Abstract
Die körperliche Untersuchung nimmt in der neurologischen Diagnostik eine zentrale Rolle ein. Anhand einer Funktionsprüfung des Nervensystems werden Informationen gesammelt, die eine Zuordnung zu einem Syndrom sowie möglicherweise auch zur Art einer Schädigung ermöglichen. Für Rückschlüsse auf den Ort einer Schädigung im Nervensystem sind fokal-neurologische Defizite von großer Bedeutung, also Funktionsbehinderungen, die sich auf den Ausfall einer bestimmten Struktur oder Region des zentralen oder peripheren Nervensystems beziehen lassen. Dieses Kapitel beschreibt als Kompendium ausführlich die Untersuchungen der verschiedenen neurologischen Funktionsbereiche mit den jeweils zu erwartenden Normalbefunden sowie möglichen pathologischen Befunden oder Abweichungen. Die lockere Reihung der einzelnen Abschnitte ist dabei nicht als eine strenge Chronologie zu verstehen, sondern stellt einen Kompromiss aus inhaltlicher Zusammengehörigkeit und praktikabler Abfolge dar. Insb. die hier an die Untersuchung der Vigilanz angeschlossene Beurteilung neuropsychologischer Funktionen wird nicht in vollem Umfang am Anfang jeder neurologischen Untersuchung stehen.
Der Umfang der neurologischen Untersuchung muss an die klinische Fragestellung angepasst werden. Während die orientierende neurologische Untersuchung die standardisierte Erfassung des neurologischen Status und dabei insb. die hinreichend sichere Erfassung des neurologischen Normalzustands zum Ziel hat, dienen leitsymptomorientierte fokussierte neurologische Untersuchungen einer gezielteren differenzialdiagnostischen Einordnung. Im Rahmen des Notfallmanagements steht die standardisierte Abklärung neurologischer Störungen („D“, siehe: Notfallmanagement - Disability) an, wenn entsprechend dem cABCDE-Schema Störungen auf höheren Dringlichkeitsstufen („cABC“) ausgeschlossen wurden; siehe: Orientierende neurologische Notfalluntersuchung.
Spezielle neurologische Untersuchungstechniken, die i.d.R. ausschließlich im Kontext bestimmter Leitsymptome bzw. Erkrankungen verwendet werden, sind in den entsprechenden Kapiteln aufgeführt (siehe bspw.: Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel - Diagnostik oder Myasthenia gravis - Diagnostik).
Für den AMBOSS-Anamnese- und Untersuchungsbogen siehe: Link in Zitation [1]
Die neurologischen Untersuchungstechniken haben nach wie vor eine immense Bedeutung für das klinische Fach, und insb. fortgeschrittene Kolleg:innen entwickeln dabei eigene Abläufe und Standards. Der AMBOSS-Redaktion ist bewusst, dass in diesem Kapitel nicht alle Varianten und Einsatzgebiete dargestellt werden können. Wir möchten vielmehr gerade wegen der herausragenden Bedeutung der Untersuchung eine fundierte und hilfreiche Ressource für Lernende und Wiederholende bieten, auf deren Grundlage die persönliche klinische Praxis auf- und ausgebaut werden kann.
AMBOSS-Videokurs: Neurologische Untersuchung
Siehe auch: Mediathek – Untersuchungsvideos
Werkzeuge
- Reflexhammer
- Hammerförmiges Instrument
- Insb. zur Reflexprüfung
- Wird zur Untersuchung locker zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten und der Schwerkraft folgend auf den jeweiligen Reizort fallen gelassen
- Untersuchungsleuchte
- Kleine Taschenlampe mit definiertem Lichtkegel
- Insb. zur Prüfung des Pupillenreflexes
- Wattestäbchen: U.a. zur Prüfung der Oberflächensensibilität oder zur Reizauslösung auf Schleimhäuten
- Zwei-Punkt-Diskriminator
- Sternförmiges Instrument mit in definierten Abständen angebrachten Spitzen, die auf die Haut aufgesetzt werden
- Zur Prüfung der Zwei-Punkt-Diskrimination
- Holzspatel: U.a. zur Untersuchung des Mundraums und zur Prüfung bestimmter Primitivreflexe
- Stimmgabel
- Instrument zum Erzeugen eines Vibrationsreizes mit definierter Frequenz (64–128 Hz), i.d.R. mit Anzeige der Vibrationsstärke
- Zur Prüfung der Pallästhesie
- Frenzel-Brille
- Brille mit bikonvexen Vergrößerungsgläsern und Lichtquellen zur Beleuchtung der zu untersuchenden Augen
- Zur Nystagmusbeurteilung (bessere Sichtbarkeit durch Vergrößerung und Aufhebung der Fixation ) und zur besseren Sichtbarkeit der Augenbewegungen allgemein
Vigilanz und höhere Hirnleistungen
Generelles zur Testung höherer Hirnleistungen
- Überschneidet sich teilweise mit Erhebung des psychopathologischen Befundes und der Untersuchung anderer neurologischer Funktionsbereiche
- Voraussetzung: Ausreichende Wachheit (Vigilanz)
- Bildungsstand, Herkunft und Muttersprache berücksichtigen, da ansonsten die Gefahr besteht, kognitive Defizite zu übersehen oder zu überdiagnostizieren
Vor der Durchführung neuropsychologischer Testungen sollten möglichst der Bildungsstand, die Herkunft und die Muttersprache der zu untersuchenden Person in Erfahrung gebracht werden!
Beurteilung des quantitativen Bewusstseins
- Quantitatives Bewusstsein
Vigilanzprüfung
- Durchführung
- Laute direkte Ansprache
- Wenn keine Wachheit erreicht werden kann: Einen ZNS-nahen (schmerzhaften) Weckreiz setzen (bspw. Kneifen im Gesicht, Reiben des Sternums oder Berühren der Nasenscheidewand mit einem spitzen Gegenstand)
- Bei Nicht-Erweckbarkeit: Pupillenreaktionsprüfung und Prüfung des vestibulo-okulären Reflexes
- Normalbefund: Patient:in ist spontan und anhaltend wach
- Pathologischer Befund: Quantitative Bewusstseinsstörung (Vigilanzstörung/Wachheitsstörung)
- Somnolenz: Patient:in wird wach und lässt sich auch wach halten, schläft jedoch bei fehlender Ansprache immer wieder ein
- Sopor: Patient:in wird kurz wach, lässt sich jedoch nicht wach halten
- Koma: Patient:in wird nicht wach
- Stadium I (leicht): Gezielte Abwehrbewegung, Pupillenreaktion und vestibulo-okulärer Reflex vorhanden
- Stadium II (mittel): Ungezielte Abwehrbewegung und Pupillenreaktion verzögert, vestibulo-okulärer Reflex vorhanden
- Stadium III (schwer): Unkonstante, ungezielte Abwehrbewegung, Beugesynergismen oder Strecksynergismen, Pupillenreaktion verzögert oder sogar erloschen, vestibulo-okulärer Reflex erloschen
- Stadium IV (tief): Keine Abwehrbewegung und Strecksynergismen, Muskeltonus herabgesetzt, Pupillenreaktion und vestibulo-okulärer Reflex erloschen
- Hinweis: Zur (annähernden) Quantifizierung des Wachheitsgrads existieren verschiedene Skalen, z.B. GCS oder FOUR-Score
- Für weitere Informationen siehe: Vigilanzminderung
- Für das Notfallmanagement siehe: Vigilanzminderung - AMBOSS-SOP
Beurteilung des qualitativen Bewusstseins
- Qualitatives Bewusstsein
- Umfasst u.a. die Klarheit des Bewusstseins, die Flexibilität des Erlebens/Verhaltens und die Wahrnehmung des Erlebens
- Setzt Wachheit, also quantitatives Bewusstsein voraus
- Wird eher über die möglichen Störungen des qualitativen Bewusstseins definiert, da eine allgemeingültige Definition des Bewusstseins fehlt
- Für die Beurteilung der qualitativen Bewusstseinsstörungen Bewusstseinstrübung, Bewusstseinseinengung und Bewusstseinsverschiebung siehe: Bewusstseins- und Orientierungsstörungen im AMBOSS-Kapitel Psychopathologischer Befund
Orientierungsprüfung
- Allgemeines: I.d.R. Testung der Orientierung zu Zeit, Ort, Situation und eigener Person
- Durchführung: Unterschiedliche Qualitäten nacheinander abfragen
- Zeit: „Welches Jahr haben wir?“, „In welcher Jahreszeit/welchem Monat befinden wir uns?“
- Ort: „An welchem Ort befinden wir uns gerade?“, „In welchem Bundesland sind wir?“
