Zusammenfassung
Die Tollwut (Rabies) ist eine Zoonose, die durch das neurotrope Rabiesvirus hervorgerufen wird. Das Virus gelangt durch Bisse – meist Hundebisse – in den Körper und über einen retrograden axonalen Transport ins ZNS, wo es zu einer Enzephalitis und/oder Myelitis kommt. Nach einem Prodromalstadium mit unspezifischen Symptomen gehören episodische Erregungszustände, Muskelkrämpfe, Hydrophobie und zunehmende Vigilanzminderung zum klinischen Bild. Die Erkrankung verläuft praktisch immer tödlich. Durch eine präexpositionelle Impfung (empfohlen für Risikoberufsgruppen und Reisende in Endemiegebiete) und eine postexpositionelle Immunprophylaxe kann der Ausbruch der Krankheit zuverlässig verhindert werden. Aufgrund der Immunisation von Wild- und Haustieren ist die durch das Rabiesvirus hervorgerufene Tollwut in Teilen Europas, darunter auch Deutschland, Österreich und die Schweiz, ausgerottet. In anderen Teilen der Welt, insb. in Südasien, stellt die Tollwut weiterhin ein großes Gesundheitsproblem dar.
Epidemiologie
- Vorkommen
- Deutschland gilt neben anderen west- und mitteleuropäischen Ländern (darunter Österreich und die Schweiz) als frei von terrestrischer („klassischer“) Tollwut
- Verbreitung insb. in Afrika, Süd- und Ostasien sowie Südamerika
- Fallzahlen
- 15 Millionen Postexpositionsprophylaxen pro Jahr weltweit
- Anteil von Kindern unter Bissopfern tollwutverdächtiger Tiere: 40 %
- Schätzungsweise 59.000 Tote/Jahr, größtenteils in Ländern Afrikas und Asiens
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Erreger
- Rabiesvirus (RABV, Familie Rhabdoviridae, Gattung Lyssaviridae; ssRNA-Viren)
- European-Bat-Lyssa-virus 1 (EBLV-1)
- European-Bat-Lyssa-virus 2 (EBLV-2)
- Erregerreservoir
- Silvatische Tollwut : In Deutschland zuletzt v.a. Füchse, daneben auch Dachse, Rehe und andere Wildtiere
- Urbane Tollwut: Insb. streunende Hunde (in Ländern des Globalen Südens weit verbreitet), andere Haustiere
- Infektionsweg
- Übertragung insb. durch Bissverletzungen tollwütiger Tiere (seltener über Kontakt von Speichel mit Hautverletzungen oder Schleimhäuten), darunter:
- Hunde (99% der Tollwutfälle beim Menschen gehen auf Hundebisse zurück)
- Füchse
- Affen
- Fledermäuse
- Sehr seltene Einzelfälle: Übertragung durch Organtransplantation oder durch virushaltige Aerosole
- Nicht beschrieben ist die Übertragung durch den Verzehr infizierter Tiere oder von Mensch zu Mensch
- Übertragung insb. durch Bissverletzungen tollwütiger Tiere (seltener über Kontakt von Speichel mit Hautverletzungen oder Schleimhäuten), darunter:
Ein Infektionsrisiko besteht für in Deutschland lebende Menschen nahezu ausschließlich bei Reisen in Endemiegebiete!
