom, periphere Polyneuropathie) führen zu einer deutlichen Einschränkung der Lebenserwartung der Patienten. Im klinischen Entzug kommt neben symptomorientierter medikamentöser Therapie mit Benzodiazepinen oder Clomethiazol der Substitution von Vitamin B1 eine wichtige Bedeutung zu. Nach dem körperlichen Entzug steht therapeutisch die postakute Langzeitentwöhnung in zugelassenen Rehabilitationseinrichtungen mit individueller Nachsorge im Vordergrund.
Epidemiologie
WHO: Global status report on alcohol and health 2014 [1]
- Global
- Alkohol-assoziierte Mortalität: 5,9% aller Tode, entsprechend 3,3 Millionen Menschen/Jahr
- Große globale Varianz
- Globale Spitzenposition Europa
- Höchste Konsumrate
- Höchste Rate Alkohol-assoziierter Todesfälle, jährlich ca. 74.000 Fälle
- Niedrigste Konsumraten: Südostasiatische Region und östliche Mittelmeerregion
- Globale Spitzenposition Europa
- Deutschland
Häufigkeit alkoholbezogener Störungen im Krankenhaus [2]
- Zweithäufigste Diagnose
- Unter Männern sogar häufigste Diagnose
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit ist multifaktoriell. Vereinfachend gesagt, hängt sie vom stoffeigenen Suchtpotenzial, der individuellen Disposition (also Vulnerabilität) und der Konsummenge ab.
- Stoffspezifisches Suchtpotenzial von Alkohol
- Neurobiologische Anpassungsvorgänge → Toleranzentwicklung
- Disposition
- Allgemeine Risikofaktoren
- Männliches Geschlecht
- Positive Familienanamnese
- Persönlichkeitsbezogene Risikofaktoren [3]
- Hohe Impulsivität und/oder Risikobereitschaft
- Leicht erhöhtes Risiko bei antisozialer Persönlichkeitsstörung [4]
- Genetische Risikofaktoren [5]
- Ca. 50%
- Multigenetischer Einfluss
- Psychosoziale und umweltbedingte Risikofaktoren
- Sozialer Stress
- Dysfunktionale Familienstrukturen
- Kritische Lebensereignisse (z.B. Missbrauch, Gewalterfahrungen)
- Allgemeine Risikofaktoren
- Exposition
Symptome/Klinik
Generelles
- Symptomatik der Abhängigkeit unterscheidet sich je nach Erkrankungsstadium
- Folgeerkrankungen der Alkoholabhängigkeit sind zahlreich und häufig, siehe hierzu: Komplikationen der Alkoholabhängigkeit
- Zur Diagnosestellung siehe auch: Diagnosekriterien der Alkoholabhängigkeit
Allgemeine körperliche Symptome
- Reduzierter Allgemeinzustand
- Ernährungszustand: Gewichtsverlust und Inappetenz oder erhöhtes Gewicht aufgrund gesteigerter Kalorienaufnahme durch Alkohol sind mögliche Folgen des hohen Alkoholkonsums
- Muskelatrophie
- Haut: Teleangiektasien, Hautrötung im Gesicht, Spider-Nävi
- Vermehrtes Schwitzen bei kalten Akren
- Schlaf- und Potenzstörungen
Psychische Symptome
- Affektstörungen
- Angst und/oder depressive Grundstimmung
- Reizbarkeit und Aggressivität
- Störung des Kontaktverhaltens: Distanzlosigkeit
- Denkstörungen
- Inhaltliche Denkstörungen: Alkoholischer Eifersuchtswahn
- Formale Denkstörungen: Je nach Ausmaß der Erkrankung u.a. Ideenflucht, Denkhemmung
Neurologische Symptome
- Kleinhirnschädigung: Intentionstremor, Dysarthrie, Ataxie, Nystagmus
- Großhirnschädigung
- Kognitive Defizite mit Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
- Als Spätsymptom auch Wesensveränderungen möglich
- Periphere Polyneuropathie (siehe auch: Alkoholische Polyneuropathie) mit
- Pallhypästhesie
- Distal-symmetrischen Sensibilitätsstörungen
- Muskelatrophien
- Ausfall des Achillessehnenreflexes
Häufige psychiatrische Komorbiditäten
- Andere Suchterkrankung: 10% der Fälle (Nikotinkonsum nicht mitgerechnet) [6]
- Affektive Störungen [7] : Depressionen
Verlaufs- und Sonderformen
Die Alkoholabhängigkeit kann unterschiedliche Verlaufsformen annehmen. Dazu gehören:
- Krankheitsbilder, die durch einen temporär erhöhten Alkoholkonsum bedingt sind
- Krankheitsbilder, die im Rahmen einer Dosisreduktion bzw. im Entzug von Alkoholpatienten auftreten können
Akute Alkoholintoxikation
Allgemein
- Definition: Vorübergehendes Zustandsbild nach Alkoholaufnahme, das u.a. durch Störung von Bewusstsein, Kognition und Affekt geprägt ist
- Pathophysiologie
Symptome in Abhängigkeit zur Promillekonzentration
- Dosisabhängige biphasische Wirkung
- Leicht (ca. 0,5–1,5‰): Stimulierende Wirkungen stehen im Vordergrund
- Gesteigerter Antrieb, Euphorisierung (Enthemmung, Rededrang), mangelnde Kritikfähigkeit
- Hautrötung
- Tachykardie
- Gang- und Standunsicherheit
- Mittelschwer (ca. 1,5–2,5‰): Übergang von stimulierender zu zunehmend sedierender Wirkung
- Benommenheit, evtl. amnestische Lücken
- Übelkeit und Erbrechen
- Zunahme der Gangunsicherheit und lallender Sprache
- Einschränkung des Sehens und der Schalllokalisation
- Erhebliche Reduktion von Aufmerksamkeit und Reaktion
- Ausgeprägte Enthemmung
- Schwer (ab ca. 2,5‰): Sedierende Wirkung mit starken Bewusstseinsstörungen
