Definition
Das kleine „c“ des cABCDE-Schemas stellt eine Erweiterung des ursprünglichen Schemas dar. Kritische Blutungen nach Traumen zählen zu den häufigsten Todesursachen. Insb. im militärischen, aber auch im zivilen Umfeld hat sich gezeigt, dass eine komprimierbare Blutung eine potenziell vermeidbare Todesursache ist, wenn schnell gehandelt wird. Im klassischen ABCDE-Schema wird der Blutung jedoch erst unter „C - Circulation“ Beachtung geschenkt. Um den Fokus frühzeitig auf eine kritische Blutung zu richten, wird daher dem ABCDE-Schema das „c“ vorangestellt, um schneller auf eine lebensbedrohliche Blutung zu reagieren .
- Kritische Blutung („Critical Bleeding“)
- Extremitätenblutungen
- Rumpf- und Kopfblutungen
- Blutungen bei Beckenfraktur
- Für das allgemeine Vorgehen bei kreislaufrelevanter Blutung siehe: Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP
Für die grundlegenden Prinzipien der Notfallbehandlung siehe: Notfallmanagement - Grundlegende Prinzipien
Basismaßnahmen und Diagnostik
Es sollen nur lebensbedrohliche, gut zugängliche Blutungen behandelt werden. Es darf nicht durch aufwendige Maßnahmen zu einer Verzögerung des Ablaufes des cABCDE-Schemas kommen!
Versorgung kritischer Extremitäten-, Rumpf- und Kopfblutungen
Algorithmus zur Versorgung kritischer Extremitäten-, Rumpf- und Kopfblutungen [1]
Die Versorgung kritischer Rumpf- und Kopfblutungen unterscheidet sich nicht von der Versorgung kritischer Extremitätenblutungen mit der Ausnahme, dass ein Tourniquet aufgrund der anatomischen Gegebenheiten bei Rumpf- und Kopfblutungen nicht zum Einsatz kommen kann.
- Hochlagern des betroffenen Körperteils
- Kompression
- Manueller Druck
- Anschließend: Druckverband
- Wound Packing, ggf. mit Hämostatika: Bei weiter bestehender kritischer Blutung
- Anlage eines Tourniquets: Bei weiter bestehender kritischer Extremitätenblutung
- Mit regelmäßiger Reevaluation und ggf. Anpassung oder Umstieg auf andere Maßnahmen
- Permissive Hypotonie: Bei nicht ausreichender Blutstillung
Sonderfälle bei kritischen Extremitätenblutungen [1]
- Indikationen zur sofortigen Anlage eines Tourniquets
- Lebensgefährliche Blutung oder multiple Blutungen
- Verletzung nicht zugänglich
- Mehrere Verletzte zu versorgen
- Schwere Blutung bei gleichzeitigem Vorliegen eines kritischen A-, B- oder C-Problems
- Versorgung in einer Gefahrensituation oder in Dunkelheit
In bestimmten Fällen sollte bei kritischen Extremitätenblutungen sofort ein Tourniquet (bei ausreichender Zeit mit anschließendem Wound Packing) angelegt werden!
Erstmaßnahmen zur Versorgung kritischer Extremitäten-, Rumpf- und Kopfblutungen
Kompression
- Ausüben manuellen Drucks
- Druckausübung mit der Hand unmittelbar auf die blutende Wunde
- Ohne professionelles Equipment von jedem durchführbar
- Auf Eigenschutz (Handschuhe) achten
- Druckverband anlegen
- Sterile Kompresse auf die Wunde legen
- 1–2× mit einer Mullbinde umwickeln
- Druckpolster auf die Wunde legen
- Mit der restlichen Mullbinde umwickeln
- Verband fixieren
Wound Packing
- Tiefe Austamponade der Wunde mit saugfähigen Materialien
- Anschließende Kompression mittels Druckverband
- Ggf. in Kombination mit Hämostatika
Hämostatika [2]
- Definition: Gerinnungsfördernde Substanzen in Pulverform, als Stoffbeutelchen oder integriert in Verbandmaterial
- Anwendung: Direktes Aufbringen auf die Blutungsquelle
- Mögliche Substanzen
- Chitosan
- Bewirkt Vasokonstriktion und Verkleben der Erythrozyten und Thrombozyten mit der Substanz
- Wirkt auch unabhängig von der Funktionsweise des eigenen Gerinnungssystems
- Kaolin: Stimulation des intrinsischen Gerinnungssystems
- Chitosan
Tourniquet [3][4]
- Definition: Abbindesystem zur temporären Unterbrechung des arteriellen Blutflusses an einer Extremität
- Anwendungsstelle
- So weit distal wie möglich, dabei jedoch mind. 5 cm (etwa eine Handbreit) proximal der Wunde
- Ausnahmen, in denen eine möglichst proximale Anlage erfolgen sollte
- Polytraumatisierte oder kreislaufinstabile Personen
- Mehrere Blutungen an einer Extremität
- Explosionsverletzungen
- Offene Frakturen
- Versorgung in Gefahrensituation oder in Dunkelheit
- Wenn möglich, nicht über der Kleidung anlegen, da es sonst zu Druckverletzungen kommen kann
- Nicht über Gelenken anbringen, da so seine Wirkung nicht entfaltet werden kann
- Nicht über Wunden, Fremdkörpern oder offenen Frakturen anbringen
