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Demenz

Letzte Aktualisierung: 24.11.2023

Abstracttoggle arrow icon

Die Demenz ist ein erworbenes Syndrom, das durch eine Störung höherer Hirnfunktionen zu einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses sowie der Sprache, des Urteils- und Denkvermögens und/oder Orientierung führt. Diese Defizite sind chronisch progredient und durch Medikamente nicht wesentlich beeinflussbar. Da demenzielle Erkrankungen für Betroffene und Angehörige sehr belastend sein können, stellen psychosoziale Maßnahmen eine wichtige Therapiesäule dar.

Die Ursachen der Demenz sind vielfältig und hauptsächlich neurodegenerativer und/oder vaskulärer Natur. Diagnostisch sind v.a. Eigen- und Fremdanamnese sowie eine neuropsychologische Testung zur Objektivierung der Defizite zielführend. Wichtig ist der Ausschluss sekundärer, nicht-hirnorganischer Demenzformen und anderer Erkrankungen, die mit kognitiven Defiziten einhergehen. Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen zählen die depressive Pseudodemenz und das Delir.

Definitiontoggle arrow icon

  • Definition nach ICD-10
    • Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns
      • Mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen (einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen)
      • Ohne Bewusstseinstrübung
    • I.d.R. Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation
      • Gelegentlich treten diese auch vor den kognitiven Beeinträchtigungen auf
    • Vorkommen
  • Definition nach ICD-11 unter Tipps & Links

Epidemiologietoggle arrow icon

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

Primäre Demenzsyndrome

Sekundäre Demenzsyndrome

Ein sekundäres Demenzsyndrom kann ausgelöst werden durch:

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

Gemeinsame Leitsymptome sind die Abnahme von Gedächtnis- und Denkvermögen mit Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens. Je nach Unterform zeigen sich Störungen unterschiedlicher Teilbereiche der höheren kortikalen Hirnfunktionen.

  • Kognitive Symptome
  • Nicht-kognitive Symptome
    • Motivationsstörung, gestörte emotionale Kontrolle, Unruhe/Aggressivität, Wahn, Halluzinationen, Depressivität, verändertes Sozialverhalten, Persönlichkeitsveränderungen
  • Verlauf
    • Eintrittsalter
      • Senile Demenzen: Beginn >65 Jahren
      • Präsenile Demenzen: Beginn <65 Jahren (selten)
    • Irreversibler Progress mit Ausweitung der Defizite
    • Zunehmender Verlust der Selbstständigkeit und Entwicklung von Pflegebedürftigkeit
    • Endstadium
      • Abnahme der Aktivität mit völliger Pflegebedürftigkeit
      • Oft Mutismus
      • Nahrungsverweigerung mit ausgeprägter Kachexie
      • Tod meist durch Infektion

Diagnostiktoggle arrow icon

Vorüberlegungen zur Diagnostik

Welche Kriterien müssen durch die Diagnostik abgeklärt werden?

  • Symptomdauer: Mind. 6 Monate?
  • Nachweis einer Störung höherer kortikaler Funktionen
  • Ausschluss einer akuten Bewusstseinsstörung im Sinne eines Delirs
  • Ausschluss einer wesentlichen Einschränkung der Sinnesorgane

Nutzen der Diagnostik

  • Ätiologische Einordnung in die Unterkategorien der ICD-10 oder ICD-11
  • Aufdeckung sekundärer und potenziell reversibler Demenzformen
  • Evaluation einer medikamentösen Therapie
  • Einleitung präventiver oder sozialer Maßnahmen

Aufklärungsgespräch für diagnostische Maßnahmen und nach Diagnosesicherung

  • Wenn möglich Angehörige einbinden
  • Interdisziplinarität nutzen!
  • Ängste/Vorurteile/Stigmata miteinbeziehen
    • Demenz ist kein natürlicher Alterungsprozess
    • Chronisch progredienten Verlauf darlegen
    • Sorgfältige Besprechung der Vor- und Nachteile einer medikamentösen Therapie
  • Besprechung (und Dokumentation!) der Empfehlungen zur Fahrtüchtigkeit

