Abstract
Die systemischen Veränderungen im Rahmen einer Arteriosklerose betreffen neben den peripheren Gefäßen (pAVK), Herzkranz- (KHK) und Hirngefäßen auch Arterien des Bauchraums. Bei Einengung der Mesenterialgefäße kommt es dadurch typischerweise im Anschluss an Nahrungsaufnahme zu rezidivierenden, dumpfen Bauchschmerzen. Durch Fortschreiten des chronischen Verschlusses oder durch akute thromboembolische Ereignisse (meist kardialer Genese) kann zudem ein akuter Mesenterialinfarkt entstehen.
Der Mesenterialinfarkt ist ein höchst bedrohliches Krankheitsbild und nimmt einen typischen stadienhaften Verlauf: Im etwa sechs Stunden andauernden Initialstadium beklagt der Patient stärkste (ischämiebedingte) Abdominalschmerzen, woran sich eine meist symptomarme Phase des „faulen Friedens“ anschließt, in der nach Absterben des Darms eine Durchwanderungsperitonitis entsteht. Im Spätstadium (>12h) entwickelt sich dann ein akutes Abdomen mit stärksten Schmerzen, blutigen Durchfällen und paralytischem Ileus.
Diagnostisch steht die bildgebende Darstellung der Stenose oder des Verschlusses im Vordergrund - z.B. per Angiografie, Duplexsonografie oder Kontrastmittel-Computertomografie. Weiterhin zeigen sich beim akuten Infarkt erhöhte Laktatwerte und im Verlauf ansteigende Entzündungsparameter. Die Therapie bei der chronischen Verschlusskrankheit besteht zum einen in einer schonenden Diät, zum anderen kann eine interventionelle oder operative Revaskularisationstherapie indiziert sein (z.B. PTA oder Bypass-OP). Beim akuten Mesenterialinfarkt hingegen ist ein schnelles Vorgehen indiziert, da die Ischämietoleranz des Darms bei etwa sechs Stunden liegt. Ein Verdacht sollte also zügig durch bildgebende Verfahren bestätigt oder ausgeschlossen werden - ein Mesenterialarterieninfarkt stellt eine absolute operative Notfallindikation dar und hat selbst bei schneller Versorgung eine schlechte Prognose.
Ätiologie
- Chronischer Mesenterialarterienverschluss
- Akuter Mesenterialarterienverschluss
- Akute arterielle Embolie
- Vorhofflimmern
- Myokardinfarkt
- Klappenvitien
- Endokarditis
- Mesenterialarteriosklerose mit akuter arterieller Thrombose
- Aortenaneurysma, -dissektion
- Aortitis (Panarteriitis nodosa, Takayasu-Arteriitis)
- Akute arterielle Embolie
Pathophysiologie
- Chronischer Verschluss
- Langsame Stenoseentwicklung in der A. mesenterica superior → Aufrechterhaltung der Zirkulation durch Kollateralisierung
- Postprandiale Steigerung der Durchblutung bei Dehnung des Darms erhöht Strömungswiderstand → Minderperfusion → Schmerzattacken
- Hochgradige Stenose der A. mesenterica inferior → Evtl. ischämische Kolitis
- Akute Gefäßverlegung (Thrombus, Embolie) → Darminfarkt
- In ca. 85-90% der Fälle A. mesenterica superior betroffen → Gefahr einer Ischämie von Jejunum und Ileum, evtl. mit Dickdarmischämie
- Seltener: Stromgebiet des Truncus coeliacus (ca. 12%) betroffen
Die Ischämietoleranz des Darms beträgt ca. 6 Stunden!
Symptome/Klinik
Chronischer Mesenterialarterienverschluss
Stadien beim chronischen Mesenterialarterienverschluss | |
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Stadium | Beschreibung |
I | Symptomlose Stenose |
II | Angina abdominalis (intermittierender, postprandialer Schmerz) |
III | Dauerschmerz und Malabsorptionssyndrom, evtl. ischämische Kolitis |
IV | Akuter Mesenterialverschluss mit Mesenterialinfarkt |
Leitsymptom: Angina abdominalis = Hypoxisch bedingter Bauchschmerz im Anschluss an Nahrungsaufnahme!