- Illusionäre Verkennung
- Schwere Dysarthrie, Schwindel, Ataxie
- Vegetative Störungen mit
- Übergang ins alkoholische Koma mit
- Stark eingeschränktem Bewusstsein
- Erloschenen Schutzreflexen
- Atemdepression
- Bis zum Tod durch Atemdepression und Kreislaufversagen („asphyktisches Stadium“)
- Leicht (ca. 0,5–1,5‰): Stimulierende Wirkungen stehen im Vordergrund
Vorgehen bei akuter Alkoholintoxikation
- Diagnostik: Blut- und Atemalkohol, Blutzucker, Elektrolyte, toxikologisches Screening auf weitere Drogen , ggf. Blutgasanalyse
- Therapeutisches Vorgehen
- Bei leichter Intoxikation
- Abwägen, ob Eigen- oder Fremdgefährdung besteht
- Abwägen, ob Entlassung ggf. in Begleitung Angehöriger möglich ist
- Bei mittlerer und schwerer Intoxikation
- Engmaschige Überwachung
- Kontrolle der Vitalfunktionen
- Ggf. Rehydratationstherapie und Korrektur von Stoffwechselstörungen
- Ggf. Therapie von Mischintoxikationen
- Bei zusätzlicher Bewusstlosigkeit
- Sicherung und Kontrolle der Vitalfunktionen
- Ausschluss häufiger weiterer Komaursachen alkoholisierter Patienten
- Verlegung auf IMC/ICU
- Bei Agitation mit Eigen- oder Fremdgefährdung: Siehe auch: Aggressives Verhalten bei intoxikierten Patienten
- Bei leichter Intoxikation
- Drohende Komplikationen
- Stoffwechselentgleisungen: Hypoglykämie, Dehydratation, Elektrolytstörungen
- Krampfanfälle
- Unterkühlung bis hin zum Kältetod
- Aspiration von Erbrochenem, Bolustod
- Vor Entlassung
- Screening auf mögliche Alkoholabhängigkeit (siehe: Diagnostik der Alkoholabhängigkeit)
- Ggf. bei Alkoholabhängigkeit Einleitung therapeutischer Maßnahmen (siehe: Therapie der Alkoholabhängigkeit)
- Screening auf mögliche Alkoholabhängigkeit (siehe: Diagnostik der Alkoholabhängigkeit)
Aufgrund der verzögerten Resorptionszeit (ca. 40 Minuten) können alkoholisierte Patienten im Verlauf eine gefährliche Verschlechterung ihrer Vitalfunktionen entwickeln!
Pathologischer Rausch
- Kurzbeschreibung
- Seltene Unterform der akuten Alkoholintoxikation (nicht zu verwechseln mit akutem Erregungszustand bei Alkoholabusus)
- Kaum zu unterbrechender Erregungszustand
- Schon bei geringen Alkoholmengen bei Personen mit Prädisposition (meist hirnorganische Vorschädigung) möglich
- Evidenz insg. niedrig
- Charakteristika
- Insb. junge Personen mit hirnorganischer Vorschädigung
- Atemalkohol: Selten über 1,0‰
- Klinik
- Optische Halluzinationen, Angst, Wut, Aggressivität
- Dämmerzustand und Terminalschlaf
- Häufig komplette Amnesie nach Ereignis
- Therapie
- Akut: Siehe: Therapie der akuten Alkoholintoxikation
- Langfristig: Absolute Alkoholkarenz (siehe: Therapie der Alkoholabhängigkeit)
Alkoholhalluzinose
- Ätiologie: Hirnschädigung durch jahrelangen Alkoholmissbrauch
- Klinik
- Unter Alkoholeinfluss
- Wahnsymptome
- (I.d.R. akustische) Halluzinationen/Pseudohalluzinationen
- Unter Alkoholeinfluss
- Differenzialdiagnosen
- Verlauf
- I.d.R. Abklingen innerhalb weniger Tage bis mehrere Monate, selten länger
- Bei Alkoholabstinenz gute Prognose
- Bei weiterem Alkoholkonsum oft Rezidive mit dann schlechterer Prognose
- Therapie: Haloperidol
Alkoholentzugssyndrom
Verlauf
- Beginn: Meist innerhalb weniger Stunden nach Dosisreduktion/Alkoholabstinenz [8]
- Dauer: Ca. 3–7 Tage
Typische Alkoholentzugssymptomatik
- Leitsymptome
- Vegetative Symptome: Hypertonie, Tachykardie, Schwitzen, Tremor
- Psychische Symptome: Konzentrationsstörungen, psychomotorische Unruhe (Nesteln), ängstliche Stimmung, erhöhte Suggestibilität
- Weitere häufige Begleitsymptome
- Vegetative Symptome: Hyperthermie, Schlafstörungen, Tachypnoe
- ZNS: Dysarthrie, Ataxie
- Psychische Symptome: Antriebssteigerung, Affektlabilität, Reizbarkeit, dysphorische, depressive Stimmung
- Gastrointestinal: Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen
- Weitere: Elektrolytentgleisungen, Muskelkrämpfe, Kopf- und Rückenschmerzen
- Mögliche Komplikationen
- Vegetative und somatische Störungen: Bspw. Herzrhythmusstörungen, hypertensive Entgleisung, Elektrolytstörungen, Hypo- oder Hyperthermie, Rhabdomyolyse, epileptische Anfälle
-
Übergang in Alkoholentzugsdelir (bspw. mit Bewusstseinstrübung, Halluzinationen , epileptische Anfällen, Orientierungsstörungen)
- Beginn: Meist 3–6 Tage nach Abstinenzbeginn [9]
- Siehe auch: Diagnostische Kriterien des Alkoholentzugsdelirs nach ICD-10
Schweregrade der Alkoholentzugssymptomatik [10] | |
---|---|
Schweregrad | Klinische Symptomatik |
Unkompliziertes Alkoholentzugssyndrom |
|
Kompliziertes Alkoholentzugssyndrom (unvollständiges Alkoholentzugsdelir) |
|
Delirium tremens bei Alkoholentzugsdelir |
|
Ein zunächst unkompliziertes Alkoholentzugssyndrom kann in ein Alkoholentzugsdelir übergehen!
