Abstract
Die Demenz ist ein erworbenes Syndrom, das durch eine Störung höherer Hirnfunktionen zu einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses sowie der Sprache, des Urteils- und Denkvermögens und/oder Orientierung führt. Diese Defizite sind chronisch progredient und durch Medikamente nicht wesentlich beeinflussbar. Da demenzielle Erkrankungen für Betroffene und Angehörige sehr belastend sein können, stellen psychosoziale Maßnahmen eine wichtige Therapiesäule dar.
Die Ursachen der Demenz sind vielfältig und hauptsächlich neurodegenerativer und/oder vaskulärer Natur. Diagnostisch sind v.a. Eigen- und Fremdanamnese sowie eine neuropsychologische Testung zur Objektivierung der Defizite zielführend. Wichtig ist der Ausschluss sekundärer, nicht-hirnorganischer Demenzformen und anderer Erkrankungen, die mit kognitiven Defiziten einhergehen. Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen zählen die depressive Pseudodemenz und das Delir.
Definition
- Definition nach ICD-10
-
Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns
- Mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen (einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen)
- Ohne Bewusstseinstrübung
- I.d.R. Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation
- Gelegentlich treten diese auch vor den kognitiven Beeinträchtigungen auf
- Vorkommen
- Alzheimer-Krankheit
- Zerebrovaskuläre Störungen
- Weitere Zustandsbilder, die primär oder sekundär das Gehirn betreffen
-
Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns
- Definition nach ICD-11 unter Tipps & Links
Epidemiologie
- Prävalenz: ca. 1,6 Millionen Demenzkranke [1]
- Prävalenz steigt mit Alter
- Inzidenz: ca. 300.000 Neuerkrankungen/Jahr [1]
- Geschlecht: ♀ > ♂
- Anteil der Demenzformen
- 50–70% Alzheimer-Demenz
- 15–25% Vaskuläre Demenz
- 5–35% andere Demenzen
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Primäre Demenzsyndrome
- Neurodegenerative Formen
- Morbus Alzheimer (>50% aller Demenzen)
- Frontotemporale Demenz
- Demenz bei Morbus Parkinson
- Lewy-Body-Demenz
- Progressive supranukleäre Blickparese
- Chorea Huntington
- Vaskuläre Demenzen
- Gemischte Demenz: Mischformen einer Alzheimer- mit einer vaskulären Demenz
Sekundäre Demenzsyndrome
Ein sekundäres Demenzsyndrom kann ausgelöst werden durch:
- Hypoxischen Hirnschaden
- Normaldruck-Hydrozephalus
- Traumata, Blutungen oder Tumoren
- Metabolisch/Toxisch
- Anämie
- Intoxikationen: Alkoholkrankheit, Medikation , Giftstoffe
- Elektrolytstörungen: Hypo- und Hypernatriämie
- Hormonstörungen: Hypo- und Hyperthyreose, Hypo- und Hyperparathyreoidismus
- Vitaminmangel: Vitamin B1, B6, B12 , Folsäure
- Urämie
- Lebererkrankungen: Morbus Wilson, hepatische Enzephalopathie
- Entzündlich/Infektiös
Symptome/Klinik
Gemeinsame Leitsymptome sind die Abnahme von Gedächtnis- und Denkvermögen mit Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens. Je nach Unterform zeigen sich Störungen unterschiedlicher Teilbereiche der höheren kortikalen Hirnfunktionen.
- Kognitive Symptome
- Nicht-kognitive Symptome
- Motivationsstörung, gestörte emotionale Kontrolle, Unruhe/Aggressivität, Wahn, Halluzinationen, Depressivität, verändertes Sozialverhalten, Persönlichkeitsveränderungen
- Verlauf
- Eintrittsalter
- Senile Demenzen: Beginn >65 Jahren
- Präsenile Demenzen: Beginn <65 Jahren (selten)
- Irreversibler Progress mit Ausweitung der Defizite
- Zunehmender Verlust der Selbstständigkeit und Entwicklung von Pflegebedürftigkeit
- Endstadium
- Eintrittsalter
Diagnostik
Vorüberlegungen zur Diagnostik
Welche Kriterien müssen durch die Diagnostik abgeklärt werden?
- Symptomdauer: Mind. 6 Monate?
