Abstract
Eine Lungenembolie ist definiert als Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien durch Einschwemmen von Thromben, seltener Lipiden oder Fremdmaterial über die Blutbahn. Klassischerweise geschieht dies durch Ablösen eines Blutgerinnsels aus dem venösen Stromgebiet der unteren Hohlvene – die zugrunde liegende Beinvenenthrombose kann dabei nicht selten zunächst unbemerkt verlaufen. Hauptrisikofaktoren sind die Immobilisation durch Bettlägerigkeit und/oder Operationen im Vorfeld. Das Spektrum der Klinik reicht in Abhängigkeit vom Ausmaß der verlegten Strombahn von asymptomatisch bis zum kardiogenen Schock, die Beschwerden sind zudem oft unspezifisch – wie Thoraxschmerz oder Dyspnoe. Aus diesem Grund sind Fehldiagnosen nicht selten, die Lungenembolie ist daher einer der häufigsten unerwarteten Befunde einer Obduktion.
Laborchemische Hinweise sind erhöhte D-Dimere oder ein erniedrigter Sauerstoffpartialdruck in der Blutgasanalyse. Eine hohe diagnostische Sicherheit erreicht man durch die radiologische Darstellung der Lungengefäße mittels CT-Angiographie. Zur Verhinderung weiterer Thromboembolien, und um eine sukzessive Auflösung des Embolus und der ursächlichen Thrombose zu erwirken, wird eine therapeutische Heparinisierung eingeleitet. Da diese Thromboembolieprophylaxe für mindestens drei Monate erfolgen muss, wird im Verlauf von der (parenteralen) Heparinisierung auf eine orale Antikoagulation (DOAK wie z.B. Rivaroxaban oder Cumarine) umgestellt. Bei einer fulminanten Lungenembolie mit Schock kann durch eine Lysetherapie oder eine Notfall-Operation der Versuch unternommen werden, den Thrombus zu entfernen.
Ätiologie
- Embolie nach Venenthrombose
- Embolus über die untere Hohlvene nach tiefer Bein- oder Beckenvenenthrombose (häufig!)
- Embolus über die obere Hohlvene bei oder nach Anlage eines zentralen Venenkatheters (selten)
- Fettembolie während großer operativer Eingriffe (Einbringen einer Endoprothese, bei Osteosynthese u.a.)
Pathophysiologie
Partielle oder totale Verlegung des Lumens einer Pulmonalarterie
- Druckbelastung des rechten Herzens
- Erhöhter pulmonalarterieller Druck (PAP)
- Erhöhter zentralvenöser Druck (ZVD)
- Akutes Cor pulmonale
- Rechtsherzversagen bei massiver Lungenembolie möglich
- Erhöhung des funktionellen Totraumvolumens
- Ventilation der Alveolen ohne Perfusion der dazugehörigen Kapillaren
- Arterielle Hypoxämie (pO2↓)
- Hyperventilation
- Hypokapnie (pCO2↓) → Respiratorische Alkalose
- Vorwärtsversagen
- Minderung des Herzzeitvolumens
- Kreislaufschock möglich (Herzfrequenz↑, RR↓)
Weitere Störfaktoren des Gasaustausches
- Freisetzung vasoaktiver Substanzen aus dem Embolus
- Serotonin und Thromboxan A2 bewirken pulmonale Vasokonstriktion und Bronchospasmus
- Abnahme des Surfactant mit der Folge eines alveolären Kollaps und „Mikroatelektasen“
Symptome/Klinik
Allgemein
Akutes Einsetzen (z.B. nach morgendlichem Aufstehen) von Symptomen
- Infolge der Erhöhung des funktionellen Totraumvolumens
-
Infolge einer begleitenden Pleuritis oder eines Lungeninfarkts
- Atemabhängige Thoraxschmerzen (in etwa 70% der Fälle)
- Hämoptysen (in etwa 10% der Fälle)
- Husten
- Fieber
- Infolge der Rechtsherzbelastung
- Tachykardie
- Hypotonie
- Synkope
- Halsvenenstauung
Die einer Lungenembolie häufig zugrunde liegende tiefe Beinvenenthrombose kann unentdeckt bleiben, weil sie in 50% der Fälle asymptomatisch verläuft!
