Abstract
Läsionen der Haut oder der darunterliegenden Weichteile können z.B. traumatisch oder durch chronische Belastung (Dekubitus) entstehen. Je nach Pathophysiologie, Ausmaß und Begleitumständen erfolgt eine individuelle Wundbehandlung. Grundsätzliche Formen der Wundbehandlung sind der primäre Wundverschluss, die offene Wundbehandlung oder die plastische Deckung von Hautdefekten. Darüber hinaus sind Aspekte wie die Therapie und Prävention von Infektions- oder Begleitkrankheiten zu beachten (z.B. antibiotische Therapie, Impfungen gegen Tetanus und Tollwut, Diabeteseinstellung). Bei traumatischen Verletzungen erfolgt in der Regel eine chirurgische Wundversorgung. Bei chronischen Wunden und Ulzera steht meist ein konservatives Vorgehen im Vordergrund, bei ausgeprägten oder persistierenden Befunden kann eine chirurgische Wundsanierung mit Débridement notwendig werden.
Mechanische Wunden
Schürfwunden
- Oft im Bereich prominenter knöcherner Strukturen
- Punktförmige Blutung durch aufgerissene Kapillaren
- Die hohe Regenerationskraft der Epithelien lässt diese Wunden innerhalb weniger Tage ohne Narbe abheilen
Schnittwunden
- Meist glatte Wundränder und starke Blutung
Stichwunden
- Der Fremdkörper muss im Rahmen der Erstversorgung in der Wunde belassen werden
- Abdichtende bzw. tamponierende Wirkung!
- Gefahr der Blutung durch Entfernen des Fremdkörpers
- Entfernung erst im Krankenhaus in Operationsbereitschaft
- Meist spärliche Blutung nach außen, deshalb ohne verursachenden Gegenstand Gefahr des Nichterkennens
- Bei abdomineller Verletzung: Diagnostische Laparoskopie/Laparotomie
- Komplikationen: Keimverschleppung in die Tiefe führt zu Infektionen, Verletzung großer Gefäße und Nerven, Eröffnung von Körperhöhlen
- Pfählungsverletzungen werden weiter unterschieden in
- Penetrierend in subkutane, bindegewebige und muskuläre Strukturen
- Perforierend in Körperhöhlen und Hohlorgane
Fremdkörper sollten erst im Krankenhaus in Operationsbereitschaft entfernt werden!
Risswunden
- Meist unregelmäßige Wundränder, starke Blutung
Platz- und Quetschwunden
- Vorwiegend dort, wo Knochen dicht unter der Haut liegen und das Weichteilpolster fehlt
- Meist klaffende, unregelmäßige Wundränder und starke venöse Blutung
Schusswunden
- Schussverletzungen sind eine Kombination aus Riss- und Quetschwunden
- Nicht nur medizinische, sondern auch forensische Bedeutung
Ablederungen/Décollements
- Abreißen von Haut und subkutanem Fettgewebe mitsamt Gefäßen der darunterliegenden Faszie
- Gefahr der Nekrose des Haut- und Weichteillappens
Amputationsverletzungen
- Total: Körperteil ist komplett abgetrennt
- Subtotal: Der Körper ist über eine Gewebebrücke noch mit dem abgetrennten, meist ischämischen Glied verbunden
- Therapie: Primär Blutstillung durch Druckverband , Hochlagern, Replantation bei Abtrennung des Daumens zentral des IP-Gelenkes oder Abtrennung mehrerer Finger
- Siehe auch Amputation
Weitere akute Wunden und Verletzungen
Wundheilung
Mechanismen der Wundheilung
Ein Gewebedefekt kann grundsätzlich über mehrere Mechanismen durch den Körper verschlossen werden, die physiologischen Phasen der Wundheilung werden im Folgenden zusammengefasst [1].
