Abstract
Eine intrazerebrale Blutung ist eine Blutung in das Hirnparenchym und die zweithäufigste Form eines Schlaganfalls. Zu den häufigsten Ursachen gehören der Bluthochdruck, die zerebrale Amyloidangiopathie, Gefäßfehlbildungen und die Therapie mit Antikoagulantien. Je nach Ort und Ausmaß der Blutung bestehen unterschiedliche Defizite; häufig gehören Vigilanzminderung, Paresen und Kopfschmerzen zu den Symptomen.
Klinisch lässt sich die intrazerebrale Blutung nicht sicher vom ischämischen Schlaganfall unterscheiden, weshalb schnellstmöglich eine CT-Bildgebung des Kopfes durchgeführt werden muss. In dieser stellt sich die akute Blutung als hyperdense Raumforderung dar. Im Rahmen der Akuttherapie müssen der häufig gesteigerte Blutdruck und eine etwaige hämorrhagische Diathese behandelt werden. Bei erhöhtem intrakraniellen Druck können Maßnahmen zur Hirndrucksenkung indiziert sein. Die neurochirurgische Hämatomausräumung stellt eine therapeutische Einzelfallentscheidung dar und kommt insbesondere bei Lobär- und Kleinhirnblutungen zur Anwendung. Komplikationen wie ein Einbruch der Blutung in das Ventrikelsystem oder die Entwicklung eines Hydrozephalus tragen zur hohen Letalität der intrazerebralen Blutung bei.
Epidemiologie
- Anteil an allen Schlaganfällen: 10–15%
- Inzidenz: 20/100.000 Einwohner pro Jahr
- Geschlecht: ♂ > ♀ (3:2)
- Alter: In jedem Lebensalter möglich, mit steigendem Alter zunehmend
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Einteilung nach Ätiologie und Lokalisation
Einteilung nach Ätiologie
Die ätiologische Zuordnung ist u.a. wichtig für die Rezidiv- bzw. Sekundärprophylaxe .
Nicht-traumatische ICB [1]
Nicht-traumatische intrazerebrale Blutungen zählen neben den subarachnoidalen Blutungen zu den hämorrhagischen Schlaganfällen.
- Hypertensive ICB (ca. 35%, häufigste Ursache bei Patienten zwischen 40 und 70 Jahren)
- Pathomechanismus: Entstehung arteriosklerotischer Veränderungen der Gefäßwände mit lokalen Nekrosen und Mikroaneurysmen durch chronischen Bluthochdruck, insb. in Gefäßen im tiefen Marklager
- Auftreten gehäuft in typischer Lokalisation („ICB loco typico“)
- ICB aufgrund einer anderen Grunderkrankung
- Zerebrale Amyloidangiopathie (ca. 20%, häufigste Ursache bei Patienten >70 Jahre [2])
- Histopathologie: In der Kongorotfärbung erscheinen Amyloidstrukturen rot in der Gefäßwand
- Hämorrhagische Diathese
- Iatrogen (Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung) (ca. 15%)
- Andere systemische Gerinnungsstörungen (ca. 5%)
- Gefäßfehlbildungen (ca. 5%, häufigste Ursache bei Patienten <40 Jahren)
- Kavernome
- Arteriovenöse Malformation
- Durale Fisteln
- Sonstige Ursachen
- Tumoren (sekundäre Einblutungen)
- Ischämien (sekundäre Einblutungen)
- Intoxikation (insb. Kokain, Amphetamine)
- Vaskulitis
- Zerebrale Amyloidangiopathie (ca. 20%, häufigste Ursache bei Patienten >70 Jahre [2])
- Kryptogene ICB (auch: idiopathische ICB; unbekannte Ursache, ca. 20%)
Nicht-traumatische intrazerebrale Blutungen zählen zu den hämorrhagischen Schlaganfällen!