In Narkose während eines operativen Eingriffs
- Anstieg der Herzfrequenz
- Blutdruckabfall
- Abfall des exspiratorischen pCO2in der Kapnometrie
- Abfall des pO2 bzw. SpO2
Bei rezidivierender oder progredienter Dyspnoe unklarer Ätiologie sollten rezidivierende Lungenembolien als Differentialdiagnose in Betracht gezogen werden!
Verlaufs- und Sonderformen
Inzidentelle Lungenembolie
- Definition: Lungenembolie als Zufallsbefund im Rahmen einer anderweitig indizierten CT-Thorax-Untersuchung
- Vorkommen: Betroffen sind vor allem Patienten mit Malignomen und chronischen kardiopulmonalen Erkrankungen
- Klinik: Meistens asymptomatisch
- Therapie: Insb. bei Patienten mit Malignom sollte eine inzidentelle analog zu einer symptomatischen Lungenembolie behandelt werden, siehe auch: Lungenembolie bei Malignompatienten
Sonderformen der Lungenembolie
Folgend genannte seltene Sonderformen der Lungenembolie werden gesondert aufgeführt.
Diagnostik
Allgemein [1]
- Anamnese, insb. hinsichtlich klinischer Hinweise auf eine tiefe Beinvenenthrombose (TVT)
- Operation
- Immobilisation (z.B. Langstreckenflüge), Trauma, Gipsbehandlung in naher Vergangenheit
- Lungenembolie oder TVT in der Vorgeschichte
- Vitalparameter: RR, Herzfrequenz, Atemfrequenz und SpO2
- Inspektion: Gestaute Halsvenen als Zeichen einer Rechtsherzbelastung? Einseitige Beinschwellung als Hinweis auf eine Beinvenenthrombose?
- Auskultation: In einigen Fällen kann ein gespaltener 2. Herzton auskultierbar sein
- Bestimmung der Prätestwahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie, insb. anhand des Wells-Scores
- Siehe hierzu auch: Algorithmus bei möglicher Lungenembolie
Blutuntersuchung
Venöse Blutentnahme [1]
- D-Dimer-Erhöhung
- Definition: D-Dimere sind Fibrin-Fibrinogen-Spaltprodukte, die durch reaktive Fibrinolyse entstehen und als Biomarker zur Diagnose von Thrombosen genutzt werden können
- Eigenschaften
- Geringe Spezifität → Nicht geeignet zur Bestätigung einer Lungenembolie
- Hohe Sensitivität und daher hoher negativer prädiktiver Wert → Geeignet zum Ausschluss einer Lungenembolie
- Grenzwert
- Standardgrenzwert 500 μg/L [2]
- Bei Patienten >50 Jahren kann ein altersadaptierter Cut-off-Wert (Alter × 10 μg/L) gewählt werden [3]
- D-Dimer-Schnelltests: Schnelltests aus Kapillarblut („Point of Care“) sind weniger sensitiv und spezifisch als die konventionelle D-Dimer-Messung
- Bestimmung: In Abhängigkeit von der Prätestwahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie
- Niedrige und mittlere Wahrscheinlichkeit: Bestimmung sinnvoll
- Hohe klinische Wahrscheinlichkeit: Bestimmung nicht sinnvoll → Direkte Einleitung weiterführender Diagnostik
- Siehe auch: Algorithmus bei möglicher Lungenembolie
- Troponin T und BNP↑: Hinweis auf vermehrte Rechtsherzbelastung → Prognostisch ungünstig
Der D-Dimer-Test liefert häufig falsch-positive Werte, aber sehr selten falsch-negative Werte. Daher schließen normwertige D-Dimere eine Lungenembolie oder TVT nahezu aus!
