Abstract
Bei der vaskulären Demenz handelt es sich um einen Oberbegriff für alle Demenzen, denen eine vaskuläre Ursache zugrunde liegt. Pathogenetisch spielen sowohl mikro- als auch makroangiopathische Veränderungen eine Rolle. Da Art und Lokalisation der Schädigung jeweils sehr unterschiedlich sind, zeigt sich eine relativ große Symptomvielfalt. Während die subkortikale vaskuläre Demenz durch langjährige arterielle Hypertonie verursacht und bildmorphologisch durch Marklagerläsionen charakterisiert wird, ist die Multiinfarktdemenz Folge mehrerer größerer Infarkte. Therapeutisch stehen die Sekundärprophylaxe von Schlaganfällen sowie supportive Maßnahmen im Vordergrund.
Epidemiologie
- Häufigkeit
- 10–20% aller Demenzen [1]
- Weitere 20% aller Demenzen sind gemischte Demenzen (Alzheimer + vaskuläre Demenz)
- Zweithäufigste Demenz nach Alzheimer-Demenz
- Anteil an Schlaganfallpatienten, die eine Demenz entwickeln: ca. 20% [2]
- Verteilung: ♂ > ♀
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Mikro- oder makroangiopathische Hirninfarkte → Hirnatrophie → Demenzielle Symptomatik
- Risikofaktoren
- Siehe auch: Risikofaktoren für den ischämischen Schlaganfall
- Insbesondere bei der subkortikalen vaskulären Demenz steht ursächlich ein langjähriger Hypertonus im Vordergrund
Klassifikation
Die vaskuläre Demenz ist zunächst nur ein Oberbegriff für Demenzen, denen eine vaskuläre Ursache zugrunde liegt. Je nach Art und Ort der Läsionen unterscheidet man:
- Subkortikale vaskuläre Demenz: Häufigste Form!
- Früher: Morbus Binswanger oder subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) [3]
- Mikroangiopathische Form
- Insb. durch langjährige Hypertonie
- Marklagerläsionen mit zystischer Umwandlung durch Thromboembolien (sog. Lakunen)
- Multiinfarktdemenz: Makroangiopathische Form mit mehreren größeren Infarkten
- Demenz bei strategischen Infarkten: Kleine und vereinzelte Infarkte in Arealen, die für die Kognition besonders wichtig sind
- Hämorrhagische Demenz
- Makro- oder mikroskopische Hirnblutungen
- Oft aufgrund Hypertonus oder zerebraler Amyloidangiopathie
- Weitere: Durch andere Erkrankungen bedingtes Absterben von Hirngewebe
Symptome/Klinik
- Verlauf
- Variabler als bei anderen Demenzformen
- Häufig stufenweiser Progress (durch weitere Infarkte)
- Auch stabile Phasen möglich, teils mit Besserung durch Neurorehabilitation
- Symptome: Je nach Lokalisation der Infarkte sehr unterschiedlich
- Typische Klinik der subkortikalen vaskulären Demenz
- Kognitiv
- Gedächtnisstörungen (insb. des Arbeitsgedächtnisses)
- Allgemeine Verlangsamung und schnelle geistige Ermüdbarkeit
- Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörung
- Motivationsdefizit/Apathie
- Lachen und Weinen ohne emotionales Äquivalent
- Somatisch
- Kognitiv
Diagnostik
Diagnosestellung
- Die Kriterien eines Demenzsyndroms müssen vorliegen (siehe: Diagnostik des Demenzsyndroms)
- Zusätzlich muss hohe Wahrscheinlichkeit für eine vaskuläre Genese bestehen
Spezifische Diagnostik und Befunde der vaskulären Demenz
- Eigen- und Fremdanamnese: Fokus auf
- Vorgeschichte zerebraler Insulte
- Kardiovaskuläre Vorerkrankungen und Risikofaktoren (siehe: Risikofaktoren für den ischämischen Schlaganfall)
- Internistische Untersuchung: Fokus auf das kardiovaskuläre System
- Blutdruckmessung!
- Strömungsgeräusche über den Carotiden?
