Abstract
Die Nuklearmedizin beruht auf dem Einsatz von radioaktiven Substanzen mit kurzer Halbwertzeit, die Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung emittieren. Zumeist werden sie an einen sogenannten Tracer (von außen zugeführte Substanz, die vom Körper transportiert und verstoffwechselt wird) gekoppelt und somit ins Zielgebiet (z.B. Knochen) gebracht. Je nach emittierter Strahlungsart ergeben sich verschiedene Indikationsgebiete: Während Alphastrahlung (= Helium-Atomkern) nur eine Reichweite von wenigen μm im Körper hat und daher zur Bestrahlung von direkt umliegenden Gewebe (z.B. Nuklidtherapie bei Knochenmetastasen) eingesetzt wird, können Beta- und Gammastrahlen aufgrund ihrer höheren Reichweite neben therapeutischen Zwecken (z.B. Radioiodtherapie) auch außerhalb des Körpers registriert werden und somit Rückschlüsse auf Stoffwechselaktivität des Gewebes geben (z.B. MIBG-Szintigrafie bei Phäochromozytom). Eine erhöhte Stoffwechselaktivität kann dabei beispielsweise für eine Neoplasie sprechen und diese dadurch von einer Nekrose, die keine Stoffwechselaktivität aufweist, abgrenzen.
Durch ihre ionisierende Wirkung, die Zellen schädigen und zerstören kann, geht von radioaktiven Strahlen jedoch auch ein großes Gefahrenpotenzial aus. Daher stellt die strenge Indikationsstellung der Anwendung radioaktiver Strahlen die wichtigste Maßnahme des Strahlenschutzes dar. Weitere Vorkehrungen die Strahlenbelastung für Patienten und medizinisches Personal zu verringern, können durch das ALARA-Prinzip ("As Low As Reasonably Achievable" = "So niedrig wie vernünftigerweise erreichbar") zusammengefasst werden, das eine möglichst hohe Dosisreduktion unter Berücksichtigung des durchführbaren Strahlenschutzes vorsieht (bspw. Abstandsvergrößerung, Abschirmung und Beschränkung der Aufenthaltsdauer).
Definition
- Nuklearmedizin (lat. von "nucleus" = Kern): Oberbegriff zur Bezeichnung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren, die auf radioaktiven Strahlen beruhen.
- Strahlenschutz: Schutz von Patienten und Personal vor der biologischen Auswirkung von ionisierenden und nicht-ionisierenden Strahlen. Insbesondere der Schutz vor Röntgen-Strahlung und radioaktiver Strahlung ist hierbei zu berücksichtigen.
Indikation
- Diagnostik
- Therapie
Technischer Hintergrund
Ionisierende Strahlungsarten
Als ionisierende Strahlen werden alle Strahlungen bezeichnet, deren Energie hoch genug ist, um Elektronen aus einem Atom herauszuschleudern . Diese lassen sich wie folgt einteilen:
- Elektromagnetische Wellen: Röntgenstrahlung und Gammastrahlung
- Teilchenstrahlungen: Alpha- und Betastrahlung
- Radioaktive Strahlung: Jede Strahlung, die aus einem Kernzerfall entsteht (dazu gehören Alpha-, Beta- und Gammastrahlung)
Alphastrahlung | Betastrahlung | Gammastrahlung | Röntgenstrahlung | |
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Charakteristika |
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Medizinische Anwendung (Beispiel) |
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Energie |
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Effekt |
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Reichweite/ Halbwertsdicke |
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Schutzmaßnahmen |
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Strahlenbelastung
Mess- und Schutzgrößen
Die schädliche Wirkung radioaktiver Strahlen auf den menschlichen Körper ist insbesondere abhängig von dem Ausmaß der übertragenden Energie, der Strahlungsart und der Sensibilität des absorbierenden Organs. Da ihre Auswirkungen wie Zellschädigung und Zelluntergang (= biologische Wirkung) nur schwer direkt messbar sind, wird die wahrscheinliche schädigende Wirkung geschätzt. Unterschieden werden Messgrößen, die zur Abschätzung der auf einen (menschlichen) Körper einwirkenden Dosis verwendet werden, von Schutzgrößen, die zur Definition von Grenzwerten herangezogen werden.