- Anwendung
- Ausreichende Analgesie sicherstellen (siehe auch: Akutschmerztherapie in der Notaufnahme) und ggf. Stabilisierung des Blutdrucks mit Theodrenalin/Cafedrin (für weitere Informationen siehe auch: Medikamentöse Kreislaufunterstützung - AMBOSS-SOP)
- Tourniquet um die Extremität legen und unter Zug schließen
- Knebel des Tourniquets fest zudrehen, bis die Blutung stoppt, und sichern
- Puls distal des Tourniquets fühlen
- Uhrzeit der Anlage vermerken
- Ggf. die Anlage eines zweiten Tourniquets proximal des ersten erwägen, wenn keine suffiziente Blutstillung erzielt wurde
- Anpassung im Verlauf
- Hintergrund: Regelmäßige Evaluierung des Tourniquets erforderlich
- Kreislaufstabilisierende Maßnahmen erhöhen den systolischen Blutdruck mit der Notwendigkeit, den durch den Tourniquet erreichten Kompressionsdruck zu erhöhen
- Eine Anwendung >2 h erhöht die Komplikationsrate
- Indikationsprüfung: Spätestens 30 min nach Anlage
- Wunde durch Kompressionsverband versorgen, ggf. kombiniert mit Wound Packing unter Verwendung von Hämostatika
- Vorsichtige Öffnung des Tourniquets, ohne diesen zu entfernen
- Bei ausreichender Blutstillung keine weitere Kompression durch Tourniquet, aber Überprüfung des Druckverbandes alle 5 min
- Sind Alternativmaßnahmen nicht ausreichend, wird das Tourniquet wieder verschlossen
- Definitive blutstillende Maßnahme: 2 h nach Anlage
- Hintergrund: Regelmäßige Evaluierung des Tourniquets erforderlich
- Komplikationen
- Verstärkung der Blutung bei nicht ausreichend appliziertem Druck
- Lokale Sensibilitätsstörungen
- Kompartmentsyndrom mit Schädigung von Haut, Muskeln, Nerven und Gefäßen
- Systemisches Reperfusionssyndrom (Tourniquet-Syndrom)
Ein falsch angelegtes Tourniquet kann u.U. eine Blutung verstärken!
Eine Kompressionstherapie ist immer nur temporär durchzuführen und muss immer wieder überprüft und an die Gegebenheiten angepasst werden!
Versorgung kritischer Blutungen bei Beckenfraktur
Versorgung kritischer Blutungen bei Beckenfraktur [1][5][6]
Beckenfrakturen sind häufig mit einem großen Blutverlust assoziiert. Eine frühzeitige mechanische Beckenstabilisierung ist daher erforderlich und sollte möglichst schon am Unfallort erfolgen. Im Rahmen des cABCDE-Schemas kann die Beckenstabilisierung schon unter „c - Critical Bleeding“ sinnvoll sein, spätestens sollte sie jedoch unter „C - Circulation“ erfolgen. Für weitere Informationen siehe auch: Notfalltherapie bei hämodynamisch instabiler Beckenringfraktur
- Indirekte Anzeichen für eine Beckenfraktur
- Spontanschmerzen im Bereich des Beckens oder Druckschmerzen bei vorsichtiger Palpation
- Sichtbare äußere Verletzungen
- Hämatome, Wunden, Schürfwunden, perineale Ekchymosen
- Beckenasymmetrie, offene Frakturen
- Beinlängendifferenz, Rotationsfehler des Beins
- Tastbare Lücke der Symphyse
- Blutungen aus Harnröhre, Vagina oder Anus
- Unfallmechanismus als Hinweis auf das Vorliegen einer Beckenfraktur
- Überrolltraumen (in 80% der Fälle mit einer Beckenfraktur vergesellschaftet!)
- Hochrasanztrauma
- Sturz aus großer Höhe
- Explosions- oder Verschüttungstrauma
Als Merkhilfe für die Indikationsstellung zur mechanischen Beckenstabilisierung kann das sog. S-KIPS-Schema dienen!
Erstmaßnahmen zur mechanischen Beckenstabilisierung [7][8]
- Anlage eines Beckengurts bzw. einer Beckenschlinge
- Reposition des Beckenrings durch geringe Innenrotation der Beine
- Ggf. vorsichtiger Ausgleich einer Beinlängendifferenz
- Anlage der Beckenschlinge auf Höhe der Trochanteren
- Anlage einer Tuchschlinge
Um eine suffiziente Kompression des Beckens zu erreichen muss der Beckengurt bzw. die Beckenschlinge auf Höhe der Trochanteren angelegt werden!
Versorgung weiterer kritischer Blutungen
Ist eine Blutstillung nicht mit einfachen Maßnahmen zu erreichen, sollten zunächst „Airway“, „Breathing“ und „Circulation“ nach dem cABCDE-Schema abgearbeitet werden und eine weitere Blutungskontrolle unter „C - Circulation“ erfolgen. Insb. innere Blutungen benötigen in den meisten Fällen eine chirurgische Therapie. Siehe hierzu auch:
- Für allgemeine Informationen
- Für spezifische Situationen siehe bspw.
Weiterführende Maßnahmen
Die Maßnahmen, die unter „c“ getroffen werden, sollen nicht zu einer Verzögerung des cABCDE-Schemas führen. Weiterführende Maßnahmen sind daher unter „Notfallmanagement - Circulation“ durchzuführen. Siehe hierzu: