ambossIconambossIcon

Morbus Perthes

Letzte Aktualisierung: 24.10.2023

Abstracttoggle arrow icon

Der Morbus Perthes ist eine idiopathische, ein- oder beidseitig auftretende, aseptische Knochennekrose des Femurkopfes und manifestiert sich typischerweise im Kindesalter zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr. Je jünger der Patient bei Erkrankungsbeginn ist, desto besser ist die Prognose. Die Kinder beklagen belastungsabhängige Hüftschmerzen, die nicht selten ins gleichseitige Knie ausstrahlen und zu Schonhinken führen. Frühstadien lassen sich nur mittels MRT nachweisen, während im Verlauf das konventionelle Röntgenbild in Außenrotationsstellung des Hüftgelenks (Lauenstein-Aufnahme) eine Stadieneinteilung erlaubt. Beim Vorliegen prognostisch ungünstiger Zeichen im Röntgenbild kommen operative Verfahren zum Einsatz. Ziel ist es hierbei, den Hüftkopf durch die Gelenkpfanne möglichst vollständig zu überdachen („Containment“) und somit eine weitgehend physiologische Formung des Kopfes zu gewährleisten. Bei leichten Formen des Morbus Perthes sind vor allem bei Kindern unter sechs Jahren eine Reduktion der Belastung und Verlaufskontrollen ausreichend. Eine wichtige Differenzialdiagnose ist die Coxitis fugax. Hierbei handelt es sich um eine flüchtige Entzündung der Hüfte unklarer Genese, die häufig nach einem viralen Atemwegsinfekt auftritt und spontan (in der Regel nach einer Woche) ausheilt.

Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer studentischen AMBOSS Audio-Reihe vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der Sektion “Tipps & Links".

Definitiontoggle arrow icon

Epidemiologietoggle arrow icon

  • Geschlecht: > (4:1)
  • Alter: Häufigkeitsgipfel 4.–8. Lebensjahr
  • Inzidenz: In Mitteleuropa: 10:100.000

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

  • Unklare Genese: Es werden verschiedene Ätiologien diskutiert, wie es zu der aseptischen Nekrose des Hüftkopfes kommt
    • Gefäßtheorie
      • Die den Hüftkopf versorgenden Arterien neigen zu Obliterationen
      • Aufgrund des Arterienverlaufs verschlechtert die Abduktion die Durchblutung
    • Repetitive Mikrotraumen
      • Hyperaktivität und die dadurch vermehrte Belastung der Hüfte sind mit steigender Inzidenz assoziiert
    • Gerinnungsstörungen
    • Genetische Faktoren
      • Unklare Rolle aufgrund widersprüchlicher und zum Teil sehr alter Studienergebnisse
  • Assoziationen mit einem Morbus Perthes
    • Umweltfaktoren: Assoziation zu niedrigerem sozioökonomischen Status
    • Gehäuft in Zusammenhang mit Skelettretardierung: Das Skelettalter wirkt bei Perthes-Patienten bis zu drei Jahre jünger als das eigentliche Alter und zum Teil wurden erniedrigte IGF-Spiegel gefunden
      • Die Skelettretardierung hat aber sonst keine klinische Relevanz, da die Kinder das Wachstumsdefizit wieder aufholen

Klassifikationtoggle arrow icon

Waldenström-Klassifikation

Morphologische Einteilung der Krankheitsstadien anhand der Darstellung im Röntgenbild mit begrenzter therapeutischer Relevanz.

Krankheitsstadium nach Waldenström Befund im Röntgenbild
I Initialstadium Zunahme des Gelenkspalts und des Gelenkergusses
II Kondensationsstadium Dichtezunahme der Epiphyse (Verdichtung des Knochenkerns)
III Fragmentationsstadium Subchondrale Aufhellung mit scholligem Zerfall der Epiphyse
IV Reparationsstadium Wiederaufbau des Hüftkopfes durch Reossifikation
V Endstadium Restitutio ad integrum oder Fixierung einer Deformierung

Lateral-Pillar-Klassifikation nach Herring

Diese Klassifikation hat die höchste klinische Relevanz, da sie am besten mit dem langfristigen Behandlungsergebnis korreliert. Beachtet wird dabei die Höhe des lateralen Drittels ("laterale Säule") des Femurkopfes. Die prognostische Relevanz dieser Klassifikation kann noch gesteigert werden, indem das Alter des Patienten hinzugezogen wird (siehe: Therapieschema Morbus Perthes).

