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Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Letzte Aktualisierung: 9.3.2023

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Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gehört zu den hyperkinetischen Störungen und ist hauptsächlich durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität charakterisiert. Die Symptome müssen zur Diagnosestellung nach ICD-10 erstmalig vor dem 7. Lebensjahr auftreten, über mind. 6 Monate vorliegen und in mehreren Situationen (bei Kindern klassischerweise: Schule und häusliche Umgebung) zu beobachten sein.

Die multimodale Therapie kann aus medikamentösen, psychotherapeutischen und psychosozialen Interventionen bestehen. Medikamentös werden v.a. Psychostimulanzien (bspw. Methylphenidat) eingesetzt. Als wichtige Nebenwirkungen sollten in diesem Zusammenhang insb. eine überschießende sympathomimetische Wirkung und ein mögliches Wachstumsdefizit beachtet werden.

  • Prävalenz [1]
    • Unter Kindern und Jugendlichen: Ca. 4–5%
    • Unter Erwachsenen: Ca. 2–3%
  • Alters- und Geschlechterverteilung
    • > [2][3]
      • Bei Kindern und Jugendlichen: 2–3:1 [1]
      • Bei Erwachsenen: 1,5:1 [1]
    • Erkrankungsbeginn meistens vor dem 6. Lebensjahr [4]

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen. [1][2]

Kernsymptome [2][4]

Ein einzelnes Kernsymptom kann das klinische Gesamtbild dominieren. In der ICD-10 wird die ADS (Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivität) von der ADHS (F90.0) unterschieden und unter F98.8 kodiert. In der ICD-11 werden verschiedene Erscheinungsbilder einer ADHS (vorwiegend unaufmerksam, vorwiegend hyperaktiv-impulsiv, gemischt) separat kodiert. [5]

  • Aufmerksamkeitsdefizit
    • Unaufmerksamkeit (bspw. Neigung zu Flüchtigkeitsfehlern)
    • Ablenkbarkeit (bspw. Probleme, in Gesprächen zuzuhören)
    • Desorganisation (bspw. Probleme, Aufgaben zu planen)
    • Vergesslichkeit (bspw. Vergessen von Besprochenem oder Geplantem)
    • Verlieren von Gegenständen (u.a. von Alltagsgegenständen wie Unterrichtsmaterialien)
  • Hyperaktivität
    • Psychomotorische Unruhe mit Bewegungsdrang
    • Schwierigkeit, sich ruhig zu beschäftigen
  • Impulsivität
    • Schwierigkeit, zurückhaltend zu agieren
    • Vorschnelles, unüberlegtes Handeln bzw. Sprechen

Weitere Symptome [2]

  • Fehlende Vorsicht, Regelverletzungen
  • Soziale Distanzlosigkeit
  • Beeinträchtigung kognitiver Funktionen (bspw. Lese- und Rechtschreibstörung)
  • Insb. im Erwachsenenalter: Emotionale Regulationsstörung (häufig Gefühlsausbrüche) [1]

Allgemein [2]

Testpsychologische Verfahren für Minderjährige (Auswahl) [6]

  • DISYPS-III (Diagnostiksystem für psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-5 für Kinder und Jugendliche)
    • Bestandteile
      • Ab 3 Jahren einsetzbar
        • Diagnose-Checkliste (DCL-ADHS)
        • Interviewleitfaden für externale Störungen (ILF-EXTERNAL)
        • Fremdbeurteilungsbogen (FBB-ADHS(-V) )
      • Ab 11 Jahren einsetzbar: Selbstbeurteilungsbogen (SBB-ADHS)
  • Conners Skalen (zu Aufmerksamkeit und Verhalten)
    • CONNERS EC (engl. „early childhood“)
      • Einsatz im Alter zwischen 2–6 Jahren
      • Unterschiedliche Fragebögen für Eltern und/oder Erziehende verfügbar
    • Conners-3
      • Einsatz ab 6 Jahren
      • Unterschiedliche Versionen verfügbar

Testpsychologische Verfahren für Erwachsene (Auswahl) [1][2]

Die nachfolgend gelisteten Verfahren sind Bestandteile der Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene (HASE), die auch einzeln genutzt werden können. Bei ADHS im Erwachsenenalter stimmen Ergebnisse von Selbst- und Fremdrating weitestgehend überein.

