Zusammenfassung
Als Kontraktur bezeichnet man die Bewegungseinschränkung eines Gelenks durch Veränderung der an der Funktion beteiligten Strukturen, wodurch es sich nicht mehr vollständig beugen oder strecken lässt. Sie entsteht durch eine langfristige Ruhigstellung, bspw. durch inadäquate Lagerung, Lähmungen oder Spastiken.
Die Kontrakturenprophylaxe umfasst Maßnahmen, die der Entstehung einer Kontraktur und der Verkürzung von muskulärem Gewebe entgegenwirken. Dazu zählen das Erkennen von Risikofaktoren sowie die Planung und Durchführung entsprechender Maßnahmen. In diesem Zusammenhang besonders wichtig sind die Wahrnehmungs- und Bewegungsförderung, um die Patient:innen sowohl körperlich als auch mental zu stärken und um ein Bewusstsein für die Gefahr einer Kontraktur zu schaffen.
Das Ziel besteht darin, eine freie und schmerzlose Bewegungsfunktion der Gelenke sicherzustellen, und Patient:innen zu unterstützenden Bewegungsmustern für den Alltag anzuleiten.
Einteilung der Kontrakturen
- Anhand der Ursache
- Tendomyogen: Verkürzung von Bindegewebe und Muskeln
- Neurogen: Bspw. durch Paresen
- Dermatogen: Bspw. durch Narben
- Arthrogen: Bspw. Verwachsungen der Gelenke
- Psychogen
- Anhand der kontrakten Haltung
- Streckkontraktur
- Beugekontraktur
- Abduktionskontraktur
- Adduktionskontraktur
- Pronationskontraktur
- Supinationskontraktur
Eine Kontraktur kann bei allen Patient:innen in unterschiedlichen Formen auftreten. Die Kontrakturenprophylaxe gilt als allgemeingültig für alle Varianten!
Entstehung einer Kontraktur
- Beginn: Schnelle Entstehung erster Veränderungen (nach ca. 4–14 Tagen)
- Manifestation anfänglicher Symptome (nach ca. 30 Tagen)
- Kontraktur (nach ca. 60 Tagen)
Der Ablauf und die Dauer der Entstehung sind immer abhängig vom Allgemeinzustand der Patient:innen!
Risikofaktoren und Risikoeinschätzung
Die Entstehung von Kontrakturen ist von vielen Faktoren abhängig und ggf. eine Begleiterscheinung verschiedener Krankheiten. Bestimmte Risikofaktoren muss die Pflegefachperson erkennen, interpretieren und anschließend entsprechende Maßnahmen einleiten.
Risikofaktoren
- Immobilität und Bettlägerigkeit: Eingeschränkte Bewegung → Weniger Muskelgewebe → Ersatz durch Bindegewebe, Fett und Kollagen
- Ungewohnter, begrenzter Mobilitätsradius
- Immobilität durch freiheitsentziehende Maßnahmen
- Psychische Erkrankungen: Psychogene Kontrakturen
- Depression
- Antriebslosigkeit
- Sedierende Medikamente bei psychischen Erkrankungen
- Schmerzen: Begünstigen eine Schonhaltung
- Frakturen der Hüfte oder Schulter
- Große Wunden, OP-Wunden
- Chronische Schmerzen, bspw. rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew
- Verbrennungen
- Gelenkfehlstellungen
- Veränderte Gelenkstruktur, bspw. bei rheumatoider Arthritis, Arthrose, Osteoporose
- Angeborene Fehlstellungen
- Lähmungen: Neurogene Kontrakturen
- Rückenmarksverletzungen
- Z.n. Schlaganfall
- Spastiken
- Morbus Parkinson
- Multiple Sklerose
- Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
- Haut: Dermatogene Kontrakturen
- Großflächige Verbrennungen oder Verätzungen
- Hauterkrankungen, bspw. starke atopische Dermatitis, bei der die Haut spannt und juckt
- Pflegerische Behandlungsfehler: Fehlerhafte Positionierung
Risikoeinschätzung
- Keine Assessmentinstrumente vorhanden
- Tests und Übungen unter Anleitung von Physiotherapeut:innen
