Zusammenfassung
Das Analkarzinom ist ein eher seltener Tumor mit zunehmender Inzidenz. Man unterscheidet dabei je nach Lokalisation das Analkanal- und das Analrandkarzinom. Infektionen mit HPV-Typ 16, 18 oder 33 gelten als bedeutsamster Risikofaktor und sind mit über 90% aller Analkarzinome assoziiert. Die Klinik ist häufig unspezifisch; mögliche Symptome sind Blutungen, Juckreiz, Druckgefühl und Schmerzen. Histologisch handelt es sich überwiegend um Plattenepithelkarzinome. Die Therapie erfolgt stadienabhängig. Die Radiochemotherapie mit 5-Fluoruracil und Mitomycin gilt als Standardtherapie.
Stadienabhängig weist das Analkarzinom bei entsprechender Therapie eine relativ gute Prognose auf.
Epidemiologie
- Häufigkeit: <5% aller malignen Neubildungen des Gastrointestinaltrakts [1]
- Inzidenz: Zunehmend, 1–2/100.000 Einwohner:innen/Jahr [1]
- Geschlechterverteilung
- Analkanalkarzinom: ♀ > ♂
- Analrandkarzinom: ♂ > ♀
- Altersgipfel: Um das 60. Lebensjahr
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Entstehung: Aus vorbestehenden intraepithelialen Neoplasien
- Risikofaktoren
- Infektionen mit dem Humanen Papillomavirus Typ 16, 18 und 33 [1]
- Analer (rezeptiver) Geschlechtsverkehr, insb. unter HIV-infizierten Personen
- Zurückliegende Geschlechtskrankheiten
- Hohe Anzahl an Geschlechtspartner:innen
- Immunsuppression (z.B. HIV-Infektion , Organtransplantationen)
- Morbus Crohn mit analem und perianalem Befall
- (Z.n.) Zervixkarzinom
- Z.n. Strahlentherapie und/oder Chemotherapie
- Tabakrauchen
Klassifikation
Mikroskopie und Makroskopie
- Histologie: Vorwiegend Plattenepithelkarzinome (ca. 80%), in der Häufigkeit gefolgt von Adenokarzinomen (ca. 20%), selten maligne Melanome, anaplastische Karzinome und weitere
- Klassifikation der malignen Analkanaltumoren nach Histologie (WHO) [2]
- Epithelialer Ursprung
- Plattenepithelkarzinome (großzellig verhornend, kleinzellig basaloid oder Mukoepidermoidkarzinom)
- Adenokarzinom (Rektumtyp, Fisteltyp oder undifferenziert)
- Nicht-epithelialer Ursprung
- Maligne Tumoren ohne Klassifizierung
- Epithelialer Ursprung
- Klassifikation der malignen Analrandtumoren nach Histologie (WHO) [2]
- Epithelialer Ursprung
- Plattenepithelkarzinom
- Basalzellkarzinom
- Malignes Melanom
- Morbus Bowen
- Extramammärer Morbus Paget
- Nicht-epitheliale Tumoren
- Unklassifizierbar
- Epithelialer Ursprung
- Lokalisation
- Analkanalkarzinom: Tumor zwischen Linea anorectalis (orale Begrenzung) und Linea anocutanea (aborale Begrenzung)
- Analrandkarzinom: Tumor distal der Linea anocutanea bzw. bis zu einem Radius von 5 cm distal der Linea anocutanea liegend
TNM-Klassifikation des Analkarzinoms nach AJCC (Stand 2020) [1]
| TNM-Klassifikation des Analkarzinoms | |
|---|---|
| TNM | Anatomische Ausdehnung |
| TX | Primärtumor kann nicht beurteilt werden |
| T0 | Kein Anhalt für Primärtumor |
| Tis | Hochgradige intraepitheliale Läsion (AIN = Anale intraepitheliale Läsion) |
| T1 | Tumor ≤2 cm |
| T2 | Tumor >2–5 cm |
| T3 | Tumor >5 cm |
| T4 | Infiltration benachbarter Strukturen (Blase, Vagina, Prostata oder Knochen, Knorpel, Skelettmuskulatur) |