Traumatische ICB
- ICB durch Schädel-Hirn-Trauma
- Im Rahmen schwerer Schädel-Hirn-Traumata bei bis zu 40% der Betroffenen
- Sowohl als Coup-Blutung als auch als Contrecoup-Blutung möglich, siehe: Coup-Contrecoup-Mechanismus
Einteilung nach Lokalisation
Die (radiologische) Lokalisation einer intrazerebralen Blutung lässt keinen eindeutigen Rückschluss auf eine bestimmte Ätiologie zu. Tiefe intrazerebrale Blutungen sind aber häufig hypertensiv bedingt.
- Tiefe intrazerebrale Blutung: Einblutung in tiefe subkortikale Großhirnareale oder infratentorielle Strukturen
- ICB loco typico: Tiefe intrazerebrale Blutung in einer der für die hypertensive Blutungsätiologie typischen, da häufigsten Lokalisationen
- Basalganglien (Stammganglienblutung)
- Thalamus
- Infratentoriell (Kleinhirn, Pons)
- ICB loco typico: Tiefe intrazerebrale Blutung in einer der für die hypertensive Blutungsätiologie typischen, da häufigsten Lokalisationen
- Atypische intrazerebrale Blutung
- Lobär: Blutung in einem (mehr oder weniger vollständigen) Großhirnlappen, auch inkl. des betreffenden Kortex
- Kortikal: Auf den Kortex beschränkte oder vom Kortex ausgehende Blutung
- Primäre intraventrikuläre Blutung aus den Gefäßen des Plexus choroideus
- Bei Frühgeborenen: Blutung aus vulnerablen subependymalen Gefäßen
Pathophysiologie
- Rhexisblutung
- Intrazerebrale Ruptur kleinkalibriger Arterien (Vorschädigung etwa durch hypertoniebedingte Mikroangiopathie) → Austritt von Blut ins Hirnparenchym → Raumfordernder Effekt → Ruptur von umgebenden kleinen Gefäßen, mechanische und ischämische Hirngewebsschädigung, Schädigung der Blut-Hirn-Schranke → Entwicklung eines perifokalen Ödems → Zunehmender Hirndruck
- Im Verlauf Blutungsstillung durch Hämostase, parenchymatösen Gegendruck und zunehmenden Hirndruck
Symptome/Klinik
- Meist plötzlich auftretende Symptomatik
- Defizite abhängig von Ort und Größe der Blutung
- Stammganglien
- Kontralaterale Hemiparese
- Konjugierte Blickdeviation zur Läsionsseite (sog. Déviation conjuguée)
- Aphasie (wenn dominante Hemisphäre betroffen)
- Homonyme Hemianopsie
- Thalamus
- Vigilanzminderung
- Kontralaterale sensomotorische Hemisymptomatik
- Vertikale Blickparese
- Kleinhirn: Erbrechen, Ataxie, Schwindel, Spontannystagmus , Dysarthrie
- Pons
- Koma und Tetraparese
- Kontralaterale Hemisymptomatik
- Isolierte Hirnnervenausfälle und/oder gekreuzte Hirnstammsyndrome
- Lobärblutung: Symptomatik abhängig von Ausdehnung und betroffenem Lappen
- Fokale sensible oder motorische Defizite
- Häufiger epileptische Anfälle
- Okzipital: Kontralaterale homonyme Hemianopsie
- Stammganglien
- Kopfschmerzen
- Epileptische Anfälle
- Progression der Symptomatik infolge Hämatomausdehnung möglich
Eine sichere klinische und anamnestische Unterscheidung zwischen einer intrazerebralen Blutung und einem ischämischen Schlaganfall ist nicht möglich!
