Zusammenfassung
Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine Erkrankung der Netzhaut, die im höheren Lebensalter auftritt und zu einer Verringerung des zentralen Sehens führt. Ursächlich ist die Ablagerung von Stoffwechselprodukten zwischen dem retinalen Pigmentepithel und der Bruch-Membran. Diese Ablagerungen werden auch als Drusen bezeichnet und führen zunächst zu einer langsam progredienten Sehverschlechterung (nicht-exsudative, „trockene“ AMD). Im Verlauf kann es zu Neovaskularisationen und Exsudationen kommen (neovaskuläre, „feuchte“ AMD), die eine rasch fortschreitende Sehverschlechterung bis hin zur Erblindung bedingen können. Diagnostisch steht das frühzeitige Erkennen der neovaskulären Form im Vordergrund. Wegweisend sind hier die Ophthalmoskopie, die optische Kohärenztomografie (OCT) und ggf. die Fluoreszenzangiografie. Eine kausale Therapie existiert nicht; die neovaskuläre AMD kann mittels intraokulärer Injektionen von VEGF-Inhibitoren behandelt werden.
Epidemiologie
- Prävalenz in Deutschland [3]
- Asymptomatisches Frühstadium: Ca. 7 Mio. Personen
- Symptomatisches Spätstadium: Ca. 0,5 Mio. Personen
- Erkrankung des höheren Lebensalters [1]
- Steigende Häufigkeit früher und später Stadien mit zunehmendem Lebensalter
- Bedeutung: Häufigste Ursache für
- Irreversible Sehminderung bei Personen >65 Jahre in Industrienationen [3]
- Bezug von Blindengeld in Deutschland
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Multifaktorielle Genese, genaue Ätiologie unbekannt
- Risikofaktoren[1][2]
- Gesichert
- Hohes Lebensalter (Hauptrisikofaktor)
- Genetische Prädisposition [2]
- Rauchen
- Fraglich, u.a.
- Arterielle Hypertonie
- Adipositas
- Starke Sonnenlichtexposition
- Blaue Irisfarbe
- Gesichert
Klassifikation
„Trockene“ vs. „feuchte“ Makuladegeneration [2]
- Nicht-neovaskuläre (trockene, nicht-exsudative) Makuladegeneration: Ca. 90% der diagnostizierten Fälle
- Neovaskuläre (feuchte, exsudative) Makuladegeneration: Ca. 10% der diagnostizierten Fälle
- Häufig mit rasch progredientem Sehverlust einhergehend
- Makuläre Neovaskularisation (MNV)
- Typ 1: „Okkulte“ choroidale Neovaskularisation (CNV)
- Typ 2: „Klassische“ CNV
- Typ 3: Retinale angiomatöse Proliferation (RAP)
- Polypoidale Vaskulopathie (PCV)
- Endstadium: Disziforme Narbe
Aus einer nicht-neovaskulären AMD kann sich eine neovaskuläre AMD entwickeln!
Klinische Klassifikation [1][4]
Die Einteilung der altersbedingten Makuladegeneration ist in der Literatur uneinheitlich!Liegen Neovaskularisationen oder eine geografische Atrophie vor, handelt es sich immer um eine späte AMD!
