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Nuklearmedizin und Strahlenschutz

Letzte Aktualisierung: 6.7.2022

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Die Nuklearmedizin beruht auf dem Einsatz von radioaktiven Substanzen mit kurzer Halbwertzeit, die Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung emittieren. Zumeist werden sie an einen sogenannten Tracer (von außen zugeführte Substanz, die vom Körper transportiert und verstoffwechselt wird) gekoppelt und somit ins Zielgebiet (z.B. Knochen) gebracht. Je nach emittierter Strahlungsart ergeben sich verschiedene Indikationsgebiete: Während Alphastrahlung (= Helium-Atomkern) nur eine Reichweite von wenigen μm im Körper hat und daher zur Bestrahlung von direkt umliegenden Gewebe (z.B. Nuklidtherapie bei Knochenmetastasen) eingesetzt wird, können Beta- und Gammastrahlen aufgrund ihrer höheren Reichweite neben therapeutischen Zwecken (z.B. Radioiodtherapie) auch außerhalb des Körpers registriert werden und somit Rückschlüsse auf Stoffwechselaktivität des Gewebes geben (z.B. MIBG-Szintigrafie bei Phäochromozytom). Eine erhöhte Stoffwechselaktivität kann dabei beispielsweise für eine Neoplasie sprechen und diese dadurch von einer Nekrose, die keine Stoffwechselaktivität aufweist, abgrenzen.

Durch ihre ionisierende Wirkung, die Zellen schädigen und zerstören kann, geht von radioaktiven Strahlen jedoch auch ein großes Gefahrenpotenzial aus. Daher stellt die strenge Indikationsstellung der Anwendung radioaktiver Strahlen die wichtigste Maßnahme des Strahlenschutzes dar. Weitere Vorkehrungen die Strahlenbelastung für Patienten und medizinisches Personal zu verringern, können durch das ALARA-Prinzip ("As Low As Reasonably Achievable" = "So niedrig wie vernünftigerweise erreichbar") zusammengefasst werden, das eine möglichst hohe Dosisreduktion unter Berücksichtigung des durchführbaren Strahlenschutzes vorsieht (bspw. Abstandsvergrößerung, Abschirmung und Beschränkung der Aufenthaltsdauer).

  • Nuklearmedizin (lat. von "nucleus" = Kern): Oberbegriff zur Bezeichnung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren, die auf radioaktiven Strahlen beruhen.
  • Strahlenschutz: Schutz von Patienten und Personal vor der biologischen Auswirkung von ionisierenden und nicht-ionisierenden Strahlen. Insbesondere der Schutz vor Röntgen-Strahlung und radioaktiver Strahlung ist hierbei zu berücksichtigen.

Ionisierende Strahlungsarten

Als ionisierende Strahlen werden alle Strahlungen bezeichnet, deren Energie hoch genug ist, um Elektronen aus einem Atom herauszuschleudern . Diese lassen sich wie folgt einteilen:

Alphastrahlung Betastrahlung Gammastrahlung Röntgenstrahlung
Charakteristika
  • Elektromagnetische Welle
  • Typische Erzeugung: Durch den Übergang eines Atomkerns von einem angeregten in den Grundzustand, entsteht Energie, die als ungeladene Photonen abgegeben wird (= Gammastrahlung)
    • Strahlung wird aus dem Atomkern emittiert
  • Elektromagnetische Welle
  • Typische Erzeugung: Ionisierende Strahlen, die durch das Auftreffen von stark beschleunigten Elektronen auf eine metallische Anode erzeugt werden
Medizinische Anwendung (Beispiel)
  • Einsatz v.a. zu therapeutischen Zwecken (z.B. 131Iod zur RadioIodtherapie)
  • Einsatz v.a. zu diagnostischen Zwecken (z.B. 123Iod oder 99mTc zur Szintigrafie)
  • Einsatz zu diagnostischen Zwecken

Energie

  • Im Vergleich zur Beta- oder Gammastrahlung wird eine ca. 20-fach höhere schädliche Wirkung auf das Gewebe bewirkt
  • Es wird nicht immer eine konstante Energie abgegeben, sondern vielmehr ein Energiespektrum erzeugt, das abhängig vom zerfallenden Element ist
  • Energie abhängig von Anodenspannung und Anodenmaterial
  • "Weiche" Strahlung: <100keV
  • "Harte" Strahlung: ≥100keV
Effekt
  • Direkt ionisierend
  • Indirekt ionisierend

