Abstract
Die Placenta praevia ist durch die Implantation der Plazenta im Bereich des unteren Uterinsegments und des inneren Muttermundes charakterisiert. Sie bleibt in vielen Fällen asymptomatisch und wird mithilfe der Sonografie diagnostiziert. Typische Manifestation bei symptomatischen Verläufen ist eine plötzliche, schmerzlose, hellrote Blutung aus dem Wohlbefinden der Schwangeren heraus, die sich i.d.R. wehenlos und vor dem Blasensprung zeigt. Die Blutung tritt meist diskontinuierlich auf, kann jedoch auch massiv und zu einer vitalen Bedrohung für Mutter und Kind werden. Auch hier erfolgt die Therapie in Abhängigkeit von Symptomatik und Kreislaufstabilität von Mutter und Kind. Es müssen Komplikationen wie Gerinnungsstörungen durch einen hohen Blutverlust beachtet werden.
Definition
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Plazentainsertionsstörung mit Implantation der Plazenta im Bereich des unteren Uterinsegments und des inneren Muttermundes nach der 20. SSW
- Innerer Muttermund wird teilweise oder vollständig von Plazentagewebe überdeckt
- Hauptgefahr für die Schwangere: Schwere Blutung bis hin zum Kreislaufstillstand
- Hauptgefahr für das Kind: Minderversorgung, ggf. Frühgeburtlichkeit
Epidemiologie
- Ca. 0,5% aller Schwangerschaften
- 50% Placenta praevia totalis und partialis
- 50% Placenta praevia marginalis und tiefsitzende Plazenta
- Wiederholungsrisiko 4-8% nach vorangegangener Schwangerschaft mit Placenta praevia
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Ätiologie/Pathophysiologie: Unklar
- Hypothese des vorgeschädigten Endometriums: Ungünstige Nidationsbedingungen im unteren Uterinsegment bedingen eine Ausdehnung der Plazenta, die zur Bedeckung des Muttermundes führt
- Blutung durch partielle Lösung der Plazenta von der Uteruswand
- Risikofaktoren: Prädisponierend sind zeitlich nah beieinander liegende Schädigungen bzw. eine Minderversorgung des Endometriums, z.B. durch
- Multiparität
- Vernarbungen des Uterus durch operative Eingriffe, Sectiones, Kürettagen, Mehrlingsschwangerschaft
- Fortgeschrittenes mütterliches Alter
- Plazentaanomalien
- Endometriale Minderperfusion
- Reproduktionsmedizinische Verfahren
- Kokainabusus
Klassifikation
Die Klassifikation der Placenta praevia richtet sich danach, wieviel vom inneren Muttermund von der Plazenta bedeckt wird.
- Tiefsitzende Plazenta: Der Unterrand der Plazenta liegt max. 2 cm entfernt vom inneren Muttermund
- Placenta praevia marginalis: Die Plazenta reicht bis an den inneren Muttermund heran
- Placenta praevia partialis: Die Plazenta bedeckt den inneren Muttermund teilweise
- Placenta praevia totalis: Die Plazenta bedeckt den inneren Muttermund vollständig
Symptome/Klinik
- Zunächst meist asymptomatisch, das Abdomen ist weich
- Typische Manifestation: Plötzliche schmerzlose, hellrote Blutungen (bei sonstigem Wohlbefinden der Schwangeren)
- Zeitpunkt: I.d.R. im 3. Trimenon vor dem Blasensprung, ggf. nach vaginaler Manipulation oder postkoital
- Meist am wehenlosen Uterus, ggf. auch bei Geburtsvorgang
- In ca. 25% der Fälle wehenauslösend
- Blutungsstärke variiert von sehr leicht und selbstlimitierend bis hin zu starken Blutungen mit hohem Blutverlust
- Klassischerweise diskontinuierliche, „annoncierende“ Blutung, die nur selten initial vital bedrohlich ist; häufig selbstlimitierend
- Zunächst keine fetale Beeinträchtigung, erst bei massiver Blutung oder sonstigen Komplikationen
- Komplikationen bei starkem Blutverlust
- Gefährdung des Kindes durch Minderversorgung mit Hypoxiezeichen, ggf. Frühgeburtlichkeit
- Kreislaufinstabilität der Schwangeren bis hin zu Kreislaufstillstand
Im Gegensatz zu einer vorzeitigen Plazentalösung sind die Blutungen bei der Placenta praevia nicht schmerzhaft!
Diagnostik
Prophylaktische Diagnostik (vor Blutungseintritt)
- Vaginale/abdominelle Sonografie: Abklärung der Plazentalokalisation (Klassifikation) und Ausschluss weiterer Plazentainsertionsstörungen
- Dies sollte i.d.R. bereits im Rahmen der Routinevorsorgeuntersuchung (vor dem Auftreten einer vaginalen Blutung) stattfinden
Diagnostik bei peripartaler Blutung mit V.a. Placenta praevia
- Kontrolle der Vitalparameter von Mutter und Kind
- Monitoring der mütterlichen Vitalzeichen: Überprüfung der hämodynamischen Stabilität der Schwangeren
- Stärke des Blutverlustes, ggf. Identifikation der Blutungsquelle
- Dauer-CTG: Überprüfung der Versorgung des Kindes
- Monitoring der mütterlichen Vitalzeichen: Überprüfung der hämodynamischen Stabilität der Schwangeren
- Orientierende körperliche Untersuchung: Palpation von Abdomen und Uterus, Bestimmung des Fundusstandes und des Uterustonus
- Klinische Chemie: Kontrolle von Blutbild und Gerinnung
- Hb-Kontrolle: Der Hb-Wert muss jedoch mit Vorsicht interpretiert werden, da er der aktuellen Situation immer etwas hinterherhängt!
