Abstract
Der Begriff „intra- und postpartale Blutungen“ (oder auch „peripartale Blutungen“) umfasst alle Blutungen unmittelbar vor, während und nach der Geburt. Die meisten postpartalen Blutungen treten innerhalb der ersten 4 Stunden nach der Geburt auf. Ursächlich ist meist eine Kontraktionsstörung des Uterus (Uterusatonie); seltener können auch bspw. Geburtsverletzungen, eine ausbleibende oder unvollständige Plazentalösung oder Plazentaimplantationsstörungen der Grund sein. Neben der Therapie der Blutungsursache steht insb. die Therapie von Blutungskomplikationen wie ein Volumenmangelschock oder eine disseminierte intravasale Gerinnung an oberster Stelle. Dabei kommen zunächst konservative Verfahren wie die Gabe von Uterotonika oder die Anwendung uteruskomprimierender Handgriffe zum Einsatz. Bei lebensbedrohlichen Blutungen können auch invasive Maßnahmen wie Uteruskompressionsnähte, Gefäßligaturen oder als Ultima Ratio die postpartale Hysterektomie Anwendung finden. Weltweit stellen peripartale Blutungen die Hauptursache für maternale Mortalität dar.
Für das Notfallmanagement eines ggf. entstehenden Schocks siehe: Hämorrhagischer Schock- AMBOSS-SOP
Definition
- Blutungen, die unmittelbar vor, während bzw. nach der Geburt auftreten
- Definition nach Blutverlust
- DGGG-Leitlinie 2016 [1][2]
- Blutverlust >500 mL nach vaginaler Geburt
- Blutverlust >1000 mL nach Sectio caesarea
- WHO: Blutverlust >500 mL unabhängig vom Geburtsmodus [2][3]
- DGGG-Leitlinie 2016 [1][2]
- Definition nach Zeitpunkt des Auftretens einer postpartalen Blutung
- Primäre postpartale Blutung (>95% aller postpartalen Blutungen): Innerhalb von 24 h post partum auftretende Blutung (>80% der Fälle durch Uterusatonie)
- Sekundäre postpartale Blutung: 24 h bis 12 Wochen post partum auftretende Blutung (v.a. durch Plazentareste oder atone Nachblutungen)
- Siehe auch: Vaginale Blutung im Wochenbett
Etwa ⅔ aller lebensbedrohlichen Blutungen treten während der ersten 4 h nach Entbindung auf!
Epidemiologie
- Inzidenz
- Je nach Definition: 1–6% aller Geburten
- Kontinuierliche Zunahme, insb. aufgrund von Plazentaimplantationsstörungen und Uterusatonien
- Mortalität: Anteil an allen maternalen Todesfällen [1][4]
- Ca. 30% in Ländern des Globalen Südens
- Ca. 10–20% in Ländern des Globalen Nordens
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Die 4 Ts (Geburtshilfe)
- Bei jeder intra- oder postpartalen Blutung sind folgende 4 Ursachen zuerst auszuschließen
- Trauma: Verletzungen durch den Geburtsvorgang oder iatrogen
- Tissue: Plazentare Ursachen
- Thrombin: Gerinnungsstörungen
- Tonus: Uterusatonie
Mit Zunahme der Sectiones steigt auch die Anzahl an Plazentaimplantationsstörungen, was bei Schwangeren mit Z.n. Sectio immer bedacht werden muss!
Risikofaktoren
Neben den ätiologischen Faktoren sind zahlreiche weitere Risikofaktoren bekannt. Oftmals treten intra- und postpartale Blutungen jedoch auch ohne maternale Risikofaktoren auf.
