Abstract
Unter den Opioiden finden sich sowohl als Arzneimittel verwendete Wirkstoffe als auch das illegale Heroin. Beiden Gruppen ist die Wirkung an μ-Rezeptoren gemein. Die akute Opioidintoxikation zeichnet sich durch die Trias Bewusstseinsstörung, beidseitige Miosis und Atemdepression aus und stellt einen medizinischen Notfall dar. Das je nach Wirkstoff unterschiedlich starke Abhängigkeitspotential von Opioiden muss bei der medizinischen Verordnung bedacht werden. Beim Opioidentzugssyndrom zeigt sich als Rebound-Effekt der sedativ-parasympathischen Hauptwirkung ein Syndrom übermäßiger Sympathikusaktivierung. Für die Therapie der Opioidabhängigkeit stehen neben der Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung auch Substitutionstherapien zur Verfügung.
Für Informationen zu Opioiden, die als Arzneimittel zur Verfügung stehen, siehe: Opioide
Terminologie
- Opium: Getrockneter Saft aus der Kapsel des unreifen Schlafmohns
- Opiat: (Partial‑)Agonisten an μ-, κ- oder δ-Rezeptoren, die aus Opium hergestellt werden
- Opioid: Sammelbegriff für alle μ-Rezeptor-Agonisten (und auch Partialagonisten), sowohl aus natürlicher als auch aus halb- oder vollsynthetischer Herstellung
Wirkstoffe
- Heroin (Diacetylmorphin, Diamorphin): Illegales Opioid, das in Ausnahmefällen auch ärztlich verordnet werden kann
- Charakteristika
- Halbsynthetisches Opiat, Herstellung aus Morphin
- Sehr lipophil → Schnelle Passage der Blut-Hirn-Schranke und Anfluten im Hirn
- Im Körper Umwandlung zu aktivem Metaboliten mit hoher intrinsischer Aktivität am μ-Rezeptor
- Hohes Abhängigkeitspotential
- Geringe Breite zwischen gewünschter Rauschwirkung und toxischer Dosis
- Konsumformen: Intranasal, inhalativ (geraucht), intravenös
- Zur legalen therapeutischen Anwendung von Heroin siehe: Ärztliche Heroinverordnung bei Opioidabhängigkeit
- Charakteristika
- Als Arzneimittel verfügbare Opioide: Siehe Opioide
Rauschwirkungen
Akute Opioidintoxikation
- Symptomtrias
- Bewusstseinsstörung
- Beidseitige Miosis („Steckis“ = stecknadelkopfgroße Pupillen)
- Atemdepression (Cheyne-Stokes-Atmung möglich)
- Weitere Symptome
- Bradykarde Herzrhythmusstörungen mit Verlängerung der QT-Zeit
- Hyporeflexie, Areflexie
- Hämorrhagisches Lungenödem → Blutig-tingierter Schaumpilz und Abrinnspuren an Mund und Nase als Obduktionsbefund
- Rhabdomyolyse → Crush-Niere
- Differentialdiagnosen, siehe: Differentialdiagnose Drogenintoxikation
- Primäre symptomatische Therapie bei Opioid-Intoxikation: Notfallmaßnahmen und intensivstationäre Behandlung
- Freihaltung der Atemwege durch Überstrecken des Kopfes und (assistierte) Beatmung
- Therapie mit reinen Opioidrezeptor-Antagonisten: Naloxon i.v. oder i.m. (Alternativ bei leichterer Intoxikation ohne Bewusstlosigkeit: Naltrexon )
Sonderfall: Postoperativer Opioid-Überhang [1][2]
- Ätiologie
- Iatrogen
- Metabolisch bedingt [3]
- Therapie
- Physiologischen Abbau abwarten oder
- Medikamentöse Antagonisierung mit Naloxon i.v.
- Verlängerte Überwachungszeit nach medikamentöser Antagonisierung obligat
- Komplikationen
- Aufhebung der analgetischen Wirkung
- Akute Entzugserscheinungen
- Naloxoninduziertes Lungenödem
Bei Naloxon besteht aufgrund der dosisabhängigen Wirkdauer (kürzer als bei den meisten Opioiden) die Gefahr einer Remorphinisierung des Patienten!
Eine Buprenorphin-Intoxikation lässt sich aufgrund der hohen Rezeptoraffinität nicht durch nachträgliche Gabe von Naloxon antagonisieren!
Opioidabhängigkeit
Epidemiologie
- Deutschland
- Prävalenz: Ca. 166.000 Menschen [4]
- Opiatabhängige Patienten in Substitutionstherapie: 78.800 (Stand 2017) [5]
- Anstieg der Versicherten mit Opioidverordnung zwischen 2000 und 2010 um 37% [6]
- USA: Epidemische Opioid-Abhängigkeit seit den 1990ern [7]
Diagnosekriterien
- Entsprechend den allgemeinen Kriterien des Abhängigkeitssyndroms (ICD-10) bzw. der Substanzgebrauchsstörung (DSM-5)
Opioidentzugssyndrom
Es handelt sich hierbei um einen Rebound-Effekt mit übermäßiger Sympathikusaktivierung.
