Zusammenfassung
Das Analekzem (auch: perianale Dermatitis, perianales Ekzem) ist eine akute bis chronische entzündliche Erkrankung des Anus und der perianalen Haut multifaktorieller Genese. Analekzeme treten häufig auf. Konkrete Prävalenzdaten sind jedoch nicht verfügbar, da keine spezifische ICD-Kodierung existiert. Es wird ätiologisch in toxisch-irritativ, atopisch und kontaktallergisch unterteilt; häufig bestehen allerdings Mischformen. Gemeinsame Entstehungsmechanismen sind Barriereschäden, eine fehlgeleitete Immunantwort, der Juckreiz-Kratz-Zyklus und eine mikrobielle Dysbiose, die bei Persistenz zur Chronifizierung führen können. Klinisch zeigt sich das akute Analekzem nässend mit Erythem, Schmerzen, Ödem, Vesikeln und Brennen. Das chronischen Analekzem ist jedoch trocken; es können Lichenifikation, Schuppung, Fissuren und Pigmentveränderungen auftreten. Juckreiz ist sowohl im akuten als auch im chronischen Stadium vorhanden. Die Therapie umfasst eine sanfte Hygiene, die Behandlung von Grunderkrankungen, Barrieresalben, topische Glucocorticoide und Calcineurininhibitoren. Eine systemische Therapie ist nur in Ausnahmefällen beim atopischen Analekzem indiziert. Mögliche Komplikationen sind Sekundärinfektionen, Fissuren, Rezidive, eine Chronifizierung und psychosoziale Belastung.
Ätiologie
- Multifaktorielle Genese mit prädisponierenden Faktoren [1][2]
- Intrinsische Faktoren
- Atopische Diathese [3]
- Anatomische Faktoren
- Proktologische Erkrankungen
- Autoimmunerkrankungen
- Extrinsische Faktoren [4][5][6][7][8][9]
- Mechanische Irritation
- Chemische Irritation
- Infektion
- Allergene
- Intrinsische Faktoren
- Unterteilung in unterschiedliche Formen: Abhängig von den hauptsächlich auslösenden Faktoren [1]
- Irritativ-toxisches Analekzem: Insb. bei mechanischer oder chemischer Reizung
- Atopisches Analekzem: Bei atopischer Diathese, Störung der Hautbarriere und Sekundärinfektion
- Kontaktallergisches Analekzem: Bei Allergenen (Typ-IV-Reaktion) [2]
In der Literatur finden sich unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit dieser Subtypen! Zumeist wird die irritativ-toxische Form als dominierend beschrieben. [1][7][10]
Häufig treten auch Mischformen auf (Überlappungsphänomen)! [1][11]
Pathophysiologie
- Grundlage
- Primär feuchtes Mikroklima
- Prädisponierende Faktoren, siehe auch: Ätiologie des Analekzems
- Ergebnis: Barrierestörung der perianalen Haut
- Folgen der Barrierestörung [10][12][13]
- Aktivierung des Immunsystems → Proinflammatorische Zytokine↑ → Aktivierung von Langerhans-Zellen und T-Lymphozyten
-
Irritativ-toxisches Analekzem
- Sowohl TH1- als auch TH2-Zellen
- Aktivierung einer nur geringen Anzahl an T-Lymphozyten
- Atopisches Analkezem
- TH2-Zellen im akuten Stadium und TH1-Zellen im chronischen Stadium
- Verstärkung der Barrierestörung durch reduzierte Produktion antimikrobieller Peptide sowie verringerter Expression von Strukturproteinen [14][15]
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Kontaktallergisches Analekzem
- Antigen-spezifische TH1-Zellen (Typ-IV-Reaktion)
- Verzögertes Auftreten des Analekzems
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Irritativ-toxisches Analekzem
- Juckreiz → Mechanische Irritation (Kratzreaktion) → Verstärkung der Barrierestörung (Juckreiz-Kratz-Zyklus) [7]
- Mikrobielle Dysbiose → Erleichterte Besiedelung mit Bakterien oder Pilzen → Weitere Barrierestörung und Entzündungsreaktion↑ [12][16][17]
- Aktivierung des Immunsystems → Proinflammatorische Zytokine↑ → Aktivierung von Langerhans-Zellen und T-Lymphozyten
- Morphologische Veränderungen [18]
- Lichenifikation
- Rhagaden
- Postinflammatorische Depigmentierung
Das Analekzem beruht auf einer Kombination aus Barriereschaden, fehlgeleiteter Immunantwort, selbstverstärkendem Juckreiz-Kratz-Zyklus und mikrobieller Dysbiose!
