Abstract
Eine Liquorpunktion kann aus diagnostischen oder therapeutischen Gründen durchgeführt werden. Die Untersuchung des Liquors ist für die Diagnosestellung einer Vielzahl von neurologischen Erkrankungen von Bedeutung. Sie kann bspw. bei Verdacht auf Meningitis, Multiple Sklerose, Blutungen oder Meningeosis carcinomatosa wegweisende Befunde liefern und die Therapieentscheidung bestimmen. Meist erfolgt die Punktion zur Liquorgewinnung lumbal. Absolute Kontraindikation für eine Liquorentnahme ist ein erhöhter Hirndruck, da eine zerebrale Einklemmung provoziert werden kann. Eine häufige und unangenehme (aber ungefährliche) Komplikation ist der postpunktionelle Kopfschmerz.
Indikation
- Diagnostik bei Erkrankungen mit veränderter Liquorzusammensetzung, wie z.B. bei
- Intrathekale Applikation von Medikamenten, z.B.
- Liquordruckmessung, z.B. bei
- Probatorische Liquordrucksenkung
Kontraindikation
-
Erhöhter intrakranieller Druck
- Methoden der Wahl, um erhöhten Hirndruck auszuschließen: Kranielles CT oder MRT (zeigen indirekte Hirndruckzeichen)
- Ausdehnung bei fokaler Raumforderung
- Ausdehnung eines Hirnödems
- Erweiterte Ventrikelräume
- Verschwinden von äußeren Liquorräumen (Zisternen)
- Mittellinienverlagerung
- Beginnende obere oder untere Einklemmung
- Weitere Methode mit untergeordneter Bedeutung: Funduskopie (Augenhintergrundspiegelung)
- Nicht verlässlich insb. im höheren Lebensalter
- Nicht verlässlich bei akut erhöhtem Hirndruck
- Methoden der Wahl, um erhöhten Hirndruck auszuschließen: Kranielles CT oder MRT (zeigen indirekte Hirndruckzeichen)
-
Thrombozytopenie
- <20.000/μL (absolute Kontraindikation)
- <50.000/μL (relative Kontraindikation)
- Entzündungen im Bereich der Einstichstelle
- Blutungsneigung, INR >1,8 (z.B. durch medikamentöse Antikoagulation)
Es werden die wichtigsten Kontraindikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Ablauf/Durchführung
Aufklärung des Patienten
Die Aufklärung des Patienten sollte (außer in Notfällen) immer in einem zeitlichen Abstand zur Punktion erfolgen (i.d.R. >24 h) und die unten stehende Punkte umfassen.
- Nutzen der Untersuchung, auch im Verhältnis zu anderen Untersuchungsverfahren (bspw. Bildgebung)
- Folgen/Risiken bei Nicht-Durchführung der Untersuchung
- Erklärung der technischen Durchführung (am besten mithilfe eines Schaubildes)
- Nebenwirkungen und Risiken der Untersuchung (siehe auch: Komplikationen der Liquorpunktion)
Vorbereitung
Material
- Punktionsnadeln
- Bevorzugt werden atraumatische Nadeln verwendet (i.d.R. Sprotte-Kanüle ): Reduzieren möglicherweise das Risiko für ein Liquorunterdrucksyndrom
- Hohlnadeln (i.d.R. Quincke-Nadel ): Ermöglichen eine bessere Führung, provozieren jedoch auch eine stärkere Duraverletzung
- Für steriles Arbeiten
- Sterile Handschuhe, Desinfektionsmittel, Tupfer, Mundschutz , ggf. steriles Tuch/Lochtuch
- Für die Druckmessung: Steriles Steigröhrchen
- Für die Probenentnahme: Mind. drei sterile Röhrchen (am besten bereits mit 1–3 nummeriert für die Drei-Gläser-Probe)
- Ggf. Material für eine Kurznarkose (i.d.R. nur bei Kindern)
- Weiteres: Pflaster, Abwurf
Lagerung des Patienten
- Entscheidend ist, dass der Patient einen Rundrücken macht („Katzenbuckel“)!
