Abstract
Viele Risikopatienten, insb. solche mit kardiovaskulärer oder pulmonaler Vorerkrankung, profitieren von einem Regionalanästhesie-Verfahren. Diese Vorerkrankungen erfordern jedoch häufig eine antikoagulatorische Therapie. Für die optimale perioperative Versorgung dieser Patienten ist eine Abwägung der Vorteile gegen die Risiken einer Regionalanästhesie unerlässlich. Entscheidend ist die Auswahl des Regionalanästhesie-Verfahrens und die Einhaltung von Sicherheitsabständen zwischen Medikamenteneinnahme und Intervention.
Unabhängig von einer geplanten Regionalanästhesie erfordert die perioperative Betreuung antikoagulierter Patienten ein systematisches Vorgehen. Für diese Inhalte siehe auch: Perioperatives Management bei bestehender Antikoagulation. Für allgemeine Informationen zur Prämedikationsvisite siehe auch: Prämedikation und Aufklärung in der Anästhesiologie.
Risikoeinschätzung und Screening
Der potentielle Nutzen einer Regionalanästhesie muss präoperativ gegen die möglichen Risiken abgewogen werden. Dabei sind sowohl das Risiko einer Blutung und deren Folgen als auch das Thromboembolierisiko im Falle eines Absetzens der Antikoagulation zu beachten.
Nutzen einer Regionalanästhesie [1][2][3]
- Senkung des perioperativen Risikos für Komplikationen
- Senkung des Aspirationsrisikos
- Verbesserung der Durchblutung
- Optimierung der postoperativen Schmerztherapie
Risiken einer Regionalanästhesie unter Antikoagulation
- Blutung: Abhängig von Durchführung, Lokalisation und Möglichkeit der manuellen Kompression
- Erhöhtes Risiko nach Punktionsart
- Punktionsmaterial: Dicke und Schliff der Nadel
- Erhöhtes Risiko nach Verfahren
- Erhöhtes patienteneigenes Blutungsrisiko: HAS-BLED-Score
- Blutungsfolgen
- Periphere Regionalanästhesie: Nervenkompressionen , größere Blutverluste
- Rückenmarksnahe Regionalanästhesie: Spinale Kompression mit neurologischen Komplikationen
- Thrombose und Embolie: Bei Pausierung der Dauerantikoagulation
- CHA2DS2VASc-Score (Thrombembolierisiko bei Vorhofflimmern)
- Risikofaktoren der tiefen Beinvenenthrombose bzw. Lungenembolie
- Mechanischer Herzklappenersatz(!)
Rückenmarksnahe Regionalanästhesie unter Antikoagulation
Allgemeines
- Schriftliche Aufklärung über
- Risiken einer Regionalanästhesie
- Erhöhtes Blutungsrisiko
- Auswahl des Verfahrens
- Mehrfachpunktionen vermeiden
- Atraumatische Nadeln bevorzugen
- „Single-Shot-Verfahren“ ohne Katheteranlage erwägen
- Ggf. auf periphere Verfahren ausweichen
Rückenmarksnahe Regionalanästhesien: Sicherheitsabstände bei Einnahme von Antikoagulanzien/Thrombozytenaggregationshemmern [1][3]
Wirkstoff | Vor Punktion/Katheterentfernung | Nach Punktion/Katheterentfernung | |
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UFH | Prophylaktische Dosierung |
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Therapeutische Dosierung |
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NMH | Prophylaktische Dosierung |
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Therapeutische Dosierung |
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Synthetisches Heparin (Fondaparinux) |
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Desirudin |
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Bivalirudin |
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Argatroban: Prophylaktische Dosierung |
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Dabigatran (z.B. Pradaxa®)* |
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Rivaroxaban (z.B. Xarelto®)* |
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Apixaban (z.B. Eliquis®)* |
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Cumarine: Phenprocoumon und Warfarin |
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Acetylsalicylsäure |
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Clopidogrel |
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Ticlopidin |
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Prasugrel |
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Ticagrelor |
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Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten |
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Phosphodiesterase-Inhibitoren |
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Antiaggregatorische Prostaglandine |
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Legende | * Individuelle Risiko-Nutzen-Evaluation für das Absetzen von DOAK erforderlich ** Intervallanpassung bei Niereninsuffizienz erforderlich *** ASS 100 muss nicht pausiert werden. Bei Kombination von ASS mit weiteren Antikoagulantien wird von rückenmarksnahen Verfahren (bspw. Spinalanästhesie) abgeraten. **** Intervallanpassung bei eingeschränkter Leberfunktion erforderlich ° Bei Kombination von DOAK und ASS bzw. Heparinen und ASS verlängern sich die Zeitabstände vor Punktion/Katheterentfernung auf 4–5 HWZ |
Als Faustregel kann gelten: Der Sicherheitsabstand bei prophylaktischer Antikoagulation beträgt 2 Halbwertszeiten, der bei therapeutischer Antikoagulation 4–5 Halbwertszeiten! [4]
Bei Kombination mit ASS 100 verlängern sich die Intervalle für DOAK und Heparine um ein Vielfaches; von rückenmarksnahen Verfahren wird abgeraten! [4]
Periphere Regionalanästhesie unter Antikoagulation
- Schriftliche Aufklärung über potentielles Blutungsrisiko
- Bevorzugte Verfahren
- Ultraschallgesteuerte Punktion
- Risikoarme Verfahren
- Sicherheitsabstände bei bestehender Antikoagulation
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Regionalanästhesie der Extremitäten : Orientierend an Zeitvorgaben für rückenmarksnahe Verfahren
- Durchführung unter Antikoagulation möglich
- Ausnahme: Psoaskompartmentblock : Streng nach Zeitvorgaben für rückenmarksnahe Verfahren
- Regionalanästhesie des Stamms : Streng nach Zeitvorgaben für rückenmarksnahe Verfahren
- Siehe auch: Rückenmarksnahe Regionalanästhesie unter Antikoagulation: Empfohlene Sicherheitsabstände
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Regionalanästhesie der Extremitäten : Orientierend an Zeitvorgaben für rückenmarksnahe Verfahren