Symptomatik
- Leitsymptom: Juckreiz
- Typische zeitliche Symptomatik [17]
- Akutes Stadium: Exsudation (nässend) [7]
- Chronisches Stadium: Hyperkeratose mit Schuppenbildung (trocken)
- Lichenifikation
- Analfissuren, Rhagaden
- Hypo- oder Hyperpigmentierung
- Ggf. persistierende Schmerzen [7]
- Typische ätiologiespezifische Symptomatik [19]
- Irritativ-toxisches Analekzem
- Akuter oder chronischer Verlauf
- Unscharf begrenzt, flach-ulzerativ
- Erythematös bis erosiv-nässend
- Selten milde Ausdehnung nach genital, inguinal und zur Oberschenkelinnenseite
- Atopisches Analekzem
- Meist chronischer Verlauf
- Häufig unilateraler Befall
- Sehr starker (nächtlicher) Juckreiz
- Ggf. Ausdehnung zur Skrotalwurzel bzw. zu den Labien [20]
- Kontaktallergisches Analekzem
- Meist akuter Verlauf
- Infiltrierte Rötung, ggf. erosiv
- Auf Kontaktbereich begrenzt, ggf. Streuphänomene im Randbereich
- Irritativ-toxisches Analekzem
Das Analekzem ist im akuten Zustand nässend und im chronischen Zustand trocken, während der Juckreiz in beiden Stadien auftritt!
Diagnostik
Anamnese [1][2][10][16]
- Beschwerden
- Vorerkrankungen: Atopische Dermatitis, Allergien, chronische Erkrankungen, Inkontinenz
- Ernährung [17]
- Triggern von Schüben bei atopischer Prädisposition durch bestimmte Nahrungsmittel [21]
- Ballaststoffe
- Reizende Lebensmittel (scharf, sauer, stark gewürzt)
- Hygieneprodukte [22][23]
- Feuchttücher
- Intimwaschlotionen, -schäume, -gele, -deos
- Binden, Vorlagen, Windeln
- Seifen, Duschgele
- Desinfektionsmittel
- Badeöl, Sitzbadzusätze
- Pflegeprodukte: Salben, Cremes [22][24]
- Haushaltschemikalien und Textilien
- Waschmittel, Weichspüler
- Synthetische Unterwäsche
- Medikamente: Insb. topische Medikamente im Analbereich
Klinische Untersuchung [1][16][25]
- Inspektion: Erythem, Ödem, Vesikel, Exsudation, Lichenifikation, Rhagaden, Krusten
- Palpation, inkl. digital-rektaler Untersuchung
- Schmerzpunkte oder Druckempfindlichkeit
- Knoten oder Verhärtungen
- Tonus der Schließmuskulatur
Weiterführende Diagnostik [1][2][7][10]
- Indikation: Insb. bei unklaren oder therapieresistenten Fällen
- Vorgehen
- Proktoskopie: Insb. zum Ausschluss anorektaler Erkrankungen
- Ggf. Rekto-, Kolo- oder Gastroduodenoskopie: Bei unklaren Blutungen, Schleimabgängen oder Defäkationsstörungen
- Ggf. Abstrich: Ausschluss von Infektionen
- Ggf. Allergietest, bspw. Epikutantest (Patch-Test): Bei V.a. Typ-IV-Kontaktallergie
- Ggf. Hautbiopsie: Insb. zum Ausschluss neoplastischer oder anderer dermatologischer Erkrankungen
Eine Proktoskopie sollte bei jedem Analekzem durchgeführt werden! Bei unklaren anorektalen Blutungen, Schleimabgängen oder Defäkationsstörungen sollte zusätzlich eine Rektoskopie oder Koloskopie erwogen werden! [1][17][26][27]
Differenzialdiagnosen
| Typische Differenzialdiagnosen des Analekzems [1][2][10][25][28] | |||
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| Einteilung | Erkrankung | Typische Befunde | Diagnostische Abgrenzung zum Analekzem |
| Infektiös oder parasitär |
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| Nicht-infektiös |
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| Systemisch |
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| Neoplastisch |
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AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapiealgorithmus [1][10][18]
| Übersicht ätiologieadaptierter Maßnahmen beim Analekzem | |||
|---|---|---|---|
| Behandlung | Analekzem | ||
| Irritativ-toxisch | Atopisch | Kontakallergisch | |
| Grundgedanke |
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| Akutes Stadium |
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| Chronisches Stadium |
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Allgemeine Maßnahmen [1][2][10][18][25]
- Behandlung von Grunderkrankungen
- Beseitigung irritativer Faktoren
- Stuhlregulation: Obstipation oder Diarrhö behandeln
- Mechanische Reize reduzieren
- Allergene vermeiden
- Hygiene: Mit Wasser sanft reinigen und anschließend trocknen [42][43]
- Keine aggressive Seife
- Keine abrasiven Reinigungsprodukte
- Hautschutz: Barrieremaßnahmen
- Reine Vaseline, Zinklotion oder -paste, Unguentum emulsificans aquosum , lanolinhaltige Salben [44][45][46]
- Symptomlinderung: Phytotherapeutika anwenden
- Kamillen- oder Schwarzteekompresse (sehr geringes bis geringes Allergiepotenzial) [10][22][47]
- Aloe-Vera-Gel, Calendulacreme, Mentholsalbe (geringes Allergiepotenzial) [7][22][47]
- Kampfersalbe (geringes bis mittleres Allergiepotenzial) [1][19]
- Amur-Korbaumrinde, Baikal-Helmkraut (geringes bis unbekanntes Allergiepotenzial) [16]
Auch Phytotherapeutika selbst können eine Sensibilisierung und somit ein kontaktallergisches Ekzem hervorrufen oder unterhalten!