Lateral-Pillar-Klassifikation
Stadium A (Herring A) Höhe der lateralen Säule 100%, bzw. nicht betroffen
Stadium B (Herring B) Höhe der lateralen Säule >50%
Stadium C (Herring C) Höhe der lateralen Säule <50%

Weitere Klassifikationen

  • Klassifikation nach Catterall
  • Klassifikation nach Salter und Thompson
  • Stulberg-Klassifikation
    • Morphologie des Femurkopfs im Ausheilungsstadium

Pathophysiologietoggle arrow icon

  1. Initial kommt es zu einer Durchblutungsstörung des Hüftkopfes mit anschließender, subchondraler Nekrose des Knochens. Das trabekuläre Grundgerüst bleibt zunächst auch im avitalen Zustand bestehen, sodass der Hüftkopf seine sphärische Form beibehält.
  2. Wird die Hüfte jedoch weiterhin unverändert belastet, bricht das trabekuläre Grundgerüst letztlich zusammen, wodurch es zu subchondralen Frakturen kommt. Infolge des Zusammenbruchs der trabekulären Matrix wird der subchondrale Knochen komprimiert und es kommt zu Reparaturvorgängen mit Knochenneubildung, was sich röntgenologisch als Kondensation äußert.
  3. Im Zuge der subchondralen Frakturierung bricht letztlich auch die knorpelige Gelenkoberfläche ein, der Kopf verliert seine Sphärizität und erscheint im Röntgen flacher und breiter → Coxa magna. Durch die veränderte Form verliert der Femurkopf darüber hinaus seine Zentrierung im Azetabulum, sodass es häufig zu einer lateralen Subluxation kommt.
  4. Durch Reparaturvorgänge wird diese veränderte Form des Hüftkopfes weiter gefestigt, was sich negativ auf die Entwicklung des Azetabulums auswirkt, wodurch es letztlich zum Bild des asphärischen und zum Azetabulum inkongruenten Hüftkopfes kommt.

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

  • Leitsymptom: (Belastungsabhängiges) Schonhinken
  • Schmerzen: Hüft- oder Oberschenkelschmerzen mit Ausstrahlung ins Knie (Knieschmerzen)
  • Bewegungseinschränkung
  • Bei 10–20% beidseitiger Befall, häufig zeitversetzt auftretend

Bei Knieschmerzen im Kindesalter muss auch an Morbus Perthes gedacht werden!

Diagnostiktoggle arrow icon

Körperliche Untersuchung

  • Typische Befunde
    • Positives Vierer-Zeichen
    • Immer Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk: Verminderte Rotation (vor allem Innenrotation) und Abduktion
      • Prüfung der Rotation: Bei gebeugtem Knie in Bauchlage (Hüfte nicht gebeugt) oder Rückenlage (Hüfte gebeugt), Unterschenkel dient als "Zeiger" der Rotation
    • Leistendruckschmerz
    • Hinge abduction“ = Anstoßen des lateralen Femurkopfes am ventrolateralen Azetabulum bei Abduktion, was mit Schmerzen, einem spürbaren Schnappen und Bewegungseinschränkungen einhergehen kann

Apparative Diagnostik

Erstdiagnostik

Bei unauffälliger Erstdiagnostik (aber weiter bestehendem klinischen Verdacht)

  • MRT: Eignet sich besonders im Frühstadium, da das Röntgenbild oft unauffällig sein kann!
    • Ähnlich wie im Röntgenbild lassen sich auch im MRT prognostische Faktoren feststellen (z.B. Größe des Nekroseareals, Entrundung, metaphysäre Beteiligung)
    • Späte Stadien: Größenbestimmung des Nekroseareals in der Femurkopf-Epiphyse möglich
    • Frühe Stadien: Im Bereich der Epiphyse Hypointensitäten (T1-Wichtung) bzw. Hyperintensitäten (T2-Wichtung) als Ausdruck des intraossären Ödems

Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Coxitis fugax (transiente Synovitis)