Diagnostik
- Wesentliche Ziele der Diagnostik
- Schnellstmögliche Differenzierung Blutung vs. Ischämie
- Klärung der Ätiologie der Blutung
Akutbildgebung
CT des Kopfes (Goldstandard)
- Allgemeines: Sensitivität nahezu 100%
- In Akutdiagnostik der MRT häufig vorgezogen
- Native Erstbildgebung, bei Bedarf (Verdacht auf zerebrale Sinus- und Venenthrombose, Aneurysmablutung) nachfolgende kontrastmittelgestützte Darstellung möglich
- Akute Blutung
- Hyperdense, meist rundliche intrazerebrale Raumforderung (50–70 HU)
- Selten (bei ausgeprägten Anämien möglich): Akute Blutung primär isodens
- Weitere mögliche Befunde
-
Perifokales Ödem um Blutung (hypodens)
- Ggf. mit Zeichen der Raumforderung (Mittellinienverlagerung, Kompression der Ventrikel)
- Ventrikeleinbruch (Spiegelbildung im Hinterhorn)
- Liquorzirkulationsstörung
- Hinweise auf ein Trauma (z.B. Kalottenfraktur)
-
Perifokales Ödem um Blutung (hypodens)
- Subakute Blutung (nach einer Woche)
- Verkleinerung des hyperdensen Areals zugunsten eines zunehmenden hypodensen Saumes
- Rückbildung eventueller Raumforderungszeichen
- Chronische Blutung (nach etwa sechs Wochen)
- Hypodenses Residuum
- Ggf. kleine Verkalkungen oder Substanzaussparungen
- Verlaufskontrolle
- Bei klinischer Verschlechterung
- Bei klinischer Stabilität nach hausinternen Leitlinien
MRT des Kopfes
- Allgemeines: In Akutdiagnostik der CT diagnostisch gleichwertig
- Nachteil: Längere Untersuchungsdauer, Patienten-Monitoring eingeschränkt und aufwändiger
- Vorteil: Bessere Diagnostik von Mikroblutungen (<10 mm) und chronischen Blutungen
- Suszeptibilitätsgewichtete Sequenzen
- T2*-Wichtung
- Befund
- Signalverhalten ist abhängig von der Sequenz und dem Alter der Blutung
- Das Hämoglobin durchläuft dabei folgende Abbaustufen, die ein unterschiedliches Signalverhalten in der MRT aufweisen:
MRT-Signalverhalten von intrazerebralen Blutungen im zeitlichen Verlauf | ||
---|---|---|
Zeitraum | Signalverhalten | Hämoglobin bzw. Blutabbauprodukte |
Beginn bis mehrere Stunden |
|
|
Mehrere Stunden bis etwa 3 Tage |
|
|
Etwa 3 Tage bis 1 Woche |
| |
1 Woche bis wenige Monate |
| |
Monate bis Jahre |
|
Weiterführende Bildgebung
- Ziel: Identifikation ursächlicher Läsionen
- Indikation
- Atypische Lokalisation der Blutung (lobär, kortikal)
- Atypische Konfiguration
- Blutung in loco typico bei fehlender Hypertonieanamnese
- Junge Patienten
- Methode
- Abhängig von Fragestellung
- Amyloidangiopathie? → MRT (Befund: kortikale und subkortikale Mikroblutungen)
- Rupturiertes Aneurysma? → Digitale Subtraktionsangiografie
- Kavernom? → MRT mit Kontrastmittel (KM)
- Arteriovenöse Malformation? → MRT mit KM, digitale Subtraktionsangiografie
- Hirnmetastase? → MRT mit KM
- Zerebrale Sinus- und Venenthrombose? → CT-Angiografie oder MRT mit venöser Darstellung
- Abhängig von Fragestellung
- Zeitpunkt
- Nach klinischer Dringlichkeit (bei Verdacht auf Aneurysmaruptur frühzeitig, sonst nach klinischer Stabilisierung)
- Bei negativem Befund Wiederholung im Verlauf (etwa nach einem Monat)
Labordiagnostik
- Blutbild, Gerinnung (PTT, INR, TZ), Elektrolyte, Nierenretentionswerte, Leberparameter, Blutzucker
- Thrombozytenfunktionstest (bei Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern)
- Substanzspezifische Anti-Xa-Aktivität (bei Einnahme direkter oraler Antikoagulanzien)
- Ggf. Vaskulitisserologie (im Verlauf)
Intracerebral Hemorrhage Score (ICH-Score)
- Insb. im angloamerikanischen Raum verbreitetes Instrument zur Einschätzung der Schwere bei Diagnosestellung
- Je höher die Punktzahl, desto höher die 30-Tage-Mortalität
- Das Ergebnis sollte nicht für Therapieentscheidungen genutzt werden!
