Abstract
Die körperliche Untersuchung stellt nach Erhebung der Anamnese i.d.R. die erste diagnostische Maßnahme dar und sollte wenn möglich immer vollständig durchgeführt werden. Sie ermöglicht oftmals bereits eine erste Zuordnung der Beschwerden und ist entscheidend für die Anordnung weiterer Untersuchungen. In manchen Fällen ist anhand der körperlichen Untersuchung bereits eine Diagnosestellung möglich, ohne dass invasive oder apparative Verfahren zum Einsatz kommen müssen.
Dieses Kapitel stellt einen möglichen Untersuchungsablauf dar, wie er beispielsweise im Rahmen einer Aufnahmeuntersuchung (oder auch in der mündlichen Prüfung des Staatsexamens!) durchgeführt wird. Genauere Erklärungen zu möglichen Untersuchungsbefunden sind in weiterführenden Kapiteln zu finden.
Vorbemerkungen
Untersuchungssituation
- Bestmögliche Bedingungen für die Untersuchung schaffen: Einen möglichst ruhigen Ort für die Untersuchung wählen, auf die Wahrung der Privatsphäre achten, ggf. Angehörige oder andere Patienten aus dem Zimmer bitten.
- Vor der Untersuchung sollte sich der Untersucher die Hände desinfizieren!
- Sich selber mit Funktion vorstellen und dem Patienten den Ablauf erklären
- Falls der Name des Patienten nicht bekannt sein sollte, diesen immer erfragen
- Während der Untersuchung sollten dem Patienten jeweils die weiteren Schritte angekündigt werden
- Material
- Kugelschreiber
- Ggf. Anamnese-/Untersuchungsbogen
- Stethoskop
- Untersuchungsleuchte
- Spatel
- Reflexhammer
- Ggf. Otoskop
Einen Bogen zur Dokumentation der Untersuchungsbefunde findest Du in dem Kapitel "Anamnese- und Untersuchungsbogen"!
Allgemeines Vorgehen in der körperlichen Untersuchung
Bei jeder Untersuchung ist es sinnvoll, folgende Untersuchungsmethoden bei allen Organen durchzuführen, um möglichst viele Informationen über den Zustand des Patienten zu sammeln.
- Inspektion: Betrachten
- Palpation: Abtasten
- Perkussion: Abklopfen
- Auskultation: Abhören (i.d.R. mit dem Stethoskop)
- Ggf. Funktionsprüfung
Zu Beginn einer Untersuchung steht grundsätzlich die Inspektion; die Reihenfolge der anderen Methoden unterscheidet sich je nach untersuchter Körperregion. Während z.B. bei der Lungenuntersuchung Palpation, Perkussion und Auskultation aufeinander folgen, sollte bei der Abdomenuntersuchung die Auskultation zuerst erfolgen, um eine Verfälschung der Darmgeräusche durch eine vorherige palpatorische Anregung zu verhindern. Bei anderen Untersuchungen (wie z.B. bei der Beurteilung des Herzens) haben Palpation und Perkussion nur einen geringen Stellenwert.
Allgemeiner Eindruck und Vitalparameter
- Allgemeinzustand
- Ernährungszustand
- Pflegezustand
- Bewusstsein und Orientierung
- Kooperativität/Zugewandtheit
- Vitalparameter : Blutdruck, Herzfrequenz, Temperatur, Atemfrequenz, (Sauerstoffsättigung )
Hände
- Hände
- Hauterscheinungen
- Temperatur
- Verformungen und Gelenkveränderung der Hände und Finger
- Typische Befunde: Siehe Veränderungen der Hände
- Nägel
- Typische Befunde
- Siehe: Veränderungen der Hände
- Siehe: Nagelveränderungen
Kopf/Hals
Schädel
- Beklopfen der Kalotte
- Austrittspunkte des N. trigeminus druckschmerzhaft?
- Nasennebenhöhlen klopfschmerzhaft?