Regeneration
- Epitheliale Wundheilung: Nach Verletzung der Epidermis oder von Schleimhäuten
- Vollständige Abheilung der Wunde durch Regeneration der Epithelien, also Bildung neuer Zellen
- Verlorenes Gewebe wird durch gleiches ersetzt, keine Narbenbildung („Restitutio ad integrum“)
Reparation
- Primäre Wundheilung: Nah aneinanderliegende Wundränder (z.B. bei chirurgisch verschlossenen Wunden) werden bei komplikationsloser Abheilung durch neu gebildetes Bindegewebe verschlossen
- Sekundäre Wundheilung: Klaffende und offen behandelte Hautwunden werden zunächst mit Granulationsgewebe ausgefüllt, danach beginnt die Reepithelialisierung
- Ausgeprägte Phasen der Wundheilung und längere Heildauer
- Gefahr der Bildung einer chronischen Wunde
Bei der Narbenbildung im Rahmen einer Wundheilung wird der Wunddefekt durch unspezifisches Bindegewebe gefüllt!
Phasen der Wundheilung und Narbenbildung
- Exsudative Phase (Entzündung und Resorption): Tag 1–4
- Nach kurzer Vasokonstriktion primäre Blutstillung durch Thrombozytenaggregation und Fibrinagglutination
- Vasodilatation mit Invasion von Leukozyten
- Bildung von Wundsekret aus Blut und Lymphe
- Proliferative Phase (Granulation): Tag 2–16
- Granulationsgewebe entsteht durch Makrophagen, Fibroblasten, Angioblasten und Keratinozyten
- Reparative Phase (Epithelialisierung): Etwa ab Tag 7 [2]
- Ausreifung des Bindegewebes , Abschließen der Epithelialisierung
- Kontraktion durch Wasserverlust
- Hautanhangsgebilde können nicht ersetzt werden
- Melanozyten sind nicht regenerierbar, daher bleibt das neu entstandene Gewebe hell
Erstversorgung
Zu prüfen, bevor eine primäre Wundversorgung durchgeführt werden kann:
- Alter der Wunde
- Vor weniger als 6–8 h: Naht möglich, primäre chirurgische Wundversorgung
- Über 8 h her: Offene Wundversorgung
- Ausmaß der Wunde
- Länge, Breite und Tiefe
- Verletzung benachbarter Strukturen
- pDMS prüfen: (Periphere) Durchblutung, Motorik, Sensibilität
- Art der Wunde
- Verschmutzungsgrad, z.B. sollten Tier- und Menschenbisse aufgrund des hohen Infektionsrisikos stets offen versorgt werden
- Wundränder (glatt oder unregelmäßig)
- Lokalisation: Durchblutung und Heilung besser am Kopf als an den Extremitäten
Bei allen Wunden immer pDMS (periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität) testen!
Chirurgische Wundversorgung
Antiseptika
- Anwendung: Präventiv und therapeutisch zum Schutz vor Wundinfektion
- Pro und Contra
- Erwünschte Mikrobiozide versus unerwünschte zytotoxische Wirkung abzuwägen
- Gutes Verhältnis bei Polihexanid, bspw. Serasept® und Octenidindihydrochlorid, bspw. Octenisept®
- Rote-Hand-Brief zu Octenisept®: Schwere Gewebeschäden möglich bei Wundspülung unter Druck mit Octenisept® und fehlender Abflussmöglichkeit [3][4]
Zelltod durch Povidon-Iod, deshalb nur kurzzeitige Anwendung bei der primären Wundversorgung!
Spülen unter Druck mit Octenidindihydrochlorid und insb. die Einbringung in tiefere Gewebeschichten kann aseptische Nekrosen erzeugen!
Primäre chirurgische Wundversorgung (nach Friedrich, 1916)
Primärnaht
- Indikation: Saubere, glatt begrenzte und adaptierbare Wunden
- Material
- Handschuhe, Einmalkittel, Mundschutz und Kopfhaube
- Tupfer/Kompressen
- Hautdesinfektionsmittel
- Wundabdeckung
- Chirurgische Pinzette, Fadenschere
- Nadelhalter, Skalpell, armierter Faden
- Lokalanästhetikum , Spritze , Injektionsnadel
- Ggf. Wundspüllösung
- Durchführung
- Reinigung und Desinfektion, siehe auch Wundinfektion
- Infiltrationsanästhesie
- Inspektion und Wundreinigung
- Größere Fremdkörper mit (Splitter‑)Pinzette entfernen
- Vorsichtiges Spülen der Wunde mit der Knopfkanüle
- Avitales Gewebe abtragen
- Ggf. Exzision der Wundränder
- Spannungsfreie Wundadaptation mit Nahtmaterial (siehe auch: Naht- und Knotenkunde)
- Steriler Verband
- Tetanusschutz: Impfung gemäß STIKO-Empfehlungen (Impfschema bei Verletzungen)
- Antibiotische Therapie und Resistenzprüfung bei Erregernachweis bzw. als kalkulierte antibiotische Therapie bei erhöhtem Infektionsrisiko
- Eventuell Ruhigstellung bei Extremitätenverletzung
- Fadenzug im Gesicht nach 4–6 Tagen, am Rumpf nach 5–10 Tagen , an den Extremitäten nach 10–14 Tagen
6–8-Stundenregel: Verletzungen, die älter als 6–8 h sind, sollten aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos nicht primär verschlossen werden!