Faktoren | Punkte | |
---|---|---|
Glasgow Coma Scale | 3–4 | 2 |
5–12 | 1 | |
13–15 | 0 | |
Blutungsvolumen in cm3 | ≥30 | 1 |
<30 | 0 | |
Intraventrikuläre Blutung | Ja | 1 |
Nein | 0 | |
Infratentorielle Blutung | Ja | 1 |
Nein | 0 | |
Alter in Jahren | ≥80 | 1 |
<80 | 0 | |
Summe der Punkte | 0–6 |
Scrollbares CT
Differenzialdiagnosen
- Ischämischer Schlaganfall
- Subarachnoidalblutung
- Zur differenzialdiagnostischen notfallmäßigen Abklärung siehe je nach Leitsymptom
Die wichtigste Differenzialdiagnose der intrazerebralen Blutung ist der ischämische Schlaganfall. Die Unterscheidung in der Akutsituation mittels Bildgebung ist aufgrund der unterschiedlichen Therapiestrategien von außerordentlicher Bedeutung!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Konservative Therapiemaßnahmen
Intrazerebrale Blutung - Überwachung und Stabilisierung
- Aufnahme auf Stroke-Unit oder Intensivstation
- Kontinuierliche (intensivmedizinische) Überwachung und bedarfsgerechte Versorgung
- Atemwegsmanagement: Spätestens bei Vigilanzminderung sollte der Atemweg durch Intubation gesichert und eine maschinelle Beatmung eingeleitet werden
- Venöse Zugänge: Mindestens 2 periphere Venenzugänge, ggf. ZVK-Anlage
- Kontinuierliches Monitoring: (Arterielle) Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie, EKG, ggf. EEG, ggf. ICP über Parenchymsonde
- Stündliches Monitoring: Pupillomotorik, fokale Defizite, Vigilanz, Körpertemperatur, Urinausscheidung
- Schmerztherapie, je nach Schmerzstärke Paracetamol oder Opioide, etwa Piritramid
- Neuroprotektive Basismaßnahmen
- Normoglykämie anstreben (siehe auch: Diabetes mellitus – Stationäres Blutzuckermanagement)
- Fiebersenkung mit dem Ziel der Normothermie (<37,5°C)
- Ggf. Stressulkusprophylaxe (etwa bei Beatmung >48 Stunden, Sepsis, Nierenversagen)
Intrazerebrale Blutung - Blutdrucksenkende Therapie
- Frühzeitige Blutdrucksenkung: Zielwert systolischer Druck <140 mmHg
- Kurzwirksame i.v. Medikation (gute Steuerbarkeit)
- Urapidil: Initial fraktionierte Injektion , nach Absenkung kontinuierliche Weiterführung über Perfusor
- Clonidin
- Esmolol: Initialdosis und anschließend Erhaltungsdosis
- Keine Gabe von Nitraten
- Nach Stabilisierung (überlappende) Umstellung auf orale Antihypertensiva
Normalisierung der Gerinnung bei Therapie mit Antikoagulantien
- Absetzen der Antikoagulation bzw. der Thrombozytenaggregationshemmer
- Gerinnungsnormalisierung bei bestehender Gerinnungsstörung bzw. vorheriger Therapie mit Antikoagulantien
- Antagonisierung
- Heparin: Protamin
- Vitamin-K-Antagonisten und erhöhte INR: Vitamin K in Kombination mit Gerinnungsfaktoren, um kurzfristige Gerinnungsnormalisierung zu erreichen
- Dabigatran: Idarucizumab
- Apixaban und Rivaroxaban: Andexanet alfa
- Unspezifisch: Gerinnungsfaktorenkonzentrat PPSB oder FFP
- Nachteile von gefrorenem Frischplasma (FFP) gegenüber Prothrombinkonzentrat (PPSB):
- Muss AB0-kompatibel transfundiert werden bzw. im Notfall Infusion von Plasma der Blutgruppe AB (Universalspender für Plasma)
- Große Volumina notwendig (zeitaufwändig, Gefahr der unerwünschten Volumenbelastung)
- Nachteile von gefrorenem Frischplasma (FFP) gegenüber Prothrombinkonzentrat (PPSB):