- Nachweis einer Störung höherer kortikaler Funktionen
- Ausschluss einer akuten Bewusstseinsstörung im Sinne eines Delirs
- Ausschluss einer wesentlichen Einschränkung der Sinnesorgane
Nutzen der Diagnostik
- Ätiologische Einordnung in die Unterkategorien der ICD-10 oder ICD-11
- Aufdeckung sekundärer und potenziell reversibler Demenzformen
- Evaluation einer medikamentösen Therapie
- Einleitung präventiver oder sozialer Maßnahmen
Aufklärungsgespräch für diagnostische Maßnahmen und nach Diagnosesicherung
- Wenn möglich Angehörige einbinden
- Interdisziplinarität nutzen!
- Ängste/Vorurteile/Stigmata miteinbeziehen
- Demenz ist kein natürlicher Alterungsprozess
- Chronisch progredienten Verlauf darlegen
- Sorgfältige Besprechung der Vor- und Nachteile einer medikamentösen Therapie
- Besprechung (und Dokumentation!) der Empfehlungen zur Fahrtüchtigkeit
Eigen- und Fremdanamnese bei Verdacht auf Demenz
- Beginn und zeitlicher Verlauf
- Langsamer, schleichender Beginn: Eher Hinweis auf primäre Demenzform (z.B. Alzheimer-Demenz, Multiinfarktdemenz)
- Plötzlicher Beginn: Eher Hinweis auf sekundäre Ursache (z.B. Intoxikation/Medikamentennebenwirkung, Hirninfarkt)
- Drogen- und Alkoholanamnese
- Medikamentenanamnese
- Kognitive Verschlechterung durch Medikamentennebenwirkung?
- Hinweis auf bestehende Krankheiten?
- Vorerkrankungen/Voroperationen
- Kardiovaskuläre Erkrankungen: Hauptrisikofaktor für vaskuläre Demenz!
- Zerebrovaskuläre Vorgeschichte?
- Depression
- M. Parkinson
- Weitere
- Schizophrenie
- Abgelaufene Herpes-Enzephalitis
- Sozial- und Familienanamnese: Hier ist v.a. das Erfragen von Ressourcen wichtig!
- Einschränkungen der Alltagsaktivitäten
- Wichtige Themenfelder: Essen, Baden, Körperpflege, An- und Auskleiden, Stuhl- und Urinkontrolle, Toilettenbenutzung, Bett- und Stuhltransfer, Mobilität, Treppensteigen im häuslichen Alltag
- Messinstrumente
- Skalen: Disability Assessment for Dementia (DAD), Instrumentelle Aktivitäten nach Lawton und Brody (IADL), Nurses Observations Scale for Geriatric Patients (NOSGER), Neuropsychiatrisches Inventar (NPI)
- Barthel-Index
- Häuslichkeit
- Betreuungssituation
- Familiäres Auftreten von Demenz
- Einschränkungen der Alltagsaktivitäten
- Vegetative Anamnese: Fokus auf
- Appetit/Durst/Gewichtsverlust: Hinweise auf Malnutrition, Exsikkose
- Harninkontinenz: CAVE: Hinweis auf einen Normaldruckhydrozephalus (Teilsymptom der Hakim-Trias)
- Schlafstörung und morgendlich frühes Erwachen mit Grübeln: Möglicher Hinweis auf depressive Pseudodemenz
Internistische Untersuchung bei Verdacht auf Demenz
Die körperliche Untersuchung bei Verdacht auf eine Demenz dient vor allem dem Ausschluss sekundärer Demenzursachen. Der Fokus sollte auf den wichtigsten kardiovaskulären, metabolischen und endokrinologischen Demenzursachen liegen:
- Zeichen einer Exsikkose? Mögliches Delir? Hinweis auf Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten?
- Zeichen einer Malnutrition/Kachexie? Anämie oder Hypovitaminosen? Hinweis auf Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten?
- Zeichen einer Intoxikation?
- Zeichen einer Hypo-/Hyperthyreose?
- Zeichen eines Schädel-Hirn-Traumas?