Augen
- Inspektion der Skleren
- Inspektion der Konjunktiven
- Indirekte und direkte Lichtreaktion der Pupillen
- Untersuchung der Augenmotilität
- Orientierende fingerperimetrische Überprüfung des Gesichtsfeldes
Mund und Rachen
- Beurteilung der Mundschleimhaut
- Beurteilung der Tonsillen
- Beurteilung der Gaumensegel
- Den Patienten bitten, die Zunge herauszustrecken
- Typische Befunde: Siehe Zungenveränderungen
Gesicht
Für einen flüssigen Untersuchungsablauf bietet es sich an, hier bereits einige Schritte der neurologischen Untersuchung durchzuführen.
- Prüfung der Sensibilität
- Prüfung der Motorik
- Ggf. Otoskopie
Hals
- Beurteilung der Füllung der Halsvenen
- Palpation der zervikalen, nuchalen und submandibulären Lymphknoten (siehe auch: Untersuchung der Lymphknoten)
- Untersuchung der Schilddrüse
- Inspektion
- Palpation
- Beurteilung der Nackenbeweglichkeit (siehe auch Meningismus)
- Prüfung der Kraft des Halses
Typische Befunde: Siehe Redflag-Befunde an Kopf und Hals
Thorax
Herz
AMBOSS-Video-Tutorial zur klinischen Untersuchung des Herzens:
Inspektion
- Zunächst sollte der Patient gebeten werden, den Oberkörper frei zu machen.
- Bei der Inspektion sollte auf mögliche Narben einer Herzoperation (Thorakotomienarbe), Herzschrittmacher etc. geachtet werden.
Palpation
- Durchführung
- Beurteilung: Bei schlanken Menschen ist der Herzspitzenstoß im 5. ICR leicht medial der Medioklavikularlinie palpabel; eine Verbreiterung findet sich bspw. im Rahmen einer Linksherzhypertrophie.
Auskultation (siehe auch Auskultation des Herzens)
- Allgemeine Hinweise zur Auskultation
- Die Auskultation sollte optimalerweise im Liegen mit leicht erhöhtem Oberkörper erfolgen. Die Taschenklappen sind am besten im Sitzen mit leicht vorgebeugtem Oberkörper, die Mitralklappe am besten in mäßiger Linksseitenlage hörbar.
- Sind die Herztöne sehr schwach zu hören, kann man den Patienten bitten, die Luft nach Exspiration für einen Moment lang anzuhalten (Atemruhelage) .
- Oftmals ist es hilfreich, dem Patienten anzukündigen, dass man nun auf das Herz hört und er dabei nicht sprechen sollte.
- Zur besseren Unterscheidung der Herztöne und zur Erkennung eines möglichen Pulsdefizits sollte während der Auskultation parallel der Puls getastet werden (meist an der A. radialis)
- Ablauf: Auskultationspunkte
- 3. ICR links parasternal = Erb-Punkt
- 2. ICR rechts parasternal: Auskultation der Aortenklappe
- 2. ICR links parasternal: Auskultation der Pulmonalklappe
- 4. ICR rechts parasternal: Auskultation der Trikuspidalklappe
- 5. ICR links medioklavikulär: Auskultation der Mitralklappe
- Typische Befunde
- Worauf sollte geachtet werden?
- Herzrhythmus und Herzfrequenz
- Liegt ein Pulsdefizit vor?
- Sind pathologische Herzgeräusche zu hören? Wenn ja:
- Wo sind sie am deutlichsten zu hören? Punctum maximum (p.m.)
- Systolisch vs. diastolisch
- Klangcharakter (hochfrequent, niederfrequent)
- Zeitlicher Verlauf (bandförmig, spindelförmig etc.)
- Fortleitung?
Lunge
AMBOSS-Video-Tutorial zur klinischen Untersuchung der Lunge:
Inspektion
- Thoraxform
- Atemfrequenz
- Symmetrie der Atembewegungen
- Zeichen der Dyspnoe
Palpation
- Grobe Prüfung auf knöcherne Verletzungen des Thorax: Dazu übt der Untersucher mit beiden Händen Druck auf den Thorax aus und komprimiert ihn dabei einmal seitlich und einmal von dorsal und ventral.
