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Intrazerebrale Blutung

Letzte Aktualisierung: 23.2.2023

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Eine intrazerebrale Blutung ist eine Blutung in das Hirnparenchym und die zweithäufigste Form eines Schlaganfalls. Zu den häufigsten Ursachen gehören der Bluthochdruck, die zerebrale Amyloidangiopathie, Gefäßfehlbildungen und die Therapie mit Antikoagulantien. Je nach Ort und Ausmaß der Blutung bestehen unterschiedliche Defizite; häufig gehören Vigilanzminderung, Paresen und Kopfschmerzen zu den Symptomen.

Klinisch lässt sich die intrazerebrale Blutung nicht sicher vom ischämischen Schlaganfall unterscheiden, weshalb schnellstmöglich eine CT-Bildgebung des Kopfes durchgeführt werden muss. In dieser stellt sich die akute Blutung als hyperdense Raumforderung dar. Im Rahmen der Akuttherapie müssen der häufig gesteigerte Blutdruck und eine etwaige hämorrhagische Diathese behandelt werden. Bei erhöhtem intrakraniellen Druck können Maßnahmen zur Hirndrucksenkung indiziert sein. Die neurochirurgische Hämatomausräumung stellt eine therapeutische Einzelfallentscheidung dar und kommt insbesondere bei Lobär- und Kleinhirnblutungen zur Anwendung. Komplikationen wie ein Einbruch der Blutung in das Ventrikelsystem oder die Entwicklung eines Hydrozephalus tragen zur hohen Letalität der intrazerebralen Blutung bei.

  • Anteil an allen Schlaganfällen: 10–15%
  • Inzidenz: 20/100.000 Einwohner pro Jahr
  • Geschlecht: > (3:2)
  • Alter: In jedem Lebensalter möglich, mit steigendem Alter zunehmend

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Einteilung nach Ätiologie

Die ätiologische Zuordnung ist u.a. wichtig für die Rezidiv- bzw. Sekundärprophylaxe .

Nicht-traumatische ICB [1]

Nicht-traumatische intrazerebrale Blutungen zählen neben den subarachnoidalen Blutungen zu den hämorrhagischen Schlaganfällen.

Nicht-traumatische intrazerebrale Blutungen zählen zu den hämorrhagischen Schlaganfällen!

Traumatische ICB

Einteilung nach Lokalisation

Die (radiologische) Lokalisation einer intrazerebralen Blutung lässt keinen eindeutigen Rückschluss auf eine bestimmte Ätiologie zu. Tiefe intrazerebrale Blutungen sind aber häufig hypertensiv bedingt.

  • Tiefe intrazerebrale Blutung: Einblutung in tiefe subkortikale Großhirnareale oder infratentorielle Strukturen
    • ICB loco typico: Tiefe intrazerebrale Blutung in einer der für die hypertensive Blutungsätiologie typischen, da häufigsten Lokalisationen
  • Atypische intrazerebrale Blutung
    • Lobär: Blutung in einem (mehr oder weniger vollständigen) Großhirnlappen, auch inkl. des betreffenden Kortex
    • Kortikal: Auf den Kortex beschränkte oder vom Kortex ausgehende Blutung
    • Primäre intraventrikuläre Blutung aus den Gefäßen des Plexus choroideus
      • Bei Frühgeborenen: Blutung aus vulnerablen subependymalen Gefäßen
  • Rhexisblutung
    • Intrazerebrale Ruptur kleinkalibriger Arterien (Vorschädigung etwa durch hypertoniebedingte Mikroangiopathie) → Austritt von Blut ins Hirnparenchym → Raumfordernder Effekt → Ruptur von umgebenden kleinen Gefäßen, mechanische und ischämische Hirngewebsschädigung, Schädigung der Blut-Hirn-Schranke → Entwicklung eines perifokalen Ödems → Zunehmender Hirndruck
    • Im Verlauf Blutungsstillung durch Hämostase, parenchymatösen Gegendruck und zunehmenden Hirndruck

Eine sichere klinische und anamnestische Unterscheidung zwischen einer intrazerebralen Blutung und einem ischämischen Schlaganfall ist nicht möglich!

