Abstract
Neurinome sind i.d.R. gutartige, langsam wachsende Tumoren, die von den Schwann-Zellen ausgehen. Die Bezeichnung „Schwannome“ ist streng genommen zutreffender, wird jedoch im klinischen Alltag seltener verwendet. Neurinome können im gesamten peripheren Nervensystem vorkommen. Typische Lokalisationen sind insb. der vestibuläre Anteil des Nervus vestibulocochlearis (Akustikusneurinom) sowie die Spinalwurzeln. Symptomatisch werden Neurinome durch Druck auf umgebende Strukturen; so geht z.B. ein Akustikusneurinom durch Druck auf den N. cochlearis mit einer einseitigen Hörminderung einher. Bei Auftreten im jungen Lebensalter und vor allem bei Nachweis multipler Neurinome muss stets an das Vorliegen einer Neurofibromatose Typ II gedacht werden.
Allgemein
- Wachstum und bevorzugte Lokalisationen: Neurinome können prinzipiell das komplette periphere Nervensystem betreffen
- Meist intradural (und extramedullär), in ca. 20% auch extradural
- Hirnnerven (Akustikusneurinom), Spinalwurzeln (oftmals mit Wachstum von intra- nach extradural als sog. Sanduhrneurinome )
- Klinik
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Radikuläre Symptome durch Verlegung einer Nervenwurzel infolge von Verdrängung und Kompression
- Je nach Innervationsgebiet: Paresen, Sensibilitätsstörungen (u.a. Missempfindungen, Schmerzen)
- Bei Neurinomen an peripher gelegenen Nerven (z.B. N. medianus): Derb-knotige Veränderungen mit ausgeprägten Druck- und Berührungsschmerzen
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Radikuläre Symptome durch Verlegung einer Nervenwurzel infolge von Verdrängung und Kompression
- Diagnostik: MRT
- Therapie (siehe auch Akustikusneurinom)
- Vollständige chirurgische Exzision
- Ggf. Radiotherapie
- Sonstiges
- Neurogene Tumoren (u.a. Neurinom, Neurofibrom und Neuroblastom) sind die häufigsten Raumforderungen des hinteren Mediastinums
- Eine maligne Entartung (maligne periphere Nervenscheidentumoren, MPNST ) ist sehr selten
Akustikusneurinom (Vestibularisschwannom)
Das Akustikusneurinom geht aus den Schwann-Zellen des vestibulären Anteils des Nervus vestibulocochlearis hervor. Das Wachstum erfolgt meist im inneren Gehörgang und dehnt sich von dort langsam in den Kleinhirnbrückenwinkel aus. Dadurch kommt es zu einem Druck auf den N. vestibularis und N. cochlearis; im weiteren Verlauf können auch der N. facialis und N. trigeminus betroffen sein. In den meisten Fällen wird das Akustikusneurinom schleichend durch eine einseitige Hörminderung symptomatisch. Als weitere Symptome können Tinnitus, Schwindel, Fazialisparese sowie weitere Folgen der Kompression von Hirnnerven oder Hirnstamm auftreten. Diagnostisch zeigt sich in der Tonschwellenaudiometrie eine Hochtonschwerhörigkeit; bestätigt wird die Verdachtsdiagnose jedoch durch die MRT. Therapie der Wahl ist bei kleineren Tumoren die Radiochirurgie; bei größeren Tumoren erfolgt eine operative Entnahme des Tumors mit intraoperativem Monitoring der Hirnnerven VII und VIII.
Epidemiologie
- Inzidenz: 1:100.000
- Häufigkeitsgipfel: 30.–50. Lebensjahr
Symptome/Klinik
- Frühsymptome (schleichendes Einsetzen): Da sich das Akustikusneurinom im inneren Gehörgang (Meatus acusticus internus) ausbreitet, entstehen die ersten Symptome durch Druck auf den N. vestibulocochlearis
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Zunehmende einseitige Schwerhörigkeit (Hochtonschwerhörigkeit) ist oft das erste Symptom
- Eine in etwa 5% der Fälle auftretende bilaterale Schwerhörigkeit ist nahezu beweisend für das Vorliegen einer Neurofibromatose Typ II
- Gangunsicherheit
- Schwindel, vor allem bei Belastung
- Tinnitus
- Spontannystagmus
- Hörsturz
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Zunehmende einseitige Schwerhörigkeit (Hochtonschwerhörigkeit) ist oft das erste Symptom
- Spätsymptome
- Periphere Fazialislähmung
- Hypästhesie im 1. und 2. Trigeminusast
- Weitere Folgen durch Kompression von Hirnnerven oder Hirnstamm
Da der Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel liegt, kommt es zum sog. „Kleinhirnbrückenwinkel-Syndrom“!
Diagnostik
- Untersuchungen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
- Weber-Versuch: Lateralisation in das normal hörende Ohr
- Tonschwellenaudiometrie: Hochtonschwerhörigkeit
- Überschwellige Audiometrie: Negatives Recruitment
- Hirnstammaudiometrie: Durch einen Laufzeitvergleich mit Normtabellen können topografische Angaben über den Läsionsort gemacht werden
- Neurologische Untersuchungen
- Lumbalpunktion: Eiweißerhöhung im Liquor (vor allem bei großen Tumoren)
- Elektroenzephalografie (EEG): Verzögerte Latenz der akustisch evozierten Potenziale (AEP)
- Weiterführende Diagnostik
- MRT: Kontrastmittelanreicherung (Enhancement) im Meatus acusticus internus
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Histologie
- Ausgangszellen: Schwann-Zellen (häufig des vestibulären Anteils des N. vestibulocochlearis)
- Palisadenartige Anordnung der Zellkerne
Bei beidseitigem Akustikusneurinom muss an die Neurofibromatose II gedacht werden!
Therapie
- Generell: Auswahl des Therapieverfahrens erfolgt anhand von Tumorgröße und -lokalisation sowie des Allgemeinzustands des Patienten
- Behandlungsoptionen
- Kleine Tumoren ohne klinische Symptomatik: Konservatives Verhalten mittels regelmäßiger MRT-Untersuchungen und Hörtests („Wait-and-Scan“)
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Tumor <25 mm: Radiochirurgie (z.B. stereotaktische Radiotherapie mittels Gamma-Knife® )
- Ziel: Rückbildung des Tumors und Verhinderung der Tumorprogression
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Tumor >25 mm, progredienter Hörverlust und weitere Symptome: Mikrochirurgische Tumorresektion mit intraoperativem Monitoring von Hirnnerv VII und VIII
- Ziel: Vollständige Tumorentfernung
- Komplikationen: Ertaubung , Fazialisparese, lang anhaltende Gleichgewichtsstörungen
Prognose
- Gute Prognose: Das Neurinom entspricht einem WHO-Grad I (siehe: Hirntumor)
- Rezidivneigung bei großen, chirurgisch unvollständig entfernten Tumoren oder Non-Respondern nach Radiotherapie
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- D33.-: Gutartige Neubildung des Gehirns und anderer Teile des Zentralnervensystems
- D33.3: Hirnnerven
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.