  • Definition: Flüchtige Entzündung der Hüfte unklarer Genese
  • Alter: Häufigkeitsgipfel 3.–9. Lebensjahr
  • Klinik
    • Beginn: Häufig 1–2 Wochen nach einem viralen Infekt der oberen Atemwege
    • Ähnliche Symptome wie beim Morbus Perthes
  • Diagnostik
  • Wichtige Differenzialdiagnose: Bakterielle Koxitis
  • Therapie
  • Verlauf: Bei konsequenter Entlastung ist eine Beschwerdefreiheit innerhalb von 7 Tagen die Regel. Ein progredienter Verlauf über mehr als 14 Tage sollte an die Differenzialdiagnosen bakterielle Koxitis und Morbus Perthes denken lassen

Weitere Differenzialdiagnosen [1]

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapietoggle arrow icon

Grundidee: Containment-Therapie

  • Problem: Unzureichende Überdachung des Femurkopfes durch das Azetabulum, da der Femurkopf nach lateral abrutscht (unzureichendes „Containment“)
  • Therapieziel: Kongruenz von Hüftkopf und Azetabulum verbessern
  • Prinzip: Hüftkopf so überdachen bzw. in der Hüftpfanne zentrieren, dass ein laterales Abgleiten während der Neubildung des Femurkopfes verhindert wird
  • Resultat: Gleichmäßige Druckverteilung auf den Femurkopf führt dazu, dass sich der Femurkopf möglichst physiologisch nachbildet

Therapieschema Morbus Perthes

Erstdiagnose vor dem 6. Lebensjahr

  • Gute Beweglichkeit + Herring A, B
    • Konservative Therapie
      • Sprünge vermeiden
      • Gehstützen
      • Krankengymnastik zur Kapseldehnung und Gelenkzentrierung
      • Orthesen (z.B. Thomas-Schiene) werden heutzutage nur noch selten eingesetzt
  • Schlechte Beweglichkeit + Herring B/C, C

Erstdiagnose nach dem 6. Lebensjahr

Der Zerfall und Wiederaufbau des Hüftkopfes dauert etwa vier Jahre und ist durch keine bekannte Therapie beeinflussbar!

Komplikationentoggle arrow icon

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Prognosetoggle arrow icon

  • Das Alter bei Erkrankungsbeginn ist der wichtigste prognostische Faktor: Je jünger der Patient bei Krankheitsausbruch ist, desto besser die Prognose!
  • Weibliches Geschlecht ist mit einer schlechteren Prognose assoziiert

Meditrickstoggle arrow icon

In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.

Morbus Perthes (Video frei verfügbar)

Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. Nelitz et al.:Perthes DiseaseIn: Deutsches Ärzteblatt Online. Band: 106, Nummer: 31–32, 2009, doi: 10.3238/arztebl.2009.0517 . | Open in Read by QxMD.
  2. Kerbl et al.: Checkliste Pädiatrie. 3. Auflage Thieme 2007, ISBN: 978-3-131-39103-2.
  3. Speer, Gahr: Pädiatrie. 3. Auflage Springer 2009, ISBN: 978-3-540-69479-3.
  4. Imhoff et al.: Checkliste Orthopädie. 3.. Auflage Thieme 2014, ISBN: 978-3-131-42283-5.
  5. Dillman, Hernandez:MRI of Legg-Calvé-Perthes DiseaseIn: American Journal of Roentgenology. Band: 193, Nummer: 5, 2009, doi: 10.2214/ajr.09.2444 . | Open in Read by QxMD p. 1394-1407.
  6. Lee et al.:Prognostic Value of Modified Lateral Pillar Classification in Legg-Calvé-Perthes DiseaseIn: Clinics in Orthopedic Surgery. Band: 1, Nummer: 4, 2009, doi: 10.4055/cios.2009.1.4.222 . | Open in Read by QxMD p. 222.
  7. Shapiro: Pediatric Orthopedic Deformities. Gulf Professional Publishing 2002, ISBN: 978-0-080-53856-3.
  8. Adolf et al.:Aktueller Stand der Therapie des Morbus PerthesIn: OUP. Band: 2014, Nummer: 1, 2014, doi: 10.3238/oup.2014.0010–0016 . | Open in Read by QxMD.

Icon of a lockNoch 3 weitere Kapitel kostenfrei zugänglich

Du kannst diesen Monat noch 3 Kapitel kostenfrei aufrufen. Melde dich jetzt an, um unbegrenzten Zugang zu erhalten.
 Evidenzbasierte Inhalte, von festem ärztlichem Redaktionsteam erstellt & geprüft. Disclaimer aufrufen.