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Mehrlingsschwangerschaft

Letzte Aktualisierung: 16.1.2023

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Mehrlinge stellen eine besondere Herausforderung an werdende Eltern, Hebammen und Ärzt:innen dar, da die Mehrlingsschwangerschaft zu den Risikoschwangerschaften zählt. Unterschieden werden Mehrlinge anhand ihrer Zygotie (monozygot oder dizygot) sowie anhand der Chorionizität (Anzahl an Plazenten) und Amnionizität (Anzahl der Amnionhöhlen). Dizygote Zwillinge sind stets dichorial-diamnial, wohingegen monozygote Zwillinge je nach Zeitpunkt der Teilung dichorial-diamnial, monochorial-diamnial oder monochorial-monoamnial sein können.

Für nahezu alle möglichen Schwangerschaftskomplikationen besteht bei Mehrlingen ein erhöhtes Risiko (bspw. Frühgeburtlichkeit, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie). Es gibt jedoch auch für Mehrlinge spezifische Komplikationen wie bspw. das fetofetale Transfusionssyndrom, die selektive intrauterine Wachstumsretardierung oder den Vanishing Twin. Im Allgemeinen werden Mehrlinge engmaschig überwacht, um schwerwiegende Folgen abzuwenden. Mehrlinge werden meist mittels Sectio caesarea entbunden.

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Monozygote vs. dizygote Zwillinge

Monozygote Zwillinge Dizygote Zwillinge
Häufigkeit 33% aller Zwillingsschwangerschaften 66% aller Zwillingsschwangerschaften
Entstehung Teilung einer befruchteten Eizelle in zwei Embryonalanlagen Befruchtung von 2 Eizellen durch 2 Spermien
Genetik der Individuen Identisch Unterschiedlich
Chorionhöhle und Amnionsack Dichorial-diamniot, monochorial-diamniot oder monochorial-monoamniot, siehe auch: Verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten monozygoter Zwillinge Stets dichorial-diamniot

Verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten monozygoter Zwillinge

Bei einer Schwangerschaft mit monozygoten Zwillingen kann es abhängig vom Teilungszeitpunkt in zwei Embryonalanlagen zu verschiedenen Verläufen kommen.

Entwicklungsmöglichkeiten monozygoter Zwillinge [2]

Chorionizität und Amnionizität

Beschreibung Teilungszeitpunkt der Eizelle Häufigkeit bei monozygoten Zwillingen
Dichorial-diamniot

Jeder eineiige Zwilling hat eine eigene Fruchthöhle und Plazenta

Innerhalb der ersten 3 Tage nach Konzeption Ca. 35%
Monochorial-diamniot

Die eineiigen Zwillinge teilen sich eine Plazenta, haben aber eine eigene Fruchthöhle

Teilung zwischen Tag 3 bis Tag 8 nach Konzeption Ca. 65%
Monochorial-monoamniot Die eineiigen Zwillinge teilen sich Plazenta und Fruchthöhle Teilung zwischen Tag 8 bis Tag 13 nach Konzeption Ca. 1%
Monochorial-monoamniot (siamesische Zwillinge) Die Zwillinge teilen sich Plazenta und Fruchthöhle und sind miteinander verwachsen Teilung ab Tag 14 nach Befruchtung <0,1%

Körperliche Untersuchung

  • Inspektion: Größerer Uterus und Bauchumfang als bei Einlingen
  • Palpation: Ertasten von zwei oder mehr Föten

Sonografie [3]

Zwillingsbezeichnung [3]

  • Pränatale Festlegung(!) der Zwillingsbezeichnung (I und II oder A und B), durch so viele Merkmale wie möglich
    • Geschlecht
    • Lagebezeichnung der Föten (in Bezug auf die Mutter)
      • Links/rechts
      • Oben/unten
    • Lagebezeichnung der Plazenta
    • Insertionsstelle der Nabelschnüre (in Bezug auf die Plazentaränder)
    • Beispiel: Zwilling II (männlich), auf rechter maternaler Seite, Seitenwandplazenta rechts, randständige Nabelschnurinsertion
  • Wechsel-Phänomen (Switch Phenomenon): Zwilling I (A) wird nicht immer als erstes geboren

Da Zwilling I (A) nicht immer als erstes geboren wird, sollte bei diskordanten inneren Fehlbildungen unmittelbar vor der Geburt oder vor einem neonatologischen Eingriff eine Sonografie erfolgen, damit es postpartal nicht zu einer Verwechslung der Säuglinge kommt!

Mehrlingsschwangerschaften werden zu den Risikoschwangerschaften gezählt. Je nach Schwangerschaftswoche und etwaigen Komplikationen sollten Vorsorgeuntersuchungen alle 2–4 Wochen u.a. mittels geburtshilflicher Doppler-Sonografie, fetaler Biometrie, Beurteilung der Fruchtwassermenge und CTG durchgeführt werden.