  • Wesentliche Ziele der Diagnostik
    • Schnellstmögliche Differenzierung Blutung vs. Ischämie
    • Klärung der Ätiologie der Blutung

Akutbildgebung

CT des Kopfes (Goldstandard)

  • Allgemeines: Sensitivität nahezu 100%
    • In Akutdiagnostik der MRT häufig vorgezogen
    • Native Erstbildgebung, bei Bedarf (Verdacht auf zerebrale Sinus- und Venenthrombose, Aneurysmablutung) nachfolgende kontrastmittelgestützte Darstellung möglich
  • Akute Blutung
    • Hyperdense, meist rundliche intrazerebrale Raumforderung (50–70 HU)
    • Selten (bei ausgeprägten Anämien möglich): Akute Blutung primär isodens
    • Weitere mögliche Befunde
      • Perifokales Ödem um Blutung (hypodens)
        • Ggf. mit Zeichen der Raumforderung (Mittellinienverlagerung, Kompression der Ventrikel)
      • Ventrikeleinbruch (Spiegelbildung im Hinterhorn)
      • Liquorzirkulationsstörung
      • Hinweise auf ein Trauma (z.B. Kalottenfraktur)
  • Subakute Blutung (nach einer Woche)
    • Verkleinerung des hyperdensen Areals zugunsten eines zunehmenden hypodensen Saumes
    • Rückbildung eventueller Raumforderungszeichen
  • Chronische Blutung (nach etwa sechs Wochen)
    • Hypodenses Residuum
    • Ggf. kleine Verkalkungen oder Substanzaussparungen
  • Verlaufskontrolle
    • Bei klinischer Verschlechterung
    • Bei klinischer Stabilität nach hausinternen Leitlinien

MRT des Kopfes

  • Allgemeines: In Akutdiagnostik der CT diagnostisch gleichwertig
    • Nachteil: Längere Untersuchungsdauer, Patienten-Monitoring eingeschränkt und aufwändiger
    • Vorteil: Bessere Diagnostik von Mikroblutungen (<10 mm) und chronischen Blutungen
  • Befund
MRT-Signalverhalten von intrazerebralen Blutungen im zeitlichen Verlauf
Zeitraum Signalverhalten Hämoglobin bzw. Blutabbauprodukte
Beginn bis mehrere Stunden
Mehrere Stunden bis etwa 3 Tage
Etwa 3 Tage bis 1 Woche
1 Woche bis wenige Monate
Monate bis Jahre

Weiterführende Bildgebung

Labordiagnostik

Intracerebral Hemorrhage Score (ICH-Score)

  • Insb. im angloamerikanischen Raum verbreitetes Instrument zur Einschätzung der Schwere bei Diagnosestellung
  • Je höher die Punktzahl, desto höher die 30-Tage-Mortalität
  • Das Ergebnis sollte nicht für Therapieentscheidungen genutzt werden!
Faktoren Punkte
Glasgow Coma Scale 3–4 2
5–12 1
13–15 0
Blutungsvolumen in cm3 ≥30 1
<30 0
Intraventrikuläre Blutung Ja 1
Nein 0
Infratentorielle Blutung Ja 1
Nein 0
Alter in Jahren ≥80 1
<80 0
Summe der Punkte 0–6

Die wichtigste Differenzialdiagnose der intrazerebralen Blutung ist der ischämische Schlaganfall. Die Unterscheidung in der Akutsituation mittels Bildgebung ist aufgrund der unterschiedlichen Therapiestrategien von außerordentlicher Bedeutung!