- Hinweise auf Hypertonie oder Herzrhythmusstörungen? Blutdruckmessung und Auskultation des Herzens
Neurologische Untersuchung bei Verdacht auf Demenz
- Wichtige Warnhinweise (keine Beweise!), die auf Differenzialdiagnosen hindeuten
- Beeinträchtigung der Sinne: Z.B. schlechte Testergebnisse durch Störungen der Optik oder Presbyakusis
- Veränderte Bewusstseinslage: Delir
- Rigor, Tremor, Hypokinesie, posturale Instabilität: Lewy-Body-Demenz oder Demenz bei Morbus Parkinson, im Spätstadium auch bei einem Drittel der Alzheimer-Demenzen
- Symptome eines Schlaganfalls : Vaskuläre Genese
- Schleppender Gang : Normaldruckhydrozephalus
- Vertikale Blickparese nach unten, Rigor, Akinese und Fallneigung nach hinten: Progressive supranukleäre Blickparese
- Pupillen mit fehlender Lichtreaktion: Neurolues
- Hyperkinetische, choreatiforme Bewegungen: Chorea Huntington
Psychopathologische Befundung bei Verdacht auf Demenz
- Eine ausführliche psychopathologische Befundung erfolgt i.d.R. nur im psychiatrischen Bereich
- Im nicht-psychiatrischen Bereich: Orientierende psychopathologische Beurteilung zur Abgrenzung der wichtigsten Differenzialdiagnosen Delir, Depression, Schizophrenie und Abhängigkeitserkrankungen
- Diagnostische Unsicherheiten entstehen hier durch die Ähnlichkeit des klinischen Bildes sowie die Häufigkeit von Doppeldiagnosen
Warnzeichen für Delir |
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Warnzeichen für depressive Pseudodemenz |
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Warnzeichen für Abhängigkeitserkrankungen | |
Warnzeichen für Schizophrenien | |
Befunde, die eher mit einer Demenz vereinbar sind |
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Neuropsychologische Testinstrumente
- Indikation
- Erstdiagnose
- Grobe Schweregradeinteilung
- Verlaufskontrolle
- Wichtige Tests
- Mini-Mental-Status-Test (MMST)
- Uhrentest
- Demenz-Detektion (DemTect)
- Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA)
- Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD)
- Limitationen
- Sensitivität bei leichtgradigen Defiziten niedrig
- Nicht zur Differenzierung verschiedener Demenzformen geeignet
Oft erfolgt eine ausführliche neuropsychologische Testung im Krankenhaus durch medizinisch-psychologisches Personal. Der MMST und der Uhrentest sollte aber auch von Ärzten beherrscht werden.
Mini-Mental-State-Examination (MMSE) / Mini-Mental-Status-Test (MMST)
- Beschreibung
- Orientierendes Screening-Instrument zur Überprüfung des Schweregrades kognitiver Defizite und Gedächtnisstörungen
- Durchführung bei Verdacht auf ein demenzielles Geschehen
- Prüfung von
- Orientierungsvermögen: Fragen nach Jahr, Jahreszeit, Datum, Tag, Monat, Land, Bundesland, Stadt, Ort, Stockwerk
- Merkfähigkeit: 3 genannte Worte wiederholen
- Aufmerksamkeit/Rechnen
- Beginnend mit 100 jeweils 7 subtrahieren (100, 93, 86, 79 etc.)
- „Preis“ rückwärts buchstabieren
- Erinnerungsfähigkeit: Erneut nach den 3 zuvor genannten Worten fragen
- Sprachvermögen und Verständnis
- Gezeigte Gegenstände benennen
- Satz nachsprechen
- Einen dreiteiligen Befehl ausführen
- Eine vom Arzt geschriebene Aufforderung lesen und befolgen
- Einen vollständigen Satz schreiben
- Eine geometrische Figur nachzeichnen
- Diagnosekriterien: Für jeden geschafften Einzelschritt wird ein Punkt vergeben und am Ende aufsummiert
- <10 Punkte: Schwere Demenz
- <20 Punkte: Mittelgradige Demenz
- <27 Punkte: Leichte Demenz
- Maximale Punktzahl: 30
Uhrentest
- Räumliches und abstraktes Denken: Der Patient soll in einen leeren Kreis die Ziffern und die Uhrzeiger entsprechend der Uhrzeit 'Zehn nach Elf' einzeichnen
Blutuntersuchung
Es gibt bislang keine Blutwerte zur Detektion primärer Demenzen. Die Laboruntersuchung dient dem Ausschluss sekundärer Demenzursachen. Sie sollte Folgendes beinhalten:
- Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) oder CRP
- Kleines Blutbild
- Elektrolyte: Kalium, Natrium, Calcium
- Leber- und Nierenwerte: γGT, GOT, Kreatinin, Harnstoff
- Nüchternblutzucker
-
Schilddrüsenwerte: T3, T4, TSH
- Bei älteren Menschen kann die Hypothyreose einer Depression oder einer Demenz ähneln. Seltener kann auch eine Hyperthyreose zu kognitiven Defiziten führen.
