Abstract
Die Myokarditis kann als entzündliche Erkrankung des Herzmuskelgewebes infektiös (vor allem viral) oder nicht-infektiös verursacht werden. Sie kann akut oder chronisch verlaufen. Anamnestisch sollte eine Aussage wie "Seitdem ich die Grippe hatte, fühle ich mich immer so schlapp und bin gar nicht richtig belastbar!" an eine Myokarditis denken lassen. Histopathologisch führt dabei eine entzündliche Infiltration des Muskelgewebes zur Auflösung der Muskelzellen (Myozytolyse). Bezüglich der klinischen Symptomatik wie auch der Untersuchungsbefunde erzeugt die Erkrankung ein buntes Bild: Die Symptomatik reicht von beschwerdefreiem Abheilen über das Auftreten unspezifischer Abgeschlagenheit (Schwindel, Schwäche) und thorakaler Schmerzen bis hin zu fulminanten Verläufen mit akuter Herzinsuffizienz und bedrohlichen Rhythmusstörungen.
Diagnostisch können flüchtige EKG-Veränderungen (z.B. Arrhythmien oder konkavförmige ST-Hebungen) oder erhöhte laborchemische Herzenzyme auffallen - genauere Informationen liefert dann zumeist die Bildgebung, vor allem das Kardio-MRT. Bei unklaren Befunden kann eine Myokardbiopsie notwendig werden, die als interventioneller Eingriff allerdings nicht vollständig risikofrei ist. Bei der Therapieplanung steht vor allem die symptomatische Behandlung mit körperlicher Schonung und stationärer Überwachung im Vordergrund, um bedrohliche Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen und dekompensierte Herzschwäche frühzeitig erkennen und therapieren zu können. Je nach Genese ist auch eine kausale Therapie möglich, z.B. Antibiotikagabe bei bakterieller Myokarditis.
Epidemiologie
- Genaue Inzidenz unklar
- Es wird geschätzt, dass 1-5% aller viralen Infektionen mit einer Herzbeteiligung einhergehen
- Häufiger Zufallsbefund bei Autopsien junger, plötzlich verstorbener Menschen (ca. 10%)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Infektiös
- Viren
- Häufigster Erreger bei Immunkompetenz: Coxsackie B1-B5
- Parvovirus B19, humanes Herpesvirus (HHV-6), Adenoviren, Echoviren, u.a.
- Bakterien
- Pilze
- Protozoen
- Parasiten (Trichinen, Echinokokken)
Nicht-infektiös
- Rheumatisches Fieber
- Kollagenosen (z.B. Sklerodermie)
- Vaskulitiden
- Toxische Myokarditis
- Bestrahlungsfolgen
- Chemotherapeutika (z.B. Anthrazykline)
- Alkohol
Symptome/Klinik
- Oft asymptomatisch
- Leichte unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Leistungsknick, Palpitationen, Symptome eines grippalen Infektes
- Thorakale, inspirationsabhängige Schmerzen vor allem bei Perikardbeteiligung (Perimyokarditis)
- Herzrhythmusstörungen ("Herzstolpern")
- Herzinsuffizienz
Die klinische Symptomatik der Myokarditis ist unspezifisch und sehr heterogen - sie reicht von asymptomatischen bis hin zu fulminanten Verläufen!
