Abstract
Der Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans) ist eine unheilbare, chronisch-entzündliche Erkrankung, die zur völligen Versteifung der Wirbelsäule führen kann. Die Erkrankung hat eine erbliche Komponente (HLA-B27) und zeigt sehr variable Verläufe – insbesondere kommt es bei den i.d.R. erst später betroffenen Frauen nicht selten zur völligen Versteifung der Wirbelsäule. Bei Männern kommt es hingegen bereits meist in jungem Alter zu einem Befall der Iliosakralgelenke sowie der Wirbelsäule, was zu charakteristischen, über die Nacht anhaltenden Rückenschmerzen führt. Diagnostisch finden sich typische klinische Zeichen wie ein Klopf- und Verschiebeschmerz der Iliosakralgelenke (Mennell-Zeichen), sowie ein pathologisches Ott- und Schober-Maß. Radiologisch wird neben dem konventionellen Röntgen auch die Magnetresonanztomographie (MRT) eingesetzt. Die MRT ist dabei insbesondere in der Frühdiagnostik zur Detektion einer Sakroiliitis dem konventionellen Röntgen deutlich überlegen. Wichtigstes Element der Therapie und zur Verlangsamung des Krankheitsprogresses ist die konsequente Physiotherapie.
Epidemiologie
- Lebenszeitprävalenz in Mitteleuropa: ca. 0,5%
- Geschlecht: ♂ > ♀ (3:1)
- Alter: Der Häufigkeitsgipfel für den Krankheitsbeginn liegt zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Genetische Prädisposition
- 90–95% HLA-B27 positiv
- HLA-B27 liegt (wie alle HL-Antigene) auf dem Chromosom 6
Symptome/Klinik
Allgemeinsymptome
Vor allem bei später Krankheitsmanifestation: Müdigkeit, Fieber, Gewichtsverlust
Spezifische Symptome
- Hauptmanifestationsort: Iliosakralgelenke (Sakroiliitis) und die Wirbelsäule
-
Schleichend einsetzende, dumpfe Rückenschmerzen
- Lageunabhängig, auch in der Nacht
- Besserung durch Bewegung im Tagesverlauf
- Morgensteifigkeit
-
Schleichend einsetzende, dumpfe Rückenschmerzen
- Weitere spezifische Befunde
- Entzündliche Enthesiopathien : Bspw. costosternaler Übergang, Dornfortsätze, Beckenkamm, Trochanter major, Ansatz der Achillessehne (Fersenschmerz)
-
Stammnahe Arthritis: Hüft-, Schulter- und Kniegelenk (etwa 25–35%)
- Kann der Sakroiliitis vorausgehen!
Extraartikuläre Manifestation
- Auge
- Akute einseitige Uveitis anterior (etwa 25%) → Iritis oder Iridozyklitis
- Häufig mit Rezidiv auf der Gegenseite
- Magen-Darm-Trakt
- Entzündliche, meist asymptomatische Veränderungen des Kolons oder Ileums (etwa 60%)
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankung (etwa 5–10%)
- Urogenital
- Selten
Diagnostik
Klinische Zeichen
Leitbefund bei Morbus Bechterew sind Schmerzen in den Iliosakralgelenken und eine verminderte Beweglichkeit der Wirbelsäule. Folgende Untersuchungen geben dabei diagnostische Hinweise:
- Druck- oder Kompressionsschmerz der Iliosakralgelenke: Mennell-Zeichen
- Durchführung: Das Mennell-Zeichen kann in 3 Körperpositionen des Patienten geprüft werden
- Patient in Bauchlage
- Patient in Seitenlage
- Patient in Rückenlage
- Untersucher übt mit beiden Händen Druck auf die Darmbeinschaufeln aus
- Durchführung: Das Mennell-Zeichen kann in 3 Körperpositionen des Patienten geprüft werden
- Maß für die Beweglichkeit der LWS
- Maße für die Beweglichkeit der BWS
- Maße für die Beweglichkeit der HWS
Blutuntersuchung
- Typische Befunde
- Differentialdiagnostik
- Calcium, Phosphat und alkalische Phosphatase im Normbereich
- Alle Autoantikörper (bspw. Rheumafaktoren, antinukleäre Antikörper) sind negativ
Bildgebende Verfahren
MRT
- Goldstandard zur Diagnosestellung
- Geeignet zur Darstellung akuter, entzündlich-ödematöser Prozesse in Iliosakralgelenken und angrenzenden knöchernen Strukturen
- Erlaubt sowohl Früh- als auch Verlaufsdiagnostik
Das MRT ist zur Frühdiagnostik geeignet, da entzündliche Veränderungen in den Sakroiliakalgelenken bereits sichtbar sind, wenn konventionelle Verfahren (Röntgen) noch unauffällig sind!