- Vitamine: Vitamin B12, Folsäure
- Weitere mögliche Labordiagnostik bei unklarer Situation oder speziellem Verdacht:
- Differenzialblutbild
- BGA
- Drogenscreening, Urinuntersuchung
- Serologie: Lues, HIV, Borreliose
- Weitere Hormone: Schilddrüsenantikörper, Cortisol, Parathormon
- Coeruloplasmin
Liquorpunktion bei Demenzen
- Indikation
- Bei unklarer Symptomatik mit Hinweisen auf entzündliche ZNS-Erkrankungen
- Unterstützt die Diagnosestellung der neurodegenerativen Demenz (v.a. der Alzheimer-Demenz)
- Basisparameter: Zellzahl, Gesamtprotein, Albuminquotient, Glucose, Laktat, intrathekale IgG-Produktion und oligoklonale Banden (siehe auch: Interpretation eines Liquorbefundes)
- Marker der neurodegenerativen (primären) Demenzen
- Kombination aus β-Amyloid-1-42 und Gesamt-Tau oder β-Amyloid-1-42 und Phospho-Tau
- Erhöhung von Gesamt-Tau und Phospho-Tau bzw. Erniedrigung von β-Amyloid-1-42 macht das Vorliegen einer primären Demenz sehr wahrscheinlich
- Einschränkung der Aussagekraft
- Keine ausreichend scharfe Differenzierung zwischen den verschiedenen primären Demenzen möglich
- Nicht sinnvoll als Verlaufsparameter
Bildgebende Verfahren
- Indikation
- Bei V.a. demenzielle Erkrankung zum Ausschluss einer anderen Ursache der Symptomatik
- Bei degenerativer Demenz: Differenzierung der Unterform anhand der Lokalisation atrophischer Zonen
- Bei vaskulärer Demenz: Genaue Lokalisierung von Läsionen
- Nicht sinnvoll als routinemäßige Verlaufskontrolle
- Goldstandard: cMRT , wenn nicht vorhanden cCT
- Selten und bei unklaren Fällen: FDG-PET und HMPAO-SPECT
Die Bildgebung allein reicht nie zur Diagnosestellung einer Demenz aus. Die Zusammenschau der Ergebnisse von Anamnese, körperlicher Untersuchung und neuropsychologischer Testung ist essenziell!
Weitere Tests
Diagnosekriterien nach ICD-10
Kriterien
- Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns
- Störung höherer kortikaler Funktionen, inkl.
- Gedächtnis
- Denken
- Orientierung
- Auffassung
- Rechnen
- Lernfähigkeit
- Sprache
- Sprechen
- Urteilsvermögen
- Symptomdauer: Mind. 6 Monate
- Keine Bewusstseinsstörung .
- Keine wesentliche Einschränkung der Sinnesorgane
- Häufig Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation
ICD-Codes und Verschlüsselungsvorgaben
- Siehe
- Demenz - Kodierung nach ICD
- ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter Tipps & Links
Diagnosekriterien des NIA-AA
- Kognitive oder verhaltensbezogene Symptome, die folgende Kriterien erfüllen
- Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten
- Verschlechterung im Vergleich zu einem Vorzustand
- Nicht durch ein Delir oder eine psychische Erkrankung erklärbar
- Diagnosestellung ist erfolgt durch die Kombination aus
- Eigen- und Fremdanamnese
- Objektive Bewertung der kognitiven Leistung
- Beeinträchtigung in mind. 2 der folgenden Bereiche
- Gedächtnisfunktionen
- Verstehen und Durchführung komplexer Aufgaben
- Urteilsfähigkeit
- Räumlich-visuelle Funktionen
- Sprachfunktionen
- Verhalten („Persönlichkeitsveränderungen“)
Differenzialdiagnosen
Leichte kognitive Störung: „Mild Cognitive Impairment“ (MCI)
- Kurzbeschreibung: Prodromalstadium des demenziellen Syndroms
- Charakteristika: Subjektiv und objektiv kognitive Defizite ohne Einschränkung von Alltagsaktivitäten
- Verlauf: Erhöhtes Risiko des Übergangs in eine Demenzform
- Therapie
- Bislang existieren keine medikamentösen Empfehlungen
- Demenzprävention empfohlen
Pseudodemenz bei Depression
- Problematik
- Depressionen können mit mnestischen Störungen einhergehen
- Eine leichtgradige primäre Demenz (Frühstadium) ähnelt häufig einer depressiven Episode
- Auch Doppeldiagnose (Demenz + Depression) möglich