- Situation: „Wissen Sie, warum wir gerade hier sind?“, „Verstehen Sie, was ich gerade mache?“
- Person: „Können Sie mir Ihren Namen und Ihren Geburtstag sagen?“
- Normalbefund: Alle Fragen können rasch korrekt beantwortet werden, voll orientiert zu allen Qualitäten
- Pathologischer Befund: Orientierungsstörung
- Teildesorientierung zu einer oder mehrerer Qualitäten
- Globale Desorientiertheit
Prüfung von Aufmerksamkeit und Konzentration
- Definition von Aufmerksamkeit und Konzentration: Fähigkeit, Bewusstseinsinhalte zu selektieren und sich über einen längeren Zeitraum konzentriert einem Thema oder einer Tätigkeit zuzuwenden
- Durchführung
- Spontane Interaktion der zu untersuchenden Person im Gespräch und mit der Umgebung beobachten
- Von 100 in 3er- oder 7er-Schritten subtrahieren lassen
- Von 20 rückwärts zählen lassen
- Aufmerksamkeitsbelastungstest (d2-R, auch: d2-Konzentrationstest)
- Normalbefund: Keine Ablenkung durch äußere Reize, Aufgaben werden schnell und ohne Zögern erfüllt
- Pathologische Befunde: Patient:in macht lange Pausen, wirkt abgelenkt, lässt einzelne Zahlenschritte aus oder bricht ab
- Für weitere Informationen siehe: Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen im AMBOSS-Kapitel Psychopathologischer Befund
Erkennen eines Neglects
- Definition des Neglects
- Vernachlässigung oder Nichtbeachtung einer Raum- oder Körperhälfte, die verschiedene Modalitäten betreffen und durch Fokussierung aufgehoben werden kann
- Meist als Hemineglect (halbseitiger Neglect) nach Schädigung der rechten, nicht-sprachdominanten Hemisphäre
- Häufig mit Auslöschungsphänomen
- Durchführung
- Voraussetzung: Vor der Untersuchung sicherstellen, dass keine Parese, Sensibilitätsstörung oder Hemianopsie die Untersuchung verfälscht
- Testung auf visuellen Neglect
- Spontane Interaktion der zu untersuchenden Person im Gespräch und mit der Umgebung beobachten
- Ein Bild nachzeichnen lassen
- Normalbefund: Bild wird vollständig nachgezeichnet
- Pathologischer Befund: Auf der betroffenen Seite fehlt ein Teil der Zeichnung
- Testung auf visuelle Auslöschung
- Testung auf motorischen Neglect
- Durchführung
- „Heben Sie den linken Arm“: Patient:in hebt den linken Arm
- „Heben Sie den rechten Arm“: Patient:in hebt den rechten Arm
- „Heben Sie beide Arme gleichzeitig“
- Normalbefund: Patient:in hebt beide Arme
- Pathologischer Befund: Bei Aufforderung, beide Arme zu heben, wird nur der rechte Arm gehoben (motorischer Hemineglect links)
- Durchführung
- Testung auf sensiblen Neglect
Fast immer ist die linke Seite von einem Neglect betroffen, da die Störung meist nach einer Schädigung der rechten nicht-sprachdominanten Großhirnhemisphäre auftritt!
Wahrnehmung
Für Informationen zu illusionären Verkennungen, Halluzinationen und weiteren Wahrnehmungsstörungen siehe: Wahrnehmungsstörungen im AMBOSS-Kapitel Psychopathologischer Befund
Beurteilung der Sprache
Die Beurteilung der Sprache berücksichtigt die Sprachproduktion, das Sprachverständnis und die zentrale Kompetenz der Sprache. Eine klare Abgrenzung dieser drei Aspekte voneinander ist nicht möglich, da sie sich gegenseitig beeinflussen. Man sollte sich daher immer mit einer Testung aller Teilaspekte einen Gesamtüberblick verschaffen. Gleichzeitig ist die Testung der Sprache aus praktischen Gesichtspunkten eng verknüpft mit der Testung des Sprechens, siehe: Untersuchung des Sprechens.
Vor Beurteilung der Sprache sind die Muttersprache und mögliche mangelnde Sprachkenntnisse sowie Störungen des Hörvermögens zu eruieren!
Redefluss
- Durchführung: Tempo und Melodie der Sprachproduktion sowie Wortfindung/Wortwahl und Grammatik beobachten
- Normalbefund: Patient:in spricht flüssig und melodisch
- Pathologische Befunde
- Störung der motorischen Sprachproduktion, siehe: Dysarthrie
- Sprachliches Suchverhalten
- Lange Pausen
- Perseveration: Krankhaftes Wiederholen gleicher Worte, die unmittelbar zuvor gesagt wurden, aber im weiteren Kontext nicht mehr sinnvoll oder notwendig sind
- Beispiel: „Dann habe ich eine Gabel… mit der Gabel… die Gabel… mit der Gabel den Kuchen gegessen.“
- Satzabbrüche
- Verwendung von Mimik, Gestik, Pantomime statt Wörtern
- Paraphasien: Wortverwechselungen
- Phonematische Paraphasie: Erschaffung neuer Wörter, die der Lautfolge nach nicht existieren, dem Ursprungswort aber ähnlich sind (z.B. „Bulme“ statt „Blume“), oder Verwendung existierender Wörter mit ähnlicher Lautfolge, aber deutlich abweichender Bedeutung (z.B. „Maus“ statt „Haus“)
- Phonematischer Jargon: Phonematische Paraphasien sind in der Alltagssprache so dominant, dass kein sinnvolles Wort zu erkennen ist
- Semantische Paraphasie: Statt korrekter Wörter werden andere, aber der Bedeutung nach verwandte Wörter verwendet (z.B. „Hund“ statt „Katze“ oder „rollen“ statt „laufen“)
- Semantischer Jargon: Semantische Paraphasien sind in der Alltagssprache so dominant, dass trotz intakter Lautstruktur das Gesagte keinen Sinn ergibt
- Phonematische Paraphasie: Erschaffung neuer Wörter, die der Lautfolge nach nicht existieren, dem Ursprungswort aber ähnlich sind (z.B. „Bulme“ statt „Blume“), oder Verwendung existierender Wörter mit ähnlicher Lautfolge, aber deutlich abweichender Bedeutung (z.B. „Maus“ statt „Haus“)
- Neologismen: Wortneuschöpfungen, die im Sprachgebrauch so nicht existieren
- Beispiele: „Augenhaare“ statt „Wimpern“ (Ursprung erkennbar), „Lalale“ statt „Blume“ (Ursprung entstellt), „Eisflügelpferd“ (völlige Neuschöpfung)
- Sprachautomatismen: Häufige Verwendung inhaltsleerer Floskeln bis hin zu aneinandergereihten sinnlosen Silben
- Echolalie: Automatisches Nachsprechen von Gesagtem, ohne dabei auf Inhalt und Sinn zu achten
- Paragrammatismus: Meist komplexer, aber falscher Satzbau mit abweichender Abfolge von Satzteilen, Satzteilverdopplungen, Satzabbrüchen, fehlerhaften Konjugationen, Deklinationen
- Beispiel: „Ich habe ja Fußball gerne im Verein Fußbälle gerne gespieltet.“
- Agrammatismus: Grammatikalisch fehlerhafte Formulierungen (neu aufgetretene Syntaxstörung), kann mit zunehmender Ausprägung von leichten Deklinations- und Konjugationsstörungen bis zu Ein-Wort-Sätzen reichen
Sprachverständnis
- Durchführung: Patient:in bei der Ausführung von 2- und 3-Schritt-Aufgaben beobachten
- Normalbefund: Aufgaben werden korrekt ausgeführt
- Pathologischer Befund: Gestörtes Sprachverständnis
- Aufgaben werden gar nicht, nur teilweise oder inkorrekt ausgeführt
Benennen
- Durchführung: Alltagsgegenstände benennen lassen
- Mögliche Frage: Bspw. einen Kugelschreiber zeigen: „Was ist das?“
- Normalbefund: Alle Gegenstände werden korrekt benannt
- Pathologischer Befund: Benennstörung
- Gegenstand wird nicht benannt oder es kommt zu Paraphasien
Nachsprechen
- Durchführung: Einen Satz oder eine Silbenkette nachsprechen lassen
- Mögliche Aufforderung: Bspw. „Bitte wiederholen Sie, was ich sage: Die Mutter gibt dem kleinen Kind das Glas“, „Kein wenn und oder aber“
- Normalbefund: Satz oder Silbenkette werden fehlerfrei nachgesprochen
- Pathologische Befunde: Wörter werden ausgelassen, die Reihenfolge wird geändert oder es kommt zu Artikulationsfehlern
Erworbene Sprachstörungen (Aphasien)
Im Folgenden sind einige der wichtigsten erworbenen Sprachstörungen (Aphasien) aufgelistet, die sich anhand der oben genannten Prüfungen erkennen lassen.
