Patientenvorstellung
Ein 78-jähriger Mann kommt in Ihre Praxis für Allgemeinmedizin. Er beklagt, dass er sich seit einiger Zeit ganz nah über die Zeitung beugen müsse, wenn er diese lesen wolle. Im Fernseher könne er auch die Videotexte nicht mehr lesen. Außerdem sei das Fernsehbild etwas verzerrt. Die Brille, die erst vor wenigen Wochen erneuert wurde, habe ihm zunächst gut geholfen, tauge jetzt aber nichts mehr. Gestern sei sein Nachbar auf ihn zugekommen und er habe ihn erst im letzten Augenblick erkannt. Insgesamt komme er im Alltag zwar sehr gut zurecht, aber vor allem das Lesen bereite ihm Schwierigkeiten. Schmerzen habe er keine, weitere Erkrankungen seien bisher nicht bekannt.
Wie ordnen Sie die geschilderte Sehstörung ein?
(A) Homonymer Gesichtsfelddefekt
(B) Einäugiger Gesichtsfelddefekt
(C) Beidäugiger zentraler Gesichtsfelddefekt
(D) Beidäugiger peripherer Gesichtsfelddefekt
(E) Beidseitige komplette Blindheit
Anregung
Stellen Sie die Differenzialdiagnosen zu ein- oder beidseitigen Sehstörungen zusammen!
Welche anatomische Struktur ist typischerweise betroffen, wenn ein Patient wie beschrieben eine zentrale Sehverschlechterung wahrnimmt?
(A) Hornhaut
(B) Linse
(C) Glaskörper
(D) Zentrale Netzhaut
(E) Periphere Netzhaut
Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?
(A) Altersabhängige Makuladegeneration
(B) Neuritis nervi optici
(C) Amotio retinae
(D) Retinaler Gefäßverschluss
(E) Uveitis posterior (z.B. Toxoplasmose)
Der Patient beschreibt verzerrtes Sehen (sog. Metamorphopsie). Dieses wird durch Ablagerungen von extrazellulärem Material zwischen Retina und Chorioidea oder ein Ödem der Makula verursacht.
Welche der folgenden Erkrankungen geht nicht mit Metamorphopsie einher?
(A) Choriopathia centralis serosa
(B) Anteriore ischämische Optikoneuropathie (AION, Sehnervinfarkt)
(C) Trockene Makuladegeneration
(D) Feuchte Makuladegeneration
(E) Retinaler Venenastverschluss
Die folgendene Abbildung zeigt eine Fundoskopie des Patienten.
Welche Befunde können Sie erheben, wie lautet die abschließende Diagnose?
Befunde: 1 = Blutungen, 2 = Fibrose im Bereich der Makula und papillomakulären Bündel
Diagnose: Beidäugiger zentraler Gesichtsfelddefekt aufgrund einer altersabhängigen Makuladegeneration.
Didaktische Hinweise
Allgemeine Erklärung
Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) stellt in den westlichen Industrienationen die häufigste Ursache für einen zentralen Sehverlust bis hin zur Erblindung im Sinne des Gesetzes dar. Die Erkrankung ist definiert als ein degenerativer Umbau der Netzhautmitte jenseits des 50. Lebensjahres. Die Erkrankung betrifft die Makula und damit den visuell empfindlichsten Bereich des Auges. Klinisch wird mit dem Begriff „Makula“ der zentrale Bereich in einem Radius von 5,5 mm um die Fovea centralis bezeichnet. In diesem Bereich ist die Rezeptorendichte am größten und gewährleistet die hohe Sehleistung des Auges.
Ätiologie
Die AMD ist eine Erkrankung mit vielen Ursachen. Die genauen Zusammenhänge sind jedoch noch immer nicht verstanden. Neben dem Alter wurden als wichtigste externe Risikofaktoren Rauchen und eine familiäre Vorbelastung beschrieben. Protektiv hingegen scheint eine fischreiche Ernährung (Docosahexansäure), der Verzehr von grünem Gemüse (Lutein) und ein normales Körpergewicht (Body-Mass-Index < 25 kg/m2) zu sein.
Pathologie
Der von der Makuladegeneration primär betroffene Teil der Netzhaut besteht aus 3 Elementen: Der Choriokapillaris, dem retinalen Pigmentepithel und den Rezeptoren. Bei den Rezeptoren handelt es sich um hochaktives Gewebe, deren Außensegmente beim Sehprozess ständig abgesondert werden. Diese Rezeptoranteile werden vom retinalen Pigmentepithel phagozytiert und mit Hilfe von Lysosomen verarbeitet. Die Abbauprodukte werden auf der basalen Seite der Pigmentepithelzelle ausgeschieden und von der Chorioidea abtransportiert. Die wenigen nicht abbaubaren Anteile werden als Lipofuszin-Granula im Pigmentepithel gespeichert und belasten im Lauf der Jahre zunehmend die Zellfunktion. Sämtliche Ablagerungen führen zu einer erhöhten Diffusionsbarriere und damit zu einer Progression der Erkrankung, da der enge Kontakt wischen Aderhaut und retinalem Pigmentepithel für die normale Funktion unerlässlich ist. Die lipid- und proteinhaltigen Bestandteile der Außensegmente, die daraufhin nicht mehr ordnungsgemäß abgebaut werden können, werden extrazellulär abgelagert. Die daraus entstehenden Drusen sind bei der Funduskopie als kleine weiße Punkte zu sehen sind und Zeichen einer frühen AMD. Dieses Stadium wird vom Patienten meist nicht wahrgenommen. Der Funktionsverlust des retinalen Pigmentepithels führt entweder zum Zelluntergang (Atrophie = trockene Makuladegeneration) oder zur neovaskulären Verlaufsform (= feuchte Makuladegeneration). Letztere wird durch die Hypoxie getriggerte Freisetzung von Wachstumsfaktoren, vor allem Vascular Endothelial Growth Factor A (VEGF A) induziert. Dadurch sprießen aus der Choriokapillaris pathologische Gefäße unter oder durch das Pigmentblatt. Der Flüssigkeitsausstrom aus diesen Gefäßen führt zu Ödem, Blutung und Lipidexsudat und verschlechtert die optische Abbildungsqualität. Unbehandelt entsteht meist eine fibrovaskuläre Narbe, die das Sehen dauerhaft dramatisch reduziert.