Verlaufs- und Sonderformen
Myokarditis
- Fulminant
- Akut
- Chronisch aktiv
- Chronisch persistierend
Perikarditis
- Kurzbeschreibung: Eine Perikarditis ist eine Entzündung der äußeren Herzhaut (Perikard) und kann alleine, aber aufgrund der engen anatomischen Nähe auch oftmals in Kombination mit einer Myokarditis auftreten. Klinisch ist eine Trennung oftmals weder möglich noch bedeutsam, so dass auch von einer Perimyokarditis gesprochen wird
- Ätiologie
- Infektiös
- Vor allem virale Erreger → Fibrinöse Perikarditis
- Bakterielle Erreger → Exsudative Perikarditis
- Tuberkulose → Granulomatöse Perikarditis
- Rheumatologisch → Serofibrinöse Perikarditis
- Niereninsuffizienz (Urämie) → Fibrinöse Perikarditis
- Tumorinfiltration → Hämorrhagische Perikarditis
- Bestrahlung, postoperativ (Postkardiotomie-Syndrom)
- Infektiös
- Formen
- Trockene Perikarditis (fibrinös) → Meist schmerzhaft (Stechen durch das Reiben der Perikardblätter)
- Feuchte Perikarditis (exsudativ) → Weniger oder nicht schmerzhaft
- Pericarditis constrictiva ("Panzerherz") als Komplikation der akuten Perikarditis → Perikardverkalkung: Deutliche spangen- bzw. plattenartig erhöhte Strahlendichte (Transparenzminderung) im Röntgenbild
- Klinik (aufgrund der gestörten Ventrikelfüllung)
- Symptome des "Rückwärtsversagens" (vor dem rechten Herzen)
-
Erhöhter Venendruck mit typischer Jugularvenenstauung
- Kussmaul' Zeichen
- Lebervenenstauung mit Spannung der Leberkapsel, Kapselspannungsschmerz, Hepatomegalie
- Stauungs-Ödeme, Aszites, Proteinurie, Hyponatriämie
-
Erhöhter Venendruck mit typischer Jugularvenenstauung
- Symptome des "Vorwärtsversagens"
- Eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit
- Abnahme der Blutdruckamplitude bei tiefer Inspiration
- Tachykardie
- Protodiastolischer (also frühdiastolischer) Zusatzton
- Symptome des "Rückwärtsversagens" (vor dem rechten Herzen)
- Therapie
- Symptomatische Therapie + ggf. Einleitung einer kausalen Therapie (z.B. Antibiotikagabe bei Nachweis bakterieller Erreger)
- Bei drohender Herzbeuteltamponade: Entlastung durch Perikardpunktion
Diagnostik
Klinische Untersuchung
- Siehe Symptome der Linksherzinsuffizienz, Symptome der Rechtsherzinsuffizienz (jeweils in der Lernkarte Herzinsuffizienz)
- Mögliche Auskultationsbefunde
- Flüchtige systolische Geräusche
- Herzinsuffizienz → Dritter Herzton
- Perikarditis → Perikardreiben
EKG/Langzeit-EKG
Analog zur klinischen Symptomatik ist eine sehr unterschiedliche und evtl. passagere EKG-Manifestation möglich.
- Sinustachykardie
- Arrhythmie (insbesondere Extrasystolen)
- Erregungsleitungsstörungen insbesondere bei Myokarditis durch Lyme-Borreliose: z.B. AV-Block
-
Erregungsrückbildungsstörungen → Typischerweise über mehreren (nicht einem Blutversorgungsgebiet zuordenbaren) oder sogar allen Ableitungen
- ST-Strecken-Senkungen, T-Negativierungen
-
Evtl. ST-Hebungen mit konkavbögigem Abgang aus der aufsteigenden S-Zacke
- Hinweis auf Perimyokarditis
- Blockbildung (z.B. Linksschenkelblock)
- Abgrenzung zum Myokardinfarkt: Kein R-Verlust oder Ausbildung eines pathologischen Q's
- Perikarderguss: Niedervoltage
Labor
- Herzenzyme↑ (CK, CK-MB, Troponin-T)
- BNP↑ als Hinweis auf eine beginnende Herzinsuffizienz, aber auch als Folge der Entzündung
- Virus-Serologie
- Auto-Antikörper (Antimyolemmale Antikörper = AMLA, Antisarkolemmale Antikörper = ASA)
Bildgebung
- Röntgen-Thorax
- Evtl. Herzverbreiterung und Lungenstauung
- Echokardiographie
- Ausschluss anderer Ursachen (z.B. Vitien)
- Oft unauffälliger Befund
- Eingeschränkte linksventrikuläre Funktion (LVEF)