- Praxistipp: Den Patienten bitten, das Kinn auf die Brust zu legen und sich dann „einzurollen“
- Sitzende Position (bevorzugte Lagerung)
- Vorteile: Wirbelsäule ist in der Vertikalachse gerade
- Nachteile
- Liquordruckmessung nicht durchführbar
- Bei einigen Patienten (bspw. stark geschwächten Patienten, Schwangeren, sehr unruhigen Patienten) nicht möglich
- Variante 1: Patienten auf ein Bett oder eine Liege setzen und die Beine aufstellen lassen, die Knie zur Brust ziehen und mit den Armen umfassen lassen, Nacken gebeugt
- Variante 2: Patienten auf die Bettkante oder rittlings (mit dem Bauch zur Lehne) auf einen Stuhl setzen lassen, Nacken/Rücken maximal beugen lassen
- Patienten immer mit Hilfsperson unterstützen!
- Seitenlagerung
- Vorteile: Bei allen Patienten möglich, Liquordruckmessung durchführbar
- Nachteile: Rundrückenposition unter Umständen schwieriger einzunehmen, Mittellinie schwerer aufzufinden und zu halten
- Patient liegt in gebeugter Haltung auf harter Unterlage
- Patienten immer mit Hilfsperson unterstützen!
Ablauf der Lumbalpunktion
- Aufsuchen der Punktionsstelle
- Ertasten der Beckenkämme
- Verbindungslinie der Beckenkämme bis zur Wirbelsäule verfolgen
- Punktionsstelle liegt zwischen Dornfortsätzen zweier Wirbelkörper
- Markierung der Punktionsstelle
- Chirurgische Hautdesinfektion: Mehrmaliges Aufbringen von Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis, schneckenförmige Applikation von der Einstichstelle ausgehend, Einwirkzeiten beachten!
- Steriles Arbeiten: Mundschutz anlegen, hygienische Händedesinfektion, sterile Handschuhe anziehen
- Lokalanästhesie mit 2 mL Lidocain (fakultativ ), 2–3 min einwirken lassen
- Hautpunktion: Einstich in kranialer Ausrichtung (ca. 10–30°)
- Bei Verwendung einer traumatischen Nadel (Quincke-Nadel) sollte die Nadelöffnung zur Seite zeigen
- Bei Verwendung einer atraumatischen Nadel (z.B. Sprotte-Kanüle) wird zunächst der Introducer (Vorstichnadel) eingebracht, durch den anschließend die eigentliche Nadel (Sprotte-Kanüle) eingeführt wird
- Durchstechen des Lig. flavum/der Dura: Nach einer Eindringtiefe von ca. 4 cm ist zunächst ein federnder Widerstand, dann der sog. „Loss of Resistance“ spürbar → Nadelspitze ist im Duralsack
- Mandrin entfernen
- Liquorentnahme: Bei korrekter Lage der Punktionsnadel im Subarachnoidalraum tropft nach Herausziehen des Mandrins Liquor aus der Nadel
- Liquordruckmessung : Steigröhrchen anbringen
- Diagnostische Lumbalpunktion: Mind. drei Reagenzgläser mit jeweils ca. 15 Tropfen Liquor befüllen (ermöglicht Drei-Gläser-Probe )
- Bei Medikamentenapplikation: Injektion des Medikaments (bspw. Lokalanästhetikum wie Bupivacain; siehe: Spinalanästhesie)
- Zurückziehen der Nadel: Mandrin wieder in die Punktionsnadel einführen , die Nadel inklusive Mandrin und ggf. Introducer zurückziehen
- Verband: Sterilen Tupfer aufbringen und Punktionsstelle komprimieren, einfacher Pflasterverband
- Venöse Blutentnahme
- Patienten Bettruhe für 1–2 Stunden und viel Trinken empfehlen
- Dokumentation der Punktion in der Patientenakte und Prüfung der Röhrchenbeschriftung
- Transport/Lagerung: Nach Möglichkeit unmittelbarer Transport der Proben ins Labor, ansonsten gekühlte Lagerung (Kühlschrank, 4°C)
Alternativ wird in seltenen Fällen eine subokzipitale Punktion unter radiologischer Kontrolle durchgeführt, z.B. wenn bei dringend erforderlicher Diagnostik die lumbale Punktion nicht gelingt. Eine Punktion der Hirnventrikel ist ein neurochirurgischer Eingriff und wird meist mit therapeutischer Absicht, etwa zur Druckentlastung bei Abflussbehinderungen des Liquors, durchgeführt.