Reichweite/ Halbwertsdicke

  • Reichweite: Ca. 5 μm in Wasser (≈ Gewebe)
  • Reichweite: Ca. 5 mm in Wasser (≈ Gewebe)
  • Halbwertsdicke : Abhängig von Wellenlänge und Dichte des zu durchdringenden Materials, ca. 5 cm in Wasser (≈ Gewebe) bei Röntgenstrahlen mit einer Energie von 100 keV, 10 cm bei Gammastrahlen mit einer Energie von 1.000 keV

Schutzmaßnahmen

  • Blatt Papier ausreichend
  • Z.B. einige mm dickes Aluminiumblech

Strahlenbelastung

Mess- und Schutzgrößen

Die schädliche Wirkung radioaktiver Strahlen auf den menschlichen Körper ist insbesondere abhängig von dem Ausmaß der übertragenden Energie, der Strahlungsart und der Sensibilität des absorbierenden Organs. Da ihre Auswirkungen wie Zellschädigung und Zelluntergang (= biologische Wirkung) nur schwer direkt messbar sind, wird die wahrscheinliche schädigende Wirkung geschätzt. Unterschieden werden Messgrößen, die zur Abschätzung der auf einen (menschlichen) Körper einwirkenden Dosis verwendet werden, von Schutzgrößen, die zur Definition von Grenzwerten herangezogen werden.

  • Übertragende Energie
  • Biologische Auswirkung
    • Messgrößen: Abschätzung der Dosis, die auf einen (menschlichen) Körper einwirkt
      • Bei gleicher Energiedosis besitzen die verschiedenen Strahlenarten eine unterschiedliche biologische Wirksamkeit. Um diese dennoch mit einander vergleichbar ("äquivalent") zu machen, wird je nach Strahlungsart die Energiedosis mit einem dimensionslosen Qualitätsfaktor Q multipliziert
    • Schutzgrößen: Dient zur Festlegung von (personenbezogenen) Grenzwerten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen biologischen Wirksamkeit der verschiedenen Strahlungsarten durch den Strahlungswichtungsfaktor
      • OrgandosisÄquivalenzdosis in einem Gewebe oder Organ
      • Da unterschiedliche Organe insbesondere aufgrund ihrer Teilungsfähigkeit eine unterschiedliche Strahlenempfindlichkeit besitzen, muss diese zusätzlich zur Strahlenart bei der Berechnung der Dosis, die effektiv auf das Organ einwirkt, berücksichtigt werden
      • Effektive Dosis = Organdosis x Gewebewichtungsfaktor
        • Wird letztendlich für die biologischen Auswirkungen auf Gewebe verantwortlich gemacht
        • Quantifiziert das Auftreten von stochastischen Strahlenschäden
        • Gewebewichtungsfaktoren reichen von 0,01 (unempfindlich, z.B. Haut) bis zu 0,12 (empfindlich, z.B. Knochenmark)
      • Organdosisgrenzwert: Ergibt sich aus der effektiven Dosis → Je höher die effektive Dosis, desto geringer der Organdosisgrenzwert

Die biologische Wirkung von ionisierenden Strahlen ist abhängig von der Energiedosis, der Expositionszeit, der Strahlungsart und dem absorbierenden Gewebe!

Ursachen der Strahlenbelastung

  • Exposition der Bevölkerung: Mittlere jährliche Belastung für den Bundesbürger ca. 4 mSv
    • Natürliche Strahlung
      • Z.B. durch Einatmen von Radon (ca. 1,1 mSv/Jahr), terrestrische Strahlung (ca. 0,4 mSv/Jahr), kosmische Strahlung (höhenabhängig, ca. 0,5 mSv/Jahr): Insgesamt ca. 2–3 mSv/Jahr
    • Medizinische Exposition: Durchschnittlich ca. 2 mSv/Jahr
    • Zivilisatorische Exposition
      • Flugverkehr (durchschnittlich ca. 0,04 mSv/Jahr)
  • Berufliche Exposition
    • Jahresgrenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen: 20 mSv
    • 400.000 Menschen in Deutschland gelten als beruflich strahlenexponiert
    • Risikogruppen:

Nicht notwendige Strahlenbelastung durch medizinische Exposition sollte unbedingt vermieden werden!