- Maternale Faktoren
- Alter ≥30 Jahre
- Adipositas (BMI >35)
- Multiparität
- Anämie
- Fieber unter Geburt
- Gerinnungsstörungen (z.B. Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom)
- Uterusmyome
- Uterine Fehlbildungen
- Vorangegangene Eingriffe am Uterus
- Thrombozytopenien in der Schwangerschaft
- Besonderheiten im Schwangerschaftsverlauf
- Fetale Makrosomie
- Polyhydramnion
- Mehrlingsschwangerschaft
- Vorangegangene peripartale Blutung
- Antepartale Blutung
- Placenta praevia
- Vorzeitige Plazentalösung
- Präeklampsie
- HELLP-Syndrom
- Besonderheiten unter Geburt
- Geburtseinleitung
- Langanhaltende Wehenverstärkung durch Oxytocin
- Protrahierte Entbindung
- Rasche Geburt
- Sectio (elektiv und Notfall)
- Vaginal-operative Entbindung
- Episiotomie
- Geburtsverletzungen
- Plazentaretention
- Protrahierte Nachgeburtsperiode
- Wiederholungsrisiko
- Komplikationen in vorangegangenen Schwangerschaften (z.B. Plazentaimplantationsstörungen, vorzeitige Plazentalösung)
Bereits präpartal sollten eventuelle Risikofaktoren abgefragt sowie Plazentasitz und Nabelschnur per Ultraschall überprüft und dokumentiert werden! Nur so kann eine Versorgung in einer geeigneten Klinik gewährleistet und ein Großteil der Blutungskomplikationen verhindert werden!
Häufig (>60% der Fälle) tritt eine postpartale Blutung aber auch ganz ohne maternale Risikofaktoren auf!
Symptome/Klinik
- Blutverlust von bis zu 1.500 mL i.d.R. gut tolerierbar (ggf. kompensatorische Tachykardie), danach
- Symptome des Volumenmangelschocks [2]
- Tachypnoe
- Agitiertheit
- Bewusstseinstrübung
- Kaltschweißigkeit
- Blässe/marmorierte Haut
- Tachykardie
- Hypotonie
- Eingeschränkte Nierenfunktion (Oligo-/Anurie)
- Symptome des Volumenmangelschocks [2]
Diagnostik
Bei unklaren Blutungen ist die Situation im Kreißsaal oft hektisch. Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren und strukturiert in kurzer Zeit die wesentlichen Blutungsursachen abzuklären.
Intrapartale Blutung
Bei einer starken intrapartalen Blutung sollte die Geburt so schnell es geht beendet werden. Der Geburtsmodus und das individuelle Vorgehen wird im Einzelfall auf Basis des Zustandes von Mutter und Kind, des Geburtsfortschrittes (Zervixreife) und sonstiger Einzelfaktoren entschieden.
- Für weitere Informationen siehe auch
Postpartale Blutung
Bei der postpartal anhaltenden Blutung steht die Stabilisierung der Mutter und eine zügige Abklärung der Blutungsursache im Vordergrund.
- Abklärung der Blutungsursache
- Reevaluation von Risikofaktoren (siehe auch: Risikofaktoren für intra- und postpartale Blutungen)
- Kontrolle des Mutterpasses
- Klinische Untersuchung
- Beurteilung des Uterustonus und des Fundusstandes
- Überprüfung der Plazenta auf Vollständigkeit
- Gleichzeitig: Einleitung der therapeutischen Basismaßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen
- Spekulumeinstellung bzw. vaginale Tastuntersuchung
- Lokalisierung der Blutung
- Ausschluss von Geburtsverletzungen (bspw. hoher Vaginalriss, Zervixriss)
- Transabdominelle Sonografie inkl. Farbdoppler-Sonografie
- Identifikation von Plazentaresten oder Uterusschädigungen
- Ausschluss freier Flüssigkeit oder Hämatombildung
Die Diagnostik erfolgt meistens parallel zu den therapeutischen Basismaßnahmen und in enger Zusammenarbeit mit dem Fachpersonal (bspw. Hebammen, Anästhesisten)!
Therapie
Basismaßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen [2]
Ab einem Blutverlust von ca. 1.000 mL sind unverzüglich folgende Basismaßnahmen einzuleiten:
- Hilfe holen!
- Anlage von zwei großlumigen venösen Zugängen (mind. 16 G, falls noch nicht präpartal geschehen) [1]
- Abnahme eines Notfalllabors inkl. Blutgruppe und Kreuzblut
- Durchführung einer Blutgasanalyse
- Überwachung der Menge des Blutverlusts [1]
- Überwachung der Vitalparameter (ggf. Monitorüberwachung): RR, HF, Ausscheidung ggf. auch über Blasenkatheter (Bilanzierung), spO2
- Bereithalten intensivmedizinischer Weiterbehandlungsmöglichkeiten
- Volumenersatztherapie
- Durchführung vorrangig mit balancierter Vollelektrolytlösung
- Hämodynamische Zielparameter [1]
- Mittlerer arterieller Blutdruck (MAP) ca. 65 mmHg
- Systolischer Blutdruck ca. 90 mmHg
- Herzfrequenz ≤115/min
- Klinisch: Tastbarer peripherer Puls (bspw. der A. radialis), keine verlängerte Rekapillarisierungszeit
- Sonderfall: Permissive Hypotension bei gesunden Schwangeren mit starker Blutung nach Abnabelung des Kindes
- Hämodynamisches Monitoring: Frühzeitig invasive arterielle Blutdruckmessung und Anlage eines ZVK erwägen
- Wärmeerhalt (Rahmenbedingungen der Gerinnung aufrechterhalten)
Bei starker anhaltender Blutung: Rechtzeitiges Einleiten weiterführender Maßnahmen!
