Abstract
Das Restless-Legs-Syndrom ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen und geht mit vermehrt in Ruhe auftretenden (also meist nächtlichen) Missempfindungen und Bewegungsdrang einher. Die Beschwerden bessern sich bei Bewegung. Es werden primäre Formen mit genetischer Prädisposition und sekundäre Formen (z.B. durch Eisenmangel oder Urämie) unterschieden. Der neurologische Untersuchungsbefund ist unauffällig. Bei Therapiebedürftigkeit erfolgt eine Behandlung mit L-Dopa und Dopaminagonisten, bei sekundären Formen muss die Grunderkrankung behandelt werden. Die Erkrankung weist eine gute Prognose auf: Pharmaka lindern die Beschwerden, müssen allerdings tlw. lebenslang eingenommen werden, sekundäre Formen sind bei kausaler Behandlung meist regredient.
Epidemiologie
Ätiologie
- Primär: Genetische Prädisposition im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren
- Sekundär
- Medikamentös bedingt: Neuroleptika, Antidepressiva, Metoclopramid
- Im Rahmen einer Schwangerschaft
- Im Rahmen einer Grunderkrankung
- Internistisch: Eisenmangel, Niereninsuffizienz (mit oder ohne Urämie)
- Neurologisch: Polyneuropathien
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie des Restless-Legs-Syndroms ist nicht eindeutig geklärt. Veränderungen in der dopaminergen Neurotransmission im ZNS werden vermutet.
Symptome/Klinik
Diagnosekriterien nach der „International Restless Legs Syndrome Study Group“
- Minimalkriterien (obligat)
- Bewegungsdrang der Beine (seltener der Arme) und sensible Störungen (Missempfindungen, Kribbeln, Schmerzen) in den betroffenen Extremitäten
- Auftreten und Verstärkung der Symptomatik in Ruhe
- Besserung oder vollständige Rückbildung der Symptome bei Bewegung
- Periodische Rhythmik mit Verstärkung der Symptomatik abends und nachts
- Supportive Kriterien (nicht obligat)
- Ansprechen auf Gabe von L-Dopa
- Positive Familienanamnese
- Periodische Beinbewegungen im Schlaf
- Häufig assoziierte Befunde
- Schlafstörungen
- Initial fluktuierender Verlauf, der später kontinuierlich voranschreitet
- Unauffälliger neurologischer Untersuchungsbefund
Diagnostik
Die Diagnose wird aufgrund der Anamnese gestellt, eine Besserung nach Gabe von L-Dopa (L-Dopa-Test) bestätigt sie. Die weitere Zusatzdiagnostik kann ein sekundäres Restless-Legs-Syndrom sowie Differentialdiagnosen abgrenzen.
Klinisch-neurologische Untersuchung
- Unauffälliger Befund
- Bei begleitender Polyneuropathie: Vorliegen entsprechender Symptome wie etwa distale Sensibilitätsstörungen, Areflexie und andere Defizite
- Selbsteinschätzung des Patienten: Standardisierte Befragung nach der International RLS Severity Scale (IRLS)
- Siehe auch: Tipps und Links – ILRS
Labordiagnostik
- Ausschluss sekundärer Formen
- Eisenmangel: Blutbild und Ferritin
- Nierenfunktion: Retentionsparameter (Harnstoff, Kreatinin), ggf. Kreatinin-Clearance
- Weitere zur Symptomatik beitragende Faktoren
- Hyperthyreose (TSH)
- Hypovitaminosen (insb. Vitamin B12 und Folsäure) bei V.a. Mangelzustände
- Weitere Labordiagnostik bei Verdacht auf zugrundeliegende Polyneuropathie
L-Dopa-Test
- Probatorisch einmalige abendliche Gabe von L-Dopa + Decarboxylasehemmer
- Bei Ansprechen auf die Medikation gehen die Missempfindungen und der Bewegungsdrang zurück