Verzögerte Primärnaht bzw. Sekundärnaht
- Indikation: Als Option bei hoher Infektionsgefahr
- Verzögerte Primärnaht: Primär offene Wundbehandlung, Adaptation der Wundränder 2–7 Tage nach der Verletzung vor Ausbildung von Granulationsgewebe
- Sekundärnaht: Primär offen, Adaptation der Wundränder nach frühestens 8 Tagen bei Ausbildung von Granulationsgewebe am Wundgrund
- Meist Mobilisation der Wundränder nötig
- Vorteile: Ungehinderter Sekretabfluss, Rückgang des Wundödems, Möglichkeit des erneuten Débridements, Vermeidung gefährlicher anaerober Keiminfektionen wie Tetanus und Gasbrand
Offene Wundversorgung
- Indikation: Bei schmutzigen, infizierten, zerfetzten oder fremdkörperhaltigen Wunden sowie bei Biss- oder kontaminierten Stichverletzungen
- Durchführung
- Wundreinigung, evtl. Débridement in Lokalanästhesie
- Abfluss gewährleisten (z.B. durch Lasche, Gazestreifen)
- Feuchter Verband und Ruhigstellung
- Nach 3–8 Tagen evtl. Sekundärnaht
- Tetanusschutz: Impfung gemäß STIKO-Empfehlungen (Impfschema bei Verletzungen)
- Antibiotische Therapie bei erhöhtem Infektionsrisiko
Vakuumtherapie (Vacuum Assisted Closure, VAC)
- Definition: Sonderform des feuchten Wundverbandes mit luftdichter Abdeckung der Wundfläche und Anlage eines Unterdrucks
- Indikation: Schlecht heilende Wunden (z.B. chronische Ulcera cruris, Dekubitus) oder primär operativ nicht zu verschließende Wunden (z.B. nach chirurgischer Sanierung großer Weichteildefekte oder bei abdominellem Kompartmentsyndrom, sog. „Platzbauch“)
- Ziele und Vorzüge
- Entfernung entzündlicher Wundsekrete und Abdichtung der Wunde mittels Folie → Entstehen eines keimarmen und feuchten Milieus
- Vakuum als Wachstumsreiz → Bildung von Granulationsgewebe und Förderung der Gefäßeinsprossung → Adaptation der Wundränder und Reduktion der Wundtiefe
- Durchführung
- Ein primär chirurgisches Débridement des Wundgrundes ist Grundvoraussetzung für eine Vakuumtherapie
- Auflegen eines sterilen Schaumstoffs auf die Wunde
- Abkleben des Wundgebietes und des Schaumstoffes mit einer luftdichten, sterilen Folie
- Einschneiden der Folie und Einlage des Drainageschlauches in den Schaumstoff
- Anschließen einer Redon-Flasche oder einer Vakuumpumpe an die austretenden Schläuche zum Aufbau eines Sogs
- Anschalten der Vakuumpumpe; bei luftdichtem Wundverschluss zieht sich der Schwamm deutlich zusammen, bei Leckage muss Folie nachgeklebt werden
- Empfohlener Unterdruck (Vakuumsog) variiert je nach Wunde und Konvention des Hauses, bspw. 75–125 mmHg
- Wechsel nach 2–5 Tagen, bei hoher Schmerzintensität unter Narkose
- Kontraindikationen
Plastische Hautdeckung
Ist ein primärer Wundverschluss nicht möglich und eine Sekundärheilung der Wunde keine Option , sollte eine plastische Sanierung des Hautdefekts angestrebt werden. Nachfolgend werden verschiedene Optionen mit zunehmender Schwierigkeit und Invasivität dargestellt.