Erworbene Sprachstörungen | |||
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Pathologischer Befund | Definition | Ursache | |
Broca-Aphasie (motorische oder expressive Aphasie) |
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Wernicke-Aphasie (sensorische Aphasie) |
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Globale Aphasie (expressiv-rezeptive Aphasie) |
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Amnestische Aphasie (anomische Aphasie) |
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Transkortikale Aphasie | motorisch |
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sensorisch |
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Für weitere Informationen zu erworbenen Sprachstörungen und deren Ätiologie, Diagnostik und Therapie siehe: Aphasien - Klinische Anwendung
Prüfung der Exekutivfunktionen
- Definition der Exekutivfunktionen: Durch Aufmerksamkeitsprozesse vermittelte Aufnahme und Auswahl von Informationen und deren Einsatz in Handlungsprozesse
- Neuroanatomische Zuordnung
- Funktionen wurden früher voll umfassend dem Frontalhirn zugerechnet
- Aktuell eher Annahme eines über das gesamte Gehirn verteilten Netzwerks, in dem das Frontalhirn einen essenziellen Bestandteil bildet → Exakter Rückschluss von einer Störung auf ein betroffenes Areal nicht möglich
- Bestandteile: Handlungsplanung, Handlungsüberwachung und teilweise auch Funktionen des Arbeitsgedächtnisses
- Dysexekutive Syndrome: Störungen der Exekutivfunktionen
- Neuroanatomische Zuordnung
Im Folgenden ist die Prüfung auf die wichtigsten und mit geringem Aufwand festzustellenden dysexekutiven Syndrome aufgeführt.
Planung und Ausführung willkürlicher zielgerichteter Handlungen
- Durchführung
- Alltägliche Bewegungsabläufe durchführen lassen
- Luria-Test: Eine sich in variabler Länge wiederholende, immer gleiche Abfolge dreier Gesten (Faust zeigen, Handrücken zeigen, Handfläche zeigen) soll imitiert werden
- Pathologische Befunde: Apraxien = Störungen der Ausführung willkürlicher zielgerichteter Bewegungen trotz intakter motorischer Funktion
- Ideomotorische Apraxie
- Vorgeführte Handlungsabläufe können nicht korrekt nachgeahmt werden (z.B. Winken wird nicht reproduziert, stattdessen Kratzen am Ohr)
- Spontan können die Handlungen dagegen korrekt durchgeführt werden, sodass die Störung im Alltag teilweise nicht bemerkt wird
- Dabei kommt es zu Perseverationen (ständige Wiederholung eines Bewegungsablaufs)
- Ideatorische Apraxie
- Komplexe Handlungsabfolgen können nicht durchgeführt werden; "Idee" für eine Handlungsabfolge fehlt
- Betroffene haben Schwierigkeiten in alltäglichen Situationen und benutzen Gegenstände auf falsche Weise
- Visuomotorische Apraxie: Danebengreifen beim Versuch, Gegenstände im kontraläsionalen Gesichtsfeld zu greifen
- Ideomotorische Apraxie
Modalitätsspezifisches Erkennen
- Durchführung, z.B.
- Gezeigte Objekte sowie Objekte nach alleinigem Betasten benennen lassen
- Bilder berühmter Persönlichkeiten benennen lassen
- Patient:in auf bestimmte eigene Körperteile zeigen lassen
- Bewegungen der zu untersuchenden Person im Raum beobachten (z.B. beim Versuch, den Ausgang zu erreichen)
- Pathologische Befunde: Agnosien = Störungen des modalitätsspezifischen (visuellen, auditiven etc.) Erkennens ohne Vorliegen elementarer Defizite der Sensorik
- Stereoagnosie (auch Astereognosie oder taktile Agnosie): Unfähigkeit, Gegenstände durch alleiniges Tasten zu erkennen („Tastblindheit“); die visuelle Erkennung ist dabei nicht beeinträchtigt
- Räumliche Agnosie: Unfähigkeit, sich im Raum zu orientieren
- Prosopagnosie: Unfähigkeit, bekannte Gesichter zu erkennen; Physiognomie eines bekannten Gesichts wird als fremd empfunden (Gesichtsblindheit)
- Autotopagnosie: Körperschemastörung; Schwierigkeit, nach Aufforderung Teile des eigenen Körpers zu zeigen
Erkennenkönnen neurologischer Störungen
- Durchführung: Zu offensichtlichen neurologischen Störungen befragen
- Pathologischer Befund
- Anosognosie: Nicht-Erkennenkönnen neurologischer Störungen
Lesefähigkeit
- Durchführung: Einfachen Text vorlesen lassen
- Pathologische Befunde
- Alexie: Nicht-Erkennenkönnen von Buchstaben, Wörtern oder Sätzen; Form der visuellen Agnosie, die ohne Einschränkung des Sehvermögens zum kompletten selektiven Verlust der Lesefähigkeit führt
- Dyslexie: Teilweiser Verlust der Lesefähigkeit
Fähigkeit zum Umgang mit Zahlen
- Durchführung: Einfache Rechenaufgabe lösen lassen
- Pathologische Befunde
- Akalkulie: Unfähigkeit im Umgang mit Zahlen trotz intakter Intelligenz
- Dyskalkulie: Teilweiser Verlust der Fähigkeit zum Umgang mit Zahlen
Schreibprobe (Schriftprobe)
- Hinweis: Testet nicht nur die höhere Hirnleistung der Produktion geschriebener Sprache, sondern dient auch als Schriftprobe
- Durchführung: Einfachen Text schreiben lassen
- Pathologische Befunde
- Agrafie: Unfähigkeit zu schreiben trotz intakter Motorik und Intelligenz
- Dysgrafie: Teilweiser Verlust der Fähigkeit zu schreiben
- Mikrografie: Stetig, mit der Schreibrichtung immer kleiner werdende Handschrift , bspw. bei Morbus Parkinson
Prüfung der Gedächtnisfunktionen
- Definition des Gedächtnisses: Ermöglicht das Speichern von Informationen und Wahrnehmungen
- Klinisch-pragmatische Unterteilung in