Die Basismaßnahmen werden meistens parallel zur Blutungsdiagnostik durchgeführt!
Die Blutungsmenge wird bei rein optischer Beurteilung um bis zu 50% unterschätzt!
Weitere Maßnahmen
- Therapie der Ursache, siehe hierzu auch
- Invasive Maßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen
Maßnahmen bei schweren intra- und postpartalen Blutungen
Die Therapie einer schweren peripartalen Hämorrhagie ist komplex und stark abhängig von der individuellen Situation. Oft gibt es ein eskalierendes Behandlungskonzept, das nach klinikinternen Standards und parallel zur chirurgischen Therapie erfolgt. In jedem Fall sollte eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit stattfinden, bspw. mit dem Personal der Anästhesiologie bzw. Intensivmedizin. Für das konkrete Vorgehen bei schweren Blutungen siehe: Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP. Ab einem Blutverlust von ca. 1.500 mL sind zusätzlich zu den Basismaßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen i.d.R. folgende Maßnahmen erforderlich: [2]
- Antifibrinolyse, bevorzugt mittels frühzeitiger Gabe von Tranexamsäure
- Transfusion von Erythrozytenkonzentraten und Plasmakonzentraten [1]
- Gerinnungsdiagnostik [1]
- Zur Überwachung von Blutungskomplikationen
- Notfall-Gerinnungsdiagnostik (aPTT, Quick bzw. INR, Antithrombin, Fibrinogen, evtl. Thrombelastografie / Thrombelastometrie ROTEM®) [1]
- Ggf. Clot-Observation-Tests
- Nachsorge
- Dauer der intensivmedizinischen Überwachung mind. 24 h
- Ausmaß der Überwachung angepasst an die individuelle Situation
- Interdisziplinäre Fallbesprechung obligat
- Medikamentöse Thromboseprophylaxe: Beginn spätestens 24 h nach Ende der akuten Blutung, Ziel der Antithrombinaktivität bspw. ≥80% [1]
- Adäquate Eisensubstitution gewährleisten: Siehe Berechnung des Eisenbedarfs
Für das konkrete Vorgehen bei schweren Blutungen siehe: Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP!
Unmittelbares Therapieziel ist die Wiederherstellung der hämodynamischen Stabilität und Normovolämie! [1]
Komplikationsmanagement bei schweren intra- und postpartalen Blutungen [1][2]
Übersicht möglicher Komplikationen von schweren intra- oder postpartalen Blutungen | ||
---|---|---|
Beschreibung | Maßnahmen | |
Disseminierte intravasale Gerinnung |
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Apoplexia uteri (Couvelaire-Syndrom) |
| |
Akute Nierenschädigung |
| |
Multiorganversagen |
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|
Die meisten Komplikationen von intra- und postpartalen Blutungen sind vermeidbare Folgen eines inadäquaten klinischen Managements!
Invasive Maßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen
Invasive Maßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen
Bei anhaltend starker Blutung und Ausschöpfung aller nicht-invasiven Maßnahmen kann es erforderlich sein, eine operative Therapie durchzuführen. Wann immer möglich werden uteruserhaltende Verfahren durchgeführt; die postpartale Hysterektomie gilt als Ultima Ratio. Die Rate erfolgreicher Schwangerschaften nach uteruserhaltenden Verfahren liegt bei ca. 75–85%.
Uteruserhaltende Verfahren
Neben der konservativen Therapie können bei persistierender postpartaler Blutung invasive Maßnahmen notwendig werden. Diese erfolgen i.d.R. parallel zur Gabe von Uterotonika (siehe auch: Therapie der Uterusatonie) und richten sich nach der Blutungsursache. Differenzialdiagnostisch sollte außerdem immer an eine Plazentaretention als Blutungsursache gedacht werden (siehe auch: Maßnahmen bei Plazentalösungsstörungen und relevanter Blutung).
