Einleitung
Gemeinsam mit MARKUS@HOMe berichten wir im Kongress-Telegramm zweimal jährlich über die wichtigsten Studien und wissenschaftlichen Highlights ausgewählter internistischer Fachkongresse. Wir richten uns damit insb. an alle interessierten Kolleginnen und Kollegen, die neben der alltäglichen Praxis wichtige wissenschaftliche Entwicklungen im Blick behalten möchten. Unter Tipps & Links findest du den Link zur Anmeldung.
Wissenschaftliche Schirmherrschaft
Die Auswahl und Zusammenfassung der Studien und Publikationen findet in enger Zusammenarbeit mit der kardiovaskulären Studiengruppe MARKUS@HOMe statt.
Verantwortliche Ärztinnen und Ärzte:
Prof. Dr. med. Gunnar Heine (Nieren- und Hochdruckerkrankungen, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselerkrankungen und Gefäßerkrankungen, AGAPLESION MARKUS KRANKENHAUS Frankfurt a.M./Universität des Saarlandes), Prof. Dr. Dr. Stephan Schirmer (Kardiologie, Universität des Saarlandes/Kardiologische Praxis Kaiserslautern), Prof. Dr. Dr. Sören Becker (Infektionserkrankungen und Tropenmedizin, Universität des Saarlandes)
Kongress-Telegramm 2025
- Kongress-Telegramm 1-2025
- Update der Dyslipidämie-Leitlinie
- HI-PRO: HIgh Risk – PROlongierte Antikoagulation?
- AQUATIC: Kein ASS zu OAK
- DIGIT-HF: Rückkehr der Herzglykoside?
- VICTOR: Vericiguat auch bei stabiler Herzinsuffizienz?
Ausgabe 1 - 6. September 2025
Update der Dyslipidämie-Leitlinie
Kongress-Telegramm 1-2025-1/5: Auf ihrem Jahreskongress stellte die ESC ein Update ihrer gemeinsam mit der European Atherosclerosis Society entwickelten Leitlinie zur Dyslipidämie von 2019 vor, das insb. die Risikostratifizierung und Pharmakotherapie betrifft:
- Risikostratifizierung in der Primärprävention: Zur Abschätzung des 10-Jahres-Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse werden nun der SCORE2 (für Personen <70 Jahre) [1] und der SCORE2-OP (für Personen von 70–89 Jahren) empfohlen, die im Gegensatz zum bisher verwendeten SCORE-Algorithmus Nicht-HDL-Cholesterin (statt Gesamtcholesterin) einbeziehen und sowohl eine Risikoeinschätzung für tödliche als auch für nicht-tödliche kardiovaskuläre Ereignisse erlauben. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollen zusätzlich klinische (bspw. Adipositas, chronisch-entzündliche Erkrankungen) und paraklinische Risikofaktoren (Lipoprotein(a)- und anhaltende hsCRP-Erhöhung) berücksichtigt werden.
- Lipoprotein(a)-Erhöhung als kardiovaskulärer Risikofaktor: Das Leitlinien-Update betont die zunehmende Erhöhung des kardiovaskulären Risikos bei einem Lp(a)-Spiegel von >50 mg/dL (105 nmol/L) und bekräftigt die Empfehlung, bei allen Erwachsenen mind. einmalig eine Lp(a)-Messung zu erwägen.
- Sekundärprävention: Nach akutem Koronarsyndrom wird noch während des stationären Aufenthalts eine frühzeitige intensive LDL-Senkung empfohlen (mit Intensivierung einer bestehenden Therapie oder Therapieeinleitung – ggf. durch primäre Kombination eines hochdosierten Statins mit Ezetimib).
- LDL-Cholesterin-Zielwerte: Diese bleiben für die einzelnen Risikogruppen unverändert.
- Neue Pharmaka: Bempedoinsäure wird erstmals zur LDL-Cholesterin-Senkung bei Statinintoleranz empfohlen. Zusätzlich kommt bei hohem und sehr hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse eine Kombinationstherapie mit Statinen (und ggf. Ezetimib) infrage. Bei familiärer Chylomikronämie mit schwerer Hypertriglyceridämie kann Volanesorsen erwogen werden, bei homozygoter familiärer Hypercholesterinämie Evinacumab.
- Einsatz von Supplementen: Von einer Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder Vitaminen wird aufgrund mangelnder Evidenz explizit abgeraten. Eine Ausnahme stellt Icosapent-Ethyl dar, das in Kombination mit Statinen bei Hypertriglyceridämie mit hohem oder sehr hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erwogen werden kann.
Darüber hinaus veröffentlichte die ESC folgende neue Leitlinien bzw. Empfehlungen:
- Herzklappenerkrankungen (Leitlinie der ESC und der European Association for Cardio-Thoracic Surgery) [2]
- Myokarditis und Perikarditis [3]
- Kardiovaskuläre Erkrankungen und Schwangerschaft [4]
- Mentale Gesundheit und kardiovaskuläre Erkrankungen (Konsensuserklärung) [5]
Leitlinienupdate: Mach et al., 2025 Focused Update of the 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidemias, European Heart Journal [6]
HI-PRO: HIgh Risk – PROlongierte Antikoagulation?