- Regionale Wandbewegungsstörungen
- Echoarmer Randsaum um die Ventrikel bei Perikarderguss
- Kardiale Magnetresonanztomographie
- Zur Diagnostik und Verlaufskontrolle
- Nachweis eines entzündlichen Ödems
Invasive Diagnostik
- Myokardbiopsie zur Diagnosesicherung bspw. durch Linksherzkatheter mit MRT-gesteuerter Biopsie
- Durchführung
- Siehe Koronarangiographie (in der Lernkarte Herzkatheteruntersuchung)
- Zuvor Identifikation betroffener Areale durch Kardio-MRT
- Bedrohliche Komplikationen möglich (Perforation, Arrhythmien), kein Routineverfahren
- Indikation: Herzinsuffizienz, höhergradige Rhythmusstörungen, Therapieresistenz
- Befunde
- Evtl. Nachweis von Virus-DNA/-RNA
- Evtl. immunhistochemischer Entzündungsnachweis ohne Vorhandensein zellulärer Bestandteile
- Durchführung
Pathologie
Histopathologische Klassifikation der Myokarditis ("Dallas-Klassifikation")
Stadium | Diagnose | Histopathologie |
---|---|---|
I | aktive, akute Myokarditis |
|
II | unverändert aktive Myokarditis in Kontrollbiopsie | |
III | rückläufige Myokarditis |
|
IV | narbig abgeheilte Myokarditis |
|
V | chronische Myokarditis |
|
Differentialdiagnosen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Symptomatische Therapie
- Körperliche Schonung, Sportverzicht
- Ggf. Analgetika
- Stationäre Überwachung (evtl. Monitoring)
- Kausale Therapie
- Im Rahmen von Studien: Antivirale Therapie bei Virus-Myokarditis und Immunsuppression bei Nachweis von Autoantikörpern
- Antibiotika-Gabe bei bakterieller Myokarditis
- Antimykotika-Gabe (Fluconazol, Amphotericin B) bei Pilznachweis
- Therapie von Komplikationen
- Behandlung der Herzinsuffizienz (z.B. Flüssigkeitsbilanzierung, β-Blocker , ACE-Hemmer)
- Behandlung von Herzrhythmusstörungen, evtl. Herztransplantation
Komplikationen
- Akute und/oder persistierende Herzrhythmusstörungen
- Herzversagen/plötzlicher Herztod
- Übergang in dilatative Kardiomyopathie (ca. 15%)
- Herzbeuteltamponade (bei großem Perikarderguss)
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Virusmyokarditis: Zumeist vollständige Ausheilung, aber auch Übergang in dilatative Kardiomyopathie möglich
- Negative Prognosefaktoren
- Persistierende Virusinfektion
- Chronische Entzündungsreaktion
- Kardiodepressive Autoantikörper
- Schlechte Ventrikelfunktion
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- I09.-: Sonstige rheumatische Herzkrankheiten
- I09.0: Rheumatische Myokarditis
- Exklusive: Myokarditis, nicht als rheumatisch bezeichnet (I51.4)
- I40.-: Akute Myokarditis
- I40.0: Infektiöse Myokarditis
- Septische Myokarditis
- I40.1: Isolierte Myokarditis
- I40.8: Sonstige akute Myokarditis
- I40.9: Akute Myokarditis, nicht näher bezeichnet
- I40.0: Infektiöse Myokarditis
- I41.-:* Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- I41.0*: Myokarditis bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
- Myokarditis:
- diphtherisch (A36.8†)
- durch Gonokokken (A54.8†)
- durch Meningokokken (A39.5†)
- syphilitisch (A52.0†)
- tuberkulös (A18.8†)
- Myokarditis:
- I41.1*: Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Viruskrankheiten
- I41.2*: Myokarditis bei sonstigen anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
- Myokarditis bei:
- Chagas-Krankheit, akut (B57.0†)
- Chagas-Krankheit (chronisch) (B57.2†)
- Toxoplasmose (B58.8†)
- Myokarditis bei:
- I41.8*: Myokarditis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Myokarditis bei chronischer Polyarthritis (M05.3-†)
- Myokarditis bei Sarkoidose (D86.8†)
- I41.0*: Myokarditis bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.