Klinik
Erkrankungen der Makula führen zu einem Abfall der Sehschärfe bei noch erhaltenem peripherem Gesichtsfeld. Dadurch können sich die Patienten in der Regel problemlos im Raum bewegen, Lesen und Erkennen von Gesichtern hingegen sind erschwert oder sogar unmöglich.
Die AMD wird in ein Anfangsstadium (Frühform) und ein fortgeschrittenes Stadium (Spätform) unterteilt: Die Frühform ist sowohl durch Defekte im retinalen Pigmentepithel als auch durch Ablagerung von Proteinen und Lipiden (Drusen) zwischen dem retinalen Pigmentepithel und der darunter liegenden Bruch-Membran gekennzeichnet.
Das Spätstadium kann entweder als nicht-exsudative Form nur mit Substanzverlust einhergehen (areoläre oder geografische Atrophie) oder über einen versuchten Reparaturmechanismus in einem neovaskulären und exsudativen Stadium enden (Tabelle). Dieser neovaskuläre Verlauf wird auch als „feuchte“, alle anderen Verläufe als „trockene“ Makuladegeneration bezeichnet.
Diagnostik
In der Frühphase der Erkrankung wird die Diagnose meist zufällig gestellt. Die Erkrankung verläuft zudem nicht auf beiden Augen gleich schnell, sodass eine Sehverschlechterung durch einen fortgeschrittenen Befund eines Auges häufig noch durch das andere funktionsfähige Auge kompensiert wird, und der Patient keine Beschwerden im Alltag bemerkt. Deshalb kann man im Frühstadium auch nur bei einäugigem Test ein vermindertes Kontrastsehen und eine gering reduzierte Sehschärfe feststellen. Im fortgeschrittenen Stadium beklagen die Patienten dann eine rasche Sehverschlechterung, den zentralen Gesichtsfeldverfall, Schwierigkeiten beim Lesen, Probleme beim Erkennen von Gesichtern und eine verzerrte Bildwahrnehmung, die so genannte Metamorphopsie. Die Blendempfindlichkeit ist erhöht, das Kontrastsehen und
die Hell-Dunkel-Adaptation sind vermindert. Je nach Befund werden die einzelnen Symptome als unterschiedlich störend empfunden. Bei vielen Patienten steht die verschlechterte Sehschärfe im Vordergrund, andere beklagen vor allem die Gesichtsfelddefekte oder die störende Metamorphopsie.
Stadium | Befunde | Symptome |
---|---|---|
Frühform |
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Spätform |
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Therapie
Therapie der nicht-exsudativen AMD
Für die große Gruppe der nicht-exsudativen oder trockenen AMD gibt es noch immer keine überzeugende Behandlung. Der Fokus lag in den letzten Jahren auf der Reduzierung des oxidativen Stresses und damit auf der oralen Supplementierung von Antioxidantien. Die größte plazebokontrollierte Studie zu diesem Thema (ARED Studie, n=3640) hat die tägliche Gabe von Vitamin C (500 mg), Vitamin E (400 IE), ß-Carotin (15 mg), Zinkoxid (80 mg) und Kupfer (2 mg) über einen Zeitraum von 6 Jahren untersucht. In 2 Gruppen konnte das Risiko eine
chorioidale Neovaskularisation zu entwickeln zwar um 25 % gesenkt werden insgesamt war der Effekt aber gering. Einschränkend auf die Supplementierung mit ß-Carotin ist die Erkenntnis, dass ehemalige oder aktive Raucher ein signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Lungenkarzinoms haben. Bei der Einnahme hoher Zinkdosen wurde ein häufigeres Auftreten einer Prostatahyperplasie und der Alzheimer-Erkrankung berichtet.
Therapie der exsudativen AMD
Nach der Erstbeschreibung einer intravitrealen Injektion von Bevacizumab im Jahr 2005 hat die Injektion von VEGF-Inhibitoren in den Glaskörperraum die AMD-Therapie bei chorioidaler Neovaskularisation revolutioniert und dominiert heute das therapeutische Spektrum. Alle anderen Versuche der vergangenen Jahre haben rasant an Bedeutung verloren. Dazu gehören vor allem die netzhautchirurgischen Eingriffe und die Therapie mit dem Photosensibilisator Verteporfin (Photodynamische Therapie/ PDT). Die VEGF-Inhibitoren hemmen nicht nur die Proliferation, sondern stabilisieren auch die Gefäßwand. Es stehen unspezifische und spezifische VEGF-Inhibitoren zur Verfügung. Der Nachteil dieser Therapie besteht darin, dass die Substanzen zur Zeit noch in regelmäßigen Abständen injiziert werden müssen (alle 4-6 Wochen, mindestens über 3 Monate). Die Kontrolluntersuchungen und die Eingriffe führen allerdings zu vielen Arztbesuchen und werden von den Betroffenen als belastend beschrieben.