Konventionelles Röntgen
- Indikation: Zur Darstellung knöcherner Strukturveränderungen infolge der Entzündungsprozesse
- Befunde:
- Zeichen der Sakroiliitis mit Ankylosierung der Iliosakralgelenke (verwachsene Kortikalisgrenzen, Erosionen, Sklerosierung)
- Sklerosierung des Bandapparates der Wirbelsäule
- Aufhebung der Lordose mit zunehmender Steilhaltung
- Zeichen der Spondylarthritis mit Ankylosierung der Intervertebralgelenke
- Syndesmophyten (Syndesmophyten wachsen in vertikaler Richtung, DD Spondylophyten!) → Bambusrohrform der Wirbelsäule im Endstadium
- Enthesiopathie mit ossifizierender Periostitis (z.B. Fersensporn )
Differentialdiagnosen
Wirbelsäulenbeschwerden anderer Genese
- Osteoporose
- Bandscheibenvorfall
- Spondylitis
- Andere Spondyloarthritiden (z.B. reaktive Arthritis, Psoriasisarthritis)
- Morbus Forestier (diffuse idiopathische Skeletthyperostose, Spondylosis hyperostotica)
- Kurzbeschreibung: Degenerative Erkrankung der Wirbelsäule (hauptsächlich BWS und LWS), die durch ausgeprägte Osteophytenbildung charakterisiert ist und vor allem ältere Männer betrifft
- Epidemiologie
- Keine HLA-B27-Assoziation
- Häufig bei Diabetikern
- Klinik: Bewegungseinschränkung, oftmals nicht oder nur gering schmerzhaft
- Diagnostik: Konventionelles Röntgen der Wirbelsäule
- Spondylophytenbildung (seitliche knöcherne Ausziehung, DD Syndesmophyten!) → "Zuckergussartige“ Sklerosierungen des vorderen Wirbelsäulenbandes → Blockwirbelbildung mit benachbarten Wirbelkörpern
- Keine Sakroiliitis
- Therapie: Symptomatisch (Analgesie, Physiotherapie)
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Physikalisch
- Wichtigste Therapiesäule
- Konsequente Physiotherapie mit selbstständiger Durchführung der Übungen
Medikamentös
- NSAR bei Bedarf oder vorübergehend kontinuierlich
- Glucocorticoide nur vorübergehend bei schweren Schüben
- Biologicals als Reservemittel bei schweren Verläufen: Hemmstoffe des Tumor-Nekrose-Faktors-α (beispielsweise Etanercept)
Komplikationen
-
Ankylose der Wirbelsäule
- Fixierte Kyphose bei mangelnder Physiotherapie möglich
- Osteoporose der Wirbelsäule (insbesondere HWS) → Pathologische Frakturen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Extrem variabler Verlauf in Schüben
- Die Zunahme der Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule kann durch Physiotherapie verlangsamt werden
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- M45.-: Spondylitis ankylosans
- Inklusive: Chronische Polyarthritis der Wirbelsäule, Nichtröntgenologische axiale Spondylarthritis
- Exklusive: Arthropathie bei Reiter-Krankheit (M02.3‑), Behçet-Krankheit (M35.2), Juvenile Spondylitis ankylosans (M08.1‑)
- M45.0-: Spondylitis ankylosans [0–9]
- M08.-: Juvenile Arthritis
- M08.1-: Juvenile Spondylitis ankylosans [0–9]
- Exklusive: Spondylitis ankylosans bei Erwachsenen (M45.0‑)
- M08.1-: Juvenile Spondylitis ankylosans [0–9]
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.