- Therapieempfehlungen und Dosierungen: Siehe Antagonisierung der Antikoagulation
- Besonderheit: Keine prokoagulatorischen Substanzen (etwa rFVIIa) bei spontaner ICB
Hirndrucktherapie
- Faktoren für Hirndrucksteigerung
- Hämatom
- Perifokalödem
- Ggf. Hydrozephalus
- Ggf. sekundäre Ischämien
- Indikation: Intrakranieller Druck (ICP) >20 mmHg
- Maßnahmen
- Oberkörperhochlagerung um 30°
- Suffiziente Analgosedierung
- Osmotische Hirndrucktherapie
- Glycerin
- Mannitol
- Kontrolle: Serumosmolarität 2×/Tag (Zielwert: 300–320 mOsm)
-
Externe Ventrikeldrainage (EVD) bei Hydrozephalus
- Zieldruck 15–20mmHg
- Durchführung: Operative Anlage in Vorderhorn eines Seitenventrikels
- Funktionen
- Ableitung von Liquor
- Messung des intrakraniellen Drucks über integrierten Druckwandler
- Komplikation: Hohes Risiko für Ventrikulitis und/oder Meningitis von mind. 5%
- Tägliche Kontrolle der Einstichstelle
- Strikte Anwendung aseptischer Arbeitstechniken
- Diagnostische Liquorentnahmen (Entzündungszeichen?) , bei auffälligen Werten Liquorkultur und kalkulierte antibiotische Therapie
-
Hyperventilation
- Hyperventilation → pCO2↓ → Zerebrale Gefäße kontrahieren → Cerebral Blood Pressure (CBP)↓ und Cerebral Blood Volume (CBV)↓ → ICP↓
- Bei intrazerebraler Blutung unzureichend untersucht, nur vorübergehend mit Ziel-pCO2 30–35 mmHg möglich
- Hypothermie
- Hämatomevakuation (s.u.)
- Nicht empfohlen: Dexamethason
Operative Therapie (Hämatomevakuation)
- Immer eine Einzelfallentscheidung
- Faktoren für den Entscheidungsprozess: Lokalisation und Ausmaß der Blutung, Ventrikeleinbruch, Vigilanz, Alter, Begleiterkrankungen
- Bei supratentoriellen Blutungen ist ein genereller Nutzen der operativen Therapie nicht nachgewiesen
- Kleinhirnblutungen mit Gefahr einer raumfordernden Wirkung (Kompression/Verlagerung IV. Ventrikel, Vigilanzverschlechterung) sollten schnell operiert werden
- Nicht operiert werden:
Übersicht zur Indikationsstellung einer Hämatomevakuation bei intrazerebraler Blutung | ||
---|---|---|
Supratentorielle Blutungen | Infratentorielle Blutungen | |
Operationsindikation eher gegeben |
|
|
Fehlende Operationsindikation |
|
Operatives Vorgehen
- Supratentorielle Blutung
- Kraniotomie mit konventioneller Hämatomausräumung
- Stereotaktische Hämatomaspiration
- Endoskopische Hämatomausräumung
- Entlastungskraniektomie in Ausnahmefällen
- Kleinhirnblutung: Kraniotomie
- Mit Lobektomie (wenn Großteil einer Kleinhirnhemisphäre betroffen)
- Mit dekompressiver Trepanation ohne Hämatomausräumung
- Mit konventioneller Hämatomausräumung, ggf. mit zusätzlicher subokzipitaler Trepanation
- Prinzipien
- Kurze Zugangswege unter Umgehung funktionell wichtiger Kortexareale („eloquente Areale“) zur Vermeidung eines Zugangstraumas
- Bei oberflächennahen Blutungen eher konventionelle Hämatomausräumung, bei tiefer gelegenen Blutungen eher andere Verfahren
- Je nach Blutungsursache: Zusätzlich Biopsie aus Tumorgewebe, Resektion von arteriovenösen Malformationen
Thromboseprophylaxe
- Frühe Mobilisierung
- Medikamentöse Thromboseprophylaxe
- Alternativ: Intermittierende pneumatische Kompression bei immobilen Patienten (in Deutschland kaum verbreitet)