Eigen- und Fremdanamnese bei Verdacht auf Demenz

  • Beginn und zeitlicher Verlauf
  • Drogen- und Alkoholanamnese
  • Medikamentenanamnese
    • Kognitive Verschlechterung durch Medikamentennebenwirkung?
    • Hinweis auf bestehende Krankheiten?
  • Vorerkrankungen/Voroperationen
  • Sozial- und Familienanamnese: Hier ist v.a. das Erfragen von Ressourcen wichtig!
    • Einschränkungen der Alltagsaktivitäten
      • Wichtige Themenfelder: Essen, Baden, Körperpflege, An- und Auskleiden, Stuhl- und Urinkontrolle, Toilettenbenutzung, Bett- und Stuhltransfer, Mobilität, Treppensteigen im häuslichen Alltag
      • Messinstrumente
        • Skalen: Disability Assessment for Dementia (DAD), Instrumentelle Aktivitäten nach Lawton und Brody (IADL), Nurses Observations Scale for Geriatric Patients (NOSGER), Neuropsychiatrisches Inventar (NPI)
        • Barthel-Index
    • Häuslichkeit
    • Betreuungssituation
    • Familiäres Auftreten von Demenz
  • Vegetative Anamnese: Fokus auf

Internistische Untersuchung bei Verdacht auf Demenz

Die körperliche Untersuchung bei Verdacht auf eine Demenz dient vor allem dem Ausschluss sekundärer Demenzursachen. Der Fokus sollte auf den wichtigsten kardiovaskulären, metabolischen und endokrinologischen Demenzursachen liegen:

Neurologische Untersuchung bei Verdacht auf Demenz

Psychopathologische Befundung bei Verdacht auf Demenz

  • Eine ausführliche psychopathologische Befundung erfolgt i.d.R. nur im psychiatrischen Bereich
  • Im nicht-psychiatrischen Bereich: Orientierende psychopathologische Beurteilung zur Abgrenzung der wichtigsten Differenzialdiagnosen Delir, Depression, Schizophrenie und Abhängigkeitserkrankungen
  • Diagnostische Unsicherheiten entstehen hier durch die Ähnlichkeit des klinischen Bildes sowie die Häufigkeit von Doppeldiagnosen
Warnzeichen für Delir
Warnzeichen für depressive Pseudodemenz
Warnzeichen für Abhängigkeitserkrankungen
Warnzeichen für Schizophrenien

Befunde, die eher mit einer Demenz vereinbar sind

  • Kognitive Defizite werden bagatellisiert, gute Fassade: Alzheimer-Demenz
  • Merkfähigkeitsstörungen bestehen über mehr als 6 Monate
  • Frontalhirnsymptomatik (Enthemmung, sozial unangemessenes Verhalten, Persönlichkeitsänderung): Typisch für frontotemporale Demenz

Neuropsychologische Testinstrumente

Oft erfolgt eine ausführliche neuropsychologische Testung im Krankenhaus durch medizinisch-psychologisches Personal. Der MMST und der Uhrentest sollte aber auch von Ärzten beherrscht werden.

Mini-Mental-State-Examination (MMSE) / Mini-Mental-Status-Test (MMST)