Uterustamponade/Ballonkatheter
- Indikationen
- Uterusatonie
- Plazentare Blutung (bspw. aufgrund einer Plazentaimplantationsstörung)
- Verfahren
- Mittel der 1. Wahl: Ballonkathetereinlage (Bakri-Ballon) in den Uterus
- Transzervikales Einführen des Ballons in das Cavum uteri unter sonografischer Kontrolle und ausreichendes Auffüllen desselben mit ca. 500 mL NaCl → Kompression des Myometriums
- Zusätzlich kann das über den Katheter abfließende Blut quantifiziert werden
- Transzervikales Einführen des Ballons in das Cavum uteri unter sonografischer Kontrolle und ausreichendes Auffüllen desselben mit ca. 500 mL NaCl → Kompression des Myometriums
- Alternativ: Komplette Tamponade von Uterus und Vagina bis zum Introitus vaginae
- Einlage der Tamponade von vaginal oder bei Sectio über die Uterotomie
- Parallel dazu Anlage eines Harnblasenkatheters, Gabe von Uterotonika (siehe: Therapie bei Uterusatonie)
- Mittel der 1. Wahl: Ballonkathetereinlage (Bakri-Ballon) in den Uterus
- Anwendungsdauer: 12–48 h
- Erfolgsquote: ca. 50–90%
Arterielle Katheterembolisation
- Indikationen: Blutungen durch
- Uterusatonie
- Plazentaimplantationsstörungen
- Weitere Indikationen: Extrauteringravidität, Weichteilverletzungen
- Verfahren: Punktion der A. femoralis und Vorschieben eines Katheters bis in die aortalen Gefäßabgänge → Embolisation der Aa. uterinae mit Gelatinepartikeln (Auflösung nach spätestens 10 Tagen)
- Erfolgsquote: ca. 85–95%
Ligatur der A. uterina
- Indikation: Nicht beherrschbare postpartale Blutungen
- Verfahren: Durchführung von abdominal mittels Laparotomie; die Ligatur erfolgt beidseits durch Umstechung, ohne die Gefäße zu durchtrennen
- Erfolgsquote: ca. 80–95%
- Alternativ
- Schrittweise uterine Devaskularisation: Zusätzlich zur Ligatur der A. uterina auch Ligatur der zervikalen und ggf. der tuboovariellen Kollateralen zur A. ovarica (Erfolgsquote: >95%)
- Ligatur der A. iliaca interna, nur als Ultima Ratio (Erfolgsquote: 40%)
Uteruskompressionsnähte
- Indikation: Diffuse atone(!) uterine Blutungen nach vaginaler Entbindung oder Sectio
- Verfahren: In Abhängigkeit von der Blutungsursache, bspw. klassische B-Lynch-Naht („Rucksack-Naht“) , Pereira-Naht oder Z-Naht[1] [1]
- Erfolgsquote: ca. 90%
Postpartale Hysterektomie
- Indikation: Ultima Ratio bei lebensbedrohlicher, nicht beherrschbarer Blutung und Erfolglosigkeit aller bisherigen Therapieschritte
- Hohe Morbidität und eine Mortalität von 4,2%, mittlerer Blutverlust von bis zu 4 Litern!