Diagnostik
- Diagnostische Kriterien des Alkoholentzugssyndroms nach ICD-10 [11]
- Allgemeine Kriterien des Entzugssyndroms treffen zu plus
- 3 der folgenden Symptome
- Tremor der vorgehaltenen Hände, der Zunge oder der Augenlider
- Schwitzen
- Übelkeit, Würgen und Erbrechen
- Tachykardie oder Hypertonie
- Psychomotorische Unruhe
- Kopfschmerzen
- Insomnie
- Krankheits- oder Schwächegefühl
- Vorübergehende optische, taktile oder akustische Halluzinationen oder Illusionen
- Bilateral-tonisch-klonischer epileptischer Anfall
- Diagnostische Kriterien des Alkoholentzugsdelirs nach ICD-10 [11]
- Allgemeine Kriterien des Entzugssyndroms plus
- Diagnosekriterien des Delirs (nach ICD-10) treffen zu
Therapie des Alkoholentzugssyndroms [12]
Stadienunabhängige, allgemeine Therapie
- Engmaschige klinische Überwachung mit regelmäßiger Kontrolle und Sicherung von Vitalfunktionen
- Elektrolyt- und Flüssigkeitsausgleich
- Thiaminsubstitution (prophylaktisch), bei V.a. Wernicke-Enzephalopathie: Thiaminsubstitution (therapeutisch)
Beim Alkoholentzugssyndrom sollte immer eine Thiaminsubstitution erfolgen!
Medikamentöse Empfehlungen bei Alkoholentzugssyndrom [12]
- Nutzen
- Milderung der Entzugssymptomatik
- Verhinderung von Komplikationen (insb. Entzugsdelir und epileptische Anfälle)
- Indikation
- Bei leichten Alkoholentzugssymptomen optional
- Bei mittelschweren und schweren Entzugssymptomen oder bei Komplikationen in der Vergangenheit empfohlen
- Symptomgesteuerte Medikationsgabe vs. festes Dosierschema: Score-Systeme dienen der Objektivierung der Schwere des Entzugssyndroms, z.B. indem Punkte für vorhandene Entzugssymptome wie Tachykardie oder Tremor vergeben werden
- Vor- und Nachteile der symptomgesteuerten Gabe
- Vorteile: Geringer Medikationsverbrauch, oft kürzere Behandlungsdauer
- Nachteile: Engmaschige Überwachung und Kenntnis in Handhabung notwendig
- Vor- und Nachteile der symptomgesteuerten Gabe
Symptomgesteuerte Medikationsgabe anhand etablierter Score-Systeme
- Clinical Institute Withdrawal Assessment for Alcohol Scale (CIWA-Ar)
- Beschreibung: 10-Item-Fragebogen, der die Ausprägung typischer Symptome des Alkoholentzugssyndroms erfragt und somit die Schwere des Entzugssyndrom objektiviert
- Durchführung
- Durch geschulte Pflegekraft oder ärztliches Personal
- Alle 4–8 Stunden, bis die Entzugssymptomatik mehr als 24 Stunden lang unter 8 Punkten liegt
- Auswertung: Schweregrad des Entzugssyndroms nach Gesamtscore
- ≤15 Punkte: Mildes Entzugssyndrom
- 16–20 Punkte: Moderates Entzugssyndrom
- 20–67 Punkte: Schweres Entzugssyndrom
- Medikamentöse Empfehlungen: Je nach Klinikstandard [13]
- Alkohol-Entzugssyndrom-Skala (AES)
- Beschreibung
- Scoring-System, das aus Symptomen vegetativer und psychischer Symptomatik zwei Teilscores errechnet, die zu einem Gesamtwert addiert werden
- Je höher der Wert, desto ausgeprägter das Alkoholentzugssyndrom
- Die medikamentöse Therapie orientiert sich am Punktwert
- Durchführung
- Durch geschulte Pflegekraft oder ärztliches Personal
- Stündlich in den ersten 36 Stunden oder so lange Score-Wert ≥6 Punkte
- Zweistündlich ab Score-Wert <6 Punkten
- Auswertung
- Teilscore „Psychische Störungen“
- >6 Punkte: Bestehendes oder drohendes Delir (siehe: Therapie des Alkoholentzugsdelirs)
- Gesamtscore (Addition beider Teilscores)
- Teilscore „Psychische Störungen“
- Beschreibung
Substanzklassen
- Hauptsubstanzen: Benzodiazepine oder Clomethiazol
- Zu beachten
- Keine Kombination! Entweder Benzodiazepin oder Clomethiazol einsetzen!
- Zur Vermeidung von Wechselwirkungen wie Übersedierung → Erst ab Blutalkoholspiegel <1‰! [8]
- Beide Substanzen verfügen über hohes Abhängigkeitspotenzial → Kurzzeitige Gabe, Ausschleichen über 4–10 Tage, Gabe nur im stationären Setting!