- Übertragende Energie
- Energiedosis = Absorbierte Energie / Körpermasse; Einheit: Gray → [Gy] = [Joule/kg]
- Da die Energiedosis auch abhängig von der Einstrahlungszeit ist, beschreibt die Dosisleistung die Energiedosis pro Zeiteinheit
- Dosisleistung = Energiedosis / Zeit [J/(kg × sec)]
- Biologische Auswirkung
- Messgrößen: Abschätzung der Dosis, die auf einen (menschlichen) Körper einwirkt
- Bei gleicher Energiedosis besitzen die verschiedenen Strahlenarten eine unterschiedliche biologische Wirksamkeit. Um diese dennoch mit einander vergleichbar ("äquivalent") zu machen, wird je nach Strahlungsart die Energiedosis mit einem dimensionslosen Qualitätsfaktor Q multipliziert
- Äquivalenzdosis = Energiedosis [J/kg] × Qualitätsfaktor Q
- Ortsdosis : Grundlage zu Einrichtung von Strahlenschutzbereichen
- Bei gleicher Energiedosis besitzen die verschiedenen Strahlenarten eine unterschiedliche biologische Wirksamkeit. Um diese dennoch mit einander vergleichbar ("äquivalent") zu machen, wird je nach Strahlungsart die Energiedosis mit einem dimensionslosen Qualitätsfaktor Q multipliziert
- Schutzgrößen: Dient zur Festlegung von (personenbezogenen) Grenzwerten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen biologischen Wirksamkeit der verschiedenen Strahlungsarten durch den Strahlungswichtungsfaktor
- Organdosis ≈ Äquivalenzdosis in einem Gewebe oder Organ
- Organdosis = Energiedosis, die ein Organ erfährt × Strahlungswichtungsfaktor
- Da unterschiedliche Organe insbesondere aufgrund ihrer Teilungsfähigkeit eine unterschiedliche Strahlenempfindlichkeit besitzen, muss diese zusätzlich zur Strahlenart bei der Berechnung der Dosis, die effektiv auf das Organ einwirkt, berücksichtigt werden
- Effektive Dosis = Organdosis x Gewebewichtungsfaktor
- Wird letztendlich für die biologischen Auswirkungen auf Gewebe verantwortlich gemacht
- Quantifiziert das Auftreten von stochastischen Strahlenschäden
- Gewebewichtungsfaktoren reichen von 0,01 (unempfindlich, z.B. Haut) bis zu 0,12 (empfindlich, z.B. Knochenmark)
- Organdosisgrenzwert: Ergibt sich aus der effektiven Dosis → Je höher die effektive Dosis, desto geringer der Organdosisgrenzwert
- Haut: 500 mSv (Millisievert)
- Schilddrüse, Knochenoberfläche: 300 mSv
- Augenlinse: 150 mSv
- Augenlinse: 20 mSv
- Keimdrüsen, Gebärmutter, rotes Knochenmark: 50 mSv
- Organdosis ≈ Äquivalenzdosis in einem Gewebe oder Organ
- Messgrößen: Abschätzung der Dosis, die auf einen (menschlichen) Körper einwirkt
Die biologische Wirkung von ionisierenden Strahlen ist abhängig von der Energiedosis, der Expositionszeit, der Strahlungsart und dem absorbierenden Gewebe!
Ursachen der Strahlenbelastung
- Exposition der Bevölkerung: Mittlere jährliche Belastung für den Bundesbürger ca. 4 mSv
- Natürliche Strahlung
- Z.B. durch Einatmen von Radon (ca. 1,1 mSv/Jahr), terrestrische Strahlung (ca. 0,4 mSv/Jahr), kosmische Strahlung (höhenabhängig, ca. 0,5 mSv/Jahr): Insgesamt ca. 2–3 mSv/Jahr
- Medizinische Exposition: Durchschnittlich ca. 2 mSv/Jahr
- Röntgendiagnostik, Nuklearmedizin, Strahlentherapie
- Zivilisatorische Exposition
- Flugverkehr (durchschnittlich ca. 0,04 mSv/Jahr)
- Natürliche Strahlung
- Berufliche Exposition
- Jahresgrenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen: 20 mSv
- 400.000 Menschen in Deutschland gelten als beruflich strahlenexponiert
- Risikogruppen:
- Personen, die im Flugverkehr tätig sind
- Medizinisches Personal, das mit Röntgen- oder radioaktiven Strahlen in Kontakt kommt
Nicht notwendige Strahlenbelastung durch medizinische Exposition sollte unbedingt vermieden werden!