Kongress-Telegramm 1-2025-2/5: Die therapeutische Antikoagulation bei venöser Thromboembolie (VTE) aufgrund eines transienten Risikofaktors (bspw. Trauma, Immobilisierung, operativer Eingriff) wird i.d.R. für 3–6 Monate empfohlen. Ob Personen mit Risikofaktoren für ein VTE-Rezidiv (bspw. Adipositas, chronische Lungen- oder Autoimmunerkrankungen) von einer verlängerten Therapie profitieren, wurde nun in HI-PRO untersucht.
In die Studie eingeschlossen wurden 600 Personen mit VTE aufgrund eines transienten Risikofaktors, nach einer Antikoagulation für ≥3 Monate und mit mind. einem zusätzlichen, anhaltenden Risikofaktor. Die Teilnehmenden erhielten randomisiert und doppelblind 12 Monate lang entweder niedrig dosiertes Apixaban (2,5 mg 2×/d) oder ein Placebo. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war das erste Rezidiv einer symptomatischen VTE, primärer Sicherheitsendpunkt das Auftreten schwerer Blutungen. VTE-Rezidive traten unter Apixaban signifikanter seltener auf als in der Placebogruppe (1,3 vs. 10%; HR: 0,13; 95% KI: 0,04–0,36; p <0,001). Zu einer schweren Blutungskomplikation kam es insg. nur bei einer Person in der Apixaban-Gruppe.
Bei Personen mit erhöhtem Risiko für VTE-Rezidive ist eine prolongierte Antikoagulation in niedriger Dosierung demnach eine wirksame Strategie, auch wenn der (potenziell) auslösende Faktor nur transient war.
HI-PRO wurde von Bristol-Myers Squibb-Pfizer Alliance finanziert.
- Studie: Piazza et al., Apixaban for Extended Treatment of Provoked Venous Thromboembolism, NEJM [7]
AQUATIC: Kein ASS zu OAK
Kongress-Telegramm 1-2025-3/5: Wir kündigten bereits die Vorstellung der Ergebnisse der AQUATIC-Studie an, welche die Effektivität und Sicherheit der Kombination oraler Antikoagulation (OAK) mit Acetylsalicylsäure (ASS) bei chronischem Koronarsyndrom (CCS) überprüfen sollte. Mehrere ostasiatische Studien zeigten eine erhöhte Blutungsgefahr ohne zusätzlichen kardiovaskulären Benefit. Aufgrund einer pharmakologischen Rationale und möglicher Wirksamkeitsvorteile in anderen Studien wurde die Kombinationstherapie nun erneut in einer europäischen Studie überprüft.
Insg. wurden 872 Personen mit CCS, koronarer Stent-Implantation ≥6 Monate zurückliegend, unter dauerhafter OAK und hohem Risiko für ein atherothrombotisches Ereignis in die Studie eingeschlossen. Die Teilnehmenden wurden doppelblind 1:1 auf ASS (100 mg/d) oder Placebo randomisiert. Primärer Effektivitätsendpunkt war ein Kompositum aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, systemischer Embolie, koronarer Revaskularisation und akuter Extremitätenischämie. Der wichtigste Sicherheitsendpunkt war das Auftreten schwerer Blutungen.
Die Studie wurde nach einem medianen Follow-up von 2,2 Jahren aufgrund von Übersterblichkeit in der ASS-Gruppe vorzeitig beendet (58 Todesfälle vs. 37 in der Placebogruppe; 13,4 vs. 8,4%). Der primäre Effektivitätsendpunkt trat bei 73 Personen unter ASS und bei 53 Personen unter Placebo auf (16,9 vs. 12,1%; adjustierte HR [aHR]: 1,53; 95% KI: 1,07–2,18; p = 0,02). In der ASS-Gruppe kam es signifikant häufiger zu schweren Blutungen (10,2 vs. 3,4%; aHR: 3,35; 95% KI: 1,87–6,00; p <0,001).
Für die hier untersuchte Hochrisikogruppe sprechen die Ergebnisse deutlich gegen eine Kombination von OAK und ASS. Personen mit bspw. Schlaganfall (<1 Monat zurückliegend) und koronarer Stent-Implantation (<6 Monate zurückliegend) waren in der Studie nicht eingeschlossen.
AQUATIC wurde vom französischen Gesundheitsministerium und Bayer Healthcare finanziert.
- Studie: Lemesle et al., Aspirin in Patients with Chronic Coronary Syndrome Receiving Oral Anticoagulation, NEJM [8]
DIGIT-HF: Rückkehr der Herzglykoside?