| Nx | Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden |
| N0 | Keine regionären Lymphknotenmetastasen |
| N1 | Metastasen in perirektalen Lymphknoten |
| N1a | Metastasen in perirektalen Lymphknoten (inguinal, mesorektal, an der A. iliaca interna) |
| N1b | Metastasen in Lymphknoten der A. iliaca externa |
| N1c | Metastasen in N1a-Lymphknoten und in Lymphknoten der A. iliaca externa |
| M0 | Keine Fernmetastasen |
| M1 | Fernmetastasen (meist in Leber, Lunge oder extrapelvinen Lymphknoten) |
Stadieneinteilung des Analkarzinoms nach AJCC, 9. Edition (Stand 2022) [3]
| Einteilung des Analkarzinoms nach AJCC | |||
|---|---|---|---|
| AJCC-Stadium | Primärtumor | Regionäre Lymphknoten | Fernmetastasen |
| I | T1 | N0 | M0 |
| IIA | T2 | N0 | M0 |
| IIB | T1–2 | N1 | M0 |
| IIIA | T3 | N0–1 | M0 |
| IIIB | T4 | N0 | M0 |
| IIIC | T4 | N1 | M0 |
| IV | Jedes T | Jedes N | M1 |
Die Therapie des Analkarzinoms erfolgt anhand der Stadieneinteilung nach AJCC!
Symptomatik
Analkarzinome sind in etwa 20% der Fälle Zufallsbefunde im Rahmen anderweitiger analer Inspektionen. Anfangsstadien verlaufen häufig asymptomatisch. Teils sind derb tastbare, nicht schmerzhafte Hautveränderungen vorhanden.
- Blutung (Hauptsymptom)
- Druckgefühl, Schmerzen
- Pruritus ani
- Stuhlinkontinenz
Insb. bei chronischen, schlecht abheilenden Prozessen in der Analregion sollte das Analkarzinom als Diagnose in Betracht gezogen werden!
Diagnostik
- Ausführliche Anamnese mit Fokus auf Risikofaktoren
- Psychosoziale Risikokonstellationen
- Körperliche Untersuchung (Lokalbefund)
- Inspektion des Lokalbefundes
- Digital-rektale Untersuchung
- Vollständige Untersuchung der Anogenitalregion, bei Frauen auch Screening auf Zervixkarzinom
- Proktorektoskopie (Beurteilung von Tumorlokalisation in Steinschnittlage, Ausdehnung in das Rektum, Lagebeziehung zur Linea anocutanea und Linea dentata)
- Palpation inguinaler Lymphknoten
- Ausschluss von Differenzialdiagnosen, u.a.
- Syphilis (Ulcus durum, Condyloma lata)
- Psoriasis inversa
- Nummuläre Ekzeme
- Condyloma acuminata
- Basalzellkarzinom
- Malignes Melanom
- HIV- und HPV-Diagnostik
- Ausbreitungsdiagnostik (Staging)
- Kontrastmittel-MRT von Becken und Analkanal (ggf. zusätzlich CT): Beurteilung der lokalen Tumorausdehnung
- FDG-PET/CT ab Stadium IIA: Detektion von Lymphknotenmetastasen
- Endosonografie: Beurteilung kleiner, oberflächlicher Tumoren im Analkanal
- Ggf. Kolposkopie
- Fernmetastasierung
- CT von Thorax und Abdomen
- Alternativ FDG-PET/CT
- Ggf. zusätzlich Sonografie des Abdomens
- Histologische Diagnostik
- Läsion <2 cm bei Analrandkarzinom oder Analkanalkarzinom mit ausreichender Mobilität und Sphinkterapparat frei: R0-Resektion und histologische Untersuchung
- Läsion >2 cm: Stanzbiopsie bzw. Inzisionsbiopsie
- Tumormarker: SCC, keine Standarddiagnostik, beim Plattenepithelkarzinom sind regelmäßig Anstiege festzustellen
Inzisionsbiopsien sollten bei V.a. ein Lokalrezidiv vermieden werden, da das Risiko einer Inkontinenz als Komplikation hoch ist!