Strahlenschutzmaßnahmen
Die wichtigsten Maßnahmen zum Strahlenschutz sind die Rechtfertigung und Optimierung der Strahlenanwendung!
- ALARA-Prinzip: "As Low As Reasonably Achievable" = "So niedrig wie vernünftigerweise erreichbar"
- Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit von Schutzaufwand und erreichbarer Dosisreduktion
- Verringerung der Strahlung von außen
- Abstand: Entfernung zur radioaktiven Quelle → Abstandsquadratgesetz
- Die Energie der radioaktiven Quelle nimmt proportional mit dem Quadrat des Abstands ab (1/r2)
- Abschirmung: Wände, Bleischürze
- Aufenthaltsdauer
- Aktivitätsbeschränkung
- Ausschalten: Ausschalten einer elektrisch betriebenen Strahlenquelle
- Abstand: Entfernung zur radioaktiven Quelle → Abstandsquadratgesetz
- Strikte Vermeidung von Inkorporation (Strahlung von innen)
- Durch Inhalation oder Inkorporation gelangen die schädlichen radioaktiven Substanzen in direkten Kontakt mit Körperzellen (= Abstand minimal!) → Hohe Strahlendosis!
- Verringerung der Strahlung von außen
- Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit von Schutzaufwand und erreichbarer Dosisreduktion
Ablauf/Durchführung
Szintigrafie (Szintigramm)
Szintigrafie (von lat. scintilla = "Funke"): Nuklearmedizinisches Verfahren zur Darstellung der Aktivität eines Gewebes oder Organs. Hierzu werden radioaktiv markierte Stoffe (sog. Tracer ) appliziert, die vom Körper transportiert und metabolisiert werden und sich im Zielorgan je nach Stoffwechselaktivität des Gewebes anreichern. Indem die abgegebene Strahlung der Tracer (in der Regel Gammastrahlung) von einer Kamera aufgezeichnet wird, können Stoffwechselvorgänge lokalisiert und nachverfolgt werden.
- Planare Szintigrafie: Aufzeichnung erfolgt auf einer Ebene. Ähnlich eines Röntgenbildes kommt es hierdurch zur Überlagerung von hintereinander liegenden Strukturen
- SPECT (single photon emission computed tomography = Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie)
- Gammakamera rotiert um den Patienten
- Überlagerungsfreie dreidimensionale Darstellung auffälliger Areale und Beurteilung von Schnittbildern möglich
- Vorteile
- Tiefere Herde können besser beurteilt werden → Genaue topografische Zuordnung
- Hohes Auflösungsvermögen
- Gammakamera rotiert um den Patienten
Verfahren | Indikationen | Tracer |
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Schilddrüsenszintigrafie |
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Knochenszintigrafie |
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Tumorlokalisations-Szintigrafie |
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Myokardszintigrafie | ||
Nierenfunktionsszintigrafie | ||
Sentinel-Lymphknoten Untersuchung | ||
Perfusions- und Ventilationsszintigrafie der Lunge |
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PET (Positronenemissionstomografie)
- Die PET ist eine Schnittbilduntersuchung und stellt wie die Szintigrafie die Stoffwechselaktivität von Geweben dar
- Im Gegensatz zur Szintigrafie, bei der Gammastrahler zur Anwendung kommen, werden bei der PET Positronen-emittierende Radionuklide verwendet → häufig eine mit radioaktivem Fluor (18F) markierte stoffwechselaktive Substanz (z.B. 18F-Fluoruracil oder 18F-FDG = Fluordesoxyglucose )
- Die Verteilung des Radionuklids kann mithilfe einer Gammakamera sichtbar gemacht und lokalisiert werden
- Einsatzgebiete