- Infektiosität
- Ort und Schwere der Bissverletzung bestimmt das Risiko eines Ungeimpften, an Tollwut zu erkranken [1]
- Kopfbisswunden 50–80%
- Armbisswunden 15–40%
- Beinbisswunden 3–10%
- Ort und Schwere der Bissverletzung bestimmt das Risiko eines Ungeimpften, an Tollwut zu erkranken [1]
Pathophysiologie
- Virushaltiger Speichel des tollwütigen Tieres gelangt in die Bisswunde (Inokulation)
- Replikation des Virus im Muskelgewebe
- Eintritt in Neurone (insb. an der neuromuskulären Endplatte) → Schneller retrograder axonaler Transport der Viren über periphere Nerven zum ZNS (meistens Rückenmark)
- Ausbreitung im ZNS entlang von Nervenbahnen → Im Gehirn Infektion von Neuronen insb. der grauen Substanz
- Streuung in die Peripherie (Kornea, Speicheldrüsen und andere Organe)
- Über Infektion der Speicheldrüsen Exkretion von Viren in den Speichel und Weiterverbreitung infolge infektionsbedingter Verhaltensänderungen der Vektoren
Symptomatik
- Inkubationszeit
- 3–8 Wochen, seltener auch kürzer bzw. in Einzelfällen >1 Jahr
- Klinischer Verlauf
- Prodromalstadium (bis zu zehn Tage vor dem Auftreten neurologischer Symptome)
- Unspezifische Symptomatik, u.a. mit Kopfschmerzen, depressiver oder ängstlicher Verstimmung, Fieber und Abgeschlagenheit
- An der Bissstelle: Parästhesien und Hyperalgesie möglich
- Stadium akuter neurologischer Symptome
- Enzephalitische Verlaufsform („Rasende Wut“): 80% der Erkrankten
- Episodische Erregungszustände mit Verwirrtheit, Halluzinationen, aggressivem Verhalten
- Hydrophobie
- Muskelkrämpfe
- Autonome Dysregulation, häufig hohes Fieber
- Hirnnervenausfälle möglich
- Im Verlauf progrediente Vigilanzminderung und schlaffe Lähmungen
- Paralytische Verlaufsform („Stille Wut“): 20% der Erkrankten
- Schlaffe Paresen der Extremitäten zu Erkrankungsbeginn
- Paresen der Gesichts- und Schlundmuskulatur
- Sphinkterstörungen
- Im Verlauf progrediente Vigilanzminderung und Paresen der Atemmuskulatur
- Enzephalitische Verlaufsform („Rasende Wut“): 80% der Erkrankten
- Koma und Tod
- Tod infolge Ateminsuffizienz oder Multiorganversagen (siehe auch: Weitere mögliche Organmanifestationen) innerhalb von 7–10 Tagen nach dem Einsetzen der neurologischen Symptome
- Prodromalstadium (bis zu zehn Tage vor dem Auftreten neurologischer Symptome)
- Weitere mögliche Organmanifestationen im Krankheitsverlauf
- Kardial: Arrhythmien (insb. tachykard), arterielle Hypotonie
- Pulmonal: (Aspirations‑)Pneumonien, Hypo- und Hyperventilation
- Blutungen des Gastrointestinaltraktes, Hypo- und Hyperthermie
Diagnostik
- Anamnese: Tierbiss, Auslandsaufenthalt in Land mit Tollwutfällen
- Labordiagnostik beim Menschen
- Intra vitam
- Nachweis von Virus-RNA mittels RT-PCR (Speichel, Liquor, Epithelzellen der Cornea), häufig falsch-negative Ergebnisse
- Immunfluoreszenztest: Nachweis des Virusantigens aus Nackenhautbiopsie
- Liquor: Unspezifische lymphozytäre Pleozytose
- Post mortem
- Immunfluoreszenztest: Nachweis des Virusantigens im Gehirn
- Histopathologischer Nachweis von Negri-Körperchen im Gehirn
- Intra vitam
- Labordiagnostik beim tollwutverdächtigen Tier
- Post mortem: Nachweis des Virusantigens im Gehirn mittels Immunfluoreszenztest
- Histopathologischer Nachweis von Negri-Körperchen im Gehirn
Die Tollwut ist primär eine klinische Diagnose!
Therapie
- Die Erkrankung Tollwut ist nicht behandelbar
- Therapeutische Bedeutung hat die postexpositionelle Immunprophylaxe zur Prävention (→ siehe: Prävention der Tollwut)
- Symptomatische Therapie nach Bedarf
Prognose
- Letalität: Praktisch 100% [2]
Die Tollwut verläuft praktisch immer tödlich!
Prävention
- Präexpositionell
- Expositionsprävention: Kontakt zu Hunden und Wildtieren in Tollwutgebieten vermeiden, insb. bei Verhaltensauffälligkeiten und toten Tieren
- Bei Expositionsgefahr (berufs- oder reisebedingt): Tollwut-Impfung
- Postexpositionell
- Lokale Behandlung aller möglicherweise kontaminierten Körperstellen und Wunden
- Ggf. weitere Maßnahmen, siehe: Tollwut-Postexpositionsprophylaxe
Tollwut-Impfung
STIKO-Empfehlungen [3][4]
Bei der Abwägung der Impfindikationen sollten die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit der Tollwut-Impfung berücksichtigt werden!
