Abstract
Der Morbus Perthes ist eine idiopathische, ein- oder beidseitig auftretende, aseptische Knochennekrose des Femurkopfes und manifestiert sich typischerweise im Kindesalter zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr. Je jünger der Patient bei Erkrankungsbeginn ist, desto besser ist die Prognose. Die Kinder beklagen belastungsabhängige Hüftschmerzen, die nicht selten ins gleichseitige Knie ausstrahlen und zu Schonhinken führen. Frühstadien lassen sich nur mittels MRT nachweisen, während im Verlauf das konventionelle Röntgenbild in Außenrotationsstellung des Hüftgelenks (Lauenstein-Aufnahme) eine Stadieneinteilung erlaubt. Beim Vorliegen prognostisch ungünstiger Zeichen im Röntgenbild kommen operative Verfahren zum Einsatz. Ziel ist es hierbei, den Hüftkopf durch die Gelenkpfanne möglichst vollständig zu überdachen („Containment“) und somit eine weitgehend physiologische Formung des Kopfes zu gewährleisten. Bei leichten Formen des Morbus Perthes sind vor allem bei Kindern unter sechs Jahren eine Reduktion der Belastung und Verlaufskontrollen ausreichend. Eine wichtige Differenzialdiagnose ist die Coxitis fugax. Hierbei handelt es sich um eine flüchtige Entzündung der Hüfte unklarer Genese, die häufig nach einem viralen Atemwegsinfekt auftritt und spontan (in der Regel nach einer Woche) ausheilt.
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Definition
- Idiopathische, aseptische Hüftkopfnekrose des Kindes
Epidemiologie
Ätiologie
- Unklare Genese: Es werden verschiedene Ätiologien diskutiert, wie es zu der aseptischen Nekrose des Hüftkopfes kommt
- Gefäßtheorie
- Die den Hüftkopf versorgenden Arterien neigen zu Obliterationen
- Aufgrund des Arterienverlaufs verschlechtert die Abduktion die Durchblutung
- Repetitive Mikrotraumen
- Hyperaktivität und die dadurch vermehrte Belastung der Hüfte sind mit steigender Inzidenz assoziiert
- Gerinnungsstörungen
- Faktor-VIII-Erhöhung und Faktor-V-Leiden-Mutationen sind mit Morbus Perthes assoziiert
- Genetische Faktoren
- Unklare Rolle aufgrund widersprüchlicher und zum Teil sehr alter Studienergebnisse
- Gefäßtheorie
- Assoziationen mit einem Morbus Perthes
- Umweltfaktoren: Assoziation zu niedrigerem sozioökonomischen Status
- Gehäuft in Zusammenhang mit Skelettretardierung: Das Skelettalter wirkt bei Perthes-Patienten bis zu drei Jahre jünger als das eigentliche Alter und zum Teil wurden erniedrigte IGF-Spiegel gefunden
- Die Skelettretardierung hat aber sonst keine klinische Relevanz, da die Kinder das Wachstumsdefizit wieder aufholen
Klassifikation
Waldenström-Klassifikation
Morphologische Einteilung der Krankheitsstadien anhand der Darstellung im Röntgenbild mit begrenzter therapeutischer Relevanz.
Krankheitsstadium nach Waldenström | Befund im Röntgenbild | |
---|---|---|
I | Initialstadium | Zunahme des Gelenkspalts und des Gelenkergusses |
II | Kondensationsstadium | Dichtezunahme der Epiphyse (Verdichtung des Knochenkerns) |
III | Fragmentationsstadium | Subchondrale Aufhellung mit scholligem Zerfall der Epiphyse |
IV | Reparationsstadium | Wiederaufbau des Hüftkopfes durch Reossifikation |
V | Endstadium | Restitutio ad integrum oder Fixierung einer Deformierung |
Lateral-Pillar-Klassifikation nach Herring
Diese Klassifikation hat die höchste klinische Relevanz, da sie am besten mit dem langfristigen Behandlungsergebnis korreliert. Beachtet wird dabei die Höhe des lateralen Drittels ("laterale Säule") des Femurkopfes. Die prognostische Relevanz dieser Klassifikation kann noch gesteigert werden, indem das Alter des Patienten hinzugezogen wird (siehe: Therapieschema Morbus Perthes).
Lateral-Pillar-Klassifikation | |
---|---|
Stadium A (Herring A) | Höhe der lateralen Säule 100%, bzw. nicht betroffen |
Stadium B (Herring B) | Höhe der lateralen Säule >50% |
Stadium C (Herring C) | Höhe der lateralen Säule <50% |
Weitere Klassifikationen
- Klassifikation nach Catterall
- Klassifikation nach Salter und Thompson
- Stulberg-Klassifikation
- Morphologie des Femurkopfs im Ausheilungsstadium
Pathophysiologie
- Initial kommt es zu einer Durchblutungsstörung des Hüftkopfes mit anschließender, subchondraler Nekrose des Knochens. Das trabekuläre Grundgerüst bleibt zunächst auch im avitalen Zustand bestehen, sodass der Hüftkopf seine sphärische Form beibehält.