  • Wender Utah Rating Scale
    • Deutsche Kurzversion: WURS-k
    • Selbstrating zur retrospektiven Beurteilung der Symptome in der Kindheit
    • Zeitaufwand: I.d.R. 10–30 min
  • Wender-Reimherr-Interview (WRI)
  • Wender-Reimherr-Selbstbeurteilungsskala (WR-SB)
  • ADHS-Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB)
    • Selbstrating bzgl. Vorliegen diagnostischer Kriterien
    • Zeitaufwand: I.d.R. 10–30 min
  • ADHS-Diagnostische Checkliste (ADHS-DC)
    • Fremdbeurteilung bzgl. Vorliegen diagnostischer Kriterien
    • Zeitaufwand: I.d.R. 10–30 min

Die Kriterien gelten gleichermaßen für das Kindes- und Erwachsenenalter. [2]

  • Diagnostische Kriterien der einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung nach ICD-10 [4]
A: Allgemeine Kriterien
  • Störungsbeginn: Vor dem 7. Lebensjahr [1]
  • Symptomdauer: Mind. 6 Monate
  • Ausmaß der Symptome: Nicht mit dem Entwicklungsstand der Person vereinbar (unangemessen)
B: Unaufmerksamkeit
  • Mind. 6 der folgenden Merkmale treffen auf die Person zu
    1. Häufig unaufmerksam gegenüber Details oder machen Flüchtigkeitsfehler bei Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten
    2. Häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und beim Spielen aufrechtzuerhalten
    3. Häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren
    4. Häufig durch externe Stimuli abgelenkt
    5. Scheinen oft nicht auf das zu hören, was ihnen gesagt wird
    6. Können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen
    7. Vermeiden ungeliebte Arbeiten (bspw. Hausaufgaben), die geistiges Durchhaltevermögen erfordern
    8. Verlieren häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben/Tätigkeiten wichtig sind (bspw. Stifte, Werkzeuge)
    9. Oft vergesslich im Verlauf der alltäglichen Aktivitäten
C: Überaktivität
  • Mind. 3 der folgenden Merkmale treffen auf die Person zu
    1. Zappeln häufig mit Händen und Füßen oder winden sich auf den Sitzen
    2. Verlassen ihren Platz im Klassenraum oder in anderen Situationen, in denen erwartet wird, dass sie auf ihrem Platz bleiben
    3. Häufig unnötig laut beim Spielen oder haben Schwierigkeiten, sich ruhig mit Freizeitbeschäftigungen zu befassen
    4. Anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten, die durch die soziale Umgebung oder Vorschriften nicht durchgreifend beeinflussbar sind
    5. Laufen häufig herum oder klettern exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist
D: Impulsivität
  • Mind. 1 der folgenden Merkmale trifft auf die Person zu
    • Platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist
    • Können häufig nicht in einer Reihe warten oder warten nicht, bis sie beim Spielen oder in Gruppensituationen an die Reihe kommen
    • Unterbrechen und stören andere häufig
    • Häufig exzessives Reden, ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren
E: Symptomausprägung
  • Die Symptome unter B, C und D
    • Verursachen deutliches Leid oder Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Leistungsfähigkeit
    • Liegen in mehr als einer Situation vor (bspw. in der Schule und zu Hause)
F: Ausschlusskriterien

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Allgemein [1]

  • Basis: Ausführliche Psychoedukation
  • Multimodale Behandlungsplanung, angepasst an
    • Symptome und Funktionseinschränkungen
    • Ressourcen und Wünsche der Betroffenen
    • Komorbiditäten
    • Lebensalter
      • Unter 3 Jahren: Nicht medikamentös therapieren
      • Unter 6 Jahren
        • Psychosoziale Interventionen bevorzugen
        • Keine zugelassenen Medikamente
ADHS - Empfehlungen für die initiale Therapieauswahl [1][7]
Symptomausprägung Im Kindes- und Jugendalter Im Erwachsenenalter
Leicht
Mittel
Schwer
  • Medikamentöse Therapie

Medikamentöse Therapie [7][2]

Während die meisten Kinder auf eine Pharmakotherapie ansprechen (ca. 70%), ist die Responserate bei Erwachsenen deutlich breiter gestreut (ca. 25–75%).

Im Kindes- und Jugendalter

Im Erwachsenenalter

Übersicht gängiger medikamentöser Therapieoptionen bei ADHS [7]
Methylphenidat (z.B. Ritalin® Adult) [8]

Lisdexamfetamin (z.B. Elvanse Adult®) [9],

Dexamfetamin (z.B. Attentin®) [10]