- Durchführung: In Abhängigkeit von der Blutungsursache
- Bei Plazentaimplantationsstörung: Totale Hysterektomie, wenn möglich unter Adnexerhaltung
- Bei Atonie: Versuch der suprazervikalen Hysterektomie
- Siehe auch: Operative Verfahren der Hysterektomie
Spezifische Krankheitsbilder der intra- und postpartalen Blutungen
Zu den häufigsten Ursachen für intra- und postpartale Blutungen gehören folgende Krankheitsbilder:
Uterusatonie
Allgemeine Informationen
- Definition: Kontraktionsschwäche des Uterus nach vollständiger oder unvollständiger Plazentaausstoßung, wodurch es zu einer verstärkten Nachblutung aus myometrialen Gefäßen kommen kann
- Epidemiologie: Ursache >80% aller primären postpartalen Blutungen
Risikofaktoren
- Geburtshilfliche Anamnese
- Vorherige Uterusatonie (Wiederholungsrisiko 25%)
- Überdehnung des Uterus durch Mehrlingsschwangerschaft, makrosomes Kind, rasche Geburtenfolge, Polyhydramnion, protrahierte Geburt, Übertragung
- Multiparität
- Z.n. vaginal-operativer Entbindung
- Z.n. Sectio
- Maternale Faktoren
- Uterusmyome
- Anatomische Anomalien
- Besonderheiten unter der Geburt
- Sectio in Inhalationsanästhesie
- Hohe Dosen von Oxytocin unter der Geburt
Klinik und Diagnostik
- Klinische Diagnose
- Schubweise vaginale Blutungen, teils wasserfallartig bei Druck auf den Fundus uteri
-
Großer, weicher, aufsteigender Uterus
- Zu hoher Fundusstand
- Zusätzlich: Ausschluss anderer Blutungsursachen aufgrund der Möglichkeit des zeitgleichen Auftretens (bspw. Plazentaretention, Geburtsverletzungen und Gerinnungspathologien)
Therapie der Uterusatonie
Spezielle Maßnahmen
- Entleerung der Harnblase (mittels transurethralem Einmalkatheter)
- Auflegen einer Eisblase auf das untere Abdomen zur Förderung der uterinen Gefäßkontraktion
- Therapie von Blutungskomplikationen
- Invasive Maßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen
Konservative Therapie mit Uterotonika
- 1. Wahl: Oxytocin i.v.
- Wirkungseintritt innerhalb von Minuten zu erwarten; bei vorheriger langfristiger Gabe zur Wehenunterstützung: Reduzierte bzw. fehlende Wirkung möglich
- Alternative bei Therapieversagen: Prostaglandine
- Methylergometrin als Ergotamin-Derivat wird wegen schwerer unerwünschter Arzneimittelwirkungen (kardiale und zerebrale Vasospasmen) nur noch selten verwendet
Kompression des Uterus von außen
- Credé-Handgriff
- Weitere Handgriffe
- Hamilton-Handgriff
- Fritsch-Handgriff
- Ggf. manuelle Ausräumung der Plazentareste
- Ultima Ratio: Postpartale Hysterektomie
Auch wenn grundsätzlich der Uteruserhalt angestrebt wird, darf das mütterliche Überleben dadurch nicht gefährdet werden!
Plazentaimplantationsstörung und Plazentaretention
Plazentaimplantationsstörung
Allgemeine Informationen
- Definition: Invasion der Plazenta in tiefere Wandschichten des Myometriums, sodass sie fest mit der Uteruswand verwachsen ist
- Folge: Plazentalösungsstörung, die je nach Verwachsungsgrad mit schweren Blutungskomplikationen verbunden ist; häufig wird eine Hysterektomie notwendig
- Epidemiologie: 1:500–7.000
- Risikofaktoren
- Uterine Eingriffe: Z.n. Sectio, Kürettage, Myomentfernung
- Placenta praevia (Assoziation mit Placenta accreta)
- Fortgeschrittenes Alter der Schwangeren
- Klassifikation
- Placenta accreta (80%): Plazentazotten reichen bis ans Myometrium (Verwachsung von Plazenta und Uteruswand)
- Placenta increta (15%): Plazentazotten durchwachsen das gesamte Myometrium
- Placenta percreta (5%): Plazentazotten reichen bis in die Serosa bzw. infiltrieren Nachbarorgane
Diagnostik
- Antepartale Diagnosestellung per Ultraschall liefert die besten Ausgangsbedingungen
- (Doppler‑)Sonografische Hinweise
- Turbulenter Blutfluss zwischen Plazenta und Myometrium
- Lakunäre Darstellung der Plazenta im Bereich des Myometriums
- Fehlende Abgrenzbarkeit zwischen Myometrium und Plazenta