Hauttransplantation
- Spalthauttransplantation
- Transplantat: Epidermis und oberer Anteil (¼–¾) der Dermis (unter Belassen der Hautanhangsgebilde)
- Indikation: Größere Defekte bei Verbrennungen, Wundheilungsstörungen oder chronischen Wunden in mechanisch weniger beanspruchten Bereichen
- Voraussetzung: Sauberer, gut perfundierter Wundgrund (Nährstoffversorgung des Transplantats erfolgt über Diffusion)
- Vorteile
- Gute Anheilungstendenz
- Nur oberflächlicher Sekundärdefekt im Entnahmebereich, der nicht gedeckt werden muss
- Nachteile
- Heilung unter Narbenbildung
- Pigmentverschiebung
- Kontraktionsneigung
- Verminderte Belastbarkeit
- Sonderform: „Meshgraft“
- Durch gitternetzartige Inzisionen Dehnung auf das 3- bis 6-fache der Ausgangsgröße
- Gut geeignet für große Hautdefekte
- Vollhauttransplantation
- Transplantat: Epidermis und Dermis (unter Mitnahme der Hautanhangsgebilde)
- Indikation: Defekte in mechanisch beanspruchten (bspw. Hände) und kosmetisch relevanten Bereichen (bspw. Gesicht)
- Voraussetzung: Sauberer, gut perfundierter Wundgrund (Nährstoffversorgung des Transplantats erfolgt über Diffusion)
- Vorteile: Kosmetisch günstige Ergebnisse
- Nachteile
- Hohes Nekroserisiko
- Sekundärdefekt im Entnahmebereich
- Ursprung des Transplantats
- Autogenes Transplantat
- Allogenes bzw. xenogenes biologisches Transplantat
- Kulturell gezüchtetes autologes Transplantat
- Alloplastisches (synthetisches) Transplantat
Die Hauttransplantation ist bei kontaminierten Wunden und insuffizienter Blutversorgung kontraindiziert!
Lappenplastik
- Transplantat: Hauttransplantat, muskulokutanes Transplantat, Fettgewebstransplantat etc.
- Indikation
- Unterscheidung nach Lokalisation
- Lokale Lappenplastik : Gewebe aus unmittelbarer topografischer Nähe zum Wunddefekt
- Voraussetzungen
- Erhaltene Perfusion des benachbarten Gewebes
- Keine ausgeprägten entzündlichen, traumatischen oder postradiogenen Weichteilschäden
- Begrenztes Länge-Breite-Verhältnis der Lappenplastik aufgrund der Perfusion über die Lappenbasis
- Voraussetzungen
- Fernlappenplastik: Gewebe aus nicht unmittelbar benachbarten oder aus ferner liegenden Körperregionen
- Lokale Lappenplastik : Gewebe aus unmittelbarer topografischer Nähe zum Wunddefekt
- Unterscheidung nach Gefäßversorgung
- Zufällige Gefäßversorgung (Randomized Pattern Flap): Diffuse Nährstoffversorgung über dermal-subdermalen Gefäßplexus
- Axiale Gefäßversorgung (Axial Pattern Flap, gestielte Lappenplastik): Gefäßversorgung über ein definiertes, in Längsrichtung im Lappen verlaufendes Gefäß
- Unterscheidung nach Gefäßanschluss
- Gestielte Lappenplastik: Die Lappenplastik bleibt entweder temporär oder dauerhaft über einen Gefäßstiel mit der Entnahmeregion verbunden
- Freie Lappenplastik: Mikrochirurgisch angeschlossene Lappenplastik
- Vorteile
- Lokale Lappenplastiken: Gutes kosmetisches Ergebnis durch Rekonstruktion mit Gewebe der benachbarten Regionen
- Gestielte/freie Lappenplastik: Einsatz auch bei großen Wunddefekten möglich
- Nachteile
- Mitunter Notwendigkeit einer Defektdeckung der Entnahmestelle
- Je nach Art der Lappenplastik ist eine temporäre Ruhigstellung der betroffenen Region zum Schutz des Transplantats und ein zweizeitiges Vorgehen nötig
Wundauflagen
- Ziel ist die Aufrechterhaltung eines physiologischen Wundmilieus, also einer guten Balance von Temperatur und Feuchtigkeit
- Trockene versus feuchte Wundbehandlung
- Moderne Wundauflagen müssen bestimmten Qualitätskriterien entsprechen
- Vor dem Anbringen von Wundauflagen muss das Wundbett durch Reinigung vorbereitet werden
