Abstract
Die hier aufgeführte Einteilung folgt der Klassifikation der ILAE. Generalisierte Epilepsien im Kindesalter sind demnach zunächst einzuteilen in idiopathische (also ohne fassbare Ursache) und symptomatische (mit fassbarer organischer Ursache). Die Prognose unter Behandlung ist für erstere gut, für zweitere schlechter, da sie weniger auf die medikamentöse Therapie ansprechen. Die verschiedenen Epilepsien haben bestimmte Charakteristika bezüglich des Manifestationszeitpunktes sowie der Symptomatik, nach denen sie weiterhin eingeteilt werden.
Die generalisierten Epilepsien des Kindesalters werden nach ihrem Erkrankungsbeginn, ihrer klinischen Präsentation, dem EEG während des Anfalls und ggf. nach ihrer Ursache in die verschiedenen Epilepsiesyndrome unterteilt. Je nachdem, ob eine fassbare Ursache für das Anfallsleiden vorliegt oder nicht, werden diese Epilepsiesyndrome dann als idiopathisch oder symptomatisch bzw. kryptogen bezeichnet.
Besonders wichtig sind bei den idiopathischen, generalisierten Epilepsien die Absence-Epilepsien mit den typischen 3/s spikes and waves im EEG. Bei den symptomatischen und kryptogenen, generalisierten Epilepsien ist dagegen von besonderer Bedeutung das West-Syndrom, das eine Hypsarrhythmie im EEG zeigt und die typischen Blitz-Nick-Salaam-Anfälle des Säuglingsalters verursacht.
Eine generelle Übersicht gibt das Kapitel Epileptische Anfälle und Epilepsien.
Übersicht
Erkrankungsbeginn | Klinik und Besonderheiten | EEG | Prognose | |
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Idiopathische generalisierte Epilepsien | ||||
Pyknolepsie |
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Juvenile Absence Epilepsie |
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Juvenile myoklonische Epilepsie |
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Aufwach-Grand-mal-Epilepsie |
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Myoklonisch-astatische Epilepsie |
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Kryptogene und symptomatische generalisierte Epilepsien | ||||
BNS-Epilepsie |
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Lennox-Gastaut-Syndrom |
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Progressive Myoklonusepilepsie |
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Bei allen idiopathischen, generalisierten Epilepsiesyndromen ist Valproat das Medikament der 1. Wahl. Lediglich bei Absencen im Schulkindalter sollte Ethosuximid wegen besserer Verträglichkeit bevorzugt werden (siehe auch Therapie der Epilepsien)!
Idiopathisch generalisierte Epilepsien
Wesentliches Charakteristikum dieser Epilepsien ist das Auftreten in typischen Altersstufen. Zusammengerechnet sind die idiopathischen, generalisierten Epilepsien die häufigsten des Kindesalters (25%). Therapie der Wahl ist i.d.R. Valproat als Monotherapie, lediglich bei Absencen im Schulkindalter sollte Ethosuximid wegen besserer Verträglichkeit vorgezogen werden. Die Prognose ist unter Behandlung gut.
Absence-Epilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie)
- Epidemiologie
- Klinik: Absencen bis zu 100/Tag
- EEG: 3/s spikes and waves über allen Hirnregionen (immer während des Anfalls, häufig auch im Intervall)
- Prognose: Ca. 80% der Betroffenen werden unter Therapie anfallsfrei
Juvenile Absence-Epilepsie
- Epidemiologie
- Klinik
- Absencen (Frequenz niedriger als bei Pyknolepsie), zudem selten Myoklonien
- Im Verlauf häufig (Aufwach‑)Grand-mal
- Übergang zur juvenilen myoklonischen Epilepsie möglich
- EEG: Regelmäßige 3–4/s spikes and waves über allen Hirnregionen, Photosensibilität
- Prognose: Ca. 60% der Betroffenen werden unter Therapie dauerhaft anfallsfrei
Juvenile myoklonische Epilepsie (Impulsiv-Petit-mal, Janz-Syndrom)