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Konservative Therapiemaßnahmen

Intrazerebrale Blutung - Überwachung und Stabilisierung

Intrazerebrale Blutung - Blutdrucksenkende Therapie

  • Frühzeitige Blutdrucksenkung: Zielwert systolischer Druck <140 mmHg
  • Kurzwirksame i.v. Medikation (gute Steuerbarkeit)

Normalisierung der Gerinnung bei Therapie mit Antikoagulantien

Hirndrucktherapie

Operative Therapie (Hämatomevakuation)

  • Immer eine Einzelfallentscheidung
  • Faktoren für den Entscheidungsprozess: Lokalisation und Ausmaß der Blutung, Ventrikeleinbruch, Vigilanz, Alter, Begleiterkrankungen
    • Bei supratentoriellen Blutungen ist ein genereller Nutzen der operativen Therapie nicht nachgewiesen
    • Kleinhirnblutungen mit Gefahr einer raumfordernden Wirkung (Kompression/Verlagerung IV. Ventrikel, Vigilanzverschlechterung) sollten schnell operiert werden
    • Nicht operiert werden:
Übersicht zur Indikationsstellung einer Hämatomevakuation bei intrazerebraler Blutung
Supratentorielle Blutungen Infratentorielle Blutungen
Operationsindikation eher gegeben
  • Oberflächennahe und mittelgroße Lobärblutungen
  • Lobärblutungen mit sekundärer Verschlechterung
  • Kleinhirnblutungen > 3 cm Durchmesser bzw. Volumen >20 mL spätestens bei Zeichen der Raumforderung
Fehlende Operationsindikation
  • Lobärblutungen <10 mL
  • Blutungen mit fehlender oder geringer Symptomatik
  • Thalamusblutungen
  • Schwerbetroffene Patienten (GCS 3–4)
  • Kleinhirnblutungen mit infauster Prognose (initial schwerbetroffene Patienten mit Koma und manifester Hirnstammschädigung)
  • Hirnstammblutungen

Operatives Vorgehen

  • Supratentorielle Blutung
    • Kraniotomie mit konventioneller Hämatomausräumung
    • Stereotaktische Hämatomaspiration
    • Endoskopische Hämatomausräumung
    • Entlastungskraniektomie in Ausnahmefällen
  • Kleinhirnblutung: Kraniotomie
  • Prinzipien
    • Kurze Zugangswege unter Umgehung funktionell wichtiger Kortexareale („eloquente Areale“) zur Vermeidung eines Zugangstraumas
    • Bei oberflächennahen Blutungen eher konventionelle Hämatomausräumung, bei tiefer gelegenen Blutungen eher andere Verfahren
    • Je nach Blutungsursache: Zusätzlich Biopsie aus Tumorgewebe, Resektion von arteriovenösen Malformationen

Thromboseprophylaxe

Sekundäre intraventrikuläre Blutung

Sonstige Komplikationen

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

  • Hohe Letalität
  • Funktionelle Unabhängigkeit der Überlebenden: 10–40%
  • Prognostisch ungünstige Faktoren
  • Rezidivblutungsrisiko
    • ∼2% im ersten Jahr
    • ∼1% in darauffolgenden Jahren
  • Reduktion von Risikofaktoren
    • Nikotinkarenz
    • Maßvoller Alkoholkonsum
    • Behandlung eines arteriellen Hypertonus
      • Zielblutdruck
        • <140/90 mmHg bzw.
        • <130/80 mmHg bei Patienten mit Diabetes mellitus und hohem kardiovaskulären Risiko
    • Verzicht auf Stimulanzien (z.B. Kokain)