  • Beschreibung
    • Orientierendes Screening-Instrument zur Überprüfung des Schweregrades kognitiver Defizite und Gedächtnisstörungen
    • Durchführung bei Verdacht auf ein demenzielles Geschehen
  • Prüfung von
    • Orientierungsvermögen: Fragen nach Jahr, Jahreszeit, Datum, Tag, Monat, Land, Bundesland, Stadt, Ort, Stockwerk
    • Merkfähigkeit: 3 genannte Worte wiederholen
    • Aufmerksamkeit/Rechnen
      • Beginnend mit 100 jeweils 7 subtrahieren (100, 93, 86, 79 etc.)
      • „Preis“ rückwärts buchstabieren
    • Erinnerungsfähigkeit: Erneut nach den 3 zuvor genannten Worten fragen
    • Sprachvermögen und Verständnis
      • Gezeigte Gegenstände benennen
      • Satz nachsprechen
      • Einen dreiteiligen Befehl ausführen
      • Eine vom Arzt geschriebene Aufforderung lesen und befolgen
      • Einen vollständigen Satz schreiben
      • Eine geometrische Figur nachzeichnen
  • Diagnosekriterien: Für jeden geschafften Einzelschritt wird ein Punkt vergeben und am Ende aufsummiert
    • <10 Punkte: Schwere Demenz
    • <20 Punkte: Mittelgradige Demenz
    • <27 Punkte: Leichte Demenz
    • Maximale Punktzahl: 30

Uhrentest

  • Räumliches und abstraktes Denken: Der Patient soll in einen leeren Kreis die Ziffern und die Uhrzeiger entsprechend der Uhrzeit 'Zehn nach Elf' einzeichnen

Blutuntersuchung

Es gibt bislang keine Blutwerte zur Detektion primärer Demenzen. Die Laboruntersuchung dient dem Ausschluss sekundärer Demenzursachen. Sie sollte Folgendes beinhalten:

Liquorpunktion bei Demenzen

  • Indikation
    • Bei unklarer Symptomatik mit Hinweisen auf entzündliche ZNS-Erkrankungen
    • Unterstützt die Diagnosestellung der neurodegenerativen Demenz (v.a. der Alzheimer-Demenz)
  • Basisparameter: Zellzahl, Gesamtprotein, Albuminquotient, Glucose, Laktat, intrathekale IgG-Produktion und oligoklonale Banden (siehe auch: Interpretation eines Liquorbefundes)
  • Marker der neurodegenerativen (primären) Demenzen
    • Kombination aus β-Amyloid-1-42 und Gesamt-Tau oder β-Amyloid-1-42 und Phospho-Tau
    • Erhöhung von Gesamt-Tau und Phospho-Tau bzw. Erniedrigung von β-Amyloid-1-42 macht das Vorliegen einer primären Demenz sehr wahrscheinlich
    • Einschränkung der Aussagekraft
      • Keine ausreichend scharfe Differenzierung zwischen den verschiedenen primären Demenzen möglich
      • Nicht sinnvoll als Verlaufsparameter

Bildgebende Verfahren

  • Indikation
    • Bei V.a. demenzielle Erkrankung zum Ausschluss einer anderen Ursache der Symptomatik
    • Bei degenerativer Demenz: Differenzierung der Unterform anhand der Lokalisation atrophischer Zonen
    • Bei vaskulärer Demenz: Genaue Lokalisierung von Läsionen
    • Nicht sinnvoll als routinemäßige Verlaufskontrolle
  • Goldstandard: cMRT , wenn nicht vorhanden cCT
  • Selten und bei unklaren Fällen: FDG-PET und HMPAO-SPECT

Die Bildgebung allein reicht nie zur Diagnosestellung einer Demenz aus. Die Zusammenschau der Ergebnisse von Anamnese, körperlicher Untersuchung und neuropsychologischer Testung ist essenziell!

Weitere Tests

Diagnosekriterien nach ICD-10toggle arrow icon

Kriterien

  • Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns
  • Störung höherer kortikaler Funktionen, inkl.
    • Gedächtnis
    • Denken
    • Orientierung
    • Auffassung
    • Rechnen
    • Lernfähigkeit
    • Sprache
    • Sprechen
    • Urteilsvermögen
  • Symptomdauer: Mind. 6 Monate
  • Keine Bewusstseinsstörung .
  • Keine wesentliche Einschränkung der Sinnesorgane
  • Häufig Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation

ICD-Codes und Verschlüsselungsvorgaben

Diagnosekriterien des NIA-AAtoggle arrow icon

  • Kognitive oder verhaltensbezogene Symptome, die folgende Kriterien erfüllen
    • Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten
    • Verschlechterung im Vergleich zu einem Vorzustand
    • Nicht durch ein Delir oder eine psychische Erkrankung erklärbar
    • Diagnosestellung ist erfolgt durch die Kombination aus
      • Eigen- und Fremdanamnese
      • Objektive Bewertung der kognitiven Leistung
    • Beeinträchtigung in mind. 2 der folgenden Bereiche
      • Gedächtnisfunktionen
      • Verstehen und Durchführung komplexer Aufgaben
      • Urteilsfähigkeit
      • Räumlich-visuelle Funktionen
      • Sprachfunktionen
      • Verhalten („Persönlichkeitsveränderungen“)

Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Leichte kognitive Störung: „Mild Cognitive Impairment“ (MCI)

  • Kurzbeschreibung: Prodromalstadium des demenziellen Syndroms
  • Charakteristika: Subjektiv und objektiv kognitive Defizite ohne Einschränkung von Alltagsaktivitäten
  • Verlauf: Erhöhtes Risiko des Übergangs in eine Demenzform
  • Therapie
    • Bislang existieren keine medikamentösen Empfehlungen
    • Demenzprävention empfohlen

Pseudodemenz bei Depression

Hinweise für eine Demenz (insb. Alzheimer-Demenz) Hinweise für eine Pseudodemenz
Kognitive Defizite
  • Starke Diskrepanz zwischen schlechten Testleistungen bei guter Alltagskompetenz
  • Weniger stark ausgeprägte Orientierungs- und Wortfindungsstörungen
Verhalten
  • Überzogenes Beklagen der Defizite (Aggravation)
  • Selbstanklage/Schuldgefühle
  • Wenig Kooperation, Teilnahmslosigkeit
Stimmung
  • Schlafstörung mit frühem Erwachen und morgendlichem Grübeln
  • Abendliche Besserung
Vorgeschichte
  • Evtl. Systemerkrankungen
Therapieeffekt
  • Keine wesentliche Besserung bzw. unveränderter Progress der Erkrankung

Delir

  • Ausschlussdiagnose
  • Doppeldiagnose: Oft liegt zu Beginn eine Doppeldiagnose von Demenz und Delir vor
    • Ist noch keine Demenz vorbekannt, kann die Diagnose erst im Verlauf (nach Abklingen des Delirs) abschließend beurteilt werden
  • Häufige Komplikation/Risikofaktor
    • Demenzpatienten sind besonders gefährdet, ein Delir zu entwickeln
    • Gleichzeitig verläuft ein Delir bei Demenz oft besonders schwer und begünstigt den Progress der Demenz

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapietoggle arrow icon

Psychosoziale Interventionen bei Demenz

  • Indikation: Alle primären Demenzen
  • Empfohlene Verfahren
    • Alle Stadien
      • Reminiszenz/autobiografische Arbeit: Aktivierung autobiografischer, positiver Patientenerinnerungen
      • Körperliche Aktivität
      • Angehörigenbezogene Verfahren
    • Leichte und moderate Demenz
    • Moderate und schwere Demenz
      • Multisensorische Verfahren
  • Vorgehen
    • Individualisierte Planung
    • Interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern
  • Therapieziele

Psychosoziale Interventionen sind wesentlich zum Erreichen der Therapieziele!

Medikamentöse Empfehlungen bei primären Demenzen

Medikamentöse Therapie des kognitiven Abbaus (Antidementiva)

Medikamentöse Therapie von psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz

Allgemeine Prinzipien und Risiken von Psychopharmaka bei Demenzpatienten

  • Vor Beginn einer medikamentösen Therapie beachten
    • Ist eine Beseitigung der Ursache der Symptomatik möglich?
    • Wurden psychosoziale Interventionen ausgeschöpft?
    • Bei Eigen- oder Fremdgefährdung: Sofortige Einleitung einer medikamentösen Therapie gerechtfertigt
  • Generell ungünstige Nebenwirkungen bei Demenzpatienten
    • Anticholinerge Wirkung vermeiden: Delirogene Potenz, negative Wirkung auf Kognition
    • Sedierende Wirkung vermeiden: Negative Wirkung auf Kognition, erhöhte Sturzgefahr