- Ggf. MRT bei unklarem Befund
- (Doppler‑)Sonografische Hinweise
Prozedere und Therapie bei Plazentaimplantationsstörung
- Betreuung in einem Zentrum der Maximalversorgung mit erfahrenem Team und guter Infrastruktur (ausreichende Bereitstellung von Blutkonserven, Intensivversorgung)
- Siehe auch: Basismaßnahmen bei intra- und postpartaler Blutung
- Vorgehen bei antepartaler Diagnosestellung von Placenta accreta, increta und percreta: Immer Sectio als Geburtsmodus
- Bei ausgedehntem Befund
- Bei fokaler Implantationsstörung: Resektion des betroffenen Teils der Uteruswand
- Blutstillung: Z-Nähte oder prophylaktischer Verschluss der Aa. iliacae internae
- Vorgehen bei intrapartaler Diagnosestellung und vaginalem Geburtsmodus
- Bei Plazentaretention: Manuelle Lösung ggf. mit Abrasio
- Bei starker Blutung: Operatives Vorgehen oder Embolisation der Aa. uterinae
- Bei Plazentaretention: Manuelle Lösung ggf. mit Abrasio
- Vorgehen bei intrapartaler Diagnosestellung und Sectio als Geburtsmodus
- Ultima Ratio bei unstillbarem Blutverlust: Postpartale Hysterektomie
- Prognose bei konservativem Vorgehen
- In 20% der Fälle sekundäre Hysterektomie wegen Nachblutung oder Infektion
Plazentaretention
Allgemeine Informationen
- Definition: Unvollständige, verzögerte oder ausbleibende Plazentaausstoßung mit hoher Blutungsgefahr
- Nachgeburtsperiode >30 min
- Epidemiologie: 2% aller Geburten
- Ätiologie/Pathophysiologie
- Anatomische Lösungsstörung: Bei ca. 0,2–1% aller Schwangerschaften
- Invasion der Plazenta in die Uteruswand (Plazentaimplantationsstörung): Placenta accreta, Placenta percreta, Placenta increta
- Funktionelle Plazentalösungsstörung
- Anatomische Lösungsstörung: Bei ca. 0,2–1% aller Schwangerschaften
Klinik und Prozedere
- Unterschiedlich starke vaginale Blutungen, ggf. zusätzlich inapparente Blutung nach innen
- Ggf. unvollständige Plazenta
- Fehlende Plazentalösungszeichen
- Schröder-Zeichen (Kantungszeichen): Bei Plazentalösung steigt der Uterusfundus auf und der Querdurchmesser nimmt ab
- Küstner-Zeichen: Bei Druck einer Hand oberhalb der Symphyse zur Anhebung des Uterus zieht sich die Nabelschnur bei stattgehabter Lösung nicht mehr zurück in die Vagina
- Siehe auch: Maßnahmen bei Plazentalösungsstörungen und relevanter Blutung
Prophylaxe
- Aktive Leitung der Nachgeburtsperiode
- Ggf. vorsichtiger Zug an der Nabelschnur
Forcierter Zug ist wegen des Risikos eines Nabelschnurabrisses oder der Provokation einer Inversio uteri kontraindiziert!
Komplikationen
- Peripartal: Atone Nachblutung
- Im Verlauf: Spätblutung, Endomyometritis, Entstehung eines Chorionkarzinoms
Die häufigste Komplikation bei einer (partiellen) Plazentaretention ist die Blutung!
Maßnahmen bei Plazentalösungsstörungen und relevanter Blutung
Sofern innerhalb von 30 min bei aktivem Management (oder 60 min bei abwartendem Management) nach Geburt des Kindes keine Plazentalösung und/oder ein Blutverlust von >500 mL vorliegt, müssen Maßnahmen ergriffen werden (siehe auch: Nachgeburtsperiode und Aktive Leitung der Nachgeburtsperiode).
- Basismaßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen
- Plazentalösung beschleunigen
- Entleerung der Harnblase
- Nachwehen durch Uterotonika antreiben, wenn der Muttermund geöffnet ist (z.B. Oxytocin)
- CAVE: Nicht bei V.a. Placenta incarcerata!
- Einleitung der Therapie in Abhängigkeit von der Retentionsursache
- Anatomische Plazentalösungsstörung
- Siehe: Plazentaimplantationsstörung
- Partielle Plazentalösungsstörung
- Vollständige Retention (ohne Plazentainsertionsstörung)
- Credé-Handgriff
- CAVE: Nicht am schlaffen Uterus anwenden!
- Brandt-Andrews-Handgriff: Kontrollierter Zug an der Nabelschnur bei gleichzeitigem Druck auf den Uterus, um ihn aufzurichten und die Ausstoßung zu erleichtern
- CAVE: Nicht am schlaffen Uterus anwenden!