- Prüfung der Atemexkursion
- Prüfung des Stimmfremitus
- Interpretation: Siehe Differenzialdiagnostik auf der Basis der pulmonalen Untersuchungsbefunde
Perkussion
- Perkussion der Lungenabschnitte
- Bestimmung der Atemverschieblichkeit
- Interpretation: Siehe Differenzialdiagnostik auf der Basis der pulmonalen Untersuchungsbefunde
Auskultation
- Ablauf: Zunächst sollte der Patient gebeten werden, durch den geöffneten Mund tief ein- und auszuatmen . Die Lungenabschnitte sollten immer im direkten Seitenvergleich auskultiert werden!
- Von dorsal: Im oberen Thoraxbereich → Oberlappen; mittlere und untere Thoraxabschnitte → Unterlappen
- Von lateral: Links → Ober- und Unterlappen; rechts → Mittellappen
- Von ventral: Im oberen Thoraxbereich beidseits → Auskultation des Oberlappens; im unteren Thoraxbereich → rechts Auskultation des Mittellappens und Unterlappens, links des Unterlappens
- Normalbefund: Vesikuläres Atemgeräusch über allen Lungenabschnitten
- Pathologische Befunde: Siehe Differenzialdiagnostik auf der Basis der pulmonalen Untersuchungsbefunde
- Weiterhin: Prüfung der Bronchophonie
Abdomen
AMBOSS-Video-Tutorial zur klinischen Untersuchung des Abdomens:
Vorbereitung
Zunächst sollte der Patient gebeten werden, sich hinzulegen und den Bauch frei zu machen. Um eine größtmögliche Entspannung der Bauchdecken des Patienten zu erreichen, kann dem Patienten ein Kissen unter den Kopf gelegt und er gebeten werden, die Arme locker neben dem Körper abzulegen und die Beine leicht anzuwinkeln. Falls der Untersucher kalte Hände hat, sollte er dies dem Patienten ankündigen, da Kälte im Bereich des Bauches meist als besonders unangenehm empfunden wird.
Inspektion
- Haut: Insb. auf das Vorliegen von Narben, Striae und Gefäßveränderungen (z.B. Caput medusae) achten
- Nabel: Insb. auf Vorwölbungen achten
- Konturen/Form des Abdomens: Ist das Abdomen flach, ausladend, eingefallen? Sind Vorwölbungen/Asymmetrien erkennbar?
Auskultation
Die Auskultation des Abdomens sollte vor Perkussion und Palpation erfolgen, um eine Verfälschung der Darmgeräusche durch eine vorherige palpatorische Anregung zu verhindern!
- Über allen 4 Quadranten mit leichtem Druck auskultieren
- Normalbefund: Ca. alle 5-10 Sekunden glucksende/gurgelnde Darmgeräusche
Perkussion
- Ziel: Bestimmung der Dichte der intraabdominellen Organe
- Vorgehen: Analog zur Perkussion der Lunge wird über allen vier Quadranten perkutiert.
- Physiologischer Befund: Tympanitischer Klopfschall über luftgefüllten Magen-/Darmabschnitten; gedämpfter Klopfschall über flüssigkeitsgefüllten oder soliden Organen (Leber, Milz)
Palpation
- Allgemeine Hinweise
- Der Patient sollte zunächst gefragt werden, ob Schmerzen im Bereich des Abdomens bestehen. Wird dies bejaht, sollte die Palpation in den nicht-schmerzhaften Bereichen begonnen werden.
- Da die Palpation des Abdomens oftmals als sehr unangenehm empfunden wird, kann es hilfreich sein, den Patienten in ein Gespräch zu verwickeln und ihn aufzufordern, ruhig durchzuatmen.
Bei der Palpation sollte in das Gesicht des Patienten geschaut werden und nicht auf den Bauch! Die Mimik des Patienten während der Palpation kann gute Hinweise auf Intensität und Lokalisation von Schmerzen geben.