Klinische Klassifikation der AMD | ||
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Stadium | Charakteristika | |
Keine Altersveränderungen |
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Normale Altersveränderungen |
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Frühe AMD |
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Intermediäre AMD |
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Späte AMD |
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Pathophysiologie
- Ablagerung von Stoffwechselprodukten (Drusen) zwischen retinalem Pigmentepithel und Bruch-Membran
- Folgen: Zelluntergang und Hypoxie führen zu ungünstigen reaktiven Prozessen und choroidalen Neovaskularisationen
Symptomatik
- Leitsymptom: Abnahme der zentralen Sehschärfe
- Beeinträchtigung der Lesefähigkeit und der Fähigkeit, Gesichter zu erkennen
- Peripheres Gesichtsfeld nicht beeinträchtigt
- Weitere mögliche Symptome
- Metamorphopsien (insb. bei neovaskulärer („feuchter“) AMD oder großen Drusen): Insb. Linien werden als verkrümmt/verzerrt wahrgenommen [3]
- Ggf. Wahrnehmung grauer Flecken im zentralen Gesichtsfeld
- Verlauf
- I.d.R. langsam progredient (viele Monate bis Jahre)
- Bei neovaskulärer („feuchter“) AMD oder Blutung: Rasch/plötzlich
- Meist beide Augen betroffen, aber oft asynchron und asymmetrisch
Diagnostik
Basisdiagnostik [1][2][5]
- Anamnese
- Sehverschlechterung: Beginn, Verlauf, Ausmaß der Beeinträchtigung
- Begleiterkrankungen
- Visusbestimmung (im Idealfall mit adäquater Sehhilfe )
- Amsler-Gitter-Test: Prüfung auf zentrale Gesichtsfeldausfälle und Metamorphopsien
- Ophthalmoskopie (in Mydriasis)
- Frühe und intermediäre Stadien der AMD
- Späte Stadien der AMD
- Zum Vergleich: Normalbefund
Optische Kohärenztomografie (OCT)[1][2]
- Ziel: Ausschluss/Bestätigung des V.a. eine Neovaskularisation, Befunddokumentation
- Indikation
- Visusminderung mit Metamorphopsien
- Klinischer V.a. neovaskuläre Veränderungen in der Makula
- Verlaufskontrolle bei neovaskulären und ausgeprägten nicht-neovaskulären Veränderungen
- Kontrolle nach Therapie (z.B. intravitreale operative Medikamenteneinbringung)
- Mögliche Befunde [2]
- Nicht-neovaskuläre („trockene“) AMD, u.a.
- Hyperreflektives subretinales Material (Drusen)
- Verlust insb. der äußeren Netzhautschichten und/oder des Pigmentepithels
- Neovaskuläre („feuchte“) AMD , zusätzlich u.a.
- Flüssigkeitsansammlung sub-/intraretinal und/oder unter dem Pigmentepithel
- Zum Vergleich: Normalbefund
- Nicht-neovaskuläre („trockene“) AMD, u.a.
Fluoreszenzangiografie [1][2]
- Bedeutung: Goldstandard zur Diagnosesicherung einer neovaskulären AMD und zum Stellen einer Therapieindikation
- Indikation
- Klinische Anhaltspunkte für exsudative Veränderungen in der Makula (insb. bei Veränderungen, die auf eine neovaskuläre AMD hinweisen)
- Therapieentscheidung zur intravitrealen operativen Medikamenteneinbringung (zwingend bei Erstbehandlung), ggf. zur Therapiekontrolle
- Mögliche Befunde
- Neovaskuläre AMD
- Neovaskularisationen (je nach Typ eher scharf oder unscharf begrenzte Hyperfluoreszenz) und Exsudationen (diffuse Hyperfluoreszenz) im Bereich der Makula
- Trockene AMD, u.a.