- Benzodiazepine
- Nebenwirkungen: Atemdepression, verzögerte Reaktionsfähigkeit → Unfallgefahr, Kumulation bei langer Halbwertszeit
- Präparate
- Clomethiazol
- Nebenwirkungen: Atemdepression, Hypotonie, erhöhte Bronchialsekretion → Nicht empfohlen bei Patienten mit schwerer kardiopulmonaler Vorerkrankung!
- Zu beachten
- Antikonvulsiva bei Alkoholentzugssyndrom
- Indikation
- Monotherapie: Die Anwendung von Carbamazepin ist bei leichter bis mittelschwerer Alkoholentzugssymptomatik statt Benzodiazepinen/Clomethiazol möglich
- Additive Anwendung: Bei epileptischen Anfällen in der Vorgeschichte zusätzlich zu Benzodiazepin oder Clomethiazol
- Präparate
- Carbamazepin
- Valproinsäure (Off-Label Use)
- Gabapentin (Off-Label Use)
- Oxcarbazepin (Off-Label Use)
- Levetiracetam (Off-Label Use)
- Indikation
- Betablocker bei Alkoholentzugssyndrom
- Indikation: Bei isolierter Tachykardie und Tremor
- Beispielpräparate
- Clonidin bei Alkoholentzugssyndrom
- Indikation: Bei Tremor, Tachykardie und arterieller Hypertonie
- Hochpotente Antipsychotika
- Indikation: Optische Halluzinationen und Wahnsymptome
- CAVE: Prokonvulsiv , QT-Zeit-Verlängerung möglich (siehe: QT-Zeit-verlängernde Medikamente)
- Beispielpräparat: Haloperidol
- Zu vermeiden: Niederpotente Antipsychotika und trizyklische Antidepressiva
Therapie des Alkoholentzugsdelirs [10][14]
Ohne Behandlung geht ein Alkoholentzugsdelir mit einer hohen Letalität einher (ca. 30%). Zudem ist der Übergang in eine Wernicke-Enzephalopathie möglich, weshalb immer eine Thiaminsubstitution (prophylaktisch) erfolgen sollte.
Allgemein
- Verlegung auf IMC/ICU
- Absetzen delirogener Medikamente, wenn möglich
- Beachtung nicht-medikamentöser Therapieoptionen des Delirs
- Intravenöser Zugang für: Volumengabe, Bilanzierung, Elektrolyt- und Blutzuckerausgleich (siehe auch: Therapie der Hyponatriämie, Therapie der Hypokaliämie, Therapie der Hypoglykämie)
- Monitoring, Patientensicherung, ggf. Sitzwache, ggf. Veranlassung der vorläufigen Unterbringung bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung
- Verlaufsbeurteilung: Mind. 1× tägl., bspw. mittels
Beim Alkoholentzugsdelir sollte immer eine Thiaminsubstitution erfolgen!
Medikamentös [15]
Die nachfolgend aufgeführten Dosisempfehlungen entsprechen den Angaben der Fachinformation. In der S1-Leitlinie „Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir“ finden sich teils abweichende Dosisempfehlungen.
- Unvollständiges oder vollständiges Alkoholentzugsdelir: Orale Gabe von
- Clomethiazol [16] oder
- Clomethiazol [16] plus Haloperidol [17]
- Alternativ: Haloperidol [17] plus
- Lebensbedrohliches Alkoholentzugsdelir: Immer intensivmedizinische Therapie mit Gabe von
- Diazepam i.v. [20] plus Haloperidol i.m. [21] oder
- Midazolam i.v. [22] plus Haloperidol i.m. [21]
- Bei Hypertension und Tachykardie (fakultativ):
- Clonidin (siehe auch: Clonidin bei Alkoholentzugssyndrom)
- Dexmedetomidin (intensivmedizinische Überwachung notwendig!)
- In therapierefraktären Fällen: Propofol
Da Haloperidol die Schwelle für epileptische Anfälle senkt, ist beim Alkoholentzugsdelir die Kombination mit Benzodiazepinen oder Clomethiazol empfohlen! [8]
Diagnostik
Allgemein
- Die Diagnostik der Alkoholabhängigkeit zielt auf die
- Erfassung der Diagnosekriterien der Alkoholabhängigkeit (z.B. nach ICD-10)
- Einschätzung des Ausmaßes körperlicher und psychischer Abhängigkeit
- Beurteilung von Folgeschäden (somatisch und psychosozial)
Anamnese
- Etablierte Screeningtests
- AUDIT: Alcohol Use Disorder Identification Test [23]
- Von der WHO entwickelter Screening-Test
- Ziel: Früherkennung von riskantem Alkoholkonsum
- Kurz- und Langversion mit 10 bzw. 8 Items/Fragen
- Dauer ca. 5–10 Minuten
- Sehr gute psychometrische Eigenschaften [24]
- CAGE: Einfacher Alkoholismus-Test, der der groben Orientierung dient
- C (Cut down drinking): „Haben Sie jemals daran gedacht, weniger zu trinken?“
- A (Annoyed): „Ärgert Sie die Kritik Ihres Umfelds an Ihrem Alkoholkonsum?“
- G (Guilty): „Empfinden Sie Schuldgefühle aufgrund ihres Trinkverhaltens?“
- E (Eye opener): „Brauchen Sie morgens nach dem Aufwachen Alkohol, um leistungsfähig zu werden?“
- Auswertung
- Jede positiv beantwortete Frage entspricht einem Punkt
- Zwei oder mehr Positiv-Antworten: Wahrscheinlicher Alkoholmissbrauch bzw. Alkoholabhängigkeit
- Gemischte Evidenz bzgl. der psychometrischen Güte des Tests [25][26][27][28]
- AUDIT: Alcohol Use Disorder Identification Test [23]
„Weniger (Cut-down) Kritik (Annoyed) ist gewiss (Guilty) ein Muntermacher (Eye opener)“
- Alkoholanamnese
- Konsummenge
- Häufigkeit/Trinkmuster
- Einstiegsalter
- Trinkmuster: Traditionelle Typologie Alkoholabhängiger nach Jellinek
- Alpha- und Beta-Typ (sog. „Problemtrinker“ und „Gelegenheitstrinker“): Zwar suchtgefährdet, aber noch nicht abhängig
- Gamma-Typ: Trinkmuster variabel, viele Räusche, dazwischen kurze Abstinenzphasen
- Delta-Typ (sog. „Spiegeltrinker“): Konstant hoher Konsum ohne häufige Räusche
- Epsilon-Typ (sog. „Quartalstrinker“): Phasen mit exzessartigen Räuschen und starkem Kontrollverlust, dazwischen lange abstinente Intervalle
- Vergangene Entzüge
- Wie viele stattgehabte Entzüge? Ambulant oder (teil‑)stationär?