Hinweise für eine Demenz (insb. Alzheimer-Demenz) | Hinweise für eine Pseudodemenz | |
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Kognitive Defizite |
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Verhalten |
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Stimmung |
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Vorgeschichte |
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Therapieeffekt |
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Delir
- Ausschlussdiagnose
- Doppeldiagnose: Oft liegt zu Beginn eine Doppeldiagnose von Demenz und Delir vor
- Ist noch keine Demenz vorbekannt, kann die Diagnose erst im Verlauf (nach Abklingen des Delirs) abschließend beurteilt werden
- Häufige Komplikation/Risikofaktor
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Psychosoziale Interventionen bei Demenz
- Indikation: Alle primären Demenzen
- Empfohlene Verfahren
- Alle Stadien
- Reminiszenz/autobiografische Arbeit: Aktivierung autobiografischer, positiver Patientenerinnerungen
- Körperliche Aktivität
- Angehörigenbezogene Verfahren
- Leichte und moderate Demenz
- Kognitive Stimulation
- Ergotherapie
- Moderate und schwere Demenz
- Multisensorische Verfahren
- Alle Stadien
- Vorgehen
- Individualisierte Planung
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern
- Therapieziele
- Verbesserung der Lebensqualität
- Erhalt von Alltagskompetenzen/Verzögerung von Pflegebedürftigkeit
- Verminderung des Auftretens von psychischen und Verhaltenssymptomen
- Entlastung der Angehörigen: Schutz der Gesundheit Angehöriger von Demenzpatienten
Psychosoziale Interventionen sind wesentlich zum Erreichen der Therapieziele!
Medikamentöse Empfehlungen bei primären Demenzen
- Generelles
- Kritische Bewertung von Vor- und Nachteilen
- „Shared Decision-Making“ mit Patient, Angehörigen und ggf. Betreuungspersonen
- Anwendungsgebiete
- Zur Verlangsamung des kognitiven Abbaus (siehe: Antidementiva)
- Zur symptomatischen Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen: Weitere Psychopharmaka (siehe: Medikamentöse Therapie von psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz)
Medikamentöse Therapie des kognitiven Abbaus (Antidementiva)
- Limitationen
- Bisher ist keine kausale Therapie für primäre Demenzformen bekannt
- Die Gabe eines Antidementivums bei der Alzheimer-Demenz ist ggf. sinnvoll, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen
- Alzheimer-Demenz: siehe Therapie der Alzheimer-Demenz
- Vaskuläre Demenz: siehe Therapie der vaskulären Demenz
- Gemischte Demenz: Entspricht den Therapieempfehlungen der Alzheimer-Demenz (siehe: Therapie der Alzheimer-Demenz)
- Demenz bei Morbus Parkinson
- Leichtes und mittleres Stadium: Rivastigmin-Kapseln [2][3]
- Rivastigmin-Pflaster sind nicht zugelassen [3]
- Leichtes und mittleres Stadium: Rivastigmin-Kapseln [2][3]
- Frontotemporale Demenz: Keine
- Lewy-Körper-Demenz: Keine
Medikamentöse Therapie von psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz
Allgemeine Prinzipien und Risiken von Psychopharmaka bei Demenzpatienten
- Vor Beginn einer medikamentösen Therapie beachten
- Ist eine Beseitigung der Ursache der Symptomatik möglich?
- Wurden psychosoziale Interventionen ausgeschöpft?
- Bei Eigen- oder Fremdgefährdung: Sofortige Einleitung einer medikamentösen Therapie gerechtfertigt
- Generell ungünstige Nebenwirkungen bei Demenzpatienten
- Anticholinerge Wirkung vermeiden: Delirogene Potenz, negative Wirkung auf Kognition
- Sedierende Wirkung vermeiden: Negative Wirkung auf Kognition, erhöhte Sturzgefahr
Depressive Episode bei Demenz
- Empfohlene Substanzen
- Mirtazapin oder Citalopram
- Zu beachten
- Trizyklische Antidepressiva vermeiden: Der anticholinerge Effekt kann die Kognition verschlechtern.