- Manuelle Austastung und Lösung der Plazenta unter Narkose/Regionalanästhesie und hochdosierter intravenöser Uterotonikagabe
- Dabei wird die Plazenta vorsichtig mit der flachen Hand von der Uteruswand abgelöst, während die äußere Hand den Uterus umfasst, um einer Atonie vorzubeugen
- Erst nach(!) vollständiger Lösung wird die Plazenta nach vaginal herausgezogen
- Ggf. zusätzliche Abrasio, wenn Unsicherheit hinsichtlich verbliebener Plazentareste besteht
- Ultima Ratio: Hysterektomie bei frustranem Lösungsversuch, persistierenden Blutungen und Prostaglandinresistenz
- Credé-Handgriff
- Sonderfall Placenta incarcerata
- Neben der Leerung der Harnblase sollte ein Spasmolytikum verabreicht werden (bspw. Fenoterol)
- Uterotonika sind kontraindiziert!
- Anatomische Plazentalösungsstörung
- Postpartale Inspektion der Plazenta und der Eihäute: Kontrolle der Vollständigkeit der Plazenta und evtl. Suche nach Nebenplazenta → Sonografie
- Häufig ist allerdings postpartal ein Plazentarest durch Überlagerung von Blutkoageln nur schwer erkennbar
Insertio velamentosa
Allgemeine Informationen
- Definition: Ansatz der Nabelschnur direkt an den Eihäuten
- Freier, ungeschützter Verlauf der Nabelschnurgefäße in den Eihäuten und Mündung am lateralen Rand der Plazenta
- Sonderform: Vasa praevia
- Insertio velamentosa im unteren Uterinsegment mit frei verlaufenden Nabelgefäßen nahe des inneren Muttermundes
- Inzidenz: 1:1.200 bis 1:5.000
- Hohe fetale Mortalität bei unerkannten Vasa praevia
- Pathophysiologie: Unklar
Antepartale Diagnostik und Prozedere
- Diagnosestellung
- Früherkennung durch gezielte transvaginale und ggf. transabdominale Ultraschalluntersuchung (inkl. Farbdoppler)
- Bereits im ersten Trimenon möglich, hohe Sensitivität und Spezifität im 2. Trimenon
- Vorgehen nach Diagnosestellung
- Regelmäßige Versorgungs- und Entwicklungskontrolle des Feten via Ultraschall
- Vor der 34. SSW: Lungenreifeinduktion mit Corticosteroiden, z.B. Betamethason
- Danach ggf. frühzeitige stationäre Aufnahme der Patientin und vorzeitige Entbindung
Komplikationen
- Kompression der Nabelschnurgefäße während der Schwangerschaft bzw. unter Geburt
- Minderversorgung des Kindes in der Schwangerschaft mit intrauteriner Wachstumsretardierung (IUGR)
- Wehenbedingte Minderversorgung des Kindes → Asphyxie
- Gefäßverletzung, z.B. Vasa-praevia-Blutung (insb. beim Blasensprung oder der Amniotomie) → Innerhalb kürzester Zeit lebensbedrohlicher fetaler Blutverlust
- Klinik
- Diagnostik: Im vaginalen Blut kann HbF als Zeichen der kindlichen Blutung nachgewiesen werden
- Therapie bei Insertio velamentosa und Blutung: Schnellstmögliche Entbindung
- Bei noch nicht vollendeter Eröffnungsphase: Not-Sectio
- Bei bereits stattfindender Austreibungsphase: Forcierte vaginale Entbindung
Inversio uteri
- Definition: Sehr seltene Komplikation, bei der sich die Uterusinnenwand nach außen stülpt
- Vorkommen: Sowohl bei vaginaler Geburt als auch bei Sectio möglich
- Klinik: Sehr schmerzhaft mit starkem Blutverlust → Schock
- Invertierter Fundus lässt sich intravaginal tasten
- Therapie bei Inversio uteri
- Basismaßnahmen bei intra- und postpartaler Blutung
- Reposition des Uterus unter Tokolyse von vaginal (Johnson-Manöver )
- Wenn das nicht möglich ist, erfolgt eine operative Reposition (Huntington-Manöver)
- Nach Reposition: Tonisierung des Uterus zur Vermeidung einer Re-Inversio (z.B. durch Oxytocin, Prostaglandine)
Komplikationen
- Volumenmangelschock
- Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)
- Niereninsuffizienz