- Patient:innen sollen bestimmte Bewegungen auf Aufforderung durchführen
- Beobachtungskriterien
- Bewegung im Bett
- Stabilität an der Bettkante
- Selbstständiges Stehen und Gehen
Maßnahmen
Hintergrund
- Unterscheidung zwischen „bewegungsfördernden“ und „positionsunterstützenden“ Maßnahmen
- Viele Übungen in den Alltag integrierbar oder bei allgemeiner Pflege anwendbar
- Körperpflege und Mobilisierung besonders geeignet, um verschiedene Bewegungsabläufe zu üben und Patient:innen in Prophylaxe einzubinden
- Viele Maßnahmen sind Teil anderer Prophylaxen, bspw. der Pneumonieprophylaxe oder Dekubitusprophylaxe
- Patient:innen immer über alle Maßnahmen aufklären
Durchführung
- Risikofaktoren beurteilen
- Reaktion bei Bewegung
- Gelenkstellung und Beweglichkeit der Muskulatur
- Anleitung zur Bewegung: Aktive Bewegungsübungen
- Passive Bewegungsübungen
- Mobilisation: Mind. 1×/Schicht regelmäßiger Wechsel zwischen Stehen und Liegen → Muskulatur wird unterschiedlich beansprucht
- Positionierung und regelmäßige Positionswechsel
- Kopfteil in Rücken- bzw. Seitenlage flach stellen
- Beim Sitzen die Arme und den Rücken gut auspolstern
- Extremitäten spannungsfrei lagern
- Hilfsmittel nutzen, bspw. ein zusammengerolltes Handtuch
- Hohlräume unter Armen und Beinen vermeiden
- Ggf. Fußwiderstand am Ende des Bettes aufstellen
- Keine (Super‑)Weichlagerung
- Schmerzmanagement
- Adäquate Schmerztherapie (Schmerzen fördern eine Schonhaltung!)
- Schmerzmedikamente sollten nicht sedierend wirken (erneutes Risiko einer Kontraktur)
- Alltagsbewegungen entwickeln
Passive Bewegungsübungen müssen vorsichtig durchgeführt werden. Patient:innen sollten sich bei Schmerzen oder Unwohlsein melden!
Spitzfuß
Definition
- Sonderform der Beugekontraktur
- Klinisches Bild
- Dauerhafte Beugung (Plantarflexion) im oberen Sprunggelenk
- Fersenhochstand (Ferse setzt beim Auftreten nicht auf dem Boden auf)
- Betroffene oft bettlägerige Patient:innen oder Kinder
Ursachen
- Dauerhafte Fehlhaltung, bspw. durch
- Muskuläre Dysbalance
- Dauerhafte Anspannung der Wadenmuskulatur
- Verminderte Kraft der vorderen Schienbeinmuskulatur
- Schonhaltung aufgrund von Schmerzen
- Verkürzung der Achillessehne
- Neurologische Erkrankungen, infantile Zerebralparese
- Bewegungseinschränkung aufgrund von Narben, bspw. nach Verbrennungen
- Druck von außen, bspw. durch Gewicht der Bettdecke bzw. Kraftlosigkeit, die Decke selbstständig zu bewegen
- Muskuläre Dysbalance
- Inaktivität des Fußgelenks
- Immobilität und Bettlägerigkeit
- Ruhigstellung durch Gipsverband
- Angeboren
- Beckenendlage
- Fehllage im Uterus
Symptome
- Bewegungseinschränkung des Fußes
- Hochziehen des Fußes Richtung Schienbein nicht möglich
- Neutralstellung kann nicht gehalten werden
- Verändertes bzw. gestörtes Gangbild (sog. Steppergang)
Maßnahmen
- Anleitung zu selbstständigen Bewegungsübungen
- Passive Bewegungsübungen durch Pflegefachperson
- Ggf. Bettbogen nutzen → Bettdecke liegt nicht auf den Füßen auf
- Neutral-Null-Stellung bei der Lagerung von Gelenken
- Aktivierende Pflege nach Bobath
- Ggf. orthopädische Schuhe tragen
- Physiotherapie involvieren
- Kissen am Ende des Bettes einlegen
Ein dauerhafter Widerstand am Fußende kann – insb. bei großer Auflagefläche – die Durchblutung behindern und die Entstehung eines Dekubitus begünstigen!