Therapie
Stadiengerechte Therapie
| Stadiengerechte Therapie des Analkarzinoms | ||
|---|---|---|
| AJCC-Stadium | Analkanalkarzinome | Analrandkarzinome |
| I |
|
|
| IIA |
|
|
| IIB-IIIC |
| |
| IV |
| |
| Rezidiv |
| |
Grundlagen
- Vor Einleitung einer Therapie
- Beratung bzgl. Sexualität und Kinderwunsch
- Psychoonkologische Betreuung (bei Bedarf)
- Kombinierte Radiochemotherapie
- Primär chirurgische Therapie
- Kurativ: Bei Analrandkarzinomen im Stadium I oder ggf. auch IIA kann eine lokale Exzision in toto (0,5 cm Sicherheitsabstand) ausreichen
- Potenziell kurativ bzw. palliativ: Als Salvage-Operation (abdominoperineale Rektumexstirpation mit permanentem Kolostoma )
- Resttumor oder persistierende Komplikationen (Fistel, Ulzeration) nach Radiochemotherapie
- Lokoregionäres Tumorrezidiv nach Radiochemotherapie
Kombinierte Radiochemotherapie
- Ziel: Verbesserung der Überlebensraten
- Verbesserung der lokoregionären Tumorkontrolle
- Verbesserung des tumorfreien Überlebens
- Verringerte Kolostoma-Rate
- Durchführung
- Chemotherapie: Ohne Induktions- oder Erhaltungs-Chemotherapie
- Bestrahlung: Kontinuierliche intensitätsmodulierte Radiotherapie mit max. 59,4 Gy (erfolgt simultan zur Chemotherapie)
- Evaluation
Protektives Stoma (Kolostoma)
- Kolostoma vor Radiochemotherapie zur Entlastung des Analkanals bei:
- Hochgradiger Stenose
- Persistierender Fistelbildung
- Hochgradig palliativer Therapiesituation
- Für weitere Informationen siehe auch: Stoma-Anlage
Die Rückverlagerung eines bei der Therapie von Analkarzinomen angelegten protektiven Kolostomas ist lediglich in ca. 50% der Fälle möglich!
Chirurgische Therapie (Rektumexstirpation )
- Indikationen
- Histologisch gesicherter Resttumor nach Radiochemotherapie
- Tumorrezidiv (lokoregionär) nach Radiochemotherapie
- Downstaging bei fortgeschrittenen, die Nachbarorgane infiltrierenden Tumoren nach Radiochemotherapie
- Persistierende Fisteln oder Ulzerationen nach abgeschlossener Radiochemotherapie
Präoperatives Management
- Allgemein
- Für allgemeine Hinweise zum präoperativen Management siehe
- Für darmchirurgische Besonderheiten siehe
- Spezifisches Management vor geplanter Rektumexstirpation
- Aufklärung über
- Art des Eingriffs: Darmresektion mit Verschluss des Analkanals und permanentem Stoma
- Komplikationen der Rektumexstirpation und allgemeine Komplikationen bei darmchirurgischen Eingriffen (siehe: Intraoperative Komplikationen bei darmchirurgischen Eingriffen und postoperative Komplikationen bei darmchirurgischen Eingriffen)
- Stomatherapie anberaumen, Stoma anzeichnen (Descendostoma im linken Mittel-/Unterbauch)
- Aufklärung über
Operatives Vorgehen
- Operationsschritte
- Mobilisation des Rektums
- Verschluss des Anus → Elliptisches Umschneiden des Anus
- Fossa ischiorectalis: Ausräumung des Fettgewebskörpers und der Lymphknoten
- Durchtrennen des Lig. anococcygeum
- Durchtrennen des M. levator ani
- Exzision des Beckenbodens → Ggf. plastische Deckung des Defekts (bspw. mit vertikalem Rektus-abdominis-Lappen, Gluteus- oder Grazilis-Flap)
- Wundverschluss
- Anlage des endständigen Kolostomas
- Siehe auch: Rektumexstirpation - Grundlagen
Postoperatives Management
- Allgemein
- Für allgemeine Hinweise zum postoperativen Management siehe: Postoperatives Management
- Für darmchirurgische Besonderheiten siehe
