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Herpes-simplex-Enzephalitis

Letzte Aktualisierung: 11.1.2023

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Die Herpes-simplex-Enzephalitis (HSVE) ist eine akute nekrotisierend-hämorrhagische Entzündung insb. der Temporallappen und benachbarter Strukturen infolge einer Infektion mit Herpesviren. Bei Erwachsenen ist sie meist auf das Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1) zurückzuführen. Die Erkrankung beginnt mit Fieber und Kopfschmerzen; nach einigen Tagen kann sich ein vielseitiges Bild mit Wesensveränderungen, Bewusstseinsstörungen und fokal-neurologischen Defiziten zeigen. Als Komplikationen können epileptische Anfälle und/oder ein erhöhter Hirndruck auftreten.

Im MRT zeigen sich typischerweise temporale Läsionen. Der Liquor ist entzündlich verändert. Zur Diagnosesicherung dient der Erregernachweis mittels PCR aus dem Liquor. Bereits bei klinischem Verdacht muss die sofortige antivirale i.v. Therapie mit Aciclovir begonnen werden. Auch mit optimaler Therapie besteht eine hohe Letalität von 10–20%. Bei etwa der Hälfte der Überlebenden verbleiben dauerhafte Schäden, wie etwa kognitive Defizite und Verhaltensauffälligkeiten.

  • Inzidenz: 2–4/1.000.000 Einwohner pro Jahr in Westeuropa [1]
  • Geschlecht: Keine geschlechtsspezifischen Unterschiede

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

  1. Entweder HSV-Primärinfektion oder -Reaktivierung [3]
  2. Hämorrhagisch-nekrotisierende Entzündung in den Temporallappen und in benachbarten ZNS-Strukturen
  3. Spezifische Immunreaktion führt zur Apoptose von infizierten Zellen und trägt zur Schädigung des Hirngewebes bei

Zweiphasiger Krankheitsverlauf

  1. Prodromalstadium mit Allgemeinsymptomen (über wenige Tage, gelegentlich mit kurzer Phase der Besserung)
  2. Neurologische und psychiatrische Symptomatik (zusätzlich)

Die häufigsten Symptome der Herpes-simplex-Enzephalitis sind Kopfschmerzen, Fieber und Bewusstseinsstörungen.

Nachfolgend sind die speziell bei HSV-Enzephalitis typischen zu erwartenden Befunde dargestellt.

Bildgebung des Kopfes

  • Charakteristisch: Meist bilaterale, asymmetrische Befunde in den Temporallappen, teils mit Einbeziehung des limbischen Systems (Gyrus cinguli, Hippocampus) und der Inselregion, Ausdehnung nach frontobasal
  • MRT
    • Methode der Wahl zum Nachweis krankheitsspezifischer Läsionen
    • Frühzeitig frontotemporal hyperintense Läsionen (T2- und FLAIR-Sequenzen) bzw. hypointense Läsionen (T1-Sequenz)
    • Ödematös geschwollenes Parenchym mit Aufhebung der Mark-Rinden-Differenzierung
    • Hämorrhagische Imbibierung (T2*-Sequenz am sensitivsten: Hypointens)
    • T1-Sequenz mit Kontrastmittel: Etwa nach einer Woche gyriforme KM-Aufnahme
  • CT (nativ)
    • In Akutsituation ggf. sinnvoll zum differenzialdiagnostischen Ausschluss anderer Ursachen für schwere Bewusstseinsstörung und zur Einschätzung einer Einklemmungsgefahr vor LP
    • Zu Erkrankungsbeginn(Tag 1–4) unauffällig
    • Im Verlauf ödematös geschwollene, hypodense Areale an den o.g. Prädilektionsstellen, ggf. mit hämorrhagischer Imbibierung (hyperdens)

Liquordiagnostik

EEG

In der Gesamtschau der klinischen Befunde sind die EEG-Veränderungen verdächtig, aber nicht spezifisch für eine Herpes-simplex-virus-Enzephalitis. [2]

  • Frontotemporaler Herdbefund, insb. mit Sharp-slow-Waves-Komplexen, ein- oder beidseitig, mit periodischen lateralen epileptiformen Entladungen (PLEDS), Intervalldauer alle 2 Sekunden
  • Häufig generalisierte EEG-Rhythmusverlangsamung

Die antivirale Therapie mit Aciclovir beginnt bei klinischem Verdacht auf eine Herpes-simplex-Enzephalitis, nicht erst bei vorliegenden Befunden!

Bei Meningoenzephalitis-Verdacht und Temporallappenbefall in der Bildgebung sollte immer an eine Herpesenzephalitis gedacht werden!

Eine negative HSV-PCR – insb. in der Frühphase der Erkrankung – begründet bei Verdacht auf eine HSV-Enzephalitis keinen Therapieabbruch. Die Therapie sollte fortgesetzt und nach einigen Tagen eine Kontrollpunktion durchgeführt werden. Die Aciclovirtherapie beeinflusst das Ergebnis der PCR in der ersten Woche nicht!