Akuter Mesenterialinfarkt
Stadien beim akuten Mesenterialinfarkt | |
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Stadium | Beschreibung |
Initialstadium (0–6 h) |
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Latenzstadium (6–12 h) |
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Spätstadium (>12 h) |
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Typischer IMPP-Patient: Tachyarrhythmia absoluta mit Vorhofflimmern (bzw. Herzrhythmusstörungen) → Plötzliche Bauchschmerzen!
Diagnostik
Anamnese
- Vorangegangene Episoden postprandialer Abdominalschmerzen
- Arteriosklerose-Risikofaktoren, z.B. Hypertonie, Nikotinabusus, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie
- KHK, Vorhofflimmern (absolute Arrhythmie) Thrombusbildung im linken Vorhof → Thromboembolie einer Viszeralarterie → Darminfarkt
- Digitalis-/Ergotamineinnahme → Spasmus in Splanchnikusgefäßen
Körperliche Untersuchung
- Hämatochezie
- Auskultation des Abdomens
- Evtl. pulssynchrones Stenosegeräusch im Epigastrium
- Fehlende Darmgeräusche aufgrund eines paralytischen Ileus („Totenstille“)
- Abwehrspannung bei Peritonitis
Blut
- Laktat↑, LDH↑, CK↑, D-Dimer↑
- Leukozytose, CRP↑
- Metabolische Azidose
Apparative Diagnostik
- EKG: Evtl. Vorhofflimmern
- Bildgebung
- Sonografie des Abdomens: Suche nach freier Flüssigkeit im Abdomen, Darmwandödem, Motilitätsstörung, distendierte Darmschlingen
- Farbduplexsonografie: Gefäßabgangsstenosen
- Abdomenröntgen: Erweiterte Dünndarmschlingen mit Luft-Flüssigkeitsspiegeln , ggf. intramurale Lufteinschlüsse
- Angio-CT oder -MRT: Nachweis von Gefäßstenosen
- Angiografie : Nachweis von Gefäßstenosen
- Endoskopie
- Koloskopie bei ischämischer Kolitis: Schleimhautödem, Ulzera mit livide verfärbter Umgebung
Bei Verdacht auf akuten Mesenterialinfarkt ist eine zügige Gefäßdarstellung (Angiografie, CT, MRT oder Duplexsonografie) entscheidend - bei Peritonitis oder Schockgefahr kann jedoch auch eine Notfall-OP ohne apparative Diagnostik notwendig sein!
Differenzialdiagnosen
(Akute) Mesenterialvenenthrombose
- Ätiologie: Angeborene Thrombophilie (bspw. AT-III-, Protein-C- oder Protein-S-Mangel), Pankreatitis, Pankreaskarzinom, Leberzellkarzinom, paraneoplastisch
- Symptome: Eher unspezifisch, ähnlich einer chronischen Mesenterialarterienischämie, abhängig vom Ausmaß der Thrombose
- Diagnostik: Biphasisches Kontrastmittel-CT
- Therapie
- Endovaskuläre Rekanalisation
- Systemische Antibiose bei septischer Thrombose
- Ggf. Laparotomie mit Rekanalisation und darmsparender Segmentresektion
Nicht-okklusive Mesenterialischämie (NOMI)
- Pathophysiologie: HZV↓ und gleichzeitige Vasokonstriktion der Splanchnikusgefäße
- Insb. bei Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, Schock, nach Herz-OP mit ECMO
- Durch Hypovolämie nach Hämodialyse
- Durch Vasospasmen im Splanchnikusgebiet nach Einnahme von Digitalis oder Katecholamingabe (Intensivpatient:innen)
- Symptome: Zunehmender unspezifischer Abdominalschmerz, je nach Lokalisation
- Diagnostik und Therapie: Katheterangiografie mit Applikation von Vasodilatatoren in die A. mesenterica superior
- Prognose: Letalität 50–70%
Weitere Differenzialdiagnosen
- Entzündliche Veränderungen im Sinne einer Kolitis
- Andere Ursachen eines akuten Abdomens
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Leichte ischämische Kolitis
- Thrombozytenaggregationshemmer
- Arterioskleroserisiko minimieren
Chronische mesenteriale Ischämie/Angina abdominalis
- Diät (häufige kleine Mahlzeiten, ballaststoffarme Kost)
- Interventionelle Aufdehnung (PTA/Stent)