Berufsbedingte Impfung
- Berufsgruppen mit hohem Expositionsrisiko
- Laborpersonal, das mit Tollwutviren arbeitet
- Bei direktem Umgang mit Tieren in Gebieten mit neu aufgetretener Wildtiertollwut
- Personen mit engem Fledermauskontakt
- Grundimmunisierung: Standardmäßig konventionelles Impfschema mit 3 Impfdosen (Tag 0, 7 und 21–28)
- Alternatives Schema (nur bei Immunkompetenz, aktuell keine STIKO-Empfehlung): 2 Impfdosen (Tag 0 und 7) [5][6]
- Schnellschema (nur für Rabipur® bei immunkompetenten Erwachsenen ≤65 Jahre empfohlen): 3 Impfdosen (Tag 0, 3 und 7)
- Impferfolgskontrolle: Bei berufsbedingter Tollwut-Impfung grundsätzlich empfohlen [3]
- Durchführung: Zweimalige Bestimmung der Anti-Tollwutvirus-Antikörper
- 2–4 Wochen nach letzter Impfdosis der Grundimmunisierung und
- 6 Monate nach 1. Kontrolle
- Im Weiteren ggf. Kontrollen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge
- Durchführung: Zweimalige Bestimmung der Anti-Tollwutvirus-Antikörper
- Auffrischungsimpfung: Bei anhaltender Indikation und Anti-Tollwutvirus-Antikörper <0,5 IE/mL 1 Impfdosis, siehe auch: Fachinformationen der Tollwut-Impfstoffe
Reiseimpfung [5][7]
- Indikationsstellung abhängig von Reiseziel und individueller Risikoabschätzung
- Bei Reisen in Länder mit Risiko für Hundetollwut (Afrika, weite Teile Asiens, Teile Mittel- und Südamerikas, für eine Karte siehe bspw.: [5]): Zusätzliche Risikoabschätzung, insb. über
- Dauer des Aufenthalts
- Reisen unter einfachen Bedingungen
- Besuch von Bekannten/Verwandten im Ausland („VFR“)
- Aktivitäten mit erhöhter Expositionsgefahr gegenüber Hunden
- Alter: Bei Kindern großzügige Indikationsstellung [5]
- Medizinische Versorgung vor Ort, Verfügbarkeit von Impfstoff und Immunglobulin
- Bei Reisen außerhalb von Westeuropa, Australien und Ozeanien: Vorhersehbarer Umgang mit Wildtieren oder krankheitsverdächtigen Heimtieren
- Weltweit: Vorhersehbarer Kontakt mit Fledermäusen
- Bei Reisen in Länder mit Risiko für Hundetollwut (Afrika, weite Teile Asiens, Teile Mittel- und Südamerikas, für eine Karte siehe bspw.: [5]): Zusätzliche Risikoabschätzung, insb. über
- Grundimmunisierung: Standardmäßig konventionelles Impfschema mit 3 Impfdosen (Tag 0, 7 und 21–28)
- Alternatives Schema (nur bei Immunkompetenz, aktuell keine STIKO-Empfehlung): 2 Impfdosen (Tag 0 und 7) [5][6]
- Schnellschema (nur für Rabipur® bei immunkompetenten Erwachsenen ≤65 Jahre empfohlen): 3 Impfdosen (Tag 0, 3 und 7)
- Impferfolgskontrolle: Nur bei Immundefizienz empfohlen, ansonsten bei reisemedizinischer Indikation nicht erforderlich [5]
- Durchführung: Bestimmung der Anti-Tollwutvirus-Antikörper 2–4 Wochen nach letzter Impfdosis der Grundimmunisierung
- Auffrischungsimpfung: Empfehlungen nicht einheitlich, Auffrischung nicht grundsätzlich nötig [7][8]
Jeglicher enger Kontakt mit Fledermäusen stellt eine Impfindikation dar!
Postexpositionelle Impfung
Auch bei vollständig präexpositionell geimpften Personen muss nach einer Exposition ggf. unverzüglich eine postexpositionelle Immunprophylaxe durchgeführt werden!