- Spezifisches Management nach Rektumexstirpation
- Überwachung auf der Intensivstation
- Wundkontrollen, insb. der perinealen Wunde
Palliative Therapie
- Palliativer Ansatz bei
- Stadium IV
- Progress oder Rezidiv nach Salvage-Rektumexstirpation
- Progress oder Rezidiv nach inguinaler Lymphknotenresektion oder -dissektion
- Ggf. palliative Tumortherapie
- Anbindung an Palliativversorgung und Symptomtherapie, siehe Palliativmedizinische Aspekte
Komplikationen
Komplikationen des Analkarzinoms
- Metastasierung
- Lokoregionär: Perirektale, inguinale und iliakale Lymphknoten und per continuitatem in Nachbarorgane
- Fernmetastasen : Lymphogen in extrapelvine Lymphknoten, hämatogen in Leber und Lunge
- Rezidiv: In ca. 20–30% der Fälle
Komplikationen der Rektumexstirpation
- Blutung, Nachblutung, Infektion, Wundheilungsstörungen
- Verletzung von Ureter, Harnblase, Prostata, Urethra, Vagina
- Lymphfistel nach Dissektion
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
- Kriterien für erfolgreiche Therapie
- Nach Exzision: R0-Resektion (histopathologisch gesichert)
- Nach Radiochemotherapie: Vollständige Remission
- Verlauf
- Empfehlungen zur systematischen Nachsorge [1]
- Beginn: 8–12 Wochen nach erfolgreichem Therapieabschluss
- Zeitraum: 5 Jahre
- Durchführung
- Alle 3–6 Monate: Anamnese, körperliche Untersuchung inkl. digital-rektaler Untersuchung und Palpation inguinaler Lymphknoten, Rektoskopie
- Nach 6 Monaten: CT Thorax und Abdomen (ab Stadium IIA)
- Jährlich für 3–5 Jahre: MRT des Beckens
Prognose
- Rezidivrisiko: 20–30%
- 5-Jahres-Überleben: Von >80% in Stadium I bis ca. 22% in Stadium IV nach AJCC [2][3]
- 85,5% in AJCC-Stadium I
- 78,5% in AJCC-Stadium IIA
- 73,7% in AJCC-Stadium IIB
- 62,2% in AJCC-Stadium IIIA
- 59,3% in AJCC-Stadium IIIB
- 57,2% in AJCC-Stadium IIIC
- 22,1% in AJCC-Stadium IV
- 45% nach Rektumexstirpation bei persistierendem Karzinom
- 51% nach Rektumexstirpation bei Rezidiv
- Prognostisch ungünstige Faktoren
- Lymphknotenmetastasen (N+)
- Tumorgröße >5 cm bzw. fortgeschrittener Lokalbefund
- Männliches Geschlecht
- HIV-Infektion
- Wenig differenziertes Tumorgewebe in der histologischen Untersuchung
Prävention
HPV-Impfung als Präventionsmaßnahme
- Kann die Inzidenz der Vorstufen des Analkarzinoms senken
- STIKO empfiehlt für Deutschland eine Impfung für alle Kinder zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr
- Impfstoff Gardasil® ist auch für die Prävention von Präkanzerosen im Analbereich erprobt und zugelassen
- European AIDS Clinical Society empfiehlt die Impfung für HIV-Infizierte zwischen dem 9. und 40. Lebensjahr
Analkarzinom-Screening
- Häufigkeit
- Durchführung
- Inspektion
- Palpation (digital-rektale Untersuchung)
- Analzytologie, HR-HPV-Nachweis
- Proktoskopie oder hochauflösende Anoskopie (Goldstandard), ggf. mit Biopsie
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C21.-: Bösartige Neubildung des Anus und Analkanals
- C21.0: Anus, nicht näher bezeichnet
- Exklusive:
- C21.1: Analkanal/Sphincter ani
- C21.2: Kloakenregion
- C21.8: Rektum, Anus und Analkanal, mehrere Teilbereiche überlappend
- Anorektaler Übergang
- Anorektum
- Bösartige Neubildung des Rektums, des Anus und des Analkanals, deren Ursprungsort nicht unter den Kategorien C20-C21.2 klassifiziert werden kann
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.