- Wird die Hüfte jedoch weiterhin unverändert belastet, bricht das trabekuläre Grundgerüst letztlich zusammen, wodurch es zu subchondralen Frakturen kommt. Infolge des Zusammenbruchs der trabekulären Matrix wird der subchondrale Knochen komprimiert und es kommt zu Reparaturvorgängen mit Knochenneubildung, was sich röntgenologisch als Kondensation äußert.
- Im Zuge der subchondralen Frakturierung bricht letztlich auch die knorpelige Gelenkoberfläche ein, der Kopf verliert seine Sphärizität und erscheint im Röntgen flacher und breiter → Coxa magna. Durch die veränderte Form verliert der Femurkopf darüber hinaus seine Zentrierung im Azetabulum, sodass es häufig zu einer lateralen Subluxation kommt.
- Durch Reparaturvorgänge wird diese veränderte Form des Hüftkopfes weiter gefestigt, was sich negativ auf die Entwicklung des Azetabulums auswirkt, wodurch es letztlich zum Bild des asphärischen und zum Azetabulum inkongruenten Hüftkopfes kommt.
Symptome/Klinik
- Leitsymptom: (Belastungsabhängiges) Schonhinken
- Schmerzen: Hüft- oder Oberschenkelschmerzen mit Ausstrahlung ins Knie (Knieschmerzen)
- Bewegungseinschränkung
- Eingeschränkte Abduktion und Rotation (vor allem Innenrotation) im Hüftgelenk
- Lauffaulheit
- Bei 10–20% beidseitiger Befall, häufig zeitversetzt auftretend
Bei Knieschmerzen im Kindesalter muss auch an Morbus Perthes gedacht werden!
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Typische Befunde
- Positives Vierer-Zeichen
- Immer Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk: Verminderte Rotation (vor allem Innenrotation) und Abduktion
- Prüfung der Rotation: Bei gebeugtem Knie in Bauchlage (Hüfte nicht gebeugt) oder Rückenlage (Hüfte gebeugt), Unterschenkel dient als "Zeiger" der Rotation
- Leistendruckschmerz
- „Hinge abduction“ = Anstoßen des lateralen Femurkopfes am ventrolateralen Azetabulum bei Abduktion, was mit Schmerzen, einem spürbaren Schnappen und Bewegungseinschränkungen einhergehen kann
Apparative Diagnostik
Erstdiagnostik
- Röntgen
- Durchführung
- Beckenübersicht a.p.
- Hüftgelenk nach Lauenstein (in Rückenlage bei 45° Flexion und 45° Abduktion im Hüftgelenk)
- Befundung: Während der ersten 3–6 Monate oft unauffällig!
- Radiologische Einteilung des M. Perthes: Entscheidend ist die Höhenminderung des lateralen Drittels des Femurkopfes (siehe: Lateral-Pillar-Klassifikation)
- „Head-at-risk“-Zeichen aus der ergänzenden Klassifikation nach Catterall: Radiologische, prognostisch ungünstige Zeichen
- Laterale Kalzifizierung
- Subluxation bzw. Lateralisation
- Metaphysäre Beteiligung
- Horizontalisierung der Epiphysenfuge
- „Gage-Zeichen“: Dreieckförmige Osteoporose des lateralen Femurkopfes
- Durchführung
- Ggf. zusätzlich Sonografie: Eignet sich zur Abgrenzung zu Coxitis fugax
- Bei Erguss- und Beschwerdepersistenz → M. Perthes wahrscheinlicher
- Initial findet sich sowohl bei M. Perthes als auch bei Coxitis fugax ein Erguss
- Wiedervorstellung nach 5–7 Tagen
Bei unauffälliger Erstdiagnostik (aber weiter bestehendem klinischen Verdacht)
- MRT: Eignet sich besonders im Frühstadium, da das Röntgenbild oft unauffällig sein kann!