- Wahl der Wundauflage je nach Wunde und Behandlungsziel
Auflage | Eigenschaften | Indikation | Kontraindikationen |
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Kompressen |
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Wundgaze |
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Semipermeable Polyurethan-Folien |
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Hydrogele bzw Polyurethan-Polymere |
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Hydrokolloide |
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Polyurethan-Schaumstoffe und Hydropolymere |
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Laminat-Kompressen |
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Hydrofaser-Auflagen |
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Weichschaum-Kompressen |
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Aktivkohle-Kompressen |
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Silberhaltige Wundauflagen |
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Akute Wundkomplikationen
Serom
- Definition: Ansammlung von serösem Exsudat (Lymphe, Serum) in Hohlräumen im Wundbereich
- Ätiologie: Offene Lymphbahnen, Reizzustände, Transsudate bei Eiweißmangel
- Therapie: Sterile Punktion, Anlage eines leichten Kompressionsverbandes
Wundhämatom
- Definition: Ansammlung von Blut in Hohlräumen im Wundbereich
- Therapie: Operative Ausräumung, Drainageanlage
- Komplikationen: Erhöhte Infektionsgefahr, da guter Nährboden für Keime
Wundrandnekrosen
- Definition: Schlecht durchblutete Wundränder
- Ätiologie: Mangelhafte Nahttechnik, Traumatisierung oder inadäquate Schnittführung
- Therapie: Trockene Nekrosen trocken halten, feuchte Nekrosen abtragen (s. Wundauflagen)
Wunddehiszenz
- Definition: Sekundäres Auseinanderweichen der Wundränder einer durch Naht verschlossenen Wunde
- Einteilung: Nach betroffenen Gewebeschichten
- Grad 1: Dehiszenz von Haut/Subkutis
- Grad 2: Inkomplette Wundruptur, Haut und/oder Peritoneum bleiben intakt, die Folge ist eine Narbenhernie
- Grad 3: Komplette Wundruptur, alle Wandschichten sind betroffen, die Folge ist ein Platzbauch
Es muss immer eine Fasziendehiszenz ausgeschlossen werden!
Wundinfektion
- Begriffsklärung
- Kontamination: Ein Erreger gelangt in die Wunde und haftet am Gewebe
- Kolonisation: Ein Erreger vermehrt sich in/auf der Wunde
- Lokale Infektion: Reaktion mit Entzündung und Exsudat
- Generalisierte Infektion: Systemische Entzündungsreaktion, Sepsis
- Management
- Erregernachweis: Am besten durch mikrobiologischen Abstrich nach der Entfernung von Belägen und vor Antiseptik
- Allgemeine Maßnahmen: Wichtigste Intervention!
- Ggf. Nekrosektomie und Débridement
- Optimierung des Wundmilieus (Mikrozirkulation, Wundauflagen)
- Mechanische und antiseptische Reduktion der Kontamination
- Antibiotische Therapie: Im lokalen Stadium Einzelfallentscheidung, immer und spätestens jedoch bei Zeichen der systemischen Infektion, Risiko einer Sepsis hoch!
- Bei nicht-beherrschbarer Infektion: Konsequente Wundexzision inkl. subkutaner Strukturen, ggf. bis zur Sehne/Faszie
- Prophylaxe: Das Risiko einer Wundinfektion kann durch Spülung mit Antiseptika im Rahmen der Erstversorgung deutlich gesenkt werden
Wundheilungsstörung
- Klinik: Nicht phasengerecht verheilende Wunde mit Dehiszenz, ggf. Wundinfektion, fakultative Symptome sind
- Erhöhte Hautsensibilität
- Zunehmende Schmerzen
- Hautverfärbungen
- Risikofaktoren
- Gewebehypoxie: Mangelnde Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff, z.B. bei arteriosklerotischen Erkrankungen (pAVK!)