Bei Patienten mit Verdacht auf Lungenembolie (ohne Schock) soll bei niedrigem Risiko-Score eine D-Dimer-Bestimmung und bei hohem Score eine CT-Pulmonalisangiographie/Lungenszintigraphie erfolgen! (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme)
Bei einer niedrigen klinischen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Lungenembolie und negativen D-Dimeren soll keine CT-Angiographie der Lunge durchgeführt werden. (DGIM - Klug entscheiden in der Pneumologie)
Arterielle Blutgasanalyse
- pO2↓
- pCO2↓ durch Hyperventilation infolge der Dyspnoe
Diagnose-sichernde Bildgebung[1]
- CT-Angiographie (CTA): Mittel der 1. Wahl
- Kontrastmittelunterstützte Darstellung der Pulmonalarterien
- Hohe Sensitivität und direkter Nachweis der pulmonalarteriellen Verschlüsse
- Echokardiographie
- Vorteil: Nicht-invasive, schnell verfügbare Untersuchung
-
Detektion von Rechtsherzbelastungszeichen
-
Dilatation und Hypokinesie des rechten Ventrikels
- Die Funktion des rechten Ventrikels kann bei hämodynamisch stabilen Patienten als prognostischer Marker herangezogen werden
- Systolischer Pulmonalarteriendruck↑
- Paradoxe Bewegung des Ventrikelseptums zum linken Ventrikel hin
- Trikuspidalklappeninsuffizienz
- Venöser Rückstau mit Erweiterung der V. cava inferior (auch Leberstauung in der Abdomen-Sonographie)
- Reduzierte systolische Bewegung des Trikuspidalklappenringes (TAPSE )
-
Dilatation und Hypokinesie des rechten Ventrikels
- Transösophageale Echokardiographie (TEE)
- Vorteil der höheren örtlichen Auflösung
- Option bei transthorakal schlecht schallbaren Patienten (extreme Adipositas, Thoraxdeformitäten)
- Ggf. direkter Nachweis zentraler pulmonalarterieller Emboli
- Perfusions- und Ventilationsszintigraphie der Lunge
- Indikation: Alternative zur CT-Angiographie bei
- Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz und entsprechender Kontraindikation für eine intravenöse Kontrastmittelgabe
- Jungen Patienten und insb. Frauen (wegen des erhöhten Lebenszeitrisikos für ein Mammakarzinom) aufgrund der Strahlenbelastung
- Aussagekraft: Die Szintigraphie ist in Verbindung mit der D-Dimer-Testung vergleichbar mit einer CT-Angiographie
- Durchführung
- Perfusionsszintigraphie: Intravenöse Gabe von Tc-99m-Zubereitungen und Registrierung der Verteilung in den Lungengefäßen durch die Gamma-Kamera
- Vorliegen einer Lungenembolie → Ausfälle der Lungenperfusion (Auflösung moderner Detektionssysteme erlaubt auch Nachweis kleinerer Ausfälle ab 2 mm
- Perfusionsausfälle können Lungensegmenten und ihren entsprechenden Gefäßen zugeordnet werden, kommen aber nicht nur bei Lungenembolie vor
- Ventilationsszintigraphie: Inhalation von mit dem radioaktiven Isotop Tc-99m markierten Zubereitungen, folgend Registrierung der Verteilung der Radioaktivität in der Lunge durch die Gamma-Kamera
- In der Ventilationsszintigraphie werden Areale, in denen die Ventilation ausgefallen ist, zuverlässig erfasst und können durch direkten Abgleich der Perfusionsaufnahme in Beziehung gesetzt werden
- Perfusionsszintigraphie: Intravenöse Gabe von Tc-99m-Zubereitungen und Registrierung der Verteilung in den Lungengefäßen durch die Gamma-Kamera
- Beurteilung
- Perfusionsausfälle bei regelrechter Ventilation des betroffenen Lungenareals (sog. „Mismatch“) sprechen für eine Lungenembolie
- Bei Nachweis einer normalen Lungenperfusion ist eine Lungenembolie ausgeschlossen, in diesen Fällen ist eine Ventilationsszintigraphie entbehrlich.