- Abstinenzzeiten?
- Stattgehabte Komplikationen wie Delir oder Krampfanfall im Entzug?
- Motivationsstatus bzgl. aktuellem Alkoholentzug
- Drogenanamnese
- Komorbiditäten
- Psychiatrisch
- Somatisch
- Familien- und Sozialanamnese
- Ressourcen?
- Risikofaktoren?
Körperliche Untersuchung
- Allgemeine internistische Untersuchung mit Fokus auf
- Körperliche Symptome einer Alkoholabhängigkeit, z.B.
- Gesichtsbetonte Teleangiektasien
- Flush-Symptomatik
- Folgen einer fortgeschrittenen Leberschädigung
- Siehe hierzu: Leberzirrhose, Leberhautzeichen
- Entzugssymptomatik siehe: Alkoholentzugssyndrom
- Alkoholassoziierte Erkrankungen siehe: Folgeerkrankungen und häufige Komorbiditäten der Alkoholabhängigkeit
- Körperliche Symptome einer Alkoholabhängigkeit, z.B.
- Neurologische Untersuchung
Labor
- Labordiagnostik bei akutem Alkoholabusus
- Ethanol in der Atemluft oder im Blut↑
-
Ethylglucuronid (EtG) und Ethylsulfat (EtS) im Urin↑
- Ethylglucuronid und -sulfat werden meist zusammen in der Urinprobe bestimmt, um falsch-negative Befunde infolge der Aktivität bakterieller Glucuronidasen (→ Abbau von Ethylglucuronid) in besiedelten Urinproben zu vermeiden.
- Labordiagnostik bei chronischem Alkoholabusus
- Leberschäden: γGT↑, Transaminasen↑ (ALT↑, AST↑)
- Zeigt Enzyminduktion in der Leber durch regelmäßigen Alkoholkonsum
- Aber: Auch andere Noxen/Medikamente können Enzyminduktion bewirken → Begrenzte Spezifität
- Erhöhung i.d.R. erst bei größeren Parenchymschäden
- CDT (Carbohydrate deficient Transferrin, Desialotransferrin)
- Malnutrition und Knochenmarksschädigung
- MCV↑ Anämie (Hb↓), Thrombozytopenie
- Folsäure↓, Vitamin B12↓ (Cobalamin), Vitamin B1↓ (Thiamin), Vitamin B6↓ (Pyridoxin), Vitamin D↓, Vitamin K↓
- Ethylglucuronid↑ (EtG) in Haarproben
- Phosphatidylethanol↑ (PEth) im Blut
- Leberschäden: γGT↑, Transaminasen↑ (ALT↑, AST↑)
Diagnosekriterien der Alkoholabhängigkeit
Die Diagnosekriterien entsprechen den allgemeinen Kriterien des Abhängigkeitssyndroms (ICD-10) bzw. der Substanzgebrauchsstörung (DSM-5):
- Nach ICD-10: Mind. 3 der nachfolgenden Kriterien bestehen zeitgleich über mind. 1 Monat oder wiederholt innerhalb von 12 Monaten [29]
- Substanzverlangen (Craving)
- Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren
- Körperliches Entzugssyndrom
- Toleranzentwicklung gegenüber der Substanz
- Vernachlässigung anderer Aktivitäten zugunsten des Konsums
- Anhaltender Substanzgebrauch trotz nachweislich schädlicher Folgen
- Nach DSM-5 [30]: Substanzgebrauchsstörung durch Alkohol [30]
- Kriterien: Mind. 2 der folgenden 11 Kriterien müssen innerhalb des letzten Jahres für die Diagnosestellung erfüllt worden sein
- Kategorie „Verminderte Kontrolle“
- Konsum von größeren Mengen und über einen längeren Zeitraum als ursprünglich beabsichtigt
- Wunsch, den Konsum einzuschränken mit evtl. erfolglosen Versuchen
- Hoher zeitlicher Aufwand für Beschaffung, Konsum und Erholung von der Rauschwirkung
- Craving
- Kategorie „Soziale Beeinträchtigung“
- Wiederholter Konsum, der sich negativ auf wichtige Lebensbereiche wie Arbeit, Schule oder Familie auswirkt
- Fortgeführter Konsum trotz daraus resultierender zwischenmenschlicher Probleme
- Reduzieren oder Einstellen anderer Aufgaben und Aktivitäten zugunsten des Substanzkonsums
- Kategorie „Riskanter Konsum“
- Körperliche Schädigung/Gefährdung durch wiederholten Konsum
- Fortgeführter Konsum trotz Vorliegen von körperlichen und psychischen Folgeschäden
- Kategorie „Pharmakologische Aspekte“
- Toleranzentwicklung
- Entzugssymptomatik bei Konsumkarenz bzw. reduziertem Konsum
- Kategorie „Verminderte Kontrolle“
- Schweregradeinteilung
- 2–3 Kriterien erfüllt: Leicht
- 4–5 Kriterien erfüllt: Moderat
- ≥6 Kriterien erfüllt: Schwer
- Kriterien: Mind. 2 der folgenden 11 Kriterien müssen innerhalb des letzten Jahres für die Diagnosestellung erfüllt worden sein
Therapie
Allgemeine Therapieziele
- Primär: Abstinenz
- Sekundär: Konsumreduktion
Mögliche Behandlungsangebote
- Früh- und Kurzinterventionen
- Entgiftung
- Siehe auch: Therapie des Alkoholentzugssyndroms
- Qualifizierte Entzugsbehandlung
- Entwöhnung (Postakutbehandlung)
- Adaptation
- Nachbetreuung und Selbsthilfe
- Motivierende Gesprächsführung