  • Makroskopie: Typisches bilaterales, asymmetrisches Verteilungsmuster der Entzündung mit sichtbaren Nekrosen v.a. im Temporallappen
    • Bei Überleben ohne erfolgreiche Therapie: Resorption der Nekrose mit Zurückbleiben bräunlicher Defekthöhle
  • Mikroskopie
    • Nekrotisierend-hämorrhagische Entzündung über makroskopisch betroffene Areale hinausgehend, ab zweiter Woche mit mononukleären Infiltraten
    • Stauungen kapillärer Gefäße mit Petechien
    • Teilweise eosinophile Kerneinschlusskörper in den Neuronen (Cowdry-Bodies, etwa bei der Hälfte der Patienten)
    • Im späten Verlauf astrozytäre Gliose

Das klinische Bild einer Enzephalitis (Allgemeinsymptome wie Fieber und Kopfschmerzen, im Verlauf dann Bewusstseinsstörungen, epileptische Anfälle und fokale Defizite), ggf. mit meningealen Reizzeichen (Meningoenzephalitis), lässt zahlreiche Differenzialdiagnosen zu:

(Meningo‑)Enzephalitis durch weitere Erreger (Auswahl)

Autoimmunenzephalitis

  • Bspw. als limbische Enzephalitis
    • Typischer MRT-Befund: Temporomediale, auch multifokale Hyperintensitäten in T2 und FLAIR
    • Bspw. mit Antikörpern gegen Leucine-rich Glioma-inactivated Protein 1 (LGI-1)
      • Assoziiert mit faziobrachialen dystonen Anfällen
        • Meist einseitige und sehr kurze arm- und beinbetonte Muskelanspannung, bis zu 200 Anfälle pro Tag
        • Schlechtes Ansprechen auf Antikonvulsiva
  • Therapie: Frühzeitige Immuntherapie primär mit Glucocorticoiden

Sinusvenenthrombose

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Herpes-simplex-Enzephalitis - Antivirale Therapie

Die Gabe von Aciclovir i.v. ist bereits bei Verdacht auf eine Herpes-simplex-Enzephalitis indiziert!

Weitere Therapiemaßnahmen

  • Hohe Letalität
    • Mit Therapie: 10–20%
    • Unbehandelt: 70–80%
  • Residuen bei etwa der Hälfte der Überlebenden mit Therapie: Insb. kognitive Defizite (Gedächtnisstörungen) und Verhaltensauffälligkeiten
  • Bei fast allen Betroffenen bleiben ohne Therapie mittelschwere bis schwere Residuen

Der schnelle Beginn der Therapie mit Aciclovir i.v. ist wesentlich für die Prognose; eine Verzögerung ist mit einem schlechteren Outcome assoziiert!

Gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht keine bundesweite Meldepflicht für HSV.

In Kooperation mit Meditricks bieten wir dir Videos zum Einprägen relevanter Fakten an. Die Inhalte sind vielfach auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend. Viele Meditricks gibt es in Lang- und Kurzfassung zur schnelleren Wiederholung. Eine Übersicht über alle Videos findest du in dem Kapitel Meditricks.

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Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

  1. S1-Leitlinie Virale Meningoenzephalitis. Stand: 14. Januar 2018. Abgerufen am: 10. Juni 2020.
  2. Hufschmidt et al.: Neurologie compact. 8. Auflage Thieme 2020, ISBN: 978-3-132-43448-6 .
  3. Zettl, Sieb: Diagnostik und Therapie neurologischer Erkrankungen. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH 2020, ISBN: 978-3-437-21883-5 .
  4. Steiner et al.: Use of PCR technology for the diagnosis of infections of the nervous system In: European Journal of Neurology. Band: 19, Nummer: 10, 2012, doi: 10.1111/j.1468-1331.2012.03808.x . | Open in Read by QxMD .
  5. Gnann et al.: Herpes Simplex Encephalitis: Lack of Clinical Benefit of Long-term Valacyclovir Therapy In: Clinical Infectious Diseases. Band: 61, Nummer: 5, 2015, doi: 10.1093/cid/civ369 . | Open in Read by QxMD .
  6. S1-Leitlinie Virale Meningoenzephalitis. Stand: 31. Oktober 2014. Abgerufen am: 19. September 2016.
  7. Brandt et al.: Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. 6. Auflage Kohlhammer 2012, ISBN: 3-170-21674-0 .
  8. Linn et al. (Hrsg.): Atlas Klinische Neuroradiologie des Gehirns. 1. Auflage Springer 2011, ISBN: 978-3-540-89568-8 .
  9. Bradshaw, Venkatesan: Herpes Simplex Virus-1 Encephalitis in Adults: Pathophysiology, Diagnosis, and Management In: Neurotherapeutics. Band: 13, Nummer: 3, 2014, doi: 10.1007/s13311-016-0433-7 . | Open in Read by QxMD .
  10. Steiner et al.: The neurotropic herpes viruses: herpes simplex and varicella-zoster In: Lancet Neurology. Band: 6, Nummer: 11, 2007, doi: 10.1016/S1474-4422(07)70267-3 . | Open in Read by QxMD .
  11. Steiner et al.: Viral meningoencephalitis: a review of diagnostic methods and guidelines for management Band: 17, Nummer: 8, 2010, doi: 10.1111/j.1468-1331.2010.02970.x . | Open in Read by QxMD .
  12. Steiner, Benninger: Update on Herpes Virus Infections of the Nervous System In: Current Neurology and Neuroscience Reports. Band: 13, Nummer: 12, 2013, doi: 10.1007/s11910-013-0414-8 . | Open in Read by QxMD .