- Epidemiologie: Beginn der Erkrankung: 12.–20. Lebensjahr
- Klinik
- Bilateral symmetrische Myoklonien mit Wegschleudern der Extremitäten („wie elektrischer Schlag“; Wegwerfen von Gegenständen)
- Meist zeitlich in der Nähe des Aufwachens, vor allem bei unvermitteltem Wecken
- Myoklonien allenfalls mit leichter Bewusstseinsstörung, Übergang in tonisch-klonische Anfälle (mit Bewusstseinsstörung) möglich
- EEG: 3–5/s spikes and waves und Poly-spikes-and-waves (unregelmäßiger im Vergleich zu den Absencen), Photosensibilität
- Prognose: Lebenslange Behandlung wegen des hohen Rezidivrisikos notwendig
Epilepsie mit Aufwach-Grand-mal (Aufwach-Epilepsie)
- Epidemiologie: Beginn der Erkrankung: 14.–20. Lebensjahr
- Klinik: Generalisierte, tonisch-klonische Anfälle kurz nach Erwachen oder bei Entspannung (sog. Feierabend-Anfälle)
- EEG: Unregelmäßige spikes-and-waves und Poly-spikes-and-waves
- Prognose: Ca. 70% der Betroffenen werden unter Therapie dauerhaft anfallsfrei, teilweise ist keine medikamentöse Therapie nötig
Epilepsie mit myoklonisch-astatischen Anfällen (Doose-Syndrom)
- Epidemiologie
- Klinik
- Zunächst normale Entwicklung, dann myoklonische und astatische Anfälle
- Häufig auch Absencen und tonisch-klonische Anfälle
- EEG: 2–3/s spikes and waves, sharp-waves, Theta-Rhythmus
- Prognose: Ca. 70% der Patienten Remission im Verlauf, bei ca. 30% ungünstige Prognose mit Status epilepticus und kognitiven Defiziten
Kryptogen oder symptomatisch generalisierte Epilepsien
Die Prognose bei diesen Epilepsien ist wesentlich schlechter als bei den idiopathischen, da sie häufig chronifizieren und das Ansprechen auf Medikamente viel geringer ist. Dies führt mitunter zu Verzögerungen der Entwicklung und Intelligenzminderung.
West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie (BNS-Epilepsie))
- Epidemiologie
- Ätiologie: Polyätiologische prä-, peri- oder postnatale Hirnschädigung
- Pränatale Entwicklungsstörungen und hypoxisch-ischämische Enzephalopathien sind besonders häufig
- Weitere: Tuberöse Sklerose oder metabolische Erkrankungen
- Klinik
- Blitzartige Myoklonien oder tonische Beugekrämpfe mit Kreuzen der Hände vor der Brust
- Bis zu 50 Anfälle in Serie
- EEG: Hypsarrhythmie (hohe Deltawellen mit einzelnen unregelmäßigen spikes und sharp-waves) und multifokale sharp-and-slow-waves
- Prognose
- Hängt von der Grunderkrankung ab, jedoch meist schlecht mit Intelligenzminderung
- 25% sterben vor dem 3. Lebensjahr
- Therapie
- 1. Wahl: ACTH oder Glucocorticoide oder Vigabatrin
- 2. Wahl: Sultiam, Topiramat, Valproat, Zonisamid, Benzodiazepine oder eine ketogene Diät
Lennox-Gastaut-Syndrom
- Epidemiologie
- Ätiologie: 50% strukturelle Hirnveränderungen, 50% wahrscheinlich gen. Prädisposition, kann aus West-Syndrom hervorgehen
- Klinik
- Nebeneinander von verschiedenen Anfallsbildern (tonische, astatische und myoklonische Anfälle, atypische Absencen)
- Entwicklungsverzögerung/Retardierung
- Häufig Status epilepticus
- EEG: Multifokale sharp-and-slow-waves, pathologische Grundaktivität
- Prognose
- Ungünstig: 10% unter Therapie anfallsfrei und selbst bei Anfallsfreiheit meist Intelligenzminderung
- 5% Letalität
- Therapie
- Therapieversuche u.a. mit Valproat als Monotherapie und in Kombination (u.a. mit Topiramat, Lamotrigin)
Progressive Myoklonus-Epilepsie Typ Unverricht-Lundborg
- Epidemiologie: Beginn der Erkrankung: 6.–16. Lebensjahr, selten
- Ätiologie: Neurodegenerative Erkrankung mit autosomal-rezessivem, monogenem Erbgang
- Klinik
- Myoklonien werden durch sensorische Reize ausgelöst
- Übergang in tonisch-klonische-Anfälle möglich, teilweise auch Absencen und astatische Anfälle
- Später progrediente, zerebelläre Symptome (Gangataxie, Intentionstremor, Dysarthrie) und teilweise Demenz