- Für tiefergehende Informationen siehe: Behandlungsangebote bei Alkoholabhängigkeit
Zum allgemeinen Vorgehen bei Abhängigkeitserkrankungen siehe: Therapie von Abhängigkeiten
Behandlungsangebote (stationär und ambulant)
Früh- und Kurzinterventionen
- Beschreibung: Interventionen von sehr kurzer Dauer , die auf Reduktion/Alkoholabstinenz abzielen
- Bestandteile
- Personalisiertes Feedback
- Individuelle Zielfindung
- Konkrete Ratschläge
Entgiftung
- Definition: Die Entgiftung beinhaltet die Behandlung der Intoxikations- und Entzugssymptome
- Siehe dazu auch: Therapie des Alkoholentzugssyndroms
Qualifizierte Entzugsbehandlung
Hierbei handelt es sich um die Regelbehandlung der Alkoholabhängigkeit in der psychiatrischen Pflichtversorgung in Deutschland. Diese beinhaltet neben der Entgiftungsbehandlung interdisziplinäre Therapieansätze.
- Ziel: Anlage eines Fundaments zur Abstinenz durch
- Förderung von Problemeinsicht
- Stärkung der Motivation zur Abstinenz
- Vermittlung des Patienten in Nachbehandlungsangebote
- Setting: In Deutschland i.d.R. stationär
- Therapeutische Berufsgruppen: U.a. ärztlich, sozialdienstlich, psychologisch, ergo- und physiotherapeutisch, pflegerisch
- Behandlungsdauer
- I.d.R. bis zu 3 Wochen
- Behandlungsdauer kann jedoch je nach Schweregrad, Komplikationen und Komorbiditäten variieren
- Bausteine
- Entgiftung
- Einbezug/Therapie psychischer und somatischer Begleit- und Folgeerkrankungen
- Motivationsarbeit: Bspw. gruppentherapeutische Programme, Wissensvermittlung, Rückfallprävention, Entspannung
- Nachbehandlung: Bahnung von bzw. Vermittlung in spezifische Behandlungsangebote
Entwöhnung (Postakutbehandlung)
Die Entwöhnungsbehandlung kann als medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Anschluss (möglichst zeitnah) an die qualifizierte Entzugsbehandlung erfolgen.
- Ziel: Langfristige Aufrechterhaltung der Abstinenz verbessern
- Setting: Ambulante, teilstationäre oder stationäre Angebote
- Ambulante Angebote
- Fach- oder Institutsambulanz einer psychiatrischen Klinik
- Zugelassene ambulante Suchtberatungs- oder Behandlungsstellen
- Teilstationäre Angebote: Tagesklinische psychiatrische Angebote
- Stationäre Angebote: Anerkannte Fachkliniken zur suchtspezifischen Rehabilitation
- Ambulante Angebote
- Bausteine
- Verstärkte psychotherapeutische Behandlung, insb. in Form kognitiver Verhaltenstherapie und psychodynamischer Kurzzeittherapie
- Gesundheitliche Rehabilitation/Restitution
- Bahnung der Rückkehr in die Häuslichkeit bzw. Vermittlung weiterer Angebote
- Bspw. Angehörigenarbeit, Paartherapie
- Ggf. Einleitung einer Pharmakotherapie mit einer Anticraving-Substanz
- Dauer: Individuell, je nach Erkrankungsstadium und Ressourcen
- Angebotsübersicht: siehe: Tipps & Links
Adaptation
Die Adaptationsbehandlung, also der zweite Schritt der medizinischen Rehabilitation, kann Teil der Entwöhnungsbehandlung sein oder im Anschluss an selbige erfolgen.
- Ziel: Reintegration in Beruf und Gesellschaft
- Bausteine
- Vorbereitung der selbstständigen Lebensführung
- Vorbereitung der Rückkehr in den Beruf
- Vorbereitung des Umfelds
- Therapeutische Einzel- und Gruppentherapie
- Zielgruppe: Insb. Patienten mit beruflicher und sozialer Desintegration
Nachbetreuung und Selbsthilfe
- Optionen
- Anbindung an Fachambulanzen oder Beratungsstellen
- Allgemeine ambulante Psychotherapie
-
Selbsthilfegruppen
- Lange Tradition und weite Verbreitung in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit
- Nachweisliche Verbesserung der Abstinenzdauer bei Anbindung an Selbsthilfegruppen [31]
Medikamentöse Optionen zur Rezidivprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit (Anticraving-Substanzen)
- Indikation: Ergänzend zu laufenden psychosozialen oder -therapeutischen Angeboten
- Ziel: Rückfallvermeidung durch Minderung des Trinkverlangens
- Mögliche Präparate
- Wirkung über glutamaterges System
- Acamprosat
- Wirkung über opioiderges System
- Naltrexon
- Nalmefen
- Aversions-Therapie
- Disulfiram (in Deutschland nicht mehr zugelassen)
- Indikation: Wenn andere Therapieformen nicht zum Erfolg geführt haben
- Beachte
- Bei Alkoholkonsum unter Medikation kann das resultierende Acetaldehyd-Syndrom im Extremfall zu Atemdepression, Krampfanfällen und Tod führen!