- Beteiligte anatomische Strukturen: Zahlreiche innerhalb eines weiten Gedächtnisnetzwerks, wobei den Strukturen des medialen Temporallappens und dort insb. dem Hippokampus eine herausragende Bedeutung zukommt
- Gedächtnisstörungen
- Untersuchung und Einteilung anhand
- Betroffener Gedächtnisfunktion
- Ihrer zeitlichen Ausprägung
- Ggf. auslösender Faktoren
- Ausprägungsformen
- Anterograde Amnesie: Erinnerungslosigkeit für die Zeit nach einem Ereignis oder generelle Störung der Neugedächtnisbildung
- Retrograde Amnesie: Erinnerungslosigkeit für die Zeit vor einem Ereignis oder Altgedächtnisstörung
- Globale Amnesie: Erinnerungslosigkeit für die Zeit vor (retrograd) und nach einem Ereignis (anterograd)
- Zeitgitterstörung (Ekmnesie): Zeitlich falsche Zuordnung von Gedächtnisinhalten
- Katathyme Amnesie: Gedächtnisstörung aufgrund unbewusster innerpsychischer Vorgänge, bei der Betroffene einzelne Gedächtnisinhalte vergessen
- Dissoziative Amnesie: Durch ein traumatisches Ereignis ausgelöster Erinnerungsverlust bzgl. belastender Informationen oder Ereignisse
- Untersuchung und Einteilung anhand
Für weitere Informationen zu den Gedächtnisformen und den beteiligten anatomischen Strukturen siehe: Limbisches System und Gedächtnis; für die Abklärung eines demenziellen Syndroms siehe: Demenz - Diagnostik
Arbeitsgedächtnis
- Durchführung: Von 100 in 1er-, 3er- oder 7er-Schritten subtrahieren lassen
- Normalbefund: Subtraktion erfolgt rasch und ohne langes Zögern; Arbeitsgedächtnis ist intakt
- Pathologische Befunde
- Abbruch der Aufgabe
- Abbruch der Aufgabe ohne Erinnerung an die Aufgabenstellung
Kurzzeitgedächtnis
- Durchführung: Zahlenabfolge wiederholen lassen und so lange verlängern, bis sie nicht mehr korrekt wiedergeben werden kann
- Bspw. „Wiederholen Sie die Zahlenabfolge: 1-4“ (4-6-3; 2-6-3-8 usw.)
- Normalbefund: Zahlenabfolge wird korrekt wiedergegeben
- Pathologische Befunde
- Zahlenabfolge kann nicht wiedergegeben werden
- Es kann nur eine kurze Zahlenabfolge wiedergegeben werden
Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis
- Durchführung: Namen dreier Objekte merken und direkt wiedergeben lassen; nach 5–10 Min. erneut um Wiedergabe bitten
- Bspw. „Merken Sie sich die Begriffe: Ball – Schlüssel – Apfel.“
- Normalbefund: Alle 3 Begriffe werden sofort und nach 5–10 Min. korrekt wiedergegeben
- Pathologische Befunde
- Alle 3 Begriffe können unmittelbar nicht korrekt wiedergegeben werden → Störung des Kurzzeitgedächtnisses
- Die 3 Begriffe werden nach 5–10 Min. unvollständig oder gar nicht wiedergegeben → Störung des Langzeitgedächtnisses
- Hinweis: Diesen einfachen Tests werden vereinfachte, klinisch-praktisch relevante Definitionen von Kurz- und Langzeitgedächtnis zugrunde gelegt, die von den in der kognitiven Neurowissenschaft verwendeten Definitionen u.U. abweichen
Autobiografisches Gedächtnis
- Definition des autobiografischen Gedächtnisses: Teil des Gedächtnisses, der autobiografische Erinnerungen, die für das Individuum von großer Bedeutung sind, dauerhaft speichert und dadurch die Identität der Person bildet
- Durchführung: Biografische Meilensteine (Schulzeit, Beruf etc.) abfragen
- Mögliche Fragen: „Wo sind Sie zur Schule gegangen?“; „Welchen Beruf haben Sie ausgeübt?“
- Normalbefund: Biografische Daten können erinnert und korrekt wiedergegeben werden
- Pathologische Befunde
- Biografische Daten können nicht erinnert werden
- Konfabulation
Episodisches Gedächtnis
- Durchführung: Persönliche Erlebnisse abfragen
- Mögliche Frage: „Was haben Sie letztes Wochenende gemacht?“
- Normalbefund: Persönliche Erlebnisse können korrekt wiedergegeben werden
- Pathologische Befunde
- Persönliche Erlebnisse können nicht erinnert werden
- Konfabulation
Semantisches Gedächtnis
- Durchführung: Faktenwissen abfragen
- Mögliche Frage: „Wer ist zur Zeit Bundeskanzler:in?“
- Normalbefund: Faktenwissen wird korrekt wiedergegeben
- Pathologische Befunde
- Faktenwissen kann nur teilweise oder nicht erinnert werden
- Konfabulation
Zwischen Gedächtnisstörungen und exekutiven Funktionsstörungen bestehen einige phänomenologische Überschneidungen. So kann z.B. die klinische Unterscheidung einer Agnosie von einer semantischen Gedächtnisstörung im Einzelfall schwierig sein. Zur genauen Differenzierung höherer Hirnleistungsstörungen ist daher immer eine ausführliche und standardisierte neuropsychologische Funktionstestung zu empfehlen!
Mini-Mental-Status-Test
- Anwendung: Standardisierter Kurztest zur Erst- und Verlaufsbeurteilung verschiedener kognitiver Fähigkeiten , z.B.
- Orientierung
- Aufmerksamkeit
- Auffassung
- Einige Exekutiv- und Gedächtnisfunktionen
- Für mehr Informationen siehe: Mini-Mental-Status-Test
- Für den Testbogen siehe: Link in Zitation [2]
Untersuchung der Kopf-/Halsregion
Aus pragmatischen Gründen orientiert sich die Untersuchung der neurologischen Funktionen in der Kopf- und Halsregion traditionell grob an der Reihung der Hirnnerven und wird meist als ein Abschnitt aufgefasst (ugs. „Hirnnervenstatus“). Die Untersuchungen in dieser Region gehen allerdings über die Testung der reinen Hirnnervenfunktionen hinaus und umfassen Elemente aus allen neurologischen Funktionsdomänen (Motorik, Reflexe, Sensorik/Sensibilität, Koordination), welche die Kopf- und Halsregion betreffen. Für die Funktionsprüfung des Geruchs- und Geschmackssinns existieren standardisierte Tests als Teil der speziellen HNO-Funktionsdiagnostik.