- Ähnlich wie im Röntgenbild lassen sich auch im MRT prognostische Faktoren feststellen (z.B. Größe des Nekroseareals, Entrundung, metaphysäre Beteiligung)
- Späte Stadien: Größenbestimmung des Nekroseareals in der Femurkopf-Epiphyse möglich
- Frühe Stadien: Im Bereich der Epiphyse Hypointensitäten (T1-Wichtung) bzw. Hyperintensitäten (T2-Wichtung) als Ausdruck des intraossären Ödems
Differenzialdiagnosen
Coxitis fugax (transiente Synovitis)
- Definition: Flüchtige Entzündung der Hüfte unklarer Genese
- Alter: Häufigkeitsgipfel 3.–9. Lebensjahr
- Klinik
- Beginn: Häufig 1–2 Wochen nach einem viralen Infekt der oberen Atemwege
- Ähnliche Symptome wie beim Morbus Perthes
- Leisten- und Knieschmerzen
- Schmerzbedingt eingeschränkte Beweglichkeit im Hüftgelenk: Insb. Innenrotation
- Diagnostik
- Körperliche Untersuchung: Eingeschränkte Innenrotation im Hüftgelenk
- Blutuntersuchung: BSG, CRP überwiegend im Normbereich
- Konventionelles Röntgen (ggf. Lauenstein-Aufnahme): I.d.R. keine Auffälligkeiten (Abgrenzung zum Morbus Perthes)
- Sonografie: Intraartikulärer Erguss, der nach einigen Tagen wieder verschwindet
- Wichtige Differenzialdiagnose: Bakterielle Koxitis
- Therapie
- Entlastung durch Gehhilfen und Bettruhe
- Analgesie, z.B. mit Paracetamol oder NSAR
- Verlauf: Bei konsequenter Entlastung ist eine Beschwerdefreiheit innerhalb von 7 Tagen die Regel. Ein progredienter Verlauf über mehr als 14 Tage sollte an die Differenzialdiagnosen bakterielle Koxitis und Morbus Perthes denken lassen
Weitere Differenzialdiagnosen [1]
- Epiphyseolysis capitis femoris
- Hypophysendysfunktion
- Skelettretardierung mit verzögerter Reifung des Knochenkerns
- Auch am Hüftgelenk, dadurch Ähnlichkeit zum M. Perthes
- Meist beide Seiten betroffen, generalisierter Kleinwuchs (im Gegensatz zum Morbus Perthes)
- Bakterielle Coxitis (Fieber!), Osteomyelitis
- Juvenile idiopathische Arthritis (erhöhte Entzündungsparameter)
- Hüftdysplasie
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Grundidee: Containment-Therapie
- Problem: Unzureichende Überdachung des Femurkopfes durch das Azetabulum, da der Femurkopf nach lateral abrutscht (unzureichendes „Containment“)
- Therapieziel: Kongruenz von Hüftkopf und Azetabulum verbessern
- Prinzip: Hüftkopf so überdachen bzw. in der Hüftpfanne zentrieren, dass ein laterales Abgleiten während der Neubildung des Femurkopfes verhindert wird
- Resultat: Gleichmäßige Druckverteilung auf den Femurkopf führt dazu, dass sich der Femurkopf möglichst physiologisch nachbildet
Therapieschema Morbus Perthes
Erstdiagnose vor dem 6. Lebensjahr
- Gute Beweglichkeit + Herring A, B
- Konservative Therapie
- Sprünge vermeiden
- Gehstützen
- Krankengymnastik zur Kapseldehnung und Gelenkzentrierung
- Orthesen (z.B. Thomas-Schiene) werden heutzutage nur noch selten eingesetzt
- Konservative Therapie
- Schlechte Beweglichkeit + Herring B/C, C
- Operative Therapie
- Intertrochantäre Varisierungsosteotomie: Keilartige Exzision eines Knochenstücks zwischen den Trochanteren mit anschließender Osteosynthese
- Salter-Osteotomie oder Triple-Osteotomie
- Operative Therapie
Erstdiagnose nach dem 6. Lebensjahr
- Gute Beweglichkeit + Herring A, B
- Konservative Therapie: Entspricht Therapie vor dem 6. Lebensjahr (s.o.)
- Schlechte Beweglichkeit + Herring B/C, C
- Operative Therapie
- Sparsame varisierende Femurosteotomie
- Salter-Osteotomie oder Triple-Osteotomie
- Operative Therapie
Der Zerfall und Wiederaufbau des Hüftkopfes dauert etwa vier Jahre und ist durch keine bekannte Therapie beeinflussbar!
Komplikationen
- Inkongruenz zwischen Hüftkopf und Azetabulum → Koxarthrose
- Schenkelhalsverkürzung mit Trochanterhochstand → Trendelenburg-Zeichen als Insuffizienzhinken bei Glutealinsuffizienz
- Lateralisierung und Coxa magna → Hinge abduction
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Das Alter bei Erkrankungsbeginn ist der wichtigste prognostische Faktor: Je jünger der Patient bei Krankheitsausbruch ist, desto besser die Prognose!
- Weibliches Geschlecht ist mit einer schlechteren Prognose assoziiert
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Morbus Perthes (Video frei verfügbar)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- M91.-: Juvenile Osteochondrose der Hüfte und des Beckens
- M91.1: Juvenile Osteochondrose des Femurkopfes [Perthes-Legg-Calvé-Krankheit]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.