- Differenzierte Aufklärung und Begleitung des Patienten wichtig
- Disulfiram (in Deutschland nicht mehr zugelassen)
- Wirkung über glutamaterges System
Komplikationen
Bedeutung der Folgeerkrankungen bei der Alkoholabhängigkeit
Langjähriger Alkoholkonsum kann zu verschiedenen Folgeschäden in allen Organsystemen führen.
- Häufigste Folgeerkrankungen
- Leberzirrhose
- Alkoholische Polyneuropathie
- HNO-Karzinome und Unfallfolgeschäden
Die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit sollte immer auch die Suche nach Folgeerkrankungen einschließen! Umgekehrt sollte bei Patienten mit typischen Alkohol-Folgeerkrankungen immer ein Screening auf eine Alkoholabhängigkeit erfolgen!
Folgeerkrankungen (Auszug)
- Gastrointestinal
- Alkoholische Fettleber und Progredienz zur Leberzirrhose
- Larynxkarzinom, Pharynxkarzinom, Ösophaguskarzinom
- Erosive Ösophagitis und Gastritis, Magenulkus und Duodenalulkus
- Akute und chronische Pankreatitis, Pankreaskarzinom
- Mallory-Weiss-Syndrom
- Ösophagusvarizenblutung, obere GI-Blutung
- Folgen der Malnutrition
- Neurologisch
- Alkoholische Polyneuropathie
- Alkoholische Kleinhirndegeneration
- Pathogenese: Vitamin-B1-Mangel durch Mangelernährung und toxische Wirkungen des Alkohols und seiner Abbauprodukte → Degeneration von Purkinje-Zellen
- Symptome: Intentionstremor, Dysarthrie, Ataxie, Nystagmus
- Erweitere Diagnostik
- Elektroneurografie: Zeichen der Polyneuropathie
- MRT Schädel: Insb. Atrophie der medialen Anteile des Kleinhirnvorderlappens sowie des Oberwurmes
- Großhirnschädigung: Mit dem klinischen Bild der alkoholbedingten Demenz
- Wernicke-Korsakow-Syndrom
- Marchiafava-Bignami-Syndrom
- Definition: Degeneration und Nekrose des Corpus callosum, fast immer infolge einer Mangelernährung bei chronischem Alkoholabusus
- Symptome: Variables klinisches Bild
- Wesensveränderung
- Intelligenzminderung und Demenz
- Epileptische Anfälle
- Zieve-Syndrom
- Meningitis
- Psychiatrisch
- Kardial: Alkoholische Kardiomyopathie
- Alkoholabhängigkeit in der Schwangerschaft: Alkohol-Embryopathie
- Pulmonal: Erhöhtes Risiko für Pneumonien
- Weitere
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Die Alkoholabhängigkeit stellt für die meisten Patienten eine chronische Erkrankung mit einer lebenslangen Neigung zu Rückfällen dar
- Eine langfristige Stabilisierung erreichen ca. 40–50% der Patienten [32]
Rechtsmedizinische Grundlagen
Wichtige Begrifflichkeiten
- Alkoholabbau: Eliminationsrate
- Resorptionsdefizit
- Restalkohol
- Nachtrunk
Widmark-Formel
Die Widmark-Formel wird zur Schätzung des Blutalkoholspiegels genutzt.
- Blutalkohol (Promille, ‰) = Alkoholmenge (Gramm) / (Körpergewicht (kg) × Reduktionsfaktor)
Unter Berücksichtigung des Resorptionsdefizits und des Alkoholabbaus über die Zeit entsteht folgende modifizierte Formel.
- Berechnung des Blutalkohols: Blutalkohol (Promille, ‰) = Alkohol (Gramm) × (1 - Resorptionsdefizit ) / (Körpergewicht × Reduktionsfaktor) − (Eliminationsrate × Anzahl der Stunden (h) seit Trinkbeginn)
- Beispiel: Ein Mann von 75 kg hat sechs Flaschen Bier (500 mL, 5% Alkohol) über vier Stunden getrunken
- ((120 g × 0,7) / (75 kg × 0,7)) − (0,1‰ × 4 ) = 1,2‰
- Beispiel: Ein Mann von 75 kg hat sechs Flaschen Bier (500 mL, 5% Alkohol) über vier Stunden getrunken
- Rückrechnung des Blutalkohols (BAK) zur Beurteilung der Schuldfähigkeit während einer Straftat: BAK zum Tatzeitpunkt = BAK aus Blutprobe (Promille, ‰) + Eliminationsrate × Anzahl der Stunden (h) zwischen Tat und Blutentnahme
- Maximal-BAK: Eliminationsrate pro Stunde = 0,2‰ + einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2‰
- Mindest-BAK: Eliminationsrate pro Stunde = 0,1‰
- Beispiel: Eine BAK von 1,65‰ wird in der Blutprobe vier Stunden nach einer Straftat nachgewiesen. Seitdem hat der vermeintliche Straftäter keinen weiteren Alkohol konsumiert
- Maximal-BAK zur Tatzeit: 1,65‰ + 0,2‰ × 4 + 0,2‰ = 2,65 ‰
- Mindest-BAK zur Tatzeit: 1,65‰ + 0,1‰ × 4 = 2,05 ‰
Blutalkoholnachweis (Ethanol)
- Klinische Zwecke: Durchführung eines Verfahrens, meist Alkoholdehydrogenase-Verfahren
- Forensische Zwecke: Durchführung zweier Verfahren, meist Alkoholdehydrogenase-Verfahren und Gaschromatografie
Alkoholbestimmung post mortem
Die Entnahme der Blutprobe muss stets aus der Vena femoralis erfolgen. Herznahes Blut kann durch Diffusion von Alkohol aus dem Magen das Ergebnis verfälschen.
Alkoholkonsum im Straßenverkehr
- Grenzwerte
- Ab 0,5‰ Blutalkohol: Führen eines Kraftfahrzeugs verboten (Ordnungswidrigkeit)
- Ab 1,1‰ Blutalkohol: Absolute Fahruntüchtigkeit
- Ausnahme: 0‰-Grenze für Fahranfänger und berufliche Personenbeförderung
- Relative Fahruntüchtigkeit: Bei alkoholbedingten Symptomen, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, auch unabhängig vom Alkoholspiegel
- Prüfung bspw. durch orientierende neurologische Untersuchung möglich (Gang- und Standprüfung, Pupillenreaktion, Sprache)
Studientelegramme zum Thema
HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 246-2022-1/3: Die eNose: Der Weg zum Bier-Weltfrieden?
- Studientelegramm 213-2022-1/3: Myth-busting: Kein kardiovaskulärer Benefit durch Alkohol
- Studientelegramm 175-2021-3/3: Der Lockdown und die Leber
- Studientelegramm 144-2020-1/2: Alkoholkonsum während der COVID-19-Pandemie
- Studientelegramm 107-2020-3/3: Prost Neujahr? Alkoholkonsum als Risikofaktor beim Vorhofflimmern
- Studientelegramm 100-2019-3/3: Saures statt Süßes
- Studientelegramm 73-2019-1/3: Alkoholkonsum nach der Fastenzeit – MACH’s nicht
- Studientelegramm 73-2019-2/3: Alkoholkonsum nach der Fastenzeit – nüchterne Tatsachen
- Studientelegramm 26-2018-3/3: „Ich sage Ihnen Prost“ – Alkoholkonsum im internationalen Vergleich
- Studientelegramm 23-2018-1/3: Are you guys drinkers? Wo endet der „gesunde“ Alkoholkonsum?
- Studientelegramm 03-2017-2/3: Moderater Alkoholkonsum – Rettungsboot oder sinkendes Schiff in der kardiovaskulären Prävention?
One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 58-2022-1/3: The trip to abstinence: Psilocybin improves outcomes in alcohol use disorder.
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Patienteninformationen
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Alkohol
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
F10.-: Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol
- F10.0: Akute Intoxikation [akuter Rausch]
- Akuter Rausch bei Alkoholabhängigkeit
- Pathologischer Rausch
- Rausch o.n.A.
- Trance und Besessenheitszustände bei Intoxikation mit psychotropen Substanzen
- „Horrortrip“ (Angstreise) bei halluzinogenen Substanzen
- Exklusive: Intoxikation im Sinne einer Vergiftung (T36-T50)
- F10.1: Schädlicher Gebrauch
- F10.2: Abhängigkeitssyndrom
- Chronischer Alkoholismus
- Dipsomanie
- Nicht näher bezeichnete Drogensucht
- F10.3: Entzugssyndrom
- F10.4: Entzugssyndrom mit Delir
- Delirium tremens (alkoholbedingt)
- F10.5: Psychotische Störung
- Alkoholhalluzinose
- Alkoholische Paranoia
- Alkoholischer Eifersuchtswahn
- Alkoholpsychose o.n.A.
- Exklusive: Durch Alkohol oder psychoaktive Substanzen bedingter Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung (F10-F19, vierte Stelle .7)
- F10.6: Amnestisches Syndrom
- Alkohol- oder substanzbedingte amnestische Störung
- Durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingte Korsakowpsychose
- Nicht näher bezeichnetes Korsakow-Syndrom
- Exklusive: Nicht substanzbedingte(s) Korsakow-Psychose oder -Syndrom (F04)
- F10.7: Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
- Alkoholdemenz o.n.A.
- Chronisches hirnorganisches Syndrom bei Alkoholismus
- Demenz und andere leichtere Formen anhaltender Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten
- Nachhallzustände (Flashbacks)
- Posthalluzinogene Wahrnehmungsstörung
- Residuale affektive Störung
- Residuale Störung der Persönlichkeit und des Verhaltens
- Verzögert auftretende psychotische Störung durch psychotrope Substanzen bedingt
- Exklusive: Alkohol- oder substanzbedingt:
- Korsakow-Syndrom (F10-F19, vierte Stelle .6)
- psychotischer Zustand (F10-F19, vierte Stelle .5)
- F10.8: Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
- F10.9: Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung
T51.-: Toxische Wirkung von Alkohol
- T51.0: Äthanol
- Äthylalkohol
- Exklusive: Akuter Alkoholrausch oder Alkoholnachwirkungen, „Kater“ (F10.0), Pathologischer Rausch (F10.0), Trunkenheit (F10.0)
- T51.1: Methanol
- Methylalkohol
- T51.2: 2-Propanol
- Isopropylalkohol
- T51.3: Fuselöl
-
Alkohol:
- Amyl-
- Butyl- [1-Butanol]
- Propyl- [1-Propanol]
-
Alkohol:
- T51.8: Sonstige Alkohole
- T51.9: Alkohol, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.