- Ein Nichtansprechen schließt ein RLS jedoch nicht sicher aus
Zusatzdiagnostik
- Polysomnographie
- Indikation: Zur Abgrenzung gegenüber einem Schlafapnoe-Syndrom und assoziierten Bewegungsstörungen, insb. wenn die RLS-Therapie nicht anspricht sowie bei jungen Patienten vor Beginn einer Dauertherapie
- Atypisches RLS (kein Ansprechen auf dopaminerge Therapie, Schlaflosigkeit unter Therapie)
- Junge Patienten mit schwerer Symptomatik vor Beginn einer Dauertherapie
- Ausgeprägte Tagesmüdigkeit ohne deutliche RLS-Symptomatik
- Verdacht auf schlafbezogene Atmungsstörungen, ggf. begleitend zum RLS
- Befunde beim RLS
- Verlängerte Einschlafdauer
- Fragmentiertes Schlafprofil mit häufigem Wechsel der Schlafphasen
- Erhöhter Anteil an Schlafstadium I
- Häufige Wachphasen
- Indikation: Zur Abgrenzung gegenüber einem Schlafapnoe-Syndrom und assoziierten Bewegungsstörungen, insb. wenn die RLS-Therapie nicht anspricht sowie bei jungen Patienten vor Beginn einer Dauertherapie
- Elektrophysiologie
Differenzialdiagnosen
- Akathisie
- Nächtliche Wadenkrämpfe
- Polyneuropathie
- Periodic Limb Movement Disorder (PLMD, Periodic Limb Movements in Sleep, PLMS)
- Klinik
- Schlafstörungen oder Tagesmüdigkeit
- Kein Bewegungsdrang
- Keine Missempfindungen
- Diagnostik
- Ausschluss anderer schlafbezogener Erkrankungen , keine erklärenden internistischen Erkrankungen
- Ausschluss Medikamentennebenwirkung
- Ausschluss Substanzmissbrauch
- Polysomnographie: Periodische Bewegungen der Beine im Schlaf (PLMS) , mehr als 15 pro Stunde Schlaf (PLMS-Index)
- Therapie : Dopaminerge Therapie wie beim RLS als Therapieversuch
- Klinik
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Restless-Legs-Syndrom - Allgemeine Therapieprinzipien
-
Absetzen/reduzieren potentiell verstärkender oder auslösender Medikamente (Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
- Antidepressiva, z.B. Mirtazapin, Citalopram, Fluoxetin, Mianserin, Paroxetin oder Sertralin
- Cimetidin
- Flunarizin
- Lithium
- Neuroleptika (Clozapin, Haloperidol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon)
- Moderates körperliches Training
- Ablenkende Aktivitäten bei abendlicher Symptomatik
- Koffein-Abstinenz
- Schlafhygiene
Behandlung von Auslösern des sekundären RLS
- Eisenmangel: Eine Substitution wird bei Nachweis eines Eisenmangels empfohlen
- Niereninsuffizienz: Ggf. Optimierung der Behandlung
Restless-Legs-Syndrom - Medikamentöse Therapie
- Therapie der Wahl: Dopaminerge Therapien sind bei den meisten Fällen des RLS wirksam, eingesetzt werden L-Dopa (+ Decarboxylase-Hemmer) oder Dopaminagonisten
- Therapieindikation: Individueller Leidensdruck
- Nebenwirkungen
- Augmentation: Verschlechterung der Symptomatik durch dopaminerge Wirkstoffe, wichtige, ggf. therapielimitierende Nebenwirkung
- Definition: Zunahme, Ausbreitung und/oder früherer tageszeitlicher Beginn der Krankheitssymptome
- Vorkommen: Häufiger bei Therapie mit L-Dopa, seltener auch bei Therapie mit Dopaminagonisten
- Prävention
- Verwendung der kleinsten, aber ausreichend wirksamen Dosis
- Therapiedauer limitieren: Mit zunehmender Therapiedauer erhöht sich das Risiko für das Auftreten einer Augmentation.