- Indikation: Alternative zur CT-Angiographie bei
- Kompressions- und Farbduplexsonographie der Beine (und ggf. Arme): Abklärung tiefe Venenthrombose
- Pulmonalisangiographie
- Indikation
- Heutzutage weitestgehend durch die CT-Angiographie ersetzt
- Indiziert bei unklaren Fällen, zur Messung der Hämodynamik oder bei geplanter lokaler Therapie
- Durchführung
- Rechtsherzkatheteruntersuchung
- Vorschieben des Katheters in eine Pulmonalarterie
- Röntgenaufnahme nach Kontrastmittel-Applikation
- Indikation
Sonstiges („viel Diagnostik, wenig Spezifisches“) [1]
- EKG
- Häufig Sinustachykardie
- Herzrhythmusstörungen: Besonders Extrasystolen
- Typische Rechtsherzbelastungszeichen (im Vergleich zum Vor-EKG)
- Sagittale Herzachse : SIQIII-Typ oder SISIISIII-Typ (ca. 10%)
- Auch Rechtstyp oder überdrehter Rechtstyp möglich
- P-pulmonale bzw. P-dextroatriale (ca. 10%)
- (In)kompletter Rechtsschenkelblock (ca. 10%)
- T-Negativierung in III und rechts präkordial (V1–4)
- Veränderungen der ST-Strecke (auch ST-Streckenhebungen möglich, v.a. in den Ableitungen III, V1 und V2)
- Konventionelles Röntgen-Thorax
- Wird häufig initial durchgeführt, um zunächst andere Ursachen für die Beschwerden der Patienten auszuschließen
- Ist nicht indiziert, wenn eine CT-Angiographie geplant ist
- Mögliche radiologische Zeichen einer Lungenembolie
- Atelektasen
- Pleuraerguss
- Zwerchfellhochstand
- Prominente zentrale Pulmonalarterien mit Kalibersprung und/oder Westermark-Zeichen
- Hampton's hump
- Kardiomegalie
Wells-Score
Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Lungenembolie nach Wells [1][4][5]
- Ziel des Scores: Optimierung des diagnostischen Algorithmus bei stabilen Patienten (siehe: Diagnostik)
Wells-Score bei Lungenembolie (LAE) | Punkte | |
---|---|---|
Original [4] | Vereinfacht [6] | |
Klinische Zeichen einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT) | 3 | 1 |
Lungenembolie wahrscheinlicher als andere Diagnose | 3 | 1 |
Frühere Lungenembolie/TVT | 1,5 | 1 |
Tachykardie (Herzfrequenz >100/min) | 1,5 | 1 |
Operation oder Immobilisierung innerhalb des letzten Monats | 1,5 | 1 |
Hämoptysen | 1 | 1 |
Malignom (unter Therapie, Palliativtherapie oder Diagnose jünger als 6 Monate) | 1 | 1 |
Interpretation
- Bevorzugte Interpretationsweise: Nach dichotomisiertem Prinzip „unwahrscheinlich/wahrscheinlich“ (bei beiden Versionen möglich)
- Vereinfachter Wells-Score
- 0–1: Lungenembolie unwahrscheinlich
- ≥2: Lungenembolie wahrscheinlich
- Originalversion des Wells-Score
- 0–4: Lungenembolie unwahrscheinlich
- ≥5: Lungenembolie wahrscheinlich
- Vereinfachter Wells-Score
- Alternative „klassische“ dreistufige Interpretation (nur bei der Originalversion des Wells-Scores anzuwenden )
- 0–1: Niedrige Wahrscheinlichkeit
- 2–6: Mittlere Wahrscheinlichkeit
- ≥7: Hohe Wahrscheinlichkeit
Phil Wells hat auch einen Score zur klinischen Wahrscheinlichkeit für eine Venenthrombose entwickelt (siehe: Wells-Klassifikation der tiefen Beinvenenthrombose).