- Kardiovaskulär
- Vegetativ
- Psychisch
- Craving
- Psychomotorische Unruhe
- Schlafstörungen
- Muskuloskelettal
Therapie der Opioidabhängigkeit
Opioidentzugsbehandlung
- Indikation: Insb. bei guten Erfolgsaussichten einer Abstinenz aufgrund von
- Jungem Patientenalter
- Kurzer Dauer der Abhängigkeit
- Geringen gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden
- Guter Compliance
- Durchführung [11]
- Setting: I.d.R. stationäre qualifizierte Entzugsbehandlung
- Formen
- Begleitmedikation
- Clonidin zur Linderung der kardiovaskulären und vegetativen Entzugssymptomatik
- Antidepressiva, z.B. Doxepin zur Linderung der entzugsbedingten psychomotorischen Unruhe und Depression
- Zusätzliche Bestandteile
- Diagnostik und Therapie ggf. bestehender komorbider Erkrankungen
- Psychotherapeutische Mitbehandlung
- Bahnung der anschließenden Entwöhnungsbehandlung
- Therapieformen nach der Entzugsbehandlung
- Entwöhnungsbehandlungen
- Ambulante Nachbetreuung
- Selbsthilfegruppen
- Dauertherapie mit Naltrexon
Substitutionsbehandlung bei Opioidabhängigkeit [12] [13] [11]
- Indikation: Insb. bei
- Lange bestehender Abhängigkeit mit geringer Erfolgsaussicht einer Abstinenz
- Schwangerschaft
- Therapeutisches Ziel
- Hintenanstellen der Abstinenz zugunsten eines kontrollierten Konsums
- Reduktion von Risiken eines illegalen und insb. intravenösen Drogenkonsums
- Reduktion der Beschaffungskriminalität
- Überlebenssicherung
- Ablauf
- Ärztliche Verordnung des Substitutionsmittels, i.d.R durch Allgemeinmediziner mit suchttherapeutischer Qualifikation
- I.d.R. Einnahme des Substitutionsmittels nach ärztlichem Kontakt direkt vor Ort
- In Ausnahmefällen auch Mitgabe des Rezepts zur eigenverantwortlichen Einnahme
- Kontrolle des Therapieverlaufs über den gesamten Behandlungszeitraum hinweg anhand klinischer Einschätzung und ggf. laborchemischer Kontrollen
- Einbindung der Substitution in interdisziplinäres Behandlungskonzept mit
- Möglichkeit der Mitbehandlung von Komorbiditäten
- Mitbetreuung durch Psychotherapeuten und Sozialarbeiter
- Unbefristete Dauertherapie
- Ggf. Herabdosierung der Substitutionsdosis und/oder Entzugsbehandlung im Verlauf
- Wirkweise der Substitutionsmittel: Ausbleiben des „Kicks“ und Verzögerung von Entzugssymptomen
- „Opioidblockade“ durch Besetzung der Rezeptoren
- Langsamer Wirkeintritt und längere Wirkdauer durch orale Gabe
- Mögliche Substanzen zur Substitution: Opioide mit langer Halbwertszeit, u.a. [14]
- Methadon (Dextro-Levomethadon)
- Buprenorphin
- Levomethadon (L-Polamidon)
- Problematik bei zusätzlich konsumierten Suchtmitteln
- Ggf. Dosisanpassung der Substitution zur Vermeidung einer Überdosierung
- Ggf. Entzugsbehandlung der Zweitdroge unter Substitutionstherapie
- Ausführliche Patientenaufklärung über Risiken lebensgefährlicher Übersedierung bei Konsum zusätzlicher Suchtmittel
Ärztliche Heroinverordnung bei Opioidabhängigkeit [15]
- Bei besonders schweren Verläufen und unter bestimmten Kriterien möglich
- Ziele
- Gewinnung der Patienten für das Hilfesystem
- Einbindung in interdisziplinäres Behandlungskonzept
Zum allgemeinen Vorgehen bei Abhängigkeitserkrankungen siehe: Therapie von Abhängigkeiten
Rechtsmedizinischer Nachweis
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
F11.-: Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide
- F11.0: Akute Intoxikation [akuter Rausch]
- Rausch o.n.A.
- Trance und Besessenheitszustände bei Intoxikation mit psychotropen Substanzen
- “Horrortrip“ (Angstreise) bei halluzinogenen Substanzen
- Exklusive: Intoxikation im Sinne einer Vergiftung (T36-T50)
- F11.1: Schädlicher Gebrauch
- Missbrauch psychotroper Substanzen
- F11.2: Abhängigkeitssyndrom
- Nicht näher bezeichnete Drogensucht
- F11.3: Entzugssyndrom
- F11.4: Entzugssyndrom mit Delir
- F11.5: Psychotische Störung
- Exklusive: Durch Alkohol oder psychoaktive Substanzen bedingter Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung (F10-F19, vierte Stelle .7)
- F11.6: Amnestisches Syndrom
- Alkohol- oder substanzbedingte amnestische Störung
- Durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingte Korsakowpsychose
- Nicht näher bezeichnetes Korsakow-Syndrom
- Exklusive: Nicht substanzbedingte(s) Korsakow-Psychose oder -Syndrom (F04)
- F11.7: Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
- Demenz und andere leichtere Formen anhaltender Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten
- Nachhallzustände (Flashbacks)
- Posthalluzinogene Wahrnehmungsstörung
- Residuale affektive Störung
- Residuale Störung der Persönlichkeit und des Verhaltens
- Verzögert auftretende psychotische Störung durch psychotrope Substanzen bedingt
- Exklusive: Alkohol- oder substanzbedingt:
- Korsakow-Syndrom (F10-F19, vierte Stelle .6)
- psychotischer Zustand (F10-F19, vierte Stelle .5)
- F11.8: Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
- F11.9: Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung
T40.-: Vergiftung durch Betäubungsmittel und Psychodysleptika [Halluzinogene]
- Exklusive: Intoxikation im Sinne von Rausch (F10-F19)
- T40.0: Opium
- T40.1: Heroin
- T40.2: Sonstige Opioide
- Kodein
- Morphin
- T40.3: Methadon
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.