I61.-: Intrazerebrale Blutung

  • Exklusive: Folgen einer intrazerebralen Blutung (I69.1)
  • I61.0: Intrazerebrale Blutung in die Großhirnhemisphäre, subkortikal
    • Tiefe intrazerebrale Blutung
  • I61.1: Intrazerebrale Blutung in die Großhirnhemisphäre, kortikal
    • Oberflächliche intrazerebrale Blutung
    • Zerebrale Lobusblutung
  • I61.2: Intrazerebrale Blutung in die Großhirnhemisphäre, nicht näher bezeichnet
  • I61.3: Intrazerebrale Blutung in den Hirnstamm
  • I61.4: Intrazerebrale Blutung in das Kleinhirn
  • I61.5: Intrazerebrale intraventrikuläre Blutung
  • I61.6: Intrazerebrale Blutung an mehreren Lokalisationen
  • I61.8: Sonstige intrazerebrale Blutung
  • I61.9: Intrazerebrale Blutung, nicht näher bezeichnet

G46.-:* Zerebrale Gefäßsyndrome bei zerebrovaskulären Krankheiten (I60–I67†)

Spezielle Fälle und Folgen

  • P52.-: Intrakranielle nichttraumatische Blutung beim Fetus und Neugeborenen
  • S06.-: Intrakranielle Verletzung
    • S06.2-: Diffuse Hirnverletzung (Großer Hirngewebebereich betroffen)
    • S06.3-: Umschriebene Hirnverletzung (Begrenzter oder umschriebener Hirngewebebereich betroffen)
  • I69.-: Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit
    • I69.1: Folgen einer intrazerebralen Blutung

Ursachen

  • I67.-: Sonstige zerebrovaskuläre Krankheiten
  • Q28.-: Sonstige angeborene Fehlbildungen des Kreislaufsystems
    • Exklusive: Angeborenes Aneurysma: koronar (Q24.5), peripher (Q27.8), pulmonal (Q25.7), retinal (Q14.1), o.n.A. (Q27.8)
    • Q28.0-: Arteriovenöse Fehlbildung der präzerebralen Gefäße
      • Q28.00: Angeborenes arteriovenöses Aneurysma der präzerebralen Gefäße
      • Q28.01: Angeborene arteriovenöse Fistel der präzerebralen Gefäße
      • Q28.08: Sonstige angeborene arteriovenöse Fehlbildungen der präzerebralen Gefäße
      • Q28.09: Angeborene arteriovenöse Fehlbildung der präzerebralen Gefäße, nicht näher bezeichnet
    • Q28.1-: Sonstige Fehlbildungen der präzerebralen Gefäße
      • Q28.10: Angeborenes Aneurysma der präzerebralen Gefäße
      • Q28.11: Angeborene Fistel der präzerebralen Gefäße
      • Q28.18: Sonstige angeborene Fehlbildungen der präzerebralen Gefäße
      • Q28.19: Angeborene Fehlbildung der präzerebralen Gefäße, nicht näher bezeichnet
    • Q28.2-: Arteriovenöse Fehlbildung der zerebralen Gefäße
    • Q28.3-: Sonstige Fehlbildungen der zerebralen Gefäße

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

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  2. Linn et al.: Atlas Klinische Neuroradiologie Wirbelsäule und Spinalkanal . Springer 2014, ISBN: 978-3-642-38108-9 .
  3. S2e-Leitlinie Intrazerebrale Blutungen. Stand: 1. September 2012. Abgerufen am: 1. Juli 2016.
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  5. Hoffmann: Crashkurs Pädiatrie. 2. Auflage Urban & Fischer 2003, ISBN: 978-3-437-43200-2 .
  6. Hacke (Hrsg.): Neurologie. 14. Auflage Springer 2016, ISBN: 978-3-662-46891-3 .
  7. Schwab et al. (Hrsg.): Neurointensiv. 3. Auflage Springer 2015, ISBN: 978-3-662-46499-1 .
  8. Linn et al. (Hrsg.): Atlas Klinische Neuroradiologie des Gehirns. 1. Auflage Springer 2011, ISBN: 978-3-540-89568-8 .
  9. S1-Leitlinie Diagnostik akuter zerebrovaskulärer Erkrankungen. Stand: 31. Dezember 2016. Abgerufen am: 3. August 2020.
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