Komplikationen
Sekundäre intraventrikuläre Blutung
- Häufigkeit: Häufig (bis zu 50% der Patienten mit ICB)
- Klinisches Bild: Kopfschmerzen, Erbrechen, Vigilanzminderung
- Diagnostik: cCT, ggf. MRT
- Komplikationen
- Ventrikeltamponade: Behinderung des Liquorabflusses durch koaguliertes Blut → Hydrocephalus occlusus
- Arachnoiditis → Hydrocephalus malresorptivus
- Therapie: Bei Hydrozephalus externe Ventrikeldrainage bzw. langfristig ventrikuloperitonealer Shunt
- Prognose: Schlechteres Outcome und höhere Mortalität als bei ICB ohne Ventrikeleinbruch
Sonstige Komplikationen
- Pneumonie
- Blutungsbedingte Schluckstörungen mit Aspiration von Speichel oder Nahrung: Risikofaktor für Entwicklung einer sekundären Pneumonie
- Kalkulierte antibiotische Therapie (siehe auch: Pneumonie bzw. Nosokomiale Pneumonie)
- Schlucktest vor Kostaufbau mit oraler Kost, bei anhaltender Dysphagie ggf. PEG-Anlage
- Epileptische Anfälle (etwa 10%)
- Keine medikamentöse Prophylaxe empfohlen
- EEG bei unklarer Vigilanzminderung oder -schwankung bzw. kontinuierliches EEG-Monitoring bei analgosedierten Patienten
- Antikonvulsive Therapie bei Bedarf
- Akuttherapie: Benzodiazepine
- Dauertherapie: Levetiracetam, Valproat, ggf. Phenytoin
- Kardiale Komplikationen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
- Rehabilitation
- Fortsetzung der bereits während der Akutbehandlung begonnenen Maßnahmen in Rehabilitationseinrichtungen
- Je nach individuellem Bedarf Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, neuropsychologische Betreuung
- Wiederaufnahme einer Therapie mit Antikoagulantien und Thrombozytenaggregationshemmern
- Häufiges Dilemma: Patient mit Zustand nach intrazerebraler Blutung und zuvor bestehender Antikoagulation bzw. Thrombozytenaggregationshemmung
- Individuelle Risikoabwägung
- Hohes Blutungsrisiko (etwa radiologische Hinweise auf frühere Mikroblutungen, Verdacht auf Amyloidangiopathie, unkontrollierter Bluthochdruck) vs. niedriges Blutungsrisiko (gut eingestellter Bluthochdruck, junges Lebensalter)
- Siehe auch: HAS-BLED-Score
- Hohes Thromboembolierisiko (etwa Vorgeschichte mit kardioembolischen ischämischen Schlaganfällen bei absoluter Arrhythmie, mechanische Herzklappe) vs. niedriges Thromboembolierisiko
- Hohes Blutungsrisiko (etwa radiologische Hinweise auf frühere Mikroblutungen, Verdacht auf Amyloidangiopathie, unkontrollierter Bluthochdruck) vs. niedriges Blutungsrisiko (gut eingestellter Bluthochdruck, junges Lebensalter)
- Falls Fortführung der Antikoagulation: Nach erfolgter Blutungsresorption
Prognose
- Hohe Letalität
- Funktionelle Unabhängigkeit der Überlebenden: 10–40%
- Prognostisch ungünstige Faktoren
- Großes Blutvolumen
- Zunahme des Hämatoms innerhalb der ersten 24 Stunden
- Hohes Alter
- Blutung unter antikoagulativer Therapie bzw. bei Hepatopathie
- Begleitende intraventrikuläre Blutung
- Obstruktiver Hydrozephalus
- Rezidivblutungsrisiko
- ∼2% im ersten Jahr
- ∼1% in darauffolgenden Jahren
Prävention
- Reduktion von Risikofaktoren
- Nikotinkarenz
- Maßvoller Alkoholkonsum
- Behandlung eines arteriellen Hypertonus
- Zielblutdruck
- <140/90 mmHg bzw.