- Diabetes mellitus: Stark erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen
- Medikamente: Zytostatika, Immunsuppressiva, Antikoagulantientherapie, Psychopharmaka
- Weitere Faktoren
- Konsumierende Erkrankungen
- Malnutrition
- Hohes Lebensalter
- Adipositas
- Nikotinabusus
- Lokale morphologische Besonderheiten
Die Optimierung der Behandlung von Risikofaktoren einer Wundheilungsstörung ist von elementarer Bedeutung!
Chronische Wunden
- Definition: Defektwunden der Haut, die innerhalb von vier Wochen nach Entstehung keine (ausreichende) Heilungstendenz aufweisen
- Ursache: Oft Symptom einer chronischen Grunderkrankung
- Therapie
- Meist konservatives Vorgehen: Feuchte Wundauflagen zum physikalischen oder autolytischen Débridement, ggf. Vakuumtherapie
- Bei ausgeprägten oder persistierenden Befunden: Chirurgisches Débridement, Hauttransplantation
Besondere Wunden
Messerstichverletzung / Verletzung durch spitzen Fremdkörper
- Management
- Erstversorgung: Fremdkörper in der Wunde belassen
- Abdichtende bzw. tamponierende Wirkung!
- Gefahr der Blutung durch Entfernen des Fremdkörpers
- Klinische Versorgung: Entfernung des Fremdkörpers im OP mit umgehender chirurgischer Versorgung der Komplikationen
- Abdominelle Verletzungen: Diagnostische Laparoskopie/Laparotomie
- Erstversorgung: Fremdkörper in der Wunde belassen
Fremdkörper sollten erst im Krankenhaus in Operationsbereitschaft entfernt werden!
Wunden der Hand
- Besonderheit: Viele funktionell wichtige Strukturen befinden sich auf engstem Raum, daher gelten hier besondere Regeln der Sorgfalt bei der Wundversorgung
- Diagnostik
- Verletzungsmuster: Beschreibung des Unfallmechanismus
- Impfstatus (siehe Impfschema bei Verletzungen)
- Beurteilung der Wunde
- Funktionelle Ausfälle
- Ggf. weiterführende bildgebende Diagnostik
- Therapie
- Weitere Versorgung in Lokalanästhesie
- Sparsame Wundausschneidung
- Ggf. Schnitterweiterungen zur Sicherung des Sekretabflusses und zur Verhinderung von Wundrandspannung
Nadelstichverletzung
Vorgehen bei Nadelstichverletzung (NSV) [5][6][7]
- Definition der Nadelstichverletzung: Im engeren Sinne Stichverletzungen, im weiteren Sinne auch Schnitt- oder Kratzverletzungen mit potenziell infektiösen medizinischen Instrumenten sowie Kontaminationen von Schleimhaut oder nicht intakter Haut mit Patientenblut
- Sofortmaßnahmen
- Verletzung mit offener Wunde
- Wunde für mind. 1 min bluten lassen [8]
- Spreizen von Stichkanal/Schnittverletzung, ggf. Reinigen der Wunde mit Wasser und Seife, anschließend intensive Desinfektion
- Kontamination von Augen oder Schleimhäuten
- Mehrfaches Spülen mit Wasser oder isotonischer Kochsalzlösung oder 1:4 verdünnter wässriger Iodlösung
- Bei Kontamination der Mundschleimhaut: Sofortiges Ausspucken des Materials
- Kontamination geschädigter Haut: Waschen mit Wasser und Seife, danach Abreiben mit einem in Hautantiseptikum getränkten Tupfer
- Generell
- Unverzügliche Vorstellung beim zuständigen Arzt zur infektiologischen Beratung
- Bei Arbeitsunfall zusätzlich BG-ärztliche Vorstellung und Erstellen eines Berichts durch den D-Arzt
- Verletzung mit offener Wunde
- Anamnese
- Unfallhergang
- Impfstatus des Verletzten (Hepatitis B und Tetanus), ggf. Tetanus-Auffrischimpfung (siehe auch: Impfschema bei Verletzungen)
- Bei bekannter Indexperson: Infektionsstatus/-risiko für HIV, HCV und HBV ermitteln
- Blutentnahme
- Weitere Maßnahmen und Nachsorge
- Postexpositionsprophylaxe bei begründetem Verdachtsfall (siehe auch: Postexpositionsprophylaxe bei Hepatitis B, HIV-Postexpositionsprophylaxe)
- Weitere Betreuung durch Betriebsarzt und Blutentnahmen i.d.R. nach 6 Wochen, 3 und 6 Monaten (Anti-HIV, Anti-HCV und ggf. HBV)
Als vereinfachte Merkhilfe für das Übertragungsrisiko nach Nadelstichverletzung bei bekannter positiver Indexperson gilt die Dreier-Regel: 30%-iges Risiko für Hepatitis B, 3%-iges Risiko für Hepatitis C und 0,3%-iges Risiko für HIV.
Bisswunden
- Definition: Mit Bakterien der Mundflora kontaminierte Wunde mit konsekutiv erhöhtem Infektionsrisiko
- Ätiologie und Epidemiologie
- Inzidenz: 30.000–50.000 Bissverletzungen/Jahr in Deutschland [10]
- Verursacher: 80–90% der Bissverletzungen durch Hunde oder Katzen [11]
- Lokalisation: Häufig rechte Hand [11]
- Erreger
- Staphylokokken, Streptokokken und Anaerobier, Pasteurella multocida, Capnocytophaga spp., Bartonella spp.
- Bei Menschenbiss: Mannheimia haemolytica, Haemophilus spp., Eikenella corrodens
- Diagnostik
- Bildgebung: Zum Ausschluss von knöchernen Verletzungen und/oder Fremdkörpern
- Ausführliche Dokumentation (ggf. fotografisch)
- Therapie
- Operative Behandlung
- Indikation: Akut und verspätet vorgestellte Bissverletzungen
- Wundreinigung und Débridement
- Wundversorgung [11]
- Offene Wundversorgung
- Primärnaht
- Postoperative Ruhigstellung mit täglicher Wundbeurteilung
- Medikamentöse Behandlung
- Tetanusschutz: Impfung gemäß STIKO-Empfehlungen (Impfschema bei Verletzungen)
- Bei V.a. Tollwut: Postexpositionelle Immunprophylaxe bei Tollwut-Verdacht
- Antibiotische Infektionsprophylaxe
- Indikation: Keine generelle Empfehlung [11]
- Aminopenicillin plus β-Laktamase-Inhibitor, bspw. Amoxicillin/Clavulansäure [12] oder Ampicillin/Sulbactam [13], bei Penicillinallergie bspw. Doxycyclin [14] oder Ertapenem [15]
- Antibiotische Therapie bei Infektion
- 1. Wahl Amoxicillin/Clavulansäure
- Dauer: 5–10 d
- Operative Behandlung
Systemische Antibiotikatherapie bei infizierten Bissverletzungen [9] | |
---|---|
Indikation | Antibiotikum der Wahl (Erwachsene) |
Hunde- oder Katzenbiss |
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Menschenbiss |
|
Pädiatrische Dosierungen | Siehe: Amoxicillin/Clavulansäure (pädiatrisch); Ampicillin/Sulbactam (pädiatrisch); Cefuroxim (pädiatrisch); Clindamycin (pädiatrisch); Metronidazol (pädiatrisch); Piperacillin/Tazobactam (pädiatrisch); Doxycyclin (pädiatrisch); Ertapenem (pädiatrisch) |
- Komplikationen
- 10–20% aller Bisswunden führen zu einer Wundinfektion [21][22]
- Septische Arthritis, bspw. Fight-Bite-Injury
- Verletzung tiefer liegender Strukturen, bspw. Sehnenverletzungen der Hand
- Phlegmone
- Narbenbildung
- Plastische Deckung verbliebener Defekte
- Bewegungseinschränkungen, funktionelle Einschränkungen
- Posttraumatische Belastungsstörung
Die Indikation zur Antibiotikaprophylaxe bei Bissverletzungen sollte großzügig gestellt werden!