Die Beseitigung irritativer Faktoren und die nicht-medikamentöse Behandlung sind die Basis jeder Therapie. Eine spezifische topische oder symptomatische Behandlung sollte nur bei Nicht-Ansprechen durchgeführt werden!
Topische Behandlung [1][2][7][10][18][25][48]
- Indikation
- Akute Beschwerden bei entzündlichem Befund
- Persistierende Beschwerden nach Durchführung allgemeiner Maßnahmen
- Anwendungsform
- Abhängig von Akuität
- Akut: Eher Cremes und Lotionen
- Chronisch: Eher hydrophile Pasten, ggf. auch mit fettiger Basis
- Abhängig von Lokalisation
- Behaarte Areale: Eher Lotionen
- Anoderm : Eher Pasten oder Salben
- Abhängig von Akuität
Medikamente [1][20]
- Glucocorticoide
- Indikation: Insb. akutes Stadium bei irritativ-toxischem und atopischem Typ
- Anwendung: 1–2×/d für max. 4 Wochen
- Therapievorschlag: Schwaches bis mittelstarkes Präparat [18]
- Cortison der Klasse I, bspw. Hydrocortison (schwach wirksam)
- Cortison der Klasse II, bspw. Prednicarbat (mittelstark wirksam)
- Calcineurininhibitoren
- Indikation
- Anwendung
- Therapievorschlag [49]
- Pimecrolimus (für milde bis moderate Ekzeme)
- Tacrolimus (für mittelschwere bis schwere Ekzeme)
- Antibiotika und Antimykotika
- Indikation: Bei sekundärer Infektion
- Anwendung: Auswahl des Präparats abhängig vom mikrobiologischen Befund
- Therapievorschlag: Zunächst Antiseptika, dann ggf. topische Antibiotika oder Antimykotika
Systemische Behandlung [20]
- Indikation: Schweres oder therapieresistentes atopisches Analekzem
- Präparate
- Systemische Glucocorticoide: Bspw. Prednisolon
- Nicht-steroidale Immunsuppressiva: Bspw. Ciclosporin , Methotrexat
- Biologicals: Bspw. Dupilumab
Die systemische Therapie ist keine primäre Behandlungsoption und kommt nur in Betracht bei schwerem oder therapieresistentem atopischen Analekzem!
Komplikationen
- Sekundärinfektionen
- Chronifizierung: Risikofaktoren für einen chronischen Verlauf
- Geschwächtes Immunsystem (bspw. Diabetes, Immunsuppression)
- Atopische Veranlagung
- Fortbestehender Juckreiz-Kratz-Zyklus [50]
- Langfristige oder unsachgemäße Anwendung kortisonhaltiger Salben im Analbereich
- Rezidivierende lokale Superinfektionen
- Fortgesetzte Exposition gegenüber Reizstoffen oder Allergenen
- Persistierende proktologische Grunderkrankungen
- Fissuren
- Persistierende Schmerzen
- Rezidive
- Psychosoziale Belastung
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- L29.0 - Pruritus ani
- L30.4 - Erythematöses intertriginöses Ekzem
- L30.9 - Ekzem, nicht näher bezeichnet
Das Analekzem selbst ist in der ICD-10 nicht als Einzelcode definiert, sondern wird unter den hier angegebenen Kategorien klassifiziert.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.