AMBOSS-Video-Tutorial zur Untersuchung von Kopf und Hirnnerven:
Kurzübersicht zur Untersuchung der Hirnnerven | |||
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Hirnnerv | Was wird geprüft? | Wie wird geprüft? | |
N. olfactorius | I | Prüfung des Geruchssinns |
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N. opticus | II | Einfache Visusprüfung |
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Fingerperimetrische Gesichtsfeldprüfung |
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Prüfung der Pupillomotorik |
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Ggf. Beurteilung der Papille |
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Nn. oculomotorius, trochlearis und abducens | III, IV, VI | Prüfung der Augenbeweglichkeit |
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Prüfung von Lidhebung und Lidschluss |
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N. trigeminus | V | Sensibilitätsprüfung |
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Prüfung der Motorik der Kaumuskulatur |
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Reflexprüfungen |
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N. facialis | VII | Prüfung der Motorik der mimischen Muskulatur | |
Prüfung der Geschmacksempfindung |
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N. vestibulocochlearis | VIII | Hörprüfung |
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Prüfung des vestibulo-okulären Reflexes |
| ||
Nn. glossopharyngeus und vagus | IX, X | Prüfung der Schluckmotorik |
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Nur IX: Prüfung der Geschmacksempfindung |
| ||
Nur X (N. laryngeus recurrens): Stimmprüfung |
| ||
N. accessorius | XI | Prüfung der Motorik von M. trapezius und M. sternocleidomastoideus |
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N. hypoglossus | XII | Untersuchung der Zungenmotorik |
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Siehe auch: Hirnnerven-Syndrome, Mediathek: Untersuchungsvideos
Visus, Pupillo- und Okulomotorik
Einfache Visusprüfung
- Ziel: Feststellung eines mind. ausreichenden Visus, um andere, sich auf den Sehsinn stützende Untersuchungen bewerten zu können
- Durchführung: Seitengetrennte Prüfung, ggf. mit gewohnter Sehhilfe
- Patient:in mit jeweils einem abgedeckten Auge eine Leseprobe (Zeitung, Zeitschrift, Bildschirm) vorlesen lassen
- Gelingt dies nicht: In mehreren Durchgängen unterschiedliche viele Finger präsentieren, deren Anzahl korrekt benannt werden soll
- Gelingt auch dies nicht: Erkennen mit den Händen erzeugter Schatten in beiden Gesichtsfeldern prüfen
- Alternativ: Visusprüfung mittels Sehprobentafeln (z.B. mit Landolt-Ringen) in standardisierter Entfernung
- Pathologische Befunde: Vorlesen gelingt nicht oder nicht fehlerfrei bzw. Anzahl vorgehaltener Finger wird nicht korrekt erkannt bzw. Schatten werden nicht erkannt
- Hinweis: Untersuchung lässt das Erkennen eines ausreichenden Visus zu, ferner eine grobe Graduierung einer mono- oder binokularen Visusstörung bis zur Blindheit, allerdings keine genauere Zuordnung der Ursache
Die einfache Visusprüfung kann und soll eine exakte (optometrische) Messung des Visus nicht ersetzen!
Fingerperimetrische Gesichtsfeldprüfung
- Ziel: Insb. schnelles Erkennen von retro-orbitalen (Sehnerv) und retro-chiasmalen Sehstörungen (Sehbahn) mittels Fingerperimetrie, ggf. in Ergänzung mit standardisierter kinetischer Perimetrie
- Durchführung
- Seitengetrennte Prüfung
- Gegenüber der zu untersuchenden Person mittig und auf Augenhöhe positionieren („Nase auf Nase“)
- Eigenes Auge abdecken, Patient:in macht es beim gegenüberliegenden Auge genauso; nun jeweils das offene Auge des Gegenübers fixieren
- In dieser Position einen gut erkennbaren Gegenstand (oder den erhobenen Zeigefinger) von außen in die einzelnen Quadranten der monokularen Gesichtsfelder führen
- Patient:in signalisiert verbal, ab wann der Gegenstand gesehen wird
- Den Gegenstand jeweils auch in die Mitte beider Gesichtsfelder führen und erfragen, ob er weiterhin sichtbar bleibt
- Gleichzeitige Prüfung beider Gesichtsfelder
- Gegenüber der zu untersuchenden Person mittig und auf etwa gleicher Augenhöhe positionieren, Patient:in fixiert Nase des Gegenübers
- Einen gut erkennbaren Gegenstand (oder erhobenen Zeigefinger) in der Ebene zwischen Untersucher:in und Patient:in jeweils von seitlich in das kombinierte, binokulare Gesichtsfeld führen
- Seitengetrennte Prüfung
- Normalbefund: Patient:in erkennt den Gegenstand an derselben Stelle wie die untersuchende Person (in seitengetrennter Prüfung) bzw. in allen Gesichtsfeldhälften und -quadranten ohne Einengung der Außengrenzen
- Pathologische Befunde: Gesichtsfelddefekte, insb.
- Monokuläre Anopsie, z.B. durch komplette Schädigung des ipsilateralen N. opticus oder retinale Durchblutungsstörung, wenn keine okulär bedingte monokulare Blindheit vorliegt
- Homonyme Hemianopsie durch Schädigung der kontralateralen Sehbahn oder des kontralateralen visuellen (posterioren) Kortex
- Homonyme Quadrantenanopsie durch partielle Schädigung der kontralateralen Sehbahn oder des kontralateralen visuellen (posterioren) Kortex
- Bitemporale Hemianopsie durch Schädigung des Chiasma opticum, z.B. durch mittig komprimierenden Hypophysentumor
- Zentrales Skotom, z.B. durch inkomplette Schädigung des ipsilateralen N. opticus bei Neuritis nervi optici oder retroorbitaler Druckerhöhung mit Stauungspapille
Testung auf visuelle Auslöschung
- Ziel: Erkennen eines möglichen Auslöschungsphänomens im Rahmen eines visuellen Neglects (visuelle Aufmerksamkeitsstörung)
- Primäres visuelles Systems ist dabei erhalten
- Tritt auf bei supratentorieller, meist parietaler kortikaler Schädigung
- Durchführung: Erweiterung der o.g. fingerperimetrischen Gesichtsfeldprüfung um eine Prüfung mit beidseits geöffneten Augen
- Normalbefund: Handbewegungen werden einseitig und beidseitig korrekt erkannt
- Pathologischer Befund: Insb. bei visuellem Hemineglect = einseitige Handbewegungen werden erkannt , beidseitige Handbewegungen werden nur einseitig auf der nicht vom visuellen Neglect betroffenen Seite wahrgenommen
- Hinweis: Nur zu bewerten bei mind. ausreichend erhaltenem Visus und ausgeschlossenem Gesichtsfelddefekt
Prüfung der Pupillomotorik
Inspektion der Pupillen
- Ziel: Erkennen einer Asymmetrie der Pupillengröße und -form
- Normalbefund: Seitengleiche runde Form und bei normalem Tageslicht oder Raumbeleuchtung jeweils mittelgroßer Durchmesser, dessen Seitendifferenz max. 1 mm betragen darf
- Pathologische Befunde: Immer in Zusammenschau mit anderen Befunden
- Mydriasis trotz hellen Umgebungslichts, z.B. bei sympathikotoner Intoxikation (dann beidseitig) oder iatrogen („weitgetropft“)
- Miosis trotz dunklen Umgebungslichts, z.B. bei parasympathikotoner Intoxikation (dann beidseitig) oder einseitig im Rahmen eines Horner-Syndroms
- Anisokorie: Seitendifferenz der Pupillendurchmesser >1 mm
- Entrundete Pupille: Verlust der runden Pupillenkontur
- In Kombination mit (maximal) weitgestellter Pupille und/oder bei gleichzeitigem Vorhandensein weiterer Hirndrucksymptome als dringendes Warnsignal zu werten
- Möglich als Folge zurückliegender augenärztlicher Eingriffe an der Iris
Eine isolierte Anisokorie ohne weitere Auffälligkeiten und insb. ohne Bewusstseinsstörung ist in aller Regel kein Grund zur Sorge. Eine Anisokorie ist nicht selten Folge augenärztlicher Eingriffe (z.B. nach Linsenersatz), nach denen deshalb immer gefragt werden sollte!