- Besser: SSRIs, Mirtazapin
- Bei sedierenden Antidepressiva erhöhte Sturzgefahr beachten
Psychomotorische Unruhe, Aggression, Agitation bei Demenz
- Empfohlene Substanzen
- Risperidon (bei gesteigerter Psychomotorik nur Off-Label-Gebrauch)
- Haloperidol (nur bei aggressivem Verhalten)
- Zu beachten bei Antipsychotikagabe bei Demenz [4]
- So kurz und wenig wie möglich!
- Erhöhtes Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse
- Erhöhtes Mortalitätsrisiko
- Bei typischen höher als bei atypischen Antipsychotika
- Höchstes Risiko: Haloperidol (insb. in den ersten 30 Tagen)
- Risiko einer zu starken Sedierung mit erhöhtem Sturzrisiko
- Verschlechterung der kognitiven Funktion durch anticholinergen Effekt bei niedrigpotenten Antipsychotika
- Sonderformen: Demenz bei M. Parkinson und Lewy-Body-Demenz
- Viele Antipsychotika sind hier kontraindiziert!
- Empfohlen: Clozapin
Schlafstörungen bei Demenz
- Keine Leitlinienempfehlungen vorhanden!
- Zugelassene Medikamente bei geriatrischen Patienten
-
Melperon
- Vorteil: Keine anticholinerge Wirkung
- Pipamperon
-
Melperon
- Zu beachten
- Nicht empfohlene Substanzen: Benzodiazepine (möglichst ganz vermeiden!)
- Delirogenes Potenzial
- Negative Wirkung auf Kognition
- Erhöhte Sturzgefahr
- Abhängigkeitspotenzial
- Oft paradoxe Wirkung
Benzodiazepine oder andere Sedativa bzw. Hypnotika bei älteren Patienten sollen nicht als Mittel der 1. Wahl im Falle von Schlafstörungen, Agitation oder Delir eingesetzt werden. (DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie)
Weitere Symptome, für die keine medikamentösen Empfehlungen existieren
- Angst, Apathie, Appetit- und Essstörungen bei Demenz, Euphorie, Enthemmung
- Siehe auch: Appetitlosigkeit/Nahrungsverweigerung bei fortgeschrittener Demenz
Sozialrechtliche Fragen und Problemstellungen
Schutz der Gesundheit Angehöriger von Demenzpatienten
- Hintergrund
- Versorgung von Demenzpatienten in der Häuslichkeit ist für Angehörige mit hoher körperlicher und psychischer Belastung verbunden
- Sowohl aus Sicht des Patientenwohls (Versorgungsqualität verbessern) als auch der Angehörigen ist daher ein präventiver Ansatz zur Entlastung pflegender Angehöriger zu verfolgen
- Möglichkeiten
- Edukation im Umgang mit dem Patienten, z.B. bei psychischen und Verhaltenssymptomen
- Individuelle Beratungsstellen
- Angehörigengruppen
- Kognitiv-behaviorale Verhaltenstherapie
Spannungsbereich Patientenautonomie vs. Fürsorgepflicht bei Demenzpatienten
- Hintergrund
- Grundlage jeder medizinischen Maßnahme (z.B. stationäre Behandlung, diagnostische Untersuchungen, Gabe von Medikamenten) ist immer die Einwilligung nach Aufklärung (Informed Consent)
- Bei fortgeschrittener Demenz ist der Patient oft nicht geschäfts- und/oder einwilligungsfähig
- Sowohl Ablehnung als auch Einwilligung des Patienten sind dann rechtlich nichtig, also rechtlich ungültig!
- Rechtsgrundlage: Einwilligungsfähigkeit
- Vorgehen, wenn Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben ist
- Rechtliche Vertretungssituation klären
- Gibt es eine Vorsorgevollmacht aus gesunden Zeiten?
- Gibt es bereits einen Betreuer für den Bereich Gesundheit?