- Apoplexia uteri (Couvelaire-Syndrom) nach vorzeitiger Plazentalösung
- Multiorganversagen mit hoher mütterlicher und fetaler Letalität
Für Informationen zum Management der wichtigsten Blutungskomplikationen siehe auch
- Maßnahmen bei schweren intra- und postpartalen Blutungen
- Invasive Maßnahmen bei intra- und postpartalen Blutungen
Die meisten Komplikationen von intra- und postpartalen Blutungen gelten als vermeidbar und sind Folge eines schlechten klinischen Managements!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Wiederholungsrisiko nach postpartaler Blutung: 15% [4]
Prävention
Prävention
- Ausführliche geburtshilfliche Anamnese
- Ausführliche Anamnese gynäkologischer Voruntersuchungen bzw. Eingriffe
- Strenge Indikationsstellung und Überwachung bei medikamentöser Weheninduktion und Periduralanästhesie nach Uteruseingriffen
- Dokumentation des Plazentasitzes im 2. Trimenon mittels Ultraschall, bei unklarem Befund auch MRT
- Bei tief sitzender Plazenta ggf. Ausschluss von Vasa praevia
- Bei Placenta praevia Ausschluss weiterer Plazentaimplantationsstörungen (insb. Placenta accreta )
- Geburtsvorkehrungen bei vorliegenden Risikofaktoren
- Adäquater venöser Zugang
- Erreichbarkeit erfahrener Geburtshelfer und Anästhesisten
- Bereitstellung von Uterotonika: Oxytocin, Prostaglandin, Misoprostol
- Verfügbarkeit von Notfalllabor, Blutbank, Blutprodukten inkl. Gerinnungsfaktoren
- Aktive Leitung der Nachgeburtsperiode (nach vaginaler Entbindung) [5]
- Indikationen
- Risikofaktoren für postpartale Blutungen
- Verstärkte postpartale Blutung
- Verzögerte Nachgeburtsperiode (>60 min)
- Wunsch der Patientin
- Durchführung
- Prophylaktische Applikation von Oxytocin nach Geburt der vorderen Schulter oder post partum
- Abklemmen der Nabelschnur (nach Applikation von Oxytocin) zwischen 1–5 min postpartal
- Ggf. leichter gezielter Zug an der Nabelschnur („cord traction“, nur bei positiven Plazentalösungszeichen)
- Indikationen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
O67.-: Komplikationen bei Wehen und Entbindung durch intrapartale Blutung, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive:
- Placenta praevia (O44.‑)
- Postpartale Blutung (O72.‑)
- Präpartale Blutung, anderenorts nicht klassifiziert (O46.‑)
- Vorzeitige Plazentalösung [Abruptio placentae] (O45.‑)
- O67.0: Intrapartale Blutung bei Gerinnungsstörung
- Intrapartale Blutung (verstärkt) im Zusammenhang mit:
- Afibrinogenämie
- disseminierter intravasaler Gerinnung
- Hyperfibrinolyse
- Hypofibrinogenämie
- Intrapartale Blutung (verstärkt) im Zusammenhang mit:
- O67.8: Sonstige intrapartale Blutung
- Verstärkte intrapartale Blutung
- O67.9: Intrapartale Blutung, nicht näher bezeichnet
O69.-: Komplikationen bei Wehen und Entbindung durch Nabelschnurkomplikationen
- O69.4: Komplikationen bei Wehen und Entbindung durch Vasa praevia
- Blutung bei Vasa praevia
O72.-: Postpartale Blutungen
- Inklusive: Blutung nach Ausstoßung des Fetus oder Geburt des Kindes
- O72.0: Blutung in der Nachgeburtsperiode
- Blutung, verbunden mit Plazentaretention oder Placenta adhaerens
- Plazentaretention o.n.A.
- O72.1: Sonstige unmittelbar postpartal auftretende Blutungen
- Blutung nach Ausstoßung der Plazenta
- Postpartale Blutung (atonisch) o.n.A.
- O72.2: Spätblutung und späte Nachgeburtsblutung
- Blutung in Verbindung mit Retention von Plazenta- oder Eihautresten
- Retention von Konzeptionsprodukten o.n.A., nach Entbindung
- O72.3: Postpartale Gerinnungsstörungen
- Afibrinogenämie
- Fibrinolyse
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.