Lichtreaktionsprüfung (Pupillenreflex)
- Ziel: Erkennen einer möglichen Afferenz- (N. opticus) oder Efferenzstörung (N. oculomotorius, Parasympathikus)
- Durchführung: Indirektes Beleuchten jeweils eines Auges mit einer scharf definierten Lichtquelle für etwa 3 s, Beurteilung der ipsilateralen und kontralateralen Pupillenreaktion
- Normalbefund: Beide Pupillen kontrahieren bei Beleuchtung eines Auges
- Pathologische Befunde
- Afferenzstörung (amaurotische Pupillenstarre): Auf Beleuchtung des betroffenen Auges kontrahieren beide Pupillen nicht oder deutlich verlangsamt, z.B. bei ipsilateraler okulärer Visusstörung oder Schädigung des N. opticus
- Efferenzstörung (absolute Pupillenstarre): Auf dem betroffenen Auge kontrahiert die Pupille weder bei ipsilateraler noch bei kontralateraler Beleuchtung, z.B. bei Schädigung des N. oculomotorius oder des Ganglion ciliare
- Reflektorische Pupillenstarre: Ausgefallene direkte und indirekte Lichtreaktion bei jedoch erhaltener Konvergenzreaktion
Eine gestörte Lichtreaktion ist (insb. bei gleichzeitiger Bewusstseinsstörung) ein wichtiges Hirndruckzeichen! Ein erhöhter intrakranieller Druck wirkt sich über eine Kompression der parasympathischen Anteile des N. oculomotorius (Ganglion ciliare) gegen die Klivuskante direkt auf die Pupillenfunktion aus.
Prüfung der Okulomotorik
Anhand der Untersuchung der Okulomotorik lassen sich Informationen über mehrere komplexe Funktionssysteme gewinnen. Aus neurologischer Sicht sind v.a. die neu aufgetretenen Okulomotorikstörungen (Lähmungsschielen und supranukleäre Okulomotorikstörungen) von Bedeutung. Für die spezielle, systematische klinische Untersuchung und Beurteilung von Nystagmen, insb. in Kombination mit der Beschwerde Schwindel, siehe: Nystagmusbeurteilung.
Inspektion der Bulbusstellung
- Ziel: Erkennen neu aufgetretener diskonjugierter Augenfehlstellungen oder konjugierten Blickfehlstellungen in der Neutralposition
- Durchführung: Stellung der Augen/der Blickachsen beurteilen, während die zu untersuchende Person spontan in die Ferne schaut, bei bewusstseinsgestörten Patient:innen nach passiver Lidhebung
- Normalbefunde
- Beide Augen stehen konjugiert in der Neutralposition
- Sakkadische Oszillationen (Square Wave Jerks): Konjugierte, sehr schnelle unwillkürliche Sakkaden um einen Fixationspunkt herum
- Relativ häufiger unspezifischer Befund, hat isoliert in aller Regel keinen Krankheitswert
- Verwechselungsgefahr mit pathologischen Befunden
- Pathologische Befunde
- Diskonjugierte Bulbusstellung in der Neutralposition, z.B.
- Manifeste Okulomotoriusparese: Abduktionsstellung und leichte Absenkung des ipsilateralen Auges in Kombination mit ipsilateraler Ptosis
- Manifeste Trochlearisparese: Insb. Höherstellung des ipsilateralen Auges
- Manifeste Abducensparese: Leichte Adduktionsstellung des ipsilateralen Auges
- Manifeste Skew Deviation: Deutliche und überwiegend vertikale Achsfehlstellung als Ausdruck einer zentralen Okulomotorikstörung
- Manifester Strabismus concomitans
- Konjugierte Blickfehlstellung, z.B.
- Blickdeviation zur Seite der Schädigung bei supratentoriell bedingter horizontaler Blickparese („Herdblick“, die betroffene Person „schaut den Herd an“)
- Blickdeviation entgegensetzt zum Fokus epileptischer Anfälle
- Blickdeviation bei infratentoriell (pontin) bedingter Blickparese
- Spontane Augenbewegungen, z.B.
- Unprovozierter Nystagmus, z.B.
- Spontannystagmus bei Neuropathia vestibularis mit schneller Komponente zur gesunden Seite
- Unprovozierter Nystagmus mit zentraler Ursache , siehe: Nystagmusbeurteilung
- Opsoklonus = Unwillkürliche spontane irreguläre und unrhythmische konjugierte Augenbewegungen in der Horizontalen und Vertikalen mit Rückstellsakkaden um die Neutralposition, z.B. bei entzündlicher, toxischer oder paraneoplastischer Kleinhirnschädigung
- Ocular Flutter = Unwillkürliche spontane irreguläre und unrhythmische konjugierte Augenbewegungen in der Horizontalen mit Rückstellsakkaden um die Neutralposition, z.B. bei Schädigung der Formatio reticularis pontis paramediana (PPRF), reduzierte Form des Opsoklonus
- Ocular Bobbing = Unwillkürliche, spontane und irreguläre, ruckartige und vergleichsweise heftige Blickbewegungen nach unten mit großer Amplitude , bei schweren pontinen Schädigungen
- Unprovozierter Nystagmus, z.B.
- Diskonjugierte Bulbusstellung in der Neutralposition, z.B.
- Hinweis: Die hier aufgeführten Störungen sind (zumindest in ihrer manifesten Form) bereits in der spontanen Neutralstellung erkennbar, tauchen aber teilweise auch als Befunde in den folgenden Untersuchungsschritten auf
Chronische Abweichungen von der normalen Blickposition sind meist nicht-neurogenen Ursprungs und gehen i.d.R. nicht (mehr) mit Wahrnehmung von Doppelbildern einher. Bei Auffälligkeiten sollte daher immer nach einem bekanntem Strabismus gefragt werden!
Prüfung der Augenbeweglichkeit
Die Begriffe „Augenbeweglichkeit“ oder „okuläre Motilität“ meinen hier die Fähigkeit der Augen, einem Blickziel grundsätzlich in eine bestimmte Richtung oder Position folgen zu können. In Abgrenzung davon ist die zerebellär vermittelte Fähigkeit, einem sich bewegenden Ziel kontinuierlich und unterbrechungsfrei zu folgen, hier noch nicht gemeint.
- Ziel: Erkennen von Störungen okulomotorischer Hirnnerven und übergeordneter okulomotorischer Zentren
- Durchführung
- Patient:in instruieren, einem visuellen Ziel mit beiden Augen zu folgen, ohne dabei den Kopf zu bewegen, das Auftreten evtl. Doppelbilder zu signalisieren und diese zu beschreiben
- Ein visuelles Ziel (gut erkennbaren Gegenstand oder erhobenen Zeigefinger) in der Horizontalen, der Vertikalen und den Diagonalen bewegen
- Während der Bewegung auf das Auftreten eines blickrichtungsabhängigen Nystagmus achten
- Den Kopf der zu untersuchenden Person zu beiden Seiten neigen und nach Auftreten, Verstärkung oder Abschwächung von Doppelbildern und ggf. nach deren Versatz fragen
- Normalbefunde
- Bewegungen beider Augen erfolgen gleichsinnig sowie mit gleicher Geschwindigkeit und Amplitude, keine Nystagmen während der Bewegungen
- Sakkadische Oszillationen (Square Wave Jerks)
- Pathologische Befunde , u.a.