Kongress-Telegramm 1-2025-4/5: Nachdem die DIG-Studie zur Gabe von Digoxin bei Herzinsuffizienz vor Jahrzehnten keine Mortalitätsreduktion, jedoch eine reduzierte Hospitalisierungsrate nachweisen konnte [9], blieb der Stellenwert von Herzglykosiden insb. in der Ära moderner Therapieoptionen lange unklar. In der internationalen, doppelt verblindeten und placebokontrollierten DIGIT-HF-Studie wurde nun die Wirksamkeit von Digitoxin bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) unter einer zeitgemäßeren Behandlung untersucht.
1.212 Personen mit HFrEF (LVEF ≤40%) erhielten zusätzlich zu einer leitliniengerechten Herzinsuffizienztherapie 1:1-randomisiert entweder Digitoxin (Startdosis: 0,07 mg/d, Zielspiegel im Plasma: 8–18 ng/mL) oder ein Placebo. Während des medianen Follow-up-Zeitraums von 3 Jahren trat der primäre Endpunkt (Kompositum aus Tod jeglicher Ursache oder erste Hospitalisierung aufgrund verschlechterter Herzinsuffizienz) unter Digitoxin signifikant seltener auf als unter Placebo (HR: 0,82; 95% KI: 0,69–0,98; p = 0,03). Die Einzelkomponenten des primären Endpunkts zeigten jeweils einen positiven Trend, erreichten aber keine statistische Signifikanz; gleiches gilt für einige Subgruppen, insb. Personen mit niedrigem Blutdruck (≤120 mmHg systolisch), höherer Herzfrequenz (≥75/min) und Herzinsuffizienz aufgrund nicht-ischämischer Ursache.
Zu beachten sind die aktuell international stark eingeschränkte Verfügbarkeit von Digitoxin sowie die lange Rekrutierungsphase der Studie (2015–2023), während der sich auch die medikamentöse Standardtherapie weiterentwickelte. Dennoch könnte Digitoxin angesichts dieser Ergebnisse in die HFrEF-Therapie zurückkehren, bspw. bei Personen, die andere etablierte Medikamente aufgrund von niedrigem Blutdruck nicht in Zieldosierungen tolerieren.
- Studie: Bavendiek et al., Digitoxin in Patients with Heart Failure and Reduced Ejection Fraction, NEJM [10]
VICTOR: Vericiguat auch bei stabiler Herzinsuffizienz?
Kongress-Telegramm 1-2025-5/5: Auf Basis der VICTORIA-Studie (siehe auch: Studientelegramm 118-2020-3/3) ist der lösliche Guanylatcyclase-Stimulator Vericiguat nach einem Dekompensationsereignis zur Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) zugelassen. Bislang war jedoch unklar, ob auch Personen mit stabiler HFrEF von einer Therapie profitieren.
Die nun publizierte multizentrische VICTOR-Studie untersuchte 6.105 Personen mit stabiler HFrEF (keine herzinsuffizienzbedingte Hospitalisierung in den letzten 6 Monaten und keine ambulante intravenöse Diuretikatherapie in den letzten 3 Monaten), die doppelt verblindet zusätzlich zu einer leitliniengerechten Herzinsuffizienztherapie randomisiert entweder Vericiguat (Zieldosis: 10 mg/d) oder ein Placebo erhielten. Unter der Gabe von Vericiguat zeigte sich über einen medianen Nachbeobachtungszeitraum von 18,5 Monaten keine signifikante Risikoreduktion für den kombinierten primären Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod und einer herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierung (HR: 0,93; 95% KI: 0,83–1,04; p = 0,22). Da der primäre Endpunkt nicht erreicht wurde, sind auch die sekundären Endpunkte nur eingeschränkt zu bewerten. Es zeigte sich jedoch eine Risikoreduktion sowohl für die kardiovaskuläre Mortalität (HR: 0,83; 95% KI: 0,71–0,97) als auch für die Gesamtmortalität (HR: 0,84; 95% KI: 0,74–0,97). Das Risiko für herzinsuffizienzbedingte Hospitalisierungen wurde nicht beeinflusst. Als häufigste Nebenwirkung trat eine symptomatische Hypotonie auf.
Obwohl die VICTOR-Studie ihr primäres Ziel verfehlte, liefert sie einen interessanten, wenn auch nur hypothetischen Hinweis auf eine mögliche Mortalitätssenkung durch Vericiguat bei gut vorbehandelter und stabiler HFrEF. Ob diese Daten ausreichen, um eine Anwendung über die bestehende Zulassung hinaus zu rechtfertigen, bleibt abzuwarten.
VICTOR wurde von Merck Sharp & Dohme (MSD) und Bayer finanziert.
- Studie: Butler et al., Vericiguat in patients with chronic heart failure and reduced ejection fraction (VICTOR): a double-blind, placebo-controlled, randomised, phase 3 trial, The Lancet [11]