Depressive Episode bei Demenz

Psychomotorische Unruhe, Aggression, Agitation bei Demenz

Schlafstörungen bei Demenz

  • Keine Leitlinienempfehlungen vorhanden!
  • Zugelassene Medikamente bei geriatrischen Patienten
  • Zu beachten
  • Nicht empfohlene Substanzen: Benzodiazepine (möglichst ganz vermeiden!)
    • Delirogenes Potenzial
    • Negative Wirkung auf Kognition
    • Erhöhte Sturzgefahr
    • Abhängigkeitspotenzial
    • Oft paradoxe Wirkung

Benzodiazepine oder andere Sedativa bzw. Hypnotika bei älteren Patienten sollen nicht als Mittel der 1. Wahl im Falle von Schlafstörungen, Agitation oder Delir eingesetzt werden. (DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie)

Weitere Symptome, für die keine medikamentösen Empfehlungen existieren

Sozialrechtliche Fragen und Problemstellungentoggle arrow icon

Schutz der Gesundheit Angehöriger von Demenzpatienten

  • Hintergrund
    • Versorgung von Demenzpatienten in der Häuslichkeit ist für Angehörige mit hoher körperlicher und psychischer Belastung verbunden
    • Sowohl aus Sicht des Patientenwohls (Versorgungsqualität verbessern) als auch der Angehörigen ist daher ein präventiver Ansatz zur Entlastung pflegender Angehöriger zu verfolgen
  • Möglichkeiten
    • Edukation im Umgang mit dem Patienten, z.B. bei psychischen und Verhaltenssymptomen
    • Individuelle Beratungsstellen
    • Angehörigengruppen
    • Kognitiv-behaviorale Verhaltenstherapie

Spannungsbereich Patientenautonomie vs. Fürsorgepflicht bei Demenzpatienten

  • Hintergrund
    • Grundlage jeder medizinischen Maßnahme (z.B. stationäre Behandlung, diagnostische Untersuchungen, Gabe von Medikamenten) ist immer die Einwilligung nach Aufklärung (Informed Consent)
    • Bei fortgeschrittener Demenz ist der Patient oft nicht geschäfts- und/oder einwilligungsfähig
      • Sowohl Ablehnung als auch Einwilligung des Patienten sind dann rechtlich nichtig, also rechtlich ungültig!
  • Rechtsgrundlage: Einwilligungsfähigkeit
  • Vorgehen, wenn Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben ist
    1. Rechtliche Vertretungssituation klären
    2. Aufklärung der Vertretungsperson und Entscheidung unter Einbeziehung des mutmaßlichen Patientenwillens sowie Wahrung des allgemeinen Patientenwohls

Häufige Probleme

Dementer Patient, der die stationäre Behandlung verweigert

  1. Kritische Prüfung der medizinischen Indikation zur stationären Behandlung
    • Falls medizinische Indikation nicht gegeben ist: Entlassung möglich, solange sichergestellt ist, dass der Patient sicher nach Hause gelangt und dort adäquat versorgt wird
  2. Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit
  3. Aufklärung der Vertretungsperson
    • Falls Vertretungsperson der Entlassung zustimmt: Entlassung gegen ärztlichen Rat
    • Falls Vertretungsperson die Entlassung ablehnt: Patient bleibt in Behandlung
      • Falls Patient die Behandlung dennoch ablehnt und Anstalten macht, zu gehen: Besteht eine wesentliche akute Eigen- oder Fremdgefährdung? Handelt es sich um einen Notfall?