- Okulomotoriusparese: Ausfall der Mm. rectus medialis, rectus superior, rectus interior und obliquus inferor
- Trochlearisparese: Ausfall des M. obliquus superior
- Abducensparese: Ausfall des M. rectus lateralis
- Horizontale Blickparese: Störung der (binokularen) Blickbewegung nach lateral, ggf. in Kombination mit einer bereits in der Neutralposition erkennbaren Blickdeviation, verschiedene Ursachen möglich
- Internukleäre Ophthalmoplegie: Ipsilaterale monokuläre Adduktionsstörung
- Eineinhalb-Syndrom
- Kombination aus nukleärer horizontaler Blickparese zur Seite der Läsion und ipsilateraler internukleärer Ophthalmoplegie
- Nur auf der Seite kontralateral zur Läsion kann ein Auge abduziert werden
- Vertikale Blickparese: Störung der (binokularen) Blickbewegung in der Vertikalen (beide Augen können entweder nicht, nur verkürzt oder/und nur verlangsamt nach oben und/oder unten bewegt werden)
- Parinaud-Syndrom: Lähmung der vertikalen Blickbewegungen mit fehlender Konvergenzreaktion, durch Auslösen des vestibulo-okulären Reflexes überwindbar
- Skew Deviation: Überwiegend vertikale, diskonjugierte Achsabweichung der Augen
- Blickrichtungsnystagmus: Durch Auslenkung der Blickachse provozierter Nystagmus mit schneller Komponente in Blickrichtung
- Latenter oder manifester Strabismus concomitans
- Hinweis: Nur zu bewerten bei mind. ausreichend erhaltenem Visus und erhaltenem zentralen Gesichtsfeld
Einfacher Abdecktest
- Ziele
- Erkennen einer latenten bzw. durch visuelle Fixation (teil‑)kompensierten Okulomotorikstörung, siehe auch: Abdecktest und Alternierender Abdecktest (Augenheilkunde)
- Genauere Zuordnung von Doppelbildern
- Durchführung
- Patient:in in der Neutralposition die Nase der untersuchenden Person fixieren lassen, im mehrfachen Wechsel jeweils ein Auge abdecken und evtl. auftretende Korrekturbewegungen eines Auges (Refixationssakkaden) nach dem Aufdecken beobachten
- Bei Angabe von Doppelbildern in einer bestimmten Blickposition: In der betreffenden Blickposition jeweils ein Auge abdecken und erfragen, ob die Doppelbilder verschwinden, sowie (wenn ja), welches der beiden Bilder
- Normalbefund: Keine Angabe von Doppelbildern, keine Refixationssakkaden
- Pathologische Befunde
- Beim Abdecken verschwindende Doppelbilder bei allen (teil‑)kompensierten Abweichungen der Blickachsen möglich
- Insb. latente Skew Deviation
- Persistierende Doppelbilder trotz Abdeckens bei funktioneller/psychogener Störung
- Beim Abdecken verschwindende Doppelbilder bei allen (teil‑)kompensierten Abweichungen der Blickachsen möglich
Beurteilung der Blickfolge
Der grundsätzlich mehrdeutige Begriff „Blickfolge“ meint hier die zerebellär vermittelte Fähigkeit der Augen, einem sich bewegenden Ziel kontinuierlich und unterbrechungsfrei zu folgen, was durch den englischen Begriff „smooth pursuit“ besser zum Ausdruck kommt. Es handelt sich also um einen Teilbereich der Koordination. In Abgrenzung davon ist die (voraussetzende) Fähigkeit, einem Blickziel grundsätzlich in eine bestimmte Richtung oder Position folgen zu können (okuläre Motilität), hier nicht gemeint.
- Ziel: Beurteilung der zerebellär vermittelten Augenbewegungkoordination
- Durchführung
- Patient:in instruieren, einem visuellen Ziel mit beiden Augen zu folgen, ohne dabei den Kopf zu bewegen
- Ein visuelles Ziel (gut erkennbaren Gegenstand oder erhobenen Zeigefinger) zunächst in der Horizontalen in einer kontinuierlichen Bewegung hin- und herbewegen, wobei an den Wendepunkten keine Unterbrechungen auftreten dürfen und die Geschwindigkeit langsam-stetig variiert
- Wiederholung der Untersuchung in den vertikalen Blickrichtungen
- Normalbefund: Glatte Folgebewegung, d.h. ohne ruckartige Unterbrechungen oder Nachhängen in allen vorgegebenen Geschwindigkeiten
- Pathologischer Befund: Sakkadierte Blickfolge = konjugierte Folgebewegung der Augen mit (unterschiedlich grob) ruckartigen Unterbrechungen bzw. erkennbaren Einzelsakkaden
- Sakkadiert in alle Richtungen: Hinweis auf panzerebelläre Störung oder Störung des Vestibulocerebellums, z.B. bei Degeneration , kommt auch unter Substanzeinfluss oder als Medikamentennebenwirkung vor
- Sakkadiert in eine (horizontale) Richtung: Hinweis auf fokale zerebelläre Pathologie
Prüfung der Konvergenzreaktion
- Definition der Konvergenzreaktion
- Über den N. oculomotorius vermittelte reflektorische Adduktionsbewegung beider Augen in Kombination mit beidseitiger Pupillenverengung und Linsenakkommodation bei Fixation naher Objekte
- Reflexbogen über supranukleäre Strukturen, kein Hirnstammreflex
- Ziele
- Funktionsprüfung mesenzephaler Anteile des okulomotorischen System
- Ggf. genauere Zuordnung anderer Pupillo- und Okulomotorikstörungen
- Durchführung: Patient:in bitten, ein von vorn auf die Nasenspitze hin bewegtes Objekt zu fixieren
- Normalbefund: Adduktion beider Augen und bds. Pupillenverengung bei Näherung des visuellen Ziels
- Pathologischer Befund: Ausfall der Konvergenzreaktion
- Fehlende bds. Adduktion und/oder Pupillenverengung
- Kann auf mesenzephale Pathologie deuten, kommt aber auch bei Gesunden vor
Beurteilung der Willkürsakkaden
- Definition der Sakkaden: Schnelle, konjugierte Blicksprünge von einem Fixationspunkt zum anderen, die sowohl willkürlich als auch unwillkürlich generiert werden
- Ziel: Beurteilung der zerebellär vermittelten Augenbewegungskoordination und der Funktion okulomotorischer Zentren in Hirnstamm und Kortex
- Durchführung
- Patient:in bitten, auf Kommando jeweils abwechselnd die auf Augenhöhe in etwa 20 cm Entfernung und 1 m Abstand zueinander gehaltenen Zeigefinger der untersuchenden Person zu fixieren, zunächst in der Horizontalen, dann in der Vertikalen
- Zielgenauigkeit/Metrik und Geschwindigkeit der Sakkaden beurteilen
- Normalbefund: Bulbi bewegen sich mit minimaler Latenz auf das Kommando schnell, konjugiert und zielgenau, um den Zeigefinger zu fixieren (schnelle und metrische Sakkaden)
- Pathologische Befunde
- Dysmetrische Sakkaden (hyper- oder hypometrisch) mit erkennbarer Rück- oder Nachstellbewegung
- Hypermetrisch in alle Richtungen: Hinweis auf panzerebelläre Störung, z.B. bei Degeneration, unter Substanzeinfluss oder als Medikamentennebenwirkung
- Hypermetrisch in eine Richtung: Hinweis auf fokale zerebelläre Pathologie
- Hypometrisch, meist in alle Richtungen: Hinweis auf Hirnstammläsionen oder neurodegenerative Erkrankungen
- Verlangsamte Sakkaden
- Isoliert die Vertikale betreffend: Typisches Zeichen einer progressiven supranukleären Blickparese (PSP) im Frühstadium
- In allen Richtungen: Bspw. bei progressiver supranukleärer Blickparese (PSP) im späteren Stadium oder anderen neurodegenerativen Erkrankungen
- Diskonjugierte Augenbewegungen: Bewegung der Bulbi erfolgt nicht konjugiert, z.B. bei (inkompletter) internukleärer Ophthalmoplegie
- Dysmetrische Sakkaden (hyper- oder hypometrisch) mit erkennbarer Rück- oder Nachstellbewegung
Prüfung des vestibulo-okulären Reflexes
- Ziele
- Beurteilung der Hirnstammfunktion (insb. bei Bewusstseinsstörungen) und Erkennen einer möglichen Afferenzstörung
- Beurteilung der Überwindbarkeit einer Okulomotorikstörung durch Auslösen des vestibulo-okulären Reflexes zur Unterscheidung zwischen supranukleären und nukleären (infratentoriellen) Schädigungen
- Durchführung: Auslösen des vestibulo-okulären Reflexes mittels Kopfimpulstest
- Bei Wachheit: Patient:in bitten, bei leicht inkliniertem Kopf die Nase der untersuchenden Person zu fixieren , Kopf dann passiv ruckartig um ca. 20° zu beiden Seiten drehen (zentrifugal); alternativ kann der Kopf aus jeweils 20° gedrehter Position ruckartig in die Nullposition bewegt werden (zentripetal)
- Bei fehlender Wachheit: Bei passiv gehobenen Lidern den Kopf ruckartig um ca. 20° nacheinander zu beiden Seiten drehen
- Normalbefund (veraltet: „Puppenkopfphänomen“)
- Bei Wachheit: Blick bleibt während und nach der passiven Drehbewegung ohne erkennbare Abweichung auf dem zentralen Zielpunkt
- Bei fehlender Wachheit: Eine mit minimaler Latenz einsetzende (ggf. leicht verlangsamte) und zur Kopfdrehung gegenläufige Blickbewegung sorgt für die Beibehaltung der ursprünglichen Blickrichtung
- Pathologischer Befund
- Bei Wachheit: Blick weicht mit der passiven Kopfdrehung vom zentralen Zielpunkt ab und wird nach Ende der Bewegung auf den Zielpunkt zurückgestellt (Korrektursakkade)
- Bei fehlender Wachheit: Blick weicht mit der passiven Kopfdrehung ab, Blickrichtung verändert sich in Relation zum Kopf nicht („Blick bleibt starr“ )
- Hinweis: Beispiele für supranukleäre Okulomotorikstörungen, die sich durch das Auslösen des vestibulo-okulären Reflexes überwinden und damit von Hirnstammläsionen unterscheiden lassen
- Kortikal bedingte konjugierte horizontale Blickdeviation oder -parese , z.B. im Rahmen von Schlaganfällen („Herdblick“)
- Vertikale Sakkadenverlangsamung oder Blickparese bei progressiver supranukleärer Blickparese (PSP) oder Parinaud-Syndrom
Die Prüfung des vestibulo-okulären Reflexes ist in der Horizontalebene standardisiert und gut reproduzierbar. Grundsätzlich ist die Reflexprüfung aber auch in anderen Bewegungsrichtungen in analoger Weise möglich (im Liegen allerdings nicht in der Vertikalebene)!