Bewegungsübungen Kontrakturenprophylaxe
Allgemeines Vorgehen
- Enger Austausch mit Patient:innen
- Erfragen von Schmerzen und Unwohlsein
- Aufklärung über den Bewegungs- und Übungsablauf
- Adäquate Schmerztherapie, nach ärztlicher Rücksprache
- Integration der Übungen in die tägliche Pflege
- Als basale Stimulation nutzen
- Durchführung
- Ausgangslage für die Übungen: Neutrale Position der Gelenke (siehe: Neutral-Null-Methode)
- Jede Bewegung ca. 5× ausführen
- Jedes Mal in Neutralposition zurückkehren
- Im Anschluss: Patient:innen liegen in bequemer Position und können sich entspannen
Durchführung der Bewegungsübungen
Bewegungsübungen am Fuß
- Zehengelenke
- Sprunggelenk
- Das distale Ende des Unterschenkels mit der schwächeren Hand greifen
- Den Mittelfuß mit der anderen Hand greifen, Neutral-Null-Stellung
- Fuß im Sprunggelenk beugen
- Fuß im Sprunggelenk strecken
- Ferse mit der schwächeren Hand umfassen
- Mittelfuß mit der anderen Hand greifen
- Fußinnenkante anheben
- Fußaußenkante anheben
Bewegungsübungen am Knie
- Knie durchbewegen (Hüftgelenk bleibt unverändert)
- Unterseite des Oberschenkels halten, Knie zeigt bei liegender Person Richtung Zimmerdecke
- Andere Hand fixiert das Schienbein oberhalb des Fußgelenks
- Knie beugen (der Fuß wird in Richtung Gesäß bewegt)
- Knie strecken (Fuß zurück nach vorn/oben bewegen)
- Knie und Hüfte gemeinsam durchbewegen
Bewegungsübungen am Hüftgelenk
- Abspreizen des Beins
- Bein gestreckt
- Eine Hand fixiert die Wade, andere Hand unter den Oberschenkel
- Abspreizen des Beins Richtung Bettkante
- Neutral-Null-Stellung
- Bewegung des Beins in Richtung des anderen Beins (Überkreuzung)
- Neutral-Null-Stellung
- Rotation im Hüftgelenk
- Je eine Hand oben auf Ober- und Unterschenkel auflegen
- Gestrecktes Bein nach außen drehen
- Neutral-Null-Stellung
- Gestrecktes Bein nach innen drehen
- Neutral-Null-Stellung
Unmittelbar nach einer Hüft-OP dürfen keine Bewegungsübungen des Hüftgelenks durchgeführt werden, da die Gefahr besteht, das Gelenk zu luxieren!
Bewegungsübungen an der Hand
- Handgelenk
- Unterarm mit der schwächeren Hand fixieren
- Andere Hand greift die Handfläche
- Handgelenk nach dorsal strecken
- Neutral-Null-Stellung
- Handgelenk entgegengesetzt beugen
- Mittelhandknochen mit der stärkeren Hand greifen
- Andere Hand fixiert den Unterarm, proximal des Handgelenks
- Hand seitwärts von rechts nach links bewegen
- Fingergelenke
- Fingerglieder mit der stärkeren Hand greifen
- Andere Hand fixiert die Mittelhandknochen
- Finger abwechselnd beugen und strecken
Bewegungsübungen an Arm und Schulter
- Schultergelenk
- Handgelenk und Oberarm umgreifen
- Arm nach vorn bzw. Richtung Zimmerdecke strecken
- Arm weiter zum Kopfende des Bettes strecken
- Neutral-Null-Stellung
- Arm seitlich aus dem Bett führen
- Neutral-Null-Stellung
- Ellenbogen
- Handfläche umgreifen
- Andere Hand stützt den Oberarm
- Unterarm im Ellenbogengelenk Richtung Brust beugen
- Neutral-Null-Stellung