Dementer Patient mit Hinlauftendenzen

  • Hintergrund
    • Häufiges Symptom bei fortgeschrittenem Verlauf
    • Desorientiertheit in neuer Umgebung → Suche nach vertrauter Umgebung
  • Rechtliche Problematik: Freiheitsrecht vs. Eigengefährdung
  • Maßnahmen
    • Präventivmaßnahmen
      • Patienten beruhigen, wenn möglich Ursache für Tendenz beheben (z.B. Schmerzen, Harndrang)
      • Beschäftigung und orientierende Maßnahmen
      • Günstiges Setting schaffen
    • Im Falle des Verschwindens eines dementen Patienten mit Eigengefährdung
      • Angehörige/Betreuer informieren
      • Ggf. Polizei informieren, dort Vermisstenmeldung abgeben

Hinlauftendenzen stellen keine Indikation zur Gabe von Sedativa dar!

Nahrungsverweigerung bei fortgeschrittener Demenz

  • Hintergrund
    • Teilweise passagerer Zustand als Symptom eines anderen Problems
    • Oft aber Beginn des Sterbeprozesses im Endstadium der Demenz
      • Der Tod bei Demenz ist meist Folge eines Infekts im Rahmen einer ausgeprägten Kachexie
  • Schwierigkeit
    • Häufig starke Ängste seitens naher Angehöriger davor, den Patienten „verhungern“ zu lassen → Wunsch nach PEG-Anlage
      • Andererseits hat eine PEG-Anlage keinen Benefit für Patienten mit fortgeschrittener Demenz
        • Keine Verbesserung von Überleben, Funktionalität oder Lebensqualität
        • Risiken: Assoziiert mit Agitationszuständen, vermehrtem Einsatz von mechanischen und medikamentösen Fixierungsmaßnahmen und der Verschlechterung von Dekubitalulzera
  • Empfohlenes Vorgehen
    • Patientenverfügung/mutmaßlichen Willen des Betroffenen beachten!
    • Psychosoziale Verfahren ausschöpfen
      • Ursache wenn möglich beheben
      • Positive Verstärkung
      • Verbale Unterstützung
      • Schaffung familienähnlicher Esssituationen
    • Bei Unstimmigkeiten z.B. mit Angehörigen: Gespräche intensivieren und Möglichkeiten der Institution/des Krankenhauses ausschöpfen (z.B. hausinterne Ethikkommissionen, Palliativmediziner, erfahrene Kollegen)

Bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz soll die Ernährung nicht durch eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie)

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Anticholinergika und Demenz (November 2019)

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Patienteninformationentoggle arrow icon

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

Demenz (F00F03)

F00.-:* Demenz bei Alzheimer-Krankheit (G30.-†)

F01.-: Vaskuläre Demenz

F02.-:* Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

F03: Nicht näher bezeichnete Demenz

  • Inklusive
  • Exklusive: Senilität o.n.A. (R54)

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. Informationsblatt 1 - Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen.
  2. Emre et al.:Rivastigmine for Dementia Associated with Parkinson's DiseaseIn: New England Journal of Medicine. Band: 351, Nummer: 24, 2004, doi: 10.1056/nejmoa041470 . | Open in Read by QxMD p. 2509-2518.
  3. S3-Leitlinie Demenzen.Stand: 24. Januar 2016. Abgerufen am: 6. November 2017.
  4. Kim et al.:Dementia Medications and Risk of Falls, Syncope, and Related Adverse Events: Meta-Analysis of Randomized Controlled TrialsIn: Journal of the American Geriatrics Society. Band: 59, Nummer: 6, 2011, doi: 10.1111/j.1532-5415.2011.03450.x . | Open in Read by QxMD p. 1019-1031.
  5. Berger: Psychische Erkrankungen. Urban & Fischer 2014, ISBN: 978-3-437-22484-3.
  6. Reitz, Mayeux:Alzheimer disease: Epidemiology, diagnostic criteria, risk factors and biomarkersIn: Biochemical Pharmacology. Band: 88, Nummer: 4, 2014, doi: 10.1016/j.bcp.2013.12.024 . | Open in Read by QxMD p. 640-651.

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