Erstbeurteilung von Zwillingsschwangerschaften

Allgemeine Vorsorgeuntersuchungen bei dichorialen Zwillingen [3]

Allgemeine Vorsorgeuntersuchung bei monochorialen Zwillingen [3]

Monochorial-monoamniale Schwangerschaften sollten immer an ein Perinatalzentrum Level 1 angebunden werden.

Screening auf Chromosomenstörungen [3]

Mithilfe der verschiedenen Untersuchungen wird eine Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomenstörung errechnet. Das Risiko für eine Trisomie wird bei monochorialen Zwillingen für beide zusammen errechnet. Bei dichorialen Zwillingen wird das Risiko für jeden Zwilling einzeln berechnet.

Mehrlingsschwangerschaften bergen ein erhöhtes Risiko für eine Vielzahl von Schwangerschaftskomplikationen.

Mehrlingsschwangerschaften erfordern aufgrund des erschwerten Geburtsvorgangs häufiger eine Entbindung mittels Sectio caesarea (Kaiserschnitt)!

Vanishing Twin [1][4]

Fetale selektive intrauterine Wachstumsretardierung (sIUGR) [3]

Diskordante fetale Fehlbildungen [3]

  • Definition: Fehlbildung lediglich eines Zwillings
  • Inzidenz: 1–2% aller Zwillingsschwangerschaften
  • Setting: Spezialisiertes Zentrum
  • Vorgehen: Abwägung konservativ vs. interventionell

IUFT eines Zwillings [3]

Verliert der verstorbene Zwilling über die gemeinsame Plazenta Blut, besteht insb. bei Monochorionizität die Gefahr, dass der überlebenden Zwilling eine Anämie entwickelt. Daher ist dieser Abschnitt besonders auf monochoriale Zwillinge bezogen.

Komplikationen nach IUFT eines Zwillings bei Mono- und Dichorionizität

Mögliche Komplikationen beim verbliebenen Zwilling [3]
Komplikationen Monochorionizität Dichorionizität
Versterben 15% 3%
Frühgeburtlichkeit 68% 3%
Abnorme kraniale Bildgebung 34% 16%
Neurologische Entwicklungsverzögerung 26% 2%

Vorzeitige Wehentätigkeit bei Mehrlingen [1]

I.d.R. verbleiben Zwillinge ca. 36 Wochen, Drillinge 34 Wochen intrauterin. Die Gründe einer Frühgeburt sind u.a. eine höhere mechanische Belastung des Uterus (insb. des unteren Uterinsegmentes), eine erhöhte Fruchtwassermenge und eine erhöhte Östrogenaktivität sowie Prostaglandinsynthese (bei relativer Verminderung der Progesteronaktivität). Je mehr Föten, je höher die SSW und das Geburtsgewicht, desto höher ist die fetale Morbidität und Mortalität.

Mehrlingsschwangere haben ein erhöhtes Risiko für ein Lungenödem bei gleichzeitiger Anwendung einer kontinuierlichen(!) intravenösen Tokolyse und einer RDS-Prophylaxe!

Früher vorzeitiger Blasensprung bei Mehrlingen [1]

Zervixinsuffizienz bei Mehrlingen

Fetofetales Transfusionssyndrom (TTTS) [1][3]

Twin reversed arterial Perfusion Sequence (TRAP-Sequenz) [1][3]

Twin Anemia-Polycythemia Sequence (TAPS) [2][3][5]

Stadieneinteilung nach Slaghekke und Lopriore [3]
Stadium Pränatal Postnatal (Differenz der Hb-Werte)
I
  • >8 g/dL
II
  • >11 g/dL
III
  • Stadium I oder II, zusätzlich
  • Kardiale Anomalie des Donor-Zwillings
  • 14 g/dL
IV
  • >17 g/dL
  • Therapie: Keine Evidenz, daher individuelles Management
  • Komplikationen : Risikoerhöhung für neurologische Entwicklungsverzögerung (30%), insb. für den Donor-Zwilling (Hörstörungen!)

Speziell bei monochorial-monoamnialen Zwillingen [1][3]

Siamesische Zwillinge (Conjoined Twins) [1][3][7]

  • Definition: Inkomplette Teilung ab dem 14. Entwicklungstag mit Verwachsung der Zwillinge an verschiedenen Körperstellen [7]
  • Epidemiologie: Inzidenz ca. 1:100.000 Schwangerschaften
  • Klassifikation (abhängig von der verwachsenen Körperstelle)
    • Thorakopagus (am häufigsten)
    • Cephalopagus
    • Omphalopagus
    • Ischiopagus
  • Diagnostik: Sonografische Darstellung im 1. Trimenon (ggf. MRT)
  • Geburtsmodus: Primäre Sectio caesarea
  • Prognose: Meist infaust

Allgemein [3]

Geburtsmodus [1][3]

Vaginaler Entbindungsversuch bei Zwillingen [1]