- Nein → Beim Amtsgericht Betreuung anregen (siehe: Einrichtung einer Betreuung)
- Aufklärung der Vertretungsperson und Entscheidung unter Einbeziehung des mutmaßlichen Patientenwillens sowie Wahrung des allgemeinen Patientenwohls
- Rechtliche Vertretungssituation klären
Häufige Probleme
Dementer Patient, der die stationäre Behandlung verweigert
- Kritische Prüfung der medizinischen Indikation zur stationären Behandlung
- Falls medizinische Indikation nicht gegeben ist: Entlassung möglich, solange sichergestellt ist, dass der Patient sicher nach Hause gelangt und dort adäquat versorgt wird
- Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit
- Falls Einwilligungsfähigkeit gegeben ist: Entlassung gegen ärztlichen Rat nach ausführlicher Aufklärung
- Falls Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben ist: Rechtliche Vertretungsperson kontaktieren
- Falls noch kein rechtlicher Vertreter vorhanden ist → Einrichtung einer Betreuung (ggfs. als Eilbetreuung)
- Aufklärung der Vertretungsperson
- Falls Vertretungsperson der Entlassung zustimmt: Entlassung gegen ärztlichen Rat
- Falls Vertretungsperson die Entlassung ablehnt: Patient bleibt in Behandlung
- Falls Patient die Behandlung dennoch ablehnt und Anstalten macht, zu gehen: Besteht eine wesentliche akute Eigen- oder Fremdgefährdung? Handelt es sich um einen Notfall?
- Ja: Siehe Zwangseinweisung, betreuungsrechtliche Unterbringung und Notfallbetreuung
- Nein : Situation nicht einfach zu klären → Deeskalation mit erfahrenen Kollegen versuchen, zuständigen Oberarzt kontaktieren
- Falls Patient die Behandlung dennoch ablehnt und Anstalten macht, zu gehen: Besteht eine wesentliche akute Eigen- oder Fremdgefährdung? Handelt es sich um einen Notfall?
Dementer Patient mit Hinlauftendenzen
- Hintergrund
- Häufiges Symptom bei fortgeschrittenem Verlauf
- Desorientiertheit in neuer Umgebung → Suche nach vertrauter Umgebung
- Rechtliche Problematik: Freiheitsrecht vs. Eigengefährdung
- Maßnahmen
- Präventivmaßnahmen
- Patienten beruhigen, wenn möglich Ursache für Tendenz beheben (z.B. Schmerzen, Harndrang)
- Beschäftigung und orientierende Maßnahmen
- Günstiges Setting schaffen
- Im Falle des Verschwindens eines dementen Patienten mit Eigengefährdung
- Angehörige/Betreuer informieren
- Ggf. Polizei informieren, dort Vermisstenmeldung abgeben
- Präventivmaßnahmen
Hinlauftendenzen stellen keine Indikation zur Gabe von Sedativa dar!
Nahrungsverweigerung bei fortgeschrittener Demenz
- Hintergrund
- Teilweise passagerer Zustand als Symptom eines anderen Problems
- Oft aber Beginn des Sterbeprozesses im Endstadium der Demenz
- Der Tod bei Demenz ist meist Folge eines Infekts im Rahmen einer ausgeprägten Kachexie
- Schwierigkeit
- Häufig starke Ängste seitens naher Angehöriger davor, den Patienten „verhungern“ zu lassen → Wunsch nach PEG-Anlage
- Andererseits hat eine PEG-Anlage keinen Benefit für Patienten mit fortgeschrittener Demenz
- Keine Verbesserung von Überleben, Funktionalität oder Lebensqualität
- Risiken: Assoziiert mit Agitationszuständen, vermehrtem Einsatz von mechanischen und medikamentösen Fixierungsmaßnahmen und der Verschlechterung von Dekubitalulzera
- Andererseits hat eine PEG-Anlage keinen Benefit für Patienten mit fortgeschrittener Demenz
- Häufig starke Ängste seitens naher Angehöriger davor, den Patienten „verhungern“ zu lassen → Wunsch nach PEG-Anlage
- Empfohlenes Vorgehen
- Patientenverfügung/mutmaßlichen Willen des Betroffenen beachten!
- Psychosoziale Verfahren ausschöpfen
- Ursache wenn möglich beheben
- Positive Verstärkung
- Verbale Unterstützung
- Schaffung familienähnlicher Esssituationen
- Bei Unstimmigkeiten z.B. mit Angehörigen: Gespräche intensivieren und Möglichkeiten der Institution/des Krankenhauses ausschöpfen (z.B. hausinterne Ethikkommissionen, Palliativmediziner, erfahrene Kollegen)
Bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz soll die Ernährung nicht durch eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie)
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 100-2019-1/3: Es macht Bumm! Bumm! Bumm! Und keiner fragt warum…
- Studientelegramm 82-2019-2/3: Demenzrisiko senken – Anticholinerge Arzneimittel bereits im mittleren Patientenalter absetzen?