Lungenembolie-Risikorechner (Wells-Score)
Algorithmus bei möglicher Lungenembolie
Die erste Frage bei Verdacht auf eine Lungenembolie sollte sein: Ist der Patient hämodynamisch stabil?
Stabiler Patient [1]
- Bedingung: Stabiler systolischer Blutdruck >90 mmHg
- Vorgehen: Einschätzen der klinischen Wahrscheinlichkeit, dass eine LE vorliegt (z.B. Wells-Score)
Instabiler Patient [1]
- Bedingung: Erfüllung eines der folgenden Kriterien
- Reanimationspflichtigkeit oder
- Kardiogener Schock oder
- Persistierende Hypotonie und Minderdurchblutung von Endorganen
- Vorgehen: Ist der Patient stabil genug für ein Angio-CT?
- Stabil genug → Angio-CT → Nachweis/Ausschluss
- Nicht stabil genug für CT → Echokardiographie
- Keine rechtsventrikuläre Dysfunktion → Ausschluss (andere Ursache der Instabilität suchen)
- Rechtsventrikuläre Dysfunktion → CT falls doch möglich, sonst → Behandlung wie Nachweis (Lyse)
Risikostratifikation
PESI-Score (Pulmonary Embolism Severity Index) und sPESI (simplified PESI)
- Scores zur Bestimmung der 30-Tages-Letalität nach LAE
- Auswertung
sPESI und PESI | ||
---|---|---|
Parameter | Punkte | |
sPESI | ||
Alter | 1 Punkt bei Alter >80 Jahre | Alter in Jahren |
Malignom | 1 | +30 |
Blutdruck systolisch <100 mmHg | 1 | +30 |
Herzfrequenz ≥110/min | 1 | +20 |
Sauerstoffsättigung (sO2) in Raumluft <90% | 1 | +20 |
Chronische Herzinsuffizienz | 1 | +10 |
Chronische Lungenerkrankung | +10 | |
Vigilanzstörung | Nicht berücksichtigt | +60 |
Körpertemperatur <36 °C | +20 | |
Atemfrequenz >30/min | +20 | |
Männlich | +10 |
PESI- und sPESI-Score (Rechner)
Klinische Risikostratifikation bei LAE [1]
- Kombination aus sPESI, Labor und Bildgebung
- Entscheidungshilfe bezüglich Ausmaß der benötigten Überwachungs- und Therapiemaßnahmen
Klinisches Risiko | Risikoparameter und Scores | ||||
---|---|---|---|---|---|
Schock, Hypotonie | sPESI ≥1 | Rechtsherzbelastung | Kardiale Biomarker | Therapeutische Konsequenz | |
Hoch | + | + | + | + | Hoch gefährdeter Patient; Rekanalisierende Maßnahmen wahrscheinlich erforderlich |
Intermediär-hoch | – | + | + | + | Gefährdeter Patient – Engmaschige intensivstationäre Therapie und Überwachung – Bereitschaft für rekanalisierende Maßnahmen |
Intermediär-niedrig | – | + | Max. 1 Kriterium positiv | Gefährdung moderat – Engmaschige klinische Überwachung erforderlich (Monitorüberwachung, ggf. Intermediate care) | |
Niedrig | – | – | – | – | Normalstationäre Behandlung i.d.R. ausreichend |