  • Voraussetzungen
    • Unkomplizierte diamniale Zwillingsschwangerschaft (mono- oder dichorial)
    • >32 SSW
    • Führender Fötus in Schädellage
    • Fehlende Kontraindikationen für eine vaginale Geburt, siehe auch: Sectio-Indikationen
    • Kein relevanter Wachstumsunterschied in der fetalen Biometrie
  • Geburtsüberwachung
    • Fachärztliche Betreuung mit großem Erfahrungsschatz
    • Erfahrene Hebamme
    • Kontinuierliche CTG-Kontrollen, ggf. mittels KSE
  • Organisation
    • Laborentnahme (Komplettlabor)
    • Verfügbarkeit sichern von
  • Vorgehen
    • Beide Föten in Schädellage: Vaginale Geburt beider Föten möglich
      • Geburt des 1. Zwillings
      • Sofortige sonografische Lagekontrolle und Überprüfung der Herzaktion des 2. Zwillings
      • Bei Wehenschwäche: Intravenöse Oxytocin-Gabe [1]
      • Abwarten bis 30 min möglich, wenn keine Komplikationen auftreten
    • Schädellage und Beckenendlage/Querlage: Kein Konsens über die Entbindung des 2. Zwillings → Individuelle Entscheidung (abhängig insb. von der Erfahrung des Teams)
  • Mögliche Komplikationen zwischen Geburt des 1. und des 2. Zwillings

Primäre Sectio caesarea bei Zwillingen [1]

O30.-: Mehrlingsschwangerschaft

  • Exklusive: Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind (O31.‑)
  • O30.0: Zwillingsschwangerschaft
  • O30.1: Drillingsschwangerschaft
  • O30.2: Vierlingsschwangerschaft
  • O30.8: Sonstige Mehrlingsschwangerschaft
  • O30.9: Mehrlingsschwangerschaft, nicht näher bezeichnet
    • Mehrlingsschwangerschaft o.n.A.

O31.-: Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind

  • Exklusive: Doppelfehlbildung [zusammengewachsene Zwillinge] als Ursache für ein Missverhältnis zwischen Fetus und Becken (O33.7); Geburtshindernis (O64-O66); Lage- und Einstellungsanomalien eines oder mehrerer Feten (O32.5); Protrahierte Geburt des zweiten Zwillings, Drillings usw. (O63.2)
  • O31.0: Fetus papyraceus
  • O31.1: Fortbestehen der Schwangerschaft nach Fehlgeburt eines oder mehrerer Feten
  • O31.2: Fortbestehen der Schwangerschaft nach intrauterinem Absterben eines oder mehrerer Feten
  • O31.8: Sonstige Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind

P01.-: Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch mütterliche Schwangerschaftskomplikationen

  • P01.5: Schädigung des Fetus und Neugeborenen bei Mehrlingsschwangerschaft
    • Drillingsschwangerschaft
    • Zwillingsschwangerschaft

Z37.-:! Resultat der Entbindung

  • Z37.0!: Lebendgeborener Einling
  • Z37.1!: Totgeborener Einling
  • Z37.2!: Zwillinge, beide lebendgeboren
  • Z37.3!: Zwillinge, ein Zwilling lebend-, der andere totgeboren
  • Z37.4!: Zwillinge, beide totgeboren
  • Z37.5!: Andere Mehrlinge, alle lebendgeboren
  • Z37.6!: Andere Mehrlinge, einige lebendgeboren
  • Z37.7!: Andere Mehrlinge, alle totgeboren

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

  1. Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften. Stand: 1. Mai 2020. Abgerufen am: 21. Juli 2020.
  2. Kainer et al.: Facharztwissen Geburtsmedizin. Elsevier GmbH 2021, ISBN: 978-3-437-23753-9 .
  3. Monni: Vanishing Twin Syndrome In: Donald School Journal of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology. Band: 15, Nummer: 2, 2021, doi: 10.5005/jp-journals-10009-1693 . | Open in Read by QxMD p. 134-142.
  4. Schneider et al.: Die Geburtshilfe. Springer 2016, ISBN: 978-3-662-45063-5 .
  5. Sobreira et al.: Twin anemia-polycythemia sequence: the importance of an accurate diagnosis In: Case Reports in Perinatal Medicine. Band: 3, Nummer: 2, 2014, doi: 10.1515/crpm-2013-0051 . | Open in Read by QxMD p. 143-146.
  6. Slaghekke et al.: Twin Anemia-Polycythemia Sequence: Diagnostic Criteria, Classification, Perinatal Management and Outcome In: Fetal Diagnosis and Therapy. Band: 27, Nummer: 4, 2010, doi: 10.1159/000304512 . | Open in Read by QxMD p. 181-190.
  7. Weyerstahl: Duale Reihe Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme 2013, ISBN: 978-3-131-52604-5 .
  8. Sohn: Ultraschall in Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme 2003, ISBN: 978-3-131-01972-1 .
  9. Strauss: Ultraschallpraxis. Springer 2008, ISBN: 978-3-540-78252-0 .
  10. Bühling, Friedmann: Intensivkurs Gynäkologie und Geburtshilfe. Elsevier 2009, ISBN: 978-3-437-42401-4 .