Atomoxetin (z.B. Strattera®) [11]
Substanzgruppe
Wirkweise
Typische Nebenwirkungen
Substanzspezifische Nebenwirkungen (Auswahl)
  • Suizidales Verhalten
  • Feindseligkeit
  • Emotionale Labilität
  • Erhöhung der Leberwerte
Kontrolluntersuchungen (Auswahl)
  • Im Kindes- und Jugendalter: Wachstum (Körpergewicht und -größe, Appetit)
  • Altersunabhängig
Kontraindikationen (Auswahl)
Besonderheiten
  • BtM-Rezept
  • Einschleichend auftitrieren (Wirkung individuell sehr verschieden)
  • Mind 1× jährlich: Auslassversuch
  • BtM-Rezept
  • Lange Wirkdauer: 14 h
  • Dexamfetamin: Nur für Kinder und Jugendliche (6–17 Jahre) zugelassen
  • Kein Abhängigkeitspotenzial
  • Verzögerter Wirkeintritt (max. Wirkung nach ca. 3–6 Wochen) [1]
  • Kein BtM-Rezept notwendig

Psychostimulanzien wie Methylphenidat, Dexamfetamin und Lisdexamfetamin sind BtM-pflichtig!

Nicht-medikamentöse Therapie [2]

ADHS im Erwachsenenalter [1][2]

  • Fortbestehen der Störung bis ins Erwachsenenalter: In ca. ⅓–⅔ der Fälle
  • Symptomatik oft abgeschwächt und/oder verändert (siehe auch: Wender-Utah-Kriterien)
  • Häufig mit
    • Psychiatrischen Komorbiditäten
    • Psychosozialen Schwierigkeiten (bspw. am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr)

Wender-Utah-Kriterien

Die Diagnosestellung erfolgt auch bei Erwachsenen anhand der ICD-Kriterien. Die Wender-Utah-Kriterien können jedoch unterstützend herangezogen werden, da sie an das Erwachsenenalter angepasst sind. Neben den ersten beiden Kriterien sind noch zwei weitere der folgenden Kriterien erforderlich.

  1. Aufmerksamkeitsstörung: Bspw. unaufmerksam in Gesprächen, leicht ablenkbar
  2. Motorische Hyperaktivität, bspw.
    • Schwierigkeiten, während eines Films ruhig zu sitzen oder
    • Unfähigkeit, sich zu entspannen (innere Unruhe)
  3. Affektlabilität: Mit gehäuft deprimierter Stimmung, die auch als Unzufriedenheit oder Langeweile beschrieben wird
  4. Desorganisiertes Verhalten: Bspw. Planungsschwierigkeiten bei beruflichen und sozialen Aufgaben
  5. Störung der Affektkontrolle: Bspw. Neigung zu Gefühlsausbrüchen
  6. Impulsivität: Bspw. Unterbrechen anderer beim Reden
  7. Emotionale Überreagibilität: Bspw. unverhältnismäßige Reaktion auf Stress

Komorbiditäten

Ein ADHS im Erwachsenenalter liegt nur selten ohne komorbide Störung vor. Häufige Komorbiditäten sind:

In Kooperation mit Meditricks bieten wir dir Videos zum Einprägen relevanter Fakten an. Die Inhalte sind vielfach auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend. Viele Meditricks gibt es in Lang- und Kurzfassung zur schnelleren Wiederholung. Eine Übersicht über alle Videos findest du im Kapitel Meditricks.

Methylphenidat

Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

  1. Schneider: Facharztwissen Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Springer 2017, ISBN: 978-3-662-50344-7 .
  2. Voderholzer: Therapie psychischer Erkrankungen - State of the art. Urban & Fischer 2022, ISBN: 978-3-437-24915-0 .
  3. S3-Leitlinie ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Stand: 2. Mai 2017. Abgerufen am: 1. März 2023.
  4. WHO - World Health Organization: Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. 9. Auflage Hogrefe 2019, ISBN: 978-3-456-85992-7 .
  5. Young et al.: Females with ADHD: An expert consensus statement taking a lifespan approach providing guidance for the identification and treatment of attention-deficit/ hyperactivity disorder in girls and women In: BMC Psychiatry. Band: 20, 2020, doi: 10.1186/s12888-020-02707-9 . | Open in Read by QxMD .
  6. Döpfner, Banaschewski: Klassifikation von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen in der ICD-11 In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Band: 50, Nummer: 1, 2022, doi: 10.1024/1422-4917/a000854 . | Open in Read by QxMD p. 51-53.
  7. Benkert, Hippius: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 13. Auflage Springer 2020, ISBN: 978-3-662-61752-6 .
  8. Fachinformation - RITALIN ADULT 10 MG HARTKAPSELN. . Abgerufen am: 24. Februar 2023.
  9. Fachinformation -Elvanse Adult 30 mg. . Abgerufen am: 24. Februar 2023.
  10. Fachinformation - Attentin 5mg Tabletten. . Abgerufen am: 24. Februar 2023.
  11. Fachinformation - Strattera 40 mg Hartkapseln. . Abgerufen am: 24. Februar 2023.