- <130/80 mmHg bei Patienten mit Diabetes mellitus und hohem kardiovaskulären Risiko
- Zielblutdruck
- Verzicht auf Stimulanzien (z.B. Kokain)
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
I61.-: Intrazerebrale Blutung
- Exklusive: Folgen einer intrazerebralen Blutung (I69.1)
- I61.0: Intrazerebrale Blutung in die Großhirnhemisphäre, subkortikal
- Tiefe intrazerebrale Blutung
- I61.1: Intrazerebrale Blutung in die Großhirnhemisphäre, kortikal
- Oberflächliche intrazerebrale Blutung
- Zerebrale Lobusblutung
- I61.2: Intrazerebrale Blutung in die Großhirnhemisphäre, nicht näher bezeichnet
- I61.3: Intrazerebrale Blutung in den Hirnstamm
- I61.4: Intrazerebrale Blutung in das Kleinhirn
- I61.5: Intrazerebrale intraventrikuläre Blutung
- I61.6: Intrazerebrale Blutung an mehreren Lokalisationen
- I61.8: Sonstige intrazerebrale Blutung
- I61.9: Intrazerebrale Blutung, nicht näher bezeichnet
G46.-:* Zerebrale Gefäßsyndrome bei zerebrovaskulären Krankheiten (I60–I67†)
- G46.0*: Arteria-cerebri-media-Syndrom (I66.0†)
- G46.1*: Arteria-cerebri-anterior-Syndrom (I66.1†)
- G46.2*: Arteria-cerebri-posterior-Syndrom (I66.2†)
- G46.3*: Hirnstammsyndrom (I60–I67†)
- Benedikt-Syndrom
- Claude-Syndrom
- Foville-Syndrom
- Millard-Gubler-Syndrom
- Wallenberg-Syndrom
- Weber-Syndrom
- G46.4*: Kleinhirnsyndrom (I60–I67†)
- G46.5*: Rein motorisches lakunäres Syndrom (I60–I67†)
- G46.6*: Rein sensorisches lakunäres Syndrom (I60–I67†)
- G46.7*: Sonstige lakunäre Syndrome (I60–I67†)
- G46.8*: Sonstige Syndrome der Hirngefäße bei zerebrovaskulären Krankheiten (I60–I67†)
Spezielle Fälle und Folgen
- P52.-: Intrakranielle nichttraumatische Blutung beim Fetus und Neugeborenen
- Inklusive: Intrakranielle Blutung durch Anoxie oder Hypoxie
- Exklusive: Intrakranielle Blutung durch: Geburtsverletzung (P10.‑), sonstige Verletzung (S06.‑), Verletzung der Mutter (P00.5)
- P52.0: Intraventrikuläre (nichttraumatische) Blutung 1. Grades beim Fetus und Neugeborenen
- Subependymblutung (ohne intraventrikuläre Ausdehnung)
- P52.1: Intraventrikuläre (nichttraumatische) Blutung 2. Grades beim Fetus und Neugeborenen
- Subependymblutung mit intraventrikulärer Ausdehnung
- P52.2: Intraventrikuläre (nichttraumatische) Blutung 3. Grades beim Fetus und Neugeborenen
- Subependymblutung mit intraventrikulärer und intrazerebraler Ausdehnung gleichzeitig
- P52.3: Nicht näher bezeichnete intraventrikuläre (nichttraumatische) Blutung beim Fetus und Neugeborenen
- P52.4: Intrazerebrale (nichttraumatische) Blutung beim Fetus und Neugeborenen