- Zum Vergleich: Normalbefund
- Neovaskuläre AMD
Ggf. weitere, spezielle Diagnostik [1][2]
- Indocyaningrün-Angiografie
- Im Einzelfall ggf. elektrophysiologische Untersuchungen, wenn Zweifel an der Diagnose bestehen
- Bei geplanter VEGF-Injektion: Messung des intraokulären Druckes
Therapie
Grundlagen [4] [1]
- Therapieziel: Bestmögliche Erhaltung oder evtl. Verbesserung der vorhandenen Sehschärfe
- Keine kausale Therapie bekannt
- Frühzeitiges Erkennen und Behandeln choroidaler Neovaskularisationen prognoseentscheidend
- Allgemeine Maßnahmen
- Reduktion von Risikofaktoren
- Empfehlung einer Rauchentwöhnung
- Ausgewogene Ernährung [2]
- Blutdruckeinstellung
- Kontrollen
- Selbstkontrolle mittels Amsler-Karte mit sofortiger Vorstellung bei subjektiv wahrgenommenen Veränderungen
- Verlaufskontrollen je nach Befund und Stabilität
- Supportiv
- Ggf. Versorgung mit vergrößernden Seh-/Lesehilfen (z.B. Lupen, Bildschirmlesegeräte)
- Information über Patient:innengruppen (z.B. Pro Retina Deutschland e.V., Blindenbund)
- Ggf. Hinweis auf Bezug von Blindengeld
- Reduktion von Risikofaktoren
- Nahrungsergänzungsmittel [3][4]
- Bedeutung: Ggf. geringeres Risiko für Sehverlust durch Einnahme antioxidativer Nahrungsergänzungsmittel bei Vorliegen intermediärer Stadien der AMD
- Indikation: Ab intermediärem Stadium
- Durchführung
Therapie der neovaskulären AMD
Intravitreale operative Medikamentenapplikation (IVOM) [6]
- Prinzip: Injektion von VEGF-Inhibitoren in den Glaskörper → Hemmung der Neovaskularisation
- Wirkstoffe: Ranibizumab, Aflibercept, Brolucizumab, Faricimab, in Off-Label Use: Bevacizumab
- Indikation: Vorliegen einer aktiven neovaskulären AMD
- Frequenz: Initial je nach Medikament 3–4 Injektionen in vierwöchigem Abstand, anschließend je nach Ansprechen
- Durchführung: Unter sterilen OP-Bedingungen
- Präoperative Desinfektion der Fornices, Karunkel, Wimpern und des Bindehautsacks i.d.R. mit 5%iger Povidon-Iod-Lösung
- I.d.R. topische Anästhesie mittels Tropfen
- I.d.R. keine prä- bzw. postoperative Antibiotikagabe
- Komplikationen
- Erforderliche Kontrolluntersuchungen
- Postoperativ: An Tag 2–5 nach Injektion zum Ausschluss einer Endophthalmitis
- Nach der Behandlungsserie
- Zunächst monatlich (Überprüfung des Therapieerfolgs),
- Bei unzureichendem Ansprechen bzw. Rezidiv ggf. erneute Injektionen
Weitere Verfahren
- Photodynamische Therapie: Kommt seit Einführung der IVOM bei der nAMD nur noch selten zur Anwendung [7]
- Chirurgischer Therapieansatz bei fortgeschrittener AMD (experimenteller Charakter): Makulatranslokation/Netzhautrotation
Komplikationen
- Subretinale Blutung
- Wichtigste Komplikation der neovaskulären AMD
- Häufig bei Patient:innen mit hohem kardiovaskulären Risikoprofil
- Erhöhtes Risiko bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien
- Therapie abhängig von Schwere und Lokalisation [8]
- Fortführen der intravitrealen Anti-VEGF-Injektionen
- Ggf. intravitreale Injektion von rTPA und Gas
- Bei massiver Blutung: Vitrektomie und Entfernung des subretinalen Blutkoagels via Retinotomie
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- I.d.R. chronischer Verlauf mit langsam progredienter Visusminderung
- Übergang von trockener AMD zu neovaskulärer AMD möglich, dann oft raschere Visusminderung
- Risiko der Entstehung einer späten AMD abhängig von der Größe der Drusen und insb. dem Vorliegen von Pigmentveränderungen [2]
- Im Endstadium vollständiger Verlust des zentralen Sehens möglich
- Peripheres Gesichtsfeld und somit Orientierung im Raum jedoch auch dann erhalten
Prävention
Primärprävention
- Gesichert: Rauchverzicht
- Gesunder Lebensstil mit ausreichend Bewegung und ausgewogener Ernährung
- Einstellung kardiovaskulärer Risikofaktoren (Blutdruck, Gewicht)
- UV-Schutz der Augen
Sekundärprävention
- Frühzeitiges Erkennen behandlungsbedürftiger Stadien
- Vorsorgeuntersuchung der Bevölkerung ab 55 Jahre
- Untersuchung der Makula bei suspekten Sehverschlechterungen
- Aufklärung über Symptome und Verlauf der AMD
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.