Therapie
Für detaillierte Informationen zum Vorgehen in der Akutsituation siehe: Lungenarterienembolie - AMBOSS-SOP
Akut [1]
- Allgemeines
- Halbsitzende Lagerung
-
Sauerstoffgabe über die Nasensonde oder Maske (6 L/min) unter Pulsoxymetriekontrolle
- Ggf. Intubation
- Medikation
- Ggf. Anxiolyse bzw. Sedierung: Bspw. Morphin oder Diazepam
- Analgesie bei Schmerzen
- Initiale Antikoagulation: Gabe von niedermolekularem Heparin (NMH) , Fondaparinux oder unfraktioniertem Heparin (UFH) als Bolus oder direkten oralen Antikoagulantien (Rivaroxaban, Apixaban)
- Verlegung auf Intensivstation: Bei instabilem Patienten
- In Arzt- und Pflegebegleitung
- Reanimationsbereitschaft und unter Fortführung der O2-Gabe
- EKG-Monitoring sowie Kontrolle der Sauerstoffsättigung
Spezifisch [1]
Bei Lungenembolie ohne akute Lebensgefahr: Therapeutische Antikoagulation
- Weiterführung der Antikoagulation für 3–6 Monate: Mit DOAK (1. Wahl) oder Vitamin-K-Antagonisten
- Weitere Hinweise und Empfehlungen zur Antikoagulation: Therapeutische Antikoagulation - klinische Anwendung
Bei massiver Lungenembolie mit Lebensgefahr: Rekanalisierende Maßnahmen
- Thrombolyse
- Indikation
- Bei hämodynamischer Instabilität oder Reanimationspflichtigkeit
- Präklinische Lyse
- Bei Reanimationspflichtigkeit (z.B. bei ventrikulären Tachykardien/Kammerflimmern) und hochgradigem V.a. eine hämodynamisch instabile Lungenembolie
- Ziel: Verringerung der Rechtsherzbelastung durch Reduktion der Thrombuslast infolge der Lyse
- Durchführung
- Fibrinolyse, vorzugsweise mit rekombinantem Gewebeplasminogen-Aktivator (rt-PA, z.B. Alteplase)
- Kombination durch vorherige und begleitende Gabe von intravenösem unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin notwendig
- Komplikationen
- Blutungsgefahr unter Lysetherapie beachten
- Beachtung der Kontraindikationen für eine Lysetherapie
- Indikation
- Alternative: Operation/Intervention
Bei Blutung unter Lysetherapie
- Sofortiger Abbruch der Lysetherapie
- Gabe von Aprotinin oder Tranexamsäure als Antidot (Antifibrinolytika)
- Das begleitend verabreichte Heparin kann durch Gabe von Protamin (unter PTT-Kontrolle) antagonisiert werden
- Gabe von Fresh frozen Plasma (FFP, gerinnungsaktives Frischplasma) kann versucht werden
Eine Überdosierung von Protamin kann zur Hemmung der Fibrinpolymerisation mit zusätzlicher Blutungsgefahr führen!
Bei Reanimationspflichtigkeit gibt es keine Kontraindikationen für eine systemische Lysetherapie!