Zur Durchführung einer Lumbalpunktion sollte man sich immer mind. einen Helfer zur Seite stellen (Anreichen von Material, Unterstützung des Patienten bei der Lagerung etc.)!
Probleme bei der Probenentnahme
- Artifiziell blutige Punktion: Meist auf eine Verletzung von Hautgefäßen zurückzuführen
- Patient verspürt einschießenden Schmerz mit Ausstrahlung ins Bein: Auf Kontakt der Nadel mit Nervenwurzel zurückzuführen (häufig!) → Nadel zurückziehen und nach medial korrigieren
- Bei erfolgloser Punktion empfiehlt sich ein Wechsel des durchführenden Arztes oder (außer in Notfallsituationen) eine Wiederholung am nächsten Tag
Interpretation/Befund
Makroskopische Untersuchung: Beurteilung von Farbe und Transparenz
- Normalbefund: Liquor farblos und transparent
- Pathologische Befunde
- Blutiger Liquor bei akuter Blutung
- Xanthochromer Liquor bei zurückliegender Blutung (>6 h zurückliegend)
- Weißlich-trüber Liquor bei bakterieller Infektion
Mikroskopische Untersuchung
- Unmittelbar nach Entnahme des Liquors: Bestimmung der Zellzahl
- Einbringen einer Liquorprobe in die Fuchs-Rosenthal-Kammer
- Physiologischerweise weniger als 5 Leukozyten/μL
- Erhöhte Zellzahlen (= Pleozytose) bei entzündlichen Prozessen
- Nach Fixation und Färbung: Beurteilung der Liquorzellen
- Differenzierung der Zelltypen
- Granulozytäre Pleozytose bei bakterieller Meningitis
- Lymphozytäre Pleozytose bei viraler Meningitis
- Eosinophile Pleozytose bei parasitärer Infektion oder Tuberkulose
- Beurteilung der Zellmorphologie (Tumorzellen?)
- Ggf. direkter Erregernachweis in der Gramfärbung (z.B. Diplokokken bei Meningokokken-Meningitis)
- Differenzierung der Zelltypen
Laborchemische Untersuchung
Bestimmung von Glucose und Laktat
- Glucose
- Physiologische Werte: Glucose im Liquor 50–70% des Serumglucosewertes
- Verringerung bei bakteriellen Infektionen und Pilzinfektionen
- Laktat
- Anstieg bei bakteriellen Infektionen und Pilzinfektionen
Die Glucosekonzentration im Liquor ist von jener im Serum abhängig und daher nur eingeschränkt aussagekräftig. Laktat wird hingegen im Gehirn selber produziert, weshalb seine Messung diagnostisch wertvoller ist!
Bestimmung des Eiweißgehaltes
- Ursachen einer Erhöhung von Immunglobulinen/Proteinen im Liquor
- Störung der Blut-Liquor-Schranke: Übertritt aus dem Serum oder verminderte Resorption von Proteinen (u.a. Immunglobuline) aus dem Liquorraum, z.B. durch Entzündungen, Liquorzirkulationsstörungen, Blutungen etc.
- Intrathekale Synthese von Immunglobulinen (durch virale, bakterielle oder chronisch-entzündliche Prozesse des ZNS)
- Differenzierung der Ursache
- Errechnen des Delpech-Lichtblau-Quotienten: Zur Feststellung einer intrathekalen Synthese von Immunglobulinen
- Bildliche Darstellung der Parameter im Reiber-Schema: Zur Feststellung von Störungen der Blut-Liquor-Schranke und/oder einer intrathekalen Synthese von Immunglobulinen
- Errechnen einzelner Quotienten
- Liquor-Serum-Quotient für Albumin (Liquor-Albumin / Serum-Albumin)
- Liquor-Serum-Quotient für IgG (Liquor-IgG / Serum-IgG)
- Beurteilung
- Normaler Liquor-Serum-Quotient für Albumin + erhöhter Liquor-Serum-Quotient für Immunglobulin: Insb. intrathekale Immunglobulinsynthese
- Erhöhter Liquor-Serum-Quotient für Albumin + erhöhter Liquor-Serum-Quotient für Immunglobulin: Insb. Störung der Blut-Liquor-Schranke
Spezielle Untersuchungen
- Mikrobiologische Untersuchung: Insb. kulturelle Anzucht
- Serologien, PCR
- Isoelektrische Fokussierung: Nachweis von oligoklonalen Banden
- Nachweis spezieller Marker wie bspw. Tumormarker, Tau-Protein etc.