Strahlenschutzmaßnahmen

Die wichtigsten Maßnahmen zum Strahlenschutz sind die Rechtfertigung und Optimierung der Strahlenanwendung!

  • ALARA-Prinzip: "As Low As Reasonably Achievable" = "So niedrig wie vernünftigerweise erreichbar"
    • Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit von Schutzaufwand und erreichbarer Dosisreduktion
      • Verringerung der Strahlung von außen
        • Abstand: Entfernung zur radioaktiven Quelle → Abstandsquadratgesetz
          • Die Energie der radioaktiven Quelle nimmt proportional mit dem Quadrat des Abstands ab (1/r2)
        • Abschirmung: Wände, Bleischürze
        • Aufenthaltsdauer
        • Aktivitätsbeschränkung
        • Ausschalten: Ausschalten einer elektrisch betriebenen Strahlenquelle
      • Strikte Vermeidung von Inkorporation (Strahlung von innen)
        • Durch Inhalation oder Inkorporation gelangen die schädlichen radioaktiven Substanzen in direkten Kontakt mit Körperzellen (= Abstand minimal!) → Hohe Strahlendosis!

Szintigrafie (Szintigramm)

Szintigrafie (von lat. scintilla = "Funke"): Nuklearmedizinisches Verfahren zur Darstellung der Aktivität eines Gewebes oder Organs. Hierzu werden radioaktiv markierte Stoffe (sog. Tracer ) appliziert, die vom Körper transportiert und metabolisiert werden und sich im Zielorgan je nach Stoffwechselaktivität des Gewebes anreichern. Indem die abgegebene Strahlung der Tracer (in der Regel Gammastrahlung) von einer Kamera aufgezeichnet wird, können Stoffwechselvorgänge lokalisiert und nachverfolgt werden.

  • Planare Szintigrafie: Aufzeichnung erfolgt auf einer Ebene. Ähnlich eines Röntgenbildes kommt es hierdurch zur Überlagerung von hintereinander liegenden Strukturen
  • SPECT (single photon emission computed tomography = Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie)
    • Gammakamera rotiert um den Patienten
      • Überlagerungsfreie dreidimensionale Darstellung auffälliger Areale und Beurteilung von Schnittbildern möglich
    • Vorteile
      • Tiefere Herde können besser beurteilt werden → Genaue topografische Zuordnung
      • Hohes Auflösungsvermögen
Verfahren Indikationen Tracer
Schilddrüsenszintigrafie
  • Diagnostisch : Abgrenzung von sonografisch auffälligen Befunden (z.B. Knoten), Abklärung einer unklaren hyperthyreoten Stoffwechsellage (z.B. Nachweis eines heißen Knoten als Hinweis auf eine fokale Autonomie)
Knochenszintigrafie
  • Verdacht auf bzw. Abklärung von

Tumorlokalisations-Szintigrafie
  • Nachweis von erhöhtem/verringertem Stoffwechsel
Myokardszintigrafie
Nierenfunktionsszintigrafie
Sentinel-Lymphknoten Untersuchung
Perfusions- und Ventilationsszintigrafie der Lunge
  • Abklärung einer Lungenembolie (Nachweis eines belüfteten, aber nicht perfundierten Bereiches → Mismatch bei Perfusionsdefizit)

PET (Positronenemissionstomografie)

  • Die PET ist eine Schnittbilduntersuchung und stellt wie die Szintigrafie die Stoffwechselaktivität von Geweben dar
    • Im Gegensatz zur Szintigrafie, bei der Gammastrahler zur Anwendung kommen, werden bei der PET Positronen-emittierende Radionuklide verwendet → häufig eine mit radioaktivem Fluor (18F) markierte stoffwechselaktive Substanz (z.B. 18F-Fluoruracil oder 18F-FDG = Fluordesoxyglucose )
    • Die Verteilung des Radionuklids kann mithilfe einer Gammakamera sichtbar gemacht und lokalisiert werden
  • Einsatzgebiete
    • Kardiologie (z.B. Beurteilung der Vitalität des Myokards)
    • Neurologie (z.B. Alzheimer-Diagnostik)
    • Onkologie (z.B. Metastasensuche)

  1. Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung - RöV) .
  2. Kuwert: Nuklearmedizin. 1. Auflage Thieme 2007, ISBN: 978-3-131-18504-4 .
  3. Grupen et al.: Grundkurs Strahlenschutz. Springer 2008, ISBN: 978-3-540-75849-5 .