- Studientelegramm 65-2019-2/3: SPRINT-Subanalyse: Kann die intensive Blutdrucksenkung einer Demenz vorbeugen?
- DGIM-Sonderausgaben zu Überversorgung in der Inneren Medizin
- DGIM-Studientelegramm 3-2020-4/7: Kein Vorteil von Low-Dose ASS für die Kognition
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 87-2023-3/3: Memory lane: dementia risk is increased in adult-onset ADHD
- One-Minute Telegram 81-2023-3/3: Clearing the way: targeting amyloid plaques in Alzheimer disease
- One-Minute Telegram 64-2022-1/3: Crossword puzzles beat cognitive games
- One-Minute Telegram 42-2022-3/3: Does cataract surgery decrease the risk of dementia?
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AMBOSS-Podcast zum Thema
Demenzerkrankung – Mehr als nur Alzheimer (September 2021)
Anticholinergika und Demenz (November 2019)
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Patienteninformationen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
Demenz (F00–F03)
F00.-:* Demenz bei Alzheimer-Krankheit (G30.-†)
- F00.0*: Demenz bei Alzheimer-Krankheit, mit frühem Beginn (Typ 2) (G30.0†)
- Alzheimer-Krankheit, Typ 2
- Präsenile Demenz vom Alzheimer-Typ
- Primär degenerative Demenz vom Alzheimer-Typ, präseniler Beginn
- F00.1*: Demenz bei Alzheimer-Krankheit, mit spätem Beginn (Typ 1) (G30.1†)
- Alzheimer-Krankheit, Typ 1
- Primär degenerative Demenz vom Alzheimer-Typ, seniler Beginn Senile Demenz vom Alzheimer-Typ (SDAT)
- F00.2*: Demenz bei Alzheimer-Krankheit, atypische oder gemischte Form (G30.8†)
- Atypische Demenz vom Alzheimer-Typ
- F00.9*: Demenz bei Alzheimer-Krankheit, nicht näher bezeichnet (G30.9†)
F01.-: Vaskuläre Demenz
- Inklusive: Arteriosklerotische Demenz
- F01.0: Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn
- F01.1: Multiinfarkt-Demenz
- Vorwiegend kortikale Demenz
- F01.2: Subkortikale vaskuläre Demenz
- F01.3: Gemischte kortikale und subkortikale vaskuläre Demenz
- F01.8: Sonstige vaskuläre Demenz
- F01.9: Vaskuläre Demenz, nicht näher bezeichnet
F02.-:* Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- F02.0*: Demenz bei Pick-Krankheit (G31.0†)
- F02.1*: Demenz bei Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (A81.0†)
- F02.2*: Demenz bei Chorea Huntington (G10†)
- Demenz bei Huntington-Krankheit
- F02.3*: Demenz bei primärem Parkinson-Syndrom (G20.-†)
- Demenz bei: Paralysis agitans, Parkinsonismus oder Parkinson-Krankheit
- F02.4*: Demenz bei HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz-Viruskrankheit] (B22†)
- F02.8*: Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheitsbildern
- Demenz (bei):
- Epilepsie (G40.-†)
- hepatolentikulärer Degeneration [M. Wilson] (E83.0†)
- Hyperkalziämie (E83.5-†)
- Hypothyreose, erworben (E01.-†, E03.-†)
- Intoxikationen (T36-T65†)
- Lewy-Körper-Krankheit (G31.82†)
- Multipler Sklerose (G35.-†)
- Neurosyphilis (A52.1†)
- Niazin-Mangel [Pellagra] (E52†)
- Panarteriitis nodosa (M30.0†)
- systemischem Lupus erythematodes (M32.-†)
- Trypanosomiasis (B56.-†, B57.-†)
- Urämie (N18.-†)
- Vitamin-B12-Mangel (E53.8†)
- zerebraler Lipidstoffwechselstörung (E75.-†)
- Demenz (bei):
F03: Nicht näher bezeichnete Demenz
- Inklusive
- Präsenil: Demenz o.n.A., Psychose o.n.A.
- Primäre degenerative Demenz o.n.A.
- Senil
- Demenz: depressiver oder paranoider Typus, o.n.A.
- Psychose o.n.A.
- Exklusive: Senilität o.n.A. (R54)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.