Sekundärprophylaxe [1]
- Umstellung der initialen Antikoagulation auf Erhaltungstherapie für 3–6 Monate: Mit DOAK (1. Wahl) oder Vitamin-K-Antagonisten
- Dauer
- Mind. 3 Monate (siehe: Therapie der Phlebothrombose)
- Ggf. länger, je nach individuellem Rezidivrisiko
- Einsetzbare Substanzen (siehe auch: Therapeutische Antikoagulation - klinische Anwendung)
- 1. Wahl: Direkte orale Antikoagulantien (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban und Dabigatran)
-
Vitamin-K–Antagonisten (z.B. Phenprocoumon)
- INR-Zielbereich: 2,0–3,0
- Niedermolekulare Heparine
- Dauer
Weiteres Prozedere [1]
- Patienten mit niedrigem Risiko: Ggf. frühzeitige Entlassung und ambulatorische Weiterbetreuung veranlassen
- Ursachensuche: Thrombophilie-Screening und/oder Malignom-Suche, analog zur weiterführenden Diagnostik bei Phlebothrombose
- Nachsorge siehe: Nachsorgeempfehlungen bei Lungenembolie
Komplikationen
- Rechtsherzversagen
- Hohe Rezidivgefahr (ohne Antikoagulation ca. 30%)
- Chronisch-thromboembolische pulmonale Hypertonie als Folge von Rezidiven bzw. ungenügender Rekanalisation der Lungenarterien
- Atelektase (ca. 20%)
- Lungeninfarkt (ca. 10–50%)
- Infarktpneumonie
- Röntgen-Thorax: Peripheres Infiltrat (typischerweise dreieckig = Hampton's hump)
- Infarktpneumonie
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
Nachsorgeuntersuchung[1]
- Indikation: Alle Patienten mit akuter Lungenembolie
- Zeitpunkt: Nach 3–6 Monaten Antikoagulation
- Vorgehen: Klinisches Assessment bzgl. Dyspnoe und funktioneller Einschränkung
- Bei weiterhin bestehender Dyspnoe bzw. funktioneller Einschränkung: Diagnostik auf Vorliegen einer CTEPH
- Durchführung einer Echokardiographie
- Bei echokardiographischen Hinweisen auf das Vorliegen einer pulmonalen Hypertonie sollte eine Perfusionsszintigraphie und ggf. eine Überweisung in ein Zentrum für pulmonale Hypertonie erfolgen
- Keine Dyspnoe bzw. funktionelle Einschränkung, aber Vorliegen von Risikofaktoren für eine CTEPH: Weitere regelmäßige Kontrollen erforderlich
- Bei weiterhin bestehender Dyspnoe bzw. funktioneller Einschränkung: Diagnostik auf Vorliegen einer CTEPH
Diagnostik bei rezidivierender Lungenembolie
- Thrombophilie-Diagnostik: Ggf. sollte eine verlängerte Erhaltungstherapie über 3–6 Monate hinaus erwogen werden
- CTEPH-Diagnostik: Form der pulmonalen Hypertonie als Folge rezidivierender thromboembolischer Ereignisse
Besondere Patientengruppen
Lungenembolie in Schwangerschaft und Wochenbett [1]
- Epidemiologie
- Eine der häufigsten maternalen Todesursachen während Schwangerschaft und Wochenbett
- 1,13 Todesfälle pro 100.000 Schwangerschaften (inkl. Wochenbett)
- Risikofaktoren
- Generell 4-fach erhöhtes Risiko für eine venöse Thromboembolie während einer Schwangerschaft!
- Z.n. VTE
- Totgeburt in der Vorgeschichte
- Übergewicht
- Präeklampsie
- Postpartale Blutung
- Sectio caesarea
- Diagnostische Probleme
- D-Dimere nicht ausreichend verwertbar
-
Strahlenbelastung der Mamma bei der diagnostisch sichernden Bildgebung
- Perfusionsszintigraphie mit niedrigerer Strahlendosis gegenüber dem Angio-CT im Bereich der Mammae vorziehen (sehr geringe fetale Strahlenbelastung)
- Eine CT-Angiographie ist möglich, erfordert jedoch spezielle Strahlenschutzvorkehrungen
- Diagnostisches Vorgehen
- Primäres Verfahren: (Farbduplex‑)Kompressionssonographie der Beinvenen
- Bei hoher Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie aus klinischer Sicht genügt i.d.R. der duplexsonographische Nachweis einer TVT zur Diagnosesicherung; siehe auch: Klinische Risikostratifikation bei LAE
- Kein Hinweis bzw. Nachweis einer TVT: Durchführung eines Röntgen-Thorax (Ausschluss thorakaler Differentialdiagnosen)
