Zusammenfassung
Beim Priapismus handelt es sich um einen akuten urologischen Notfall, der wenn möglich innerhalb eines Zeitfensters von 4 bis 6 Stunden (spätestens 12 Stunden) behandelt werden muss. Meist ist die Ursache idiopathisch. Andere Gründe können verschiedene Medikamente, eine Schwellkörperautoinjektionstherapie sowie neurologische oder tumoröse Erkrankungen sein. Diagnostisch wird über eine Blutgasanalyse des Schwellkörpers zwischen ischämischen und nicht-ischämischen Formen des Priapismus unterschieden. Die Therapie des Low-Flow-Priapismus besteht in der Punktion des Schwellkörpers, der Extraktion von bis zu 500 mL Blut sowie einer Injektion von verdünnten Sympathomimetika. Bei Behandlung innerhalb von 12 Stunden ist eine Restitutio ad integrum möglich, während eine spätere Therapie über eine fortschreitende Fibrosierung des Schwellkörpergeflechts zu irreparablen Schäden und einem möglichen dauerhaften Verlust der Erektionsfähigkeit führen kann. Beim High-Flow-Priapismus ist i.d.R. keine Therapie notwendig.
Definition
- Dauererektion über >2–4 h, unabhängig von sexueller Erregung [1][2]
Epidemiologie
- Inzidenz ca. 1–3/100.000 [3]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Idiopathisch: Ca. 30%
-
Exogene Einflüsse
- Medikamente (z.B. unselektive α1AR-Antagonisten, Tamsulosin und Alfuzosin, Antihypertensiva, Psychopharmaka) und Drogen (z.B. Kokain, Alkohol): Ca. 20% [4]
- SKAT (Schwellkörperautoinjektionstherapie ) [3]
- Neurologisch (z.B. Rückenmarkskompression)
- Einschränkung des venösen Abflusses
- Tumorinfiltration
- Schwellung bei perinealem Trauma
- Leukämischer Priapismus bei chronisch myeloischer Leukämie (CML)
- Risikofaktor: Sichelzellkrankheit
Pathophysiologie
Low-flow-Priapismus (ca. 90–95% der Fälle)
- Ischämie durch Versagen der physiologischen Detumeszenz (für den Ablauf der physiologischen Tumeszenz siehe: Erektion)
- Schwellkörperdruckerhöhung über diastolischem Druck ⇒ somit keine Perfusion mehr ⇒ venöse Stase in den Corpora cavernosa (Corpus spongiosum nicht betroffen)
- Lähmung der glatt-muskulären Schwellkörpermuskeln durch Ischämie
- Verstärkung des Priapismus ⇒ Circulus vitiosus
High-flow-Priapismus (ca. 5–10% der Fälle)
- Übermäßiger arterieller Einstrom bei suffizientem venösen Abfluss
- Keine Ischämie
Symptomatik
- Low-flow-Priapismus: Pralle, schmerzhafte Dauererektion
- High-flow-Priapismus: Etwas weniger pralle, nicht schmerzhafte Dauererektion
Diagnostik
- Anamnese, insb.
- Blutuntersuchung
- Kleines Blutbild
- Ggf. Drogenscreening
- Ggf. Differenzialblutbild und Bestimmung von HbS zur Identifikation einer Sichelzellkrankheit
- BGA aus dem Schwellkörper
- Low-Flow-Priapismus: Hypoxie, Hyperkapnie und Azidose
- High-Flow-Priapismus: Reguläre Werte
- Farbdopplersonografie
- Low-Flow-Priapismus: Geringer arterieller Blutfluss
- High-Flow-Priapismus: Unregelmäßige, hohe arterielle Blutflussgeschwindigkeit mit gutem venösen Abfluss
Therapie
Low-Flow-Priapismus [3][5]
Beim Low-Flow-Priapismus handelt es sich um einen urologischen Notfall! Eine Therapie sollte wenn möglich innerhalb von 4–6 Stunden, spätestens jedoch innerhalb eines Zeitfensters von 12 Stunden erfolgen, da ansonsten mit dauerhaften Schäden (Fibrosierung der Corpora cavernosa mit irreversibler Impotenz) zu rechnen ist!
- Konservativ
- Monitoring
- Evtl. Analgosedierung
- Beidseitige Schwellkörperpunktion mit großlumiger Venenverweilkanüle: Blutgasanalyse und Aspiration von bis zu 500 mL Blut
-
Injektion von α-Adrenozeptor-Agonisten in den Schwellkörper unter Monitoring, z.B.
- Adrenalin
- Noradrenalin
- Veraltet: Etilefrin
- Bei Sichelzellkrankheit: Vermeidung einer weiteren Verklumpung der Erythrozyten
- Operativ
- Indikation: Versagen der konservativen Therapie [6]
- Methode: Eröffnung der Corpora cavernosa über die Glans penis und Einlage von Shunts
- Winter-Shunt (Methode der 1. Wahl, Erfolgsrate bei ca. 66%): Beidseitige Punktion der Corpora cavernosa durch die Glans, Aspiration des Blutes, Spülung, Injektion von α-Adrenozeptor-Agonisten
- Nachsorge
- Analgetika, Antibiotika
- Lokale Kühlung
- Behandlung der Grunderkrankung (Rezidivprophylaxe!)
High-Flow-Priapismus
- I.d.R. keine Therapie notwendig, Überwachung, Kühlung und Kompression
- Bei ausbleibender Besserung: Ggf. selektive Arterienembolisation [5][6]
Prognose
- Low-Flow-Priapismus: Erektile Dysfunktion in 30–50% der zu spät oder unbehandelten Fälle [5]
- Nach operativer Therapie (frustrane konservative Therapie): Erektile Dysfunktion bei ca. 50–90%
- Ultima Ratio: Penisprothese
- High-Flow-Priapismus: Bei konservativer Therapie innerhalb des Zeitfensters meist Restitutio ad integrum
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N48.-: Sonstige Krankheiten des Penis
- N48.3-: Priapismus (Schmerzhafte Dauererektion)
- N48.30: Priapismus vom Low-Flow-Typ
- N48.31: Priapismus vom High-Flow-Typ
- N48.38: Sonstiger Priapismus
- N48.39: Priapismus, nicht näher bezeichnet
- N48.3-: Priapismus (Schmerzhafte Dauererektion)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.