- Eisensubstitution: Bei Eisenmangel verbessert die Eisensubstitution auch die Wirksamkeit der dopaminergen Therapie
- Therapeutisches Management
- Umstellung auf Dopaminagonisten bei Auftreten unter L-Dopa-Therapie
- Alternative Therapiekonzepte („off-label“) bei Auftreten unter Therapie mit Dopaminagonisten
- Weitere Nebenwirkungen siehe: Parkinson-Medikamente
- Augmentation: Verschlechterung der Symptomatik durch dopaminerge Wirkstoffe, wichtige, ggf. therapielimitierende Nebenwirkung
- Alternative Therapien: Anwendung nicht in dieser Indikation zugelassener Substanzen („off-label“) zur Symptomkontrolle (insb. Opioide, Benzodiazepine, Antikonvulsiva)
L-Dopa + Decarboxylasehemmer
- Indikation: Leichte bzw. intermittierende Beschwerden (durchschnittlich max. 2×/Woche) mit Leidensdruck (IRLS <15 Punkte)
- Verordnung
- Therapiehinweise
- Einnahme 1 Stunde vor Nachtruhe
- Bei Erwachen im Laufe der Nacht: Ergänzung einer retardierten Formulierung möglich
- Unretardiertes L-Dopa + Benserazid und L-Dopa + Benserazid retard
- Bedarfsmedikation möglich: Bspw. vor längerem Sitzen bei Veranstaltungen oder Flügen
- Häufig Wirkverlust bei Langzeitbehandlung
- Ausschleichen bei Umstellung/Absetzen
Dopaminagonisten
- Indikation: Mittel- bis schwergradige Beschwerden (IRLS ≥ 15) und/oder Auftreten einer Augmentation oder eines Wirkverlustes unter L-Dopa
- Wirkstoffe: Pramipexol, Ropinirol und Rotigotin
- Pramipexol: Einnahme 2 Stunden vor dem üblichen Symptombeginn, die Tagesdosis kann bei Bedarf aufgeteilt werden (später Nachmittag und früher Abend)
- Ropinirol: Einnahme ca. 90 Minuten vor dem üblichen Symptombeginn, die Tagesdosis kann bei Bedarf aufgeteilt werden (später Nachmittag und früher Abend)
- Rotigotin: Transdermale Resorption nach Applikation über den Wirkstoff freisetzende Pflaster (transdermales therapeutisches System), der Aufklebeort sollte täglich gewechselt und eine direkte Sonneneinstrahlung auf das Pflaster gemieden werden
- Management einer Augmentation: Für die Augmentation besteht unter Dopaminagonisten ein geringeres Risiko gegenüber einer L-Dopa-Therapie.
- Umstellung auf Off-Label-Medikation
- Umstellung auf anderen Agonisten, insb. Rotigotin-Pflaster
- Aufteilung der Dopaminagonisten-Dosis (später Nachmittag/früher Abend)
Alternative medikamentöse Therapie
- Größtenteils keine Zulassung in Deutschland (Ausnahme: Oxycodon/Naloxon, Targin®), daher Einsatz als Off-Label-Therapie (besondere Aufklärung des Patienten!)
- Anwendungsszenarien
- Opioide: Insb. bei unzureichendem Ansprechen und/oder Auftreten einer Augmentation unter dopaminagonistischer Therapie
- Antikonvulsiva: Insb. bei RLS mit Beschwerden einer begleitenden Polyneuropathie
- Benzodiazepine: Insb. bei anhaltender Insomnie (in Einzelfällen)
- Opioide
- Antikonvulsiva
- Benzodiazepine bzw. Benzodiazepin-ähnliche Substanzen
- Benzodiazepine als Kurzzeittherapie
- Zolpidem
Therapie in der Schwangerschaft
Prognose
- Gutes Ansprechen auf Pharmakotherapie
- Dosisreduktion bzw. Auslassversuche bei Fluktuationen im frühen Krankheitsverlauf möglich
- Aufgrund langsamer Progredienz häufig lebenslange Therapie nötig
- Sekundäre Formen
- Restless-Legs-Syndrom bei Schwangeren nach Entbindung häufig regredient
- Regredienz bei Eisensubstitution und erfolgreicher Niereninsuffizienz-Therapie möglich
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir dir Videos zum Einprägen relevanter Fakten an. Die Inhalte sind vielfach auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend. Viele Meditricks gibt es in Lang- und Kurzfassung zur schnelleren Wiederholung. Eine Übersicht über alle Videos findest du in dem Kapitel Meditricks.
Restless-Legs-Syndrom
Periodic Limb Movement Disorder
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Patienteninformationen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2022
- G25.-: Sonstige extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
- G25.0: Essentieller Tremor (familiärer Tremor)
- G25.1: Arzneimittelinduzierter Tremor
- G25.2: Sonstige näher bezeichnete Tremorformen (Intentionstremor)
- G25.3: Myoklonus
- G25.4: Arzneimittelinduzierte Chorea
- G25.5: Sonstige Chorea
- G25.6: Arzneimittelinduzierte Tics und sonstige Tics organischen Ursprungs
- G25.8-: Sonstige näher bezeichnete extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
- G25.80: Periodische Beinbewegungen im Schlaf (Periodic Limb Movements in Sleep, PLMS)
- G25.81: Syndrom der unruhigen Beine (Restless-Legs-Syndrom)
- G25.88: Sonstige näher bezeichnete extrapyramidale Krankheiten und Bewegungsstörungen
- Akathisie (behandlungsinduziert, medikamenteninduziert)
- Stiff-man-Syndrom (Muskelstarre-Syndrom)
- G25.9: Extrapyramidale Krankheit oder Bewegungsstörung, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2022, DIMDI.