- Auskultation des Herzens: Hinweise auf Herzrhythmusstörungen (z.B. Vorhofflimmern)?
- Periphere Pulse
- Neurologische Untersuchung
- Residuelle Schlaganfallsymptomatik
- Parkinson-Syndrom
- Bildgebende Verfahren
- Besitzen hier eine hohe negative Prädiktivität
- CT möglich, MRT ist allerdings sensitiver für vaskuläre Läsionen
- Ermöglichen die Einordnung in Unterformen der vaskulären Demenz
- Multiinfarktdemenz: Mehrere Infarktareale sichtbar
- Subkortikale vaskuläre Demenz: Periventrikuläre und Marklagerläsionen („White Matter Lesions“, Leukoaraiose) sowie multiple Lakunen
- Strategische Infarkte: Infarkte im Thalamus, posterioren Kapselknie, frontalen Marklager oder Gyrus angularis
- Hirnblutungen: Insbesondere atypische lobäre Blutungen
- Psychopathologische Befundung: Verminderung des Eigenantriebs
- Neuropsychologische Testung
- MMST: Häufig weniger sensitiv als bei der Alzheimer-Demenz
- Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA): Oft besser geeignet
- Weitere Tests: Insb. kardiologische Abklärung
- EKG/Langzeit-EKG
- TTE/TEE
- Doppler-Sonografie der extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße
Differenzialdiagnosen
- Andere Demenzformen
- Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy (CADASIL)
- Multiple Sklerose
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Therapieempfehlungen bei Demenz
- Siehe
- Demenztherapie
- Schutz der Gesundheit Angehöriger von Demenzpatienten
- Sozialrechtliche Fragestellungen
Spezifische Therapieempfehlungen bei vaskulären Demenzen
- Keine Empfehlung für eine Therapie mit Antidementiva!
- Therapeutisches Ziel
- Behandlung der ursächlichen zerebrovaskulären Erkrankungen/Risikofaktoren
- Prävention weiterer ischämischer Insulte
- Bei arterieller Hypertonie
- Blutdruckeinstellung mit Zielkorridor von 120/70–140/90 mmHg [4]
- Siehe auch: Therapie der arteriellen Hypertonie und Antihypertensive Therapie - Schemata zu Therapiebeginn
- Bei arteriosklerotischer Genese
- Lebenslange Behandlung mit einem Thrombozytenfunktionshemmer
- Therapie mit Statinen, mit Ziel-LDL-Cholesterinwert <100 mg/dL
- Bei thromboembolischer Genese (z.B. bei Vorhofflimmern)
-
Therapeutische Antikoagulation
- Unter Berücksichtigung des CHA2DS2VASc-Scores und des HAS-BLED-Scores (genaue Indikationsstellung siehe: Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern)
- DOAK (Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban, Dabigatran): siehe Therapeutische Antikoagulation mit DOAK oder
- Phenprocoumon: siehe Therapeutische Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten
-
Therapeutische Antikoagulation
- Nichtmedikamentöse Therapie
- Besonders wichtig ist hier die Neurorehabilitation im Rahmen der Nachbehandlung eines Schlaganfalls
Patienten, die eine Antikoagulation erhalten, sollen nicht zusätzlich mit Thrombozytenaggregationshemmern behandelt werden!
Prognose
- Mittlere Lebenserwartung: ca. 4 Jahre [3]
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 90-2019-2/3: Always on my MIND? Weitere Erkenntnisse aus SPRINT-Subanalyse
- Studientelegramm 65-2019-2/3: SPRINT-Subanalyse: Kann die intensive Blutdrucksenkung einer Demenz vorbeugen?
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- F01.-: Vaskuläre Demenz
- Inklusive: Arteriosklerotische Demenz
- F01.0: Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn
- F01.1: Multiinfarkt-Demenz
- Vorwiegend kortikale Demenz
- F01.2: Subkortikale vaskuläre Demenz
- F01.3: Gemischte kortikale und subkortikale vaskuläre Demenz
- F01.8: Sonstige vaskuläre Demenz
- F01.9: Vaskuläre Demenz, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.