- Elektive operative Revaskularisation
- Thrombendarteriektomie
- Bypassanlage
Akuter Mesenterialinfarkt: Notfallindikation [1][2][3]
Interventionelle Therapie
- Indikation: Verschlüsse ohne Peritonitis oder Darmwandnekrose
- Verfahren
- Pharmakospülperfusion: Intraarterielle Gabe von Prostaglandinen plus Heparin über einen transfemoralen Katheter
- Katheterlyse: Fraktionierung des Thrombus mittels Führungsdraht und anschließende lokale Verabreichung von rt-PA
- Katheter-Aspirations-Embolektomie: Angiografisch gesteuerte Bergung des Embolus mittels spezieller Katheter über transfemoralen Zugang
- PTA mit Stentimplantation: Bei Veränderungen der Gefäßwand
Chirurgische Therapie [4]
Indikation
- Zentraler Verschluss der A. mesenterica superior
- Nicht erfolgreiche interventionelle Therapieversuche
- Peritonitis oder Darmwandnekrose
Ablauf
- Revaskularisierung: Mögliche Verfahren je nach betroffenem Gefäß
- Katheterembolektomie nach Fogarty (meist der A. mesenterica superior)
- Bypass-Anlage oder Dekompression (z.B. am Truncus coeliacus)
- Resektion
- Nach Wiederherstellung der Perfusion: Entscheidung über die Resektion avitaler und nicht revitalisierbarer Darmabschnitte
- Resektionsausmaß: Abhängig von der Ischämiedauer
- Bei intraoperativer Minderperfusion: Resektion der Anastomose
- Rekonstruktion
- End-zu-End-Anastomose, ggf. auch Seit-zu-Seit-Anastomose
- Nach Anlegen der Anastomose: Messen der Länge des verbliebenen Dünndarms und Kontrolle auf iatrogene Darmschäden
- Bei abdominellem Kompartmentsyndrom aufgrund eines Reperfusionssyndroms: Anlage eines Laparostomas
- Ggf. Stomaanlage
- Ggf. Second-Look-OP innerhalb von 12–24 Stunden zur Beurteilung der Vitalität
Therapiebegleitende intensivmedizinische Behandlung
- Intravasale Flüssigkeitssubstitution
- Therapeutische Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin
- Bereits bei klinischem V.a. eine Peritonitis: Antibiotische Therapie bei sekundärer Peritonitis
- Optimierung der Oxygenierung
- Adäquate Analgesie
- Fortführen der intensivmedizinischen Behandlung bis zur endgültigen Stabilisierung
Bei V.a. einen Mesenterialinfarkt muss rasch gehandelt werden – die Ischämietoleranz des Darms liegt bei ca. sechs Stunden!
Komplikationen
- Peritonitis
- Abdominelles Kompartmentsyndrom
- Sepsis
- Multiorganversagen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Letalität des akuten Mesenterialinfarkts: 60–80%
- Prognostische Faktoren
- Behandlungszeitpunkt: Entscheidend ist v.a. die schnelle Behandlung, die Prognose ist abhängig von der Dauer der Ischämie [3]
- Lokalisation: Periphere Verschlüsse sind aufgrund der besseren „Restblutversorgung“ des Darmes über Kollateralen im Vergleich zu zentralen Verschlüssen mit einer besseren Prognose verbunden
- Verschlussart: Nicht-okklusive Form (NOMI) ist im Vergleich zur okklusiven Form mit höherer Letalität verbunden, da die eher unspezifischen Symptome zu einer verzögerten Diagnose und Behandlung führen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- K55.-: Gefäßkrankheiten des Darmes
- Exklusive: Enterocolitis necroticans beim Fetus und Neugeborenen (P77)
- K55.0: Akute Gefäßkrankheiten des Darmes
- Akut:
- Darminfarkt
- Dünndarmischämie
- fulminante ischämische Kolitis
- Mesenterial (Arterien) (Venen):
- Subakute ischämische Kolitis
- Akut:
- K55.1: Chronische Gefäßkrankheiten des Darmes
- Chronisch, ischämisch:
- Enteritis
- Enterokolitis
- Kolitis
- Ischämische Darmstriktur
- Mesenterial:
- Atherosklerose
- Gefäßinsuffizienz
- Chronisch, ischämisch:
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.