Übersicht typischer Liquorbefundkonstellationen
Erscheinung | Zellart | Zellzahl/μL | (L‑)Laktat | Eiweiß (Gesamtprotein) | Glucose | |
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Referenzwerte [1] | Klare Flüssigkeit | Normales Zellbild: Wenige Lymphozyten und Monozyten | <5 | 1,5–2,1 mmol/L | 150–400 mg/L | |
Bakterielle Meningitis | Trübe, eitrige Flüssigkeit | Massive Granulozytose | 1.000–6.000 | Deutlich erhöht (>3,5 mmol/L) | Erhöht | Vermindert |
Virale Meningitis1) | Klare Flüssigkeit | Lymphozytose | 10–500 | Normal | Normal bis leicht erhöht | Normal |
Tuberkulöse Meningitis2) | Klare Flüssigkeit mit Spinngewebsgerinnseln | „Buntes Bild“ (v.a. Lymphozytose, aber auch Granulozytose, Monozytose) | 30–500 | Erhöht (>2,5 mmol/L) | Erhöht | Vermindert |
Neuroborreliose | Klare Flüssigkeit | Lymphozytose | 100–500 | Normal | Erhöht | Normal |
Multiple Sklerose | Klare Flüssigkeit | Lymphozytose | <50 | Normal | Normal bis leicht erhöht | Normal |
Guillain-Barré-Syndrom | Klare Flüssigkeit | Lymphozytose | <10 | Normal | Stark erhöht | Normal |
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Komplikationen
Liquorunterdrucksyndrom (postpunktioneller Kopfschmerz)
- Ätiologie: Ursächlich ist meist eine vorangegangene Punktion des Liquorraums (diagnostisch oder therapeutisch), seltener ein traumatisch bedingtes Liquorleck
- Symptome/Klinik
- Definitionsgemäß sind beim postpunktionellen Kopfschmerz die Kopfschmerzen im Liegen geringer als im Stehen und gehen mit mind. einem der folgenden Symptome einher
- Nackensteifigkeit
- Tinnitus
- Hörminderung
- Übelkeit
- Lichtscheu
- Die Symptomatik setzt i.d.R. mit einer Latenz von bis zu zwei Tagen ein und kann für einige Tage (selten einige Wochen) anhalten
- Definitionsgemäß sind beim postpunktionellen Kopfschmerz die Kopfschmerzen im Liegen geringer als im Stehen und gehen mit mind. einem der folgenden Symptome einher
- Therapie
- Allgemeinmaßnahmen: Bettruhe + viel Trinken
- Analgetika, evtl. Koffein oder Theophyllin
- Zusätzliche Optionen: Fibrinkleber oder epiduraler Blutpatch („Bloodpatch“)
- Differentialdiagnosen: Meningitis (z.B. durch Keimverschleppung bei Punktion)
- Prävention: Verwendung dünner, atraumatischer Kanülen → Liquorunterdrucksyndrom seltener
Infektion (epiduraler Abszess)
- Ätiologie: Keimverschleppung durch Punktion → Lokale Infektion, epiduraler Abszess
- Klinik
- Lokale Schmerzen
- Neurologische Symptomatik (Ausfallssymptome in den Beinen durch Beteiligung des Rückenmarks)
- Entzündungszeichen (Fieber, Schwäche, erhöhte Infektparameter)
- Therapie
- Antibiotika
- Ggf. chirurgische Abszessversorgung
Weitere mögliche Komplikationen
- Blutung
- Persistierende neurologische Symptomatik (Hörminderung, Sehstörung)
- Meningitis
- Bei erhöhtem Hirndruck: Zerebrale Einklemmung → Störung von Kreislauf und Atmung bis hin zum Tod
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.