Impfschutz
- Langfristige Boosterfähigkeit nach vollständiger Grundimmunisierung (3 Impfdosen) bei immunkompetenten Personen [5]
Impfstoffe [#28939;90
Tollwut-Postexpositionsprophylaxe
Lokale Behandlung (alle Wunden und andere möglicherweise kontaminierte Körperstellen)
- Sofortige gründliche Reinigung über ≥15 min mit Seifenlösung, sorgfältiges Ausspülen mit Wasser und Behandlung mit antiseptischer Waschlösung (iod- oder alkoholhaltig)
- Ggf. Exzision der Wundränder [9]
- Kein Wundverschluss
Mögliche exponierte Körperstellen müssen immer lokal behandelt werden!
Postexpositionelle Immunprophylaxe bei Tollwutverdacht [5]
- Indikation und Umfang der Prophylaxe abhängig von Expositionsgrad und präexpositioneller Tollwut-Impfung (siehe: Tabelle)
-
Einschätzung des Tollwutrisikos beim Tier, das die Bisswunde zugefügt hat
- Tiere ohne Symptome mit Aufenthalt in tollwutfreiem Gebiet: Unbedenklich
- Tiere ohne Symptome unbekannter Herkunft bzw. in/aus nicht-tollwutfreiem Gebiet
- Postexpositionelle Prophylaxe bei Gebissenen
- Tier in Quarantäne
- Hund, Katze: 10 Tage
- Bleiben die Tiere in der Zeit der Quarantäne symptomfrei, kann eine Infektion im Nachhinein ausgeschlossen werden
- Fledermäuse: Prophylaxe nach Kontakt (gemäß Tabelle)
- Sehr hohe Schutzrate bei unverzüglicher Immunisierung [5]
- Beginn so schnell wie möglich, aufgrund der sehr variablen Inkubationszeit (<10 Tage bis >1 Jahr) Postexpositionsprophylaxe aber auch Wochen bis Monate nach Exposition sinnvoll
- Bei versäumter Immunglobulingabe beim ersten Impftermin: Nachholen bis zu 7 Tage nach der ersten Aktivimpfung noch sinnvoll
Postexpositionelle Immunprophylaxe bei Tollwutverdacht bei immunkompetenten Personen [3][5] | |||
---|---|---|---|
Grad der Exposition | Art der Tollwutexposition | Immunprophylaxe | |
Keine/unvollständige präexpositionelle Tollwut-Impfung | Vollständige präexpositionelle Tollwut-Impfung | ||
Grad I | Intakte Haut | Keine Impfung | |
Grad II | Nicht-intakte Haut (gilt nicht für Fledermäuse) | Aktivimpfung (an Tag 0, 3, 7, 14 und 28 nach Exposition [5] | Aktivimpfung mit 2 Impfdosen (Tag 0 und 3) |
Grad III | Tiefere Verletzungen oder Schleimhautkontakt oder Grad-II-Exposition durch Fledermaus | Simultanimpfung: Aktivimpfung und Passivimpfung (Tollwut-Immunglobulin) an Tag 0 [5] |
Auch vollständig geimpfte Personen müssen nach Tollwutexposition ≥Grad II behandelt werden! In diesem Fall erfolgt eine Aktivimpfung an Tag 0 und 3. Auf die Gabe von (je nach Aufenthaltsort nur unzureichend verfügbaren) Immunglobulinen kann verzichtet werden!
Bei Immundefizienz sollte ab einer Exposition Grad II unabhängig von einer vorherigen Immunisierung eine Simultanimpfung erfolgen!
Meldepflicht
- Arztmeldepflicht nach § 6 IfSG
- Namentliche Meldepflicht
- bei Verdachts-, Krankheits- oder Todesfällen
- bei Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tierkörpers
- Namentliche Meldepflicht
- Labormeldepflicht nach § 7 IfSG
- Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis
Meditricks
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Tollwut (Rabies)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- A82.-: Tollwut [Rabies]
- A82.0: Wildtier-Tollwut
- A82.1: Haustier-Tollwut
- A82.9: Tollwut, nicht näher bezeichnet
- Z20.3: Kontakt mit und Exposition gegenüber Tollwut
- Z24.2: Notwendigkeit der Impfung gegen Tollwut
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.