Dekubitus
Definition
- Lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden Gewebes, i.d.R. über knöchernen Vorsprüngen, an sog. Druckstellen
Epidemiologie
- Prävalenz: Abhängig von Pflegebedürftigkeit und Versorgungszustand beträgt die Prävalenz in DE [23]
- 20% für Pflegebedürftige in häuslicher Umgebung
- 8% in Krankenhäusern
- 4% für geriatrische Kliniken und Altenheime
Pathophysiologie
- Entstehung ischämischer Nekrosen durch lokale Minderperfusion durch
- Druck: Einfacher Aufliegedruck bzw. Druck in Kombination mit Scherkräften oder erhöhter Gewebedruck durch Ödeme
- Zeit: Einwirkungsdauer des Druckes auf das Gewebe
Prädilektionsstellen
- Betroffen sind insb. Regionen über knöchernen Vorsprüngen
- Kreuz- und Steißbein
- Sitzbein
- Trochanter major
- Ferse
- Lateraler Malleolus
Risikofaktoren Dekubitusentstehung (Verminderte Toleranz gegenüber Druckeinwirkung)
- Bettlägerigkeit bzw. Bewegungseinschränkung (Kontrakturen)
- Lokale Pathologien
- Hautkrankheiten oder lokale Irritationen (auch Narben) und Verletzungen
- Hautmazeration bei Harn- und/oder Stuhlinkontinenz
- Anatomische Veränderungen (z.B. Skoliose, Amputation)
- Systemische Faktoren
- Alter
- Durchblutungsstörungen
- Fehlernährung (Adipositas oder Kachexie)
- Chronischer Alkohol-, Drogen- und Nikotinabusus
Diagnostik
- Anamnese: Entstehung der Wunde, unter besonderer Berücksichtigung der Risikofaktoren
- Klinische Untersuchung
- Einstufung der Wunden nach Klassifikation
- Bei klinischen Infektzeichen: Abstrich zur bakteriologischen Untersuchung und ggf. Bestimmung laborchemischer Entzündungsparameter
- Bei malignomverdächtigen Hautveränderungen: Entnahme einer Gewebeprobe zur histologischen Untersuchung
- Bildgebung
- Konventionelles Röntgen in 2 Ebenen zur Abklärung einer knöchernen Beteiligung
- Sonografie zur Einschätzung von Weichteilprozessen
- Doppler-Sonografie zur Beurteilung der vaskulären Situation
- Je nach zugrundeliegender Grunderkrankung weitere Diagnostik
Klassifikation [24]
- Bei Vorliegen von Blasen, Schorf oder starkem Belag kann die Zuordnung schwierig sein
- Stadieneinteilung des Dekubitus nach EPUAP , NPUAP und PPIA 2014
- Grad I: Nicht-wegdrückbare Rötung bei intakter Haut
- Grad II: Teilverlust der Haut bis in die Dermis, die als flaches Ulcus mit einem roten/rosafarbenen Wundbett ohne Beläge in Erscheinung tritt
- Grad III: Zerstörung aller Hautschichten, so dass subkutanes Fett sichtbar sein kann, jedoch keine Knochen, Muskeln oder Sehnen.
- Grad IV: Vollständiger Gewebeverlust mit freiliegenden Knochen, Sehnen oder Muskeln; Belag und Schorf können vorliegen.
- Keinem Stadium zuzuordnen: Vollständiger Gewebeverlust, bei dem der Wunddefekt jedoch durch Beläge und Schorf gedeckt ist, die wirkliche Tiefe kann vor einem Freilegen nicht bestimmt werden
- Tiefe unbekannt: Veränderungen bei intakter Haut , die auf eine tiefe Gewebeschädigung schließen lassen
Therapie
- Prävention: Schwerpunkt der medizinischen Maßnahmen ist die Dekubitusprophylaxe
- Bei gefährdeten Patienten regelmäßiger Lagewechsel im 2-stündigen Intervall nach folgendem Rhythmus: Rückenlage → 30° rechte Seitenlage → Rückenlage → 30° linke Seitenlage
- Wechseldruckmatratze
- Hautpflege
- Optimierung der Ernährung
- Siehe auch AMBOSS-Pflegewissen: Dekubitusprophylaxe
- Stadiengerechte Therapie
- Grad I: Absolute Druckentlastung bis zur vollständigen Abheilung
- Grad II: Primär konservatives Wundmanagement mittels Wundauflagen
- Grad III und IV: Primär operative Therapie, ggf. mit plastischer Deckung
- Wundkonditionierung
- Wundverschluss
Druckentlastung und regelmäßige Hautpflege stellen die Grundlagen der Dekubitustherapie und -prävention dar!
Studientelegramme zum Thema
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 61-2022-1/3: Restock your aspirin and laceration repair kits - it’s almost Halloween!
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Patienteninformationen
AMBOSS-Podcast zum Thema
Humanitäre Hilfe – Zwischen Adrenalin und Demut (August 2021)
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