- P52.5: Subarachnoidalblutung (nichttraumatisch) beim Fetus und Neugeborenen
- P52.6: Kleinhirnblutung (nichttraumatisch) und Blutung in die Fossa cranii posterior beim Fetus und Neugeborenen
- P52.8: Sonstige intrakranielle (nichttraumatische) Blutungen beim Fetus und Neugeborenen
- P52.9: Intrakranielle (nichttraumatische) Blutung beim Fetus und Neugeborenen, nicht näher bezeichnet
- S06.-: Intrakranielle Verletzung
- S06.2-: Diffuse Hirnverletzung (Großer Hirngewebebereich betroffen)
- S06.23: Multiple intrazerebrale und zerebellare Hämatome
- Multiple intrazerebrale Blutungen
- S06.23: Multiple intrazerebrale und zerebellare Hämatome
- S06.3-: Umschriebene Hirnverletzung (Begrenzter oder umschriebener Hirngewebebereich betroffen)
- S06.33: Umschriebenes zerebrales Hämatom
- Intrazerebrale Blutung Intrazerebrales Hämatom
- S06.33: Umschriebenes zerebrales Hämatom
- S06.2-: Diffuse Hirnverletzung (Großer Hirngewebebereich betroffen)
- I69.-: Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit
- I69.1: Folgen einer intrazerebralen Blutung
Ursachen
- I67.-: Sonstige zerebrovaskuläre Krankheiten
- Exklusive: Folgen der aufgeführten Krankheitszustände (I69.8)
- I67.0: Dissektion zerebraler Arterien
- I67.1-: Zerebrales Aneurysma und zerebrale arteriovenöse Fistel
- Q28.-: Sonstige angeborene Fehlbildungen des Kreislaufsystems
- Exklusive: Angeborenes Aneurysma: koronar (Q24.5), peripher (Q27.8), pulmonal (Q25.7), retinal (Q14.1), o.n.A. (Q27.8)
- Q28.0-: Arteriovenöse Fehlbildung der präzerebralen Gefäße
- Q28.00: Angeborenes arteriovenöses Aneurysma der präzerebralen Gefäße
- Q28.01: Angeborene arteriovenöse Fistel der präzerebralen Gefäße
- Q28.08: Sonstige angeborene arteriovenöse Fehlbildungen der präzerebralen Gefäße
- Q28.09: Angeborene arteriovenöse Fehlbildung der präzerebralen Gefäße, nicht näher bezeichnet
- Q28.1-: Sonstige Fehlbildungen der präzerebralen Gefäße
- Q28.2-: Arteriovenöse Fehlbildung der zerebralen Gefäße
- Q28.20: Angeborenes arteriovenöses Aneurysma der zerebralen Gefäße
- Q28.21: Angeborene arteriovenöse Fistel der zerebralen Gefäße
- Q28.28: Sonstige angeborene arteriovenöse Fehlbildungen der zerebralen Gefäße
- Q28.29: Angeborene arteriovenöse Fehlbildung der zerebralen Gefäße, nicht näher bezeichnet
- Q28.3-: Sonstige Fehlbildungen der zerebralen Gefäße
- Q28.30: Angeborenes Aneurysma der zerebralen Gefäße
- Q28.31: Angeborene Fistel der zerebralen Gefäße
- Q28.38: Sonstige angeborene Fehlbildungen der zerebralen Gefäße
- Q28.39: Angeborene Fehlbildung der zerebralen Gefäße, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.