- Bei Röntgen-Thorax mit Hinweis auf LAE: CT-Angiographie
- Bei unauffälligem Röntgen-Thorax: CT-Angiographie oder Perfusionsszintigraphie
- Primäres Verfahren: (Farbduplex‑)Kompressionssonographie der Beinvenen
- Therapeutische Besonderheiten
- Antikoagulation
- 1. Wahl: NMH
- Dauer: Während der gesamten restlichen Schwangerschaft und bis 6–12 Wochen nach Entbindung, mind. 3 Monate lang
- Für weiterführende Informationen siehe: Therapeutische Antikoagulation während der Schwangerschaft
- Rekanalisierende Maßnahmen
- Indikation: Hohes klinisches Risiko, siehe auch: Klinische Risikostratifikation bei LAE
- Durchführung: Lysetherapie, aber peripartal sowie im Wochenbett ist aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos eine interventionelle Methode mit Thrombektomie zu bevorzugen [7]
- Vena-cava-Filter erwägen in Fällen mit hohem Blutungsrisiko, in denen eine Antikoagulation (noch) nicht erfolgen kann
- Antikoagulation
Eine Schwangerschaft allein erhöht das Risiko einer venösen Thromboembolie bereits um das 4-Fache! [8]
Lungenembolie bei Malignompatienten
- Antikoagulation initial für 6 Monate: Mit NMH (1. Wahl)
- Alternative: Edoxaban oder Rivaroxaban
- Fortsetzung der Antikoagulation: Langfristige Therapie mit NMH oder DOAK oder Vitamin-K-Antagonisten empfohlen
- Absetzen der Antikoagulation nach erfolgreicher Heilung der Malignomerkrankung
- Weitere Hinweise und Empfehlungen zur Antikoagulation: Therapeutische Antikoagulation - klinische Anwendung
Lungenembolie bei Anti-Phospholipid-Syndrom
- Zu Besonderheiten bei der Sekundärprophylaxe siehe auch: Therapie des Antiphospholipidsyndroms
Klinischer Fall
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 115-2020-1/3: ACC-Kongress in Chicago: CARAVAGGIO
- Studientelegramm 84-2019-2/3: ISTH-Kongress-Update Nr. 2: Neuer Algorithmus zur Diagnostik von Lungenembolien
- Studientelegramm 40-2018-3/3: Antikoagulation um jeden Preis? Retrospektive Erhebungen bei Patienten mit subsegmentaler Lungenembolie
- Studientelegramm 22-2018-1/3: Lungenarterienembolie: Können die PERC-Kriterien Niedrigrisikopatienten vor Überdiagnostik schützen?
- Studientelegramm 14-2018-1/4: Wie häufig ist die Lungenembolie Ursache einer Synkope?
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 9-2020-3/3: Commonly used scores for pulmonary embolism are only moderately useful in predicting short-term mortality
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Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir dir durchdachte Merkhilfen zum Einprägen relevanter Fakten, dies sind animierte Videos und Erkundungsbilder. Die Inhalte sind vielfach auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend. Viele Meditricks gibt es in Lang- und Kurzfassung, oder mit Basis- und Expertenwissen, Quiz und Kurzwiederholung. Eine Übersicht über alle Inhalte findest du in dem Kapitel Meditricks. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – welche, siehst du im Shop.
Lungenembolie
Inhaltliches Feedback ggf. bitte an kontakt@meditricks.de.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- I26.-: Lungenembolie
- Inklusive:
- Lungeninfarkt
- Postoperative Lungenembolie
- Pulmonal (-Arterien) (-Venen)
- Thromboembolie
- Thrombose
- Exklusive: Als Komplikation bei: Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft (O00–O07, O08.2); Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett (O88.‑)
- I26.0: Lungenembolie mit Angabe eines akuten Cor pulmonale
- Akutes Cor pulmonale o.n.A.
- Fulminante Lungenembolie
- Massive Lungenembolie
- I26.9: Lungenembolie ohne Angabe eines akuten Cor pulmonale
- Lungenembolie o.n.A.
- Nichtmassive Lungenembolie
- Inklusive:
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.