- Vorgehen
- Oberflächliche Palpation: Zur Beurteilung von Prozessen der Bauchdecke/Bauchwand
- Tiefe Palpation: Untersuchung der Bauchorgane → Resistenzen, Druckschmerz
- Appendizitiszeichen
- Palpation der Leber
- Palpation der Milz
- Palpation der inguinalen Lymphknoten (siehe auch: Untersuchung der Lymphknoten)
- Überprüfung der Nierenlager
- Interpretation
- Siehe: Differenzialdiagnosen des akuten Abdomens
Bestimmung der Lebergröße
- Kratzauskultation
- Perkussion
- Physiologischer Befund: Die normale kraniokaudale Lebergröße in der Medioklavikularlinie beträgt 7-11,5cm bei der Frau und 8-12,5cm beim Mann
Digital-rektale Untersuchung
- Auch wenn diese Untersuchung für alle Beteiligten als sehr unangenehm empfunden wird, gehört sie zu einer vollständigen körperlichen Untersuchung dazu!
- Es ist sinnvoll, den Patienten darüber aufzuklären, dass die Untersuchung unangenehm, aber unerlässlich ist und schnell vorbei sein wird.
- Vorgehen
- Patient befindet sich entweder in Rückenlage mit gering gespreizten und aufgestellten Beinen oder in Links-/Rechtsseitenlage
- Der Untersucher bittet den Patienten zu pressen und führt dann den (mit einem Handschuh geschützten und mit Vaseline bestrichenen) Zeigefinger peranal ein
- Betasten des Analkanals und des Rektums
- Beurteilung: Einschätzung des Sphinktertonus , Vorliegen einer Druckschmerzhaftigkeit , Vorliegen von Resistenzen , Beurteilung möglicher Rückstände von Stuhl/Blut am Fingerling , Beurteilung der Prostata
Gefäßstatus/Flüssigkeitshaushalt
- Inspektion
- Hautfarbe der Extremitäten/Hautveränderungen
- Temperatur der Extremitäten
- Pulsstatus
- Palpation von A. carotis communis, A. radialis, Aorta abdominalis, A. femoralis, A. poplitea, A. tibialis posterior, A. dorsalis pedis
- Auskultation von A. carotis, Aorta abdominalis, A. renalis, A. femoralis
- Siehe auch: Pulsdiagnostik
- Ödeme
Bewegungsapparat und orientierende neurologische Untersuchung
Zu einer vollständigen körperlichen Untersuchung gehört immer auch eine neurologische Untersuchung. Diese wird in der Regel in verkürzter Form an die internistische Untersuchung angeschlossen und dient einer groben Einschätzung des neurologischen Zustands des Patienten. Finden sich dabei Auffälligkeiten, sollte im Anschluss eine ausführlichere Untersuchung erfolgen.
AMBOSS-Video-Tutorial zur orientierenden neurologischen Untersuchung:
- Prüfung der Beweglichkeit der Gelenke
- Grobe Prüfung der Sensibilität
- Prüfung der groben Kraft
- Prüfung der Koordination: Finger-Nase-Versuch , Finger-Folge-Versuch und/oder Knie-Hacke-Versuch , Diadochokinese
- Prüfung der Muskeleigenreflexe: Bizepssehnenreflex , Trizepssehnenreflex , Radiusperiostreflex , Patellarsehnenreflex , Achillessehnenreflex
- Prüfung pathologischer Reflexe/Pyramidenbahnzeichen: Babinski-Reflex
-
Untersuchung der Wirbelsäule
- Inspektion
- Grobe Prüfung der Beweglichkeit
- Klopfschmerz
- Hinweis: Es empfiehlt sich, vor/nach der Untersuchung der Wirbelsäule die Nierenlager auf Klopfschmerzhaftigkeit zu prüfen. Die beiden Untersuchungen haben zwar nichts miteinander zu tun, sie zu kombinieren ermöglicht jedoch einen flüssigeren Untersuchungsablauf.
- Beurteilung des Gangbildes
Für eine detailliertere neurologische Untersuchung: Siehe Neurologische Untersuchung