- EEG: Generalisierte Spike-Wave-Paroxysmen, Photosensibilität
- Prognose: Schwere körperliche Behinderung (Verlust von Sprach-, Schluck- und Gehfähigkeit) und letaler Verlauf innerhalb von 5–20 Jahren nach Erkrankungsbeginn
- Therapie: Valproat
Patienteninformationen
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Generalisierte Epilepsien im Kindesalter
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- G40.-: Epilepsie
- Exklusive: Anfall o.n.A.(R56.8), Krampfanfall o.n.A. (R56.8), Landau-Kleffner-Syndrom (F80.3), Status epilepticus (G41.‑), Todd-Paralyse (G83.8)
- G40.0-: Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome mit fokal beginnenden Anfällen
- G40.00: Pseudo-Lennox-Syndrom
- Gutartige atypische Epilepsie
- G40.01: CSWS [Continuous spikes and waves during slow-wave sleep]
- Bioelektrischer Status epilepticus im Schlaf
- ESES [Electrical status epilepticus during slow-wave sleep]
- G40.02: Benigne psychomotorische Epilepsie [terror fits]
- Benigne Partialepilepsie mit affektiver Symptomatik
- G40.08: Sonstige lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome mit fokal beginnenden Anfällen
- Benigne Epilepsie im Säuglingsalter [Watanabe]
- Benigne Epilepsie mit okzipitalen Paroxysmen
- Benigne Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes [Rolando]
- Benigne Säuglingsepilepsie mit komplex-fokalen Anfällen
- G40.09: Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome mit fokal beginnenden Anfällen, nicht näher bezeichnet
- G40.00: Pseudo-Lennox-Syndrom
- G40.1: Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit einfachen fokalen Anfällen
- Anfälle ohne Störung des Bewusstseins
- Einfache fokale Anfälle mit Entwicklung zu sekundär generalisierten Anfällen
- G40.2: Lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen
- Anfälle mit Störungen des Bewusstseins, meist mit Automatismen
- Komplexe fokale Anfälle mit Entwicklung zu sekundär generalisierten Anfällen
- G40.3: Generalisierte idiopathische Epilepsie und epileptische Syndrome
- Absencen-Epilepsie des Kindesalters [Pyknolepsie]
- Grand-Mal-Aufwachepilepsie
- Gutartige:
- myoklonische Epilepsie des Kleinkindalters
- Neugeborenenkrämpfe (familiär)
- Juvenile:
- Absencen-Epilepsie
- myoklonische Epilepsie [Impulsiv-Petit-Mal]
- Unspezifische epileptische Anfälle: atonisch, klonisch, myoklonisch, tonisch, tonisch-klonisch
- G40.4: Sonstige generalisierte Epilepsie und epileptische Syndrome
- Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe
- Epilepsie mit: myoklonisch-astatischen Anfällen, myoklonischen Absencen
- Frühe myoklonische Enzephalopathie (symptomatisch) Lennox-Syndrom
- West-Syndrom
- G40.5: Spezielle epileptische Syndrome
- Epilepsia partialis continua [Kojewnikow-Syndrom]
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Epileptische Anfälle im Zusammenhang mit:
- Alkohol, Arzneimittel oder Drogen , hormonellen Veränderungen Schlafentzug, Stress
- G40.6: Grand-Mal-Anfälle, nicht näher bezeichnet (mit oder ohne Petit-Mal)
- G40.7: Petit-Mal-Anfälle, nicht näher bezeichnet, ohne Grand-Mal-Anfälle
- G40.8: Sonstige Epilepsien
- Epilepsien und epileptische Syndrome, unbestimmt, ob fokal oder generalisiert
- G40.9: Epilepsie, nicht näher bezeichnet
- Epileptische: Anfälle o.n.A., Konvulsionen o.n.A.
- G41.-: Status epilepticus
- G41.0: Grand-Mal-Status
- Status mit tonisch-klonischen Anfällen
- Exklusive: Epilepsia partialis continua [Kojewnikow-Syndrom] (G40.5)
- G41.1: Petit-Mal-Status
- Absencenstatus
- G41.2: Status epilepticus mit komplexfokalen Anfällen
- G41.8: Sonstiger Status epilepticus
- G41.9: Status epilepticus, nicht näher bezeichnet
- G41.0: Grand-Mal-Status
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.