Der Begriff „Puppenkopfphänomen“ ist in der Literatur weiterhin verbreitet, sollte aber in der klinischen Kommunikation und Dokumentation nicht verwendet werden, weil nicht einheitlich definiert ist, ob damit der unauffällige oder der erloschene vestibulo-okuläre Reflex gemeint ist!
Prüfung der Fixationssuppression des vestibulo-okulären Reflexes
- Ziel: Beurteilung der zentral(-vestibulär) vermittelten aktiven Unterdrückbarkeit des vestibulo-okulären Reflexes durch willkürliche Fixation eines sich mit dem Kopf bewegenden Blickziels
- Durchführung
- Patient:in bitten, den Kopf leicht zu inklinieren, die Arme vor der Brust auszustrecken, die Hände zu falten und einen Daumen auszustrecken
- Patient:in instruierten, die ausgestreckten Daumen der eigenen Hände zu fixieren sowie Oberkörper, Kopf/Hals und ausgestreckte Arme nicht mehr zu bewegen
- Den Oberkörper der zu untersuchenden Person in mittlerer Geschwindigkeit nacheinander mehrmals in beide Richtungen drehen und dabei die Stabilität des Blicks auf die ausgestreckten Daumen beobachten
- Normalbefund (intakte Fixationssuppression): Während der Drehung verharrt der Blick starr in Relation zum Kopf und auf dem sich mitbewegenden Daumen
- Pathologischer Befund (gestörte/aufgehobene Fixationssuppression des vestibulo-okulären Reflexes): Repetitive Korrektursakkaden auf den Zielpunkt während der Drehung als Zeichen für einen nicht-unterdrückten vestibulo-okulären Reflex
- Ausdruck einer zentral(-vestibulären) Funktionsstörung bzw. einer Läsion des Vestibulocerebellums (Flocculus/Paraflocculus) oder der dazugehörigen Afferenzen und Efferenzen
„Fixationssuppression“ (= Unterdrückung durch Fixation) ist begrifflich nicht zu verwechseln mit „Unterdrückung der Fixation“ (z.B. durch eine Frenzelbrille)!
Motorik und Sensibilität, basale Hirnnerven, Sprechen
Untersuchung der Motorik (Gesicht, Hals)
- Ziel: Erkennen von Paresen der
- Lidheber (N. oculomotorius)
- Mimischen Muskulatur (N. facialis)
- Kaumuskulatur (N. trigeminus)
- Durch den N. acessorius versorgten Hals- und Schultermuskeln
- Durchführung, jeweils im direkten Seitenvergleich
- Inspektion
- Beurteilung von Fehlstellungen
- Beurteilung der Aktivtität und des Ausmaßes der spontanen Mimik
- Kraftprüfung der Lidheber (N. oculumotorius): Patient:in bitten, die Lider gegen leichten Daumendruck der untersuchenden Person auf die Oberlider zu öffnen
- Kraftprüfung der mimischen Muskulatur (N. facialis)
- Kraftvoller Lidschluss: Patient:in die Augen fest zukneifen lassen
- Stirnrunzeln gegen Widerstand: Patient:in bitten, die Augenbrauen gegen Daumendruck der untersuchenden Person auf die Stirn zu heben
- Orale Muskulatur: Patient:in bitten, die
- Kraftprüfung der Kaumuskulatur (N. trigeminus) : Patient:in bitten,
- Ober- und Unterkiefer gegen Widerstand zu schließen oder aufeinanderzubeißen; dabei die Kaumuskeln temporal palpieren und auf seitengleiche Kontraktion achten
- Die Kiefer gegen eine unter dem Kinn platzierte Hand der untersuchenden Person zu öffnen
- Kraftprüfung der Hals- und Schultermuskulatur (N. accessorius) : Patient:in bitten,
- Den Kopf gegen die am seitlichen Unterkiefer anliegende Hand der untersuchenden Person zu rotieren
- Die Schultern gegen die aufliegenden Hände der untersuchenden Person zu heben
- Inspektion
- Pathologische Befunde
- Paresen der Lidmotorik
- Ptosis: Geschwächte oder gestörte Hebung des Oberlids, hängendes Augenlid, z.B. einseitig bei Okulomotoriusparese oder Horner-Syndrom , beidseitig und belastungsabhängig bei okulärer Myasthenie
- Lagophthalmus: Unvollständiger Lidschluss, trotz max. Anstrengung sichtbare Sklera , z.B. als Bell-Phänomen bei peripherer Fazialisparese
- Wimpernzeichen („signe des cils“) : Geschwächter, aber noch vollständiger Lidschluss , Wimpern bleiben trotz max. Anstrengung sichtbar
- Hypomimie: Herabgesetzte Aktivität der mimischen Muskulatur mit regungslos erscheinendem, maskenartigem Gesichtsausdruck
- Weitere: Paresen der mimischen Muskulatur, der Kaumuskulatur oder der durch den N. acessorius innervierten Mukulatur
- Paresen der Lidmotorik
- Typische Syndrome
- Periphere Fazialisparese : Ipsilateral gestörter Lidschluss , geschwächtes Stirnrunzeln, verstrichene Nasolabialfalte und/oder geschwächte orale Muskulatur
- Zentrale faziale Parese : Kontralateral verstrichene Nasolabialfalte und/oder geschwächte orale Muskulatur bei beidseits erhaltenem Lidschluss und kräftigem Stirnrunzeln
- Trigeminusparese: Lähmung der Kaumuskulatur bei Trigeminusläsion mit Beteiligung des N. mandibularis
- Accessoriusparese