- Kontrolle der Gerinnungsparameter inkl. D-Dimere
- Einer disseminierten intravasalen Gerinnung muss frühzeitig entgegengewirkt werden
- Ggf. Kreuzblut und Bereitstellung von Blutprodukten
- Abdominelle Sonografie: Sollte immer zur Bestimmung der Lage der Plazenta und damit zur Diagnosestellung oder dem Ausschluss der Placenta praevia und/oder Plazentationsanomalien stattfinden (in 95% der Fälle möglich)
- Vitalitätskontrolle des Kindes (Herzaktion, Kindsbewegungen)
- Darstellung des Plazentasitzes
- Vaginale Sonografie, ggf. auch Farbdoppler: Detaillierte Diagnostik
- Abstand zum inneren Muttermund, Diagnose/Ausschluss einer komorbiden Plazentalösung, ggf. mit retroplazentarem Hämatom
- Vorsichtige Spekulumeinstellung: Immer unter Handlungsbereitschaft wegen der Gefahr, die Blutung zu aggravieren!
- Blutungsursache und -stärke klären
Eine vaginale Tastuntersuchung sollte aufgrund des hohen Blutungsrisikos wenn möglich nicht stattfinden!
Differenzialdiagnosen
- Weitere Plazentainsertionsstörungen: Placenta accreta, Placenta percreta, Placenta increta
- Siehe auch
- Differenzialdiagnosen von Blutungen in der Spätschwangerschaft
- Differenzialdiagnosen intra- und postpartaler Blutungen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Das klinische Vorgehen ist abhängig von der Befundschwere, dem Zustand der Schwangeren und des Kindes sowie dem Gestationsalter. Prinzipiell unterscheidet man zwischen einem abwartenden und einem aktiven Vorgehen. Zum praktischen Vorgehen und Komplikationsmanagement siehe auch: Klinisches Management von Blutungen im 2. und 3. Trimenon und Invasive Maßnahmen zur Blutungsstillung bei peripartaler Blutung.
Vorgehensweise in Abhängigkeit von der Befundschwere bei Placenta praevia
Bei unauffälligen fetalen Befunden und kreislaufstabiler Mutter: Abwartendes Vorgehen
- Bis 34. SSW: Schwangerschaft sollte (bei beherrschbarer Blutung) unter stationären Bedingungen fortgesetzt werden
- Lungenreifeinduktion mit Corticosteroiden, z.B. Betamethason
- Bis zum Abschluss der Lungenreife: Tokolyse, z.B. mit β2-Sympathomimetika
- Ggf. Entlassung danach möglich, wenn die lokalen Gegebenheiten es erlauben (Kliniknähe, keine Placenta praevia totalis, kooperative Patientin, die sich der Situation bewusst ist)
- Ggf. Antibiotikaprophylaxe
- Vermeidung vaginaler Manipulation und Geschlechtsverkehr
- Das Erreichen der 36. SSW wird angestrebt; fetales Risiko einer früheren Geburt muss gegen das Risiko einer erneuten Blutung abgewogen werden
- Späterer Geburtsmodus: I.d.R. Sectio
- Placenta praevia totalis: Stets Sectio caesarea 1–2 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin
- Placenta praevia marginalis/partialis: Abhängig von der Lage des Kindes und des CTG-Befundes ist ggf. auch eine vaginale Entbindung möglich
- Bei Hinweisen auf eine Verschlechterung des Zustands sollte eine elektive Sectio caesarea 1–2 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin erfolgen
- Risiko einer weiteren Blutung bis zu 70%
Bei akuten Symptomen und lebendem Kind: Aktives Vorgehen
- Unmittelbare Sectio unabhängig von der SSW nach Kreislaufstabilisierung der Schwangeren
- Ggf. unter Intubationsnarkose bei hohem zu erwartenden Blutverlust
- Schnittführung: Nicht auf Höhe der Plazenta
- Postpartal aktive Plazentalösung mit Uterotonika
Komplikationen
- Maternal
- Für das Notfallmanagement bei Schocksymptomatik siehe: Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP
- Postpartale Blutung
- Erhöhte Assoziation mit weiteren Plazentainsertionsstörungen (Placenta accreta/increta)
- Sepsis
- Luftembolie
- Fetal
- Frühgeburtlichkeit
- Intrauterine Wachstumsretardierung
- Assoziation mit weiteren Fehlbildungen und Begleitkomplikationen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Mütterliche Sterblichkeit: <1%
- Fetale peripartale Sterblichkeit: ca. 10%
- Wiederholungsrisiko bis zu 8%
Prävention
- Aufklärung der Patientin über mögliche Blutungskomplikation bei Diagnosestellung im Routineultraschall
- Verzicht auf vaginale Manipulation und Geschlechtsverkehr
- Von Fernreisen und großer körperlicher Anstrengung wird abgeraten; eine generelle körperliche Schonung ist jedoch nicht notwendig
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
O44.-: Placenta praevia
- O44.0-: Placenta praevia und tiefer Sitz der Plazenta ohne (aktuelle) Blutung
- O44.1-: Placenta praevia und tiefer Sitz der Plazenta mit aktueller Blutung
- Exklusive: Wehen und Entbindung, kompliziert durch Blutung bei Vasa praevia (O69.4)
- O44.10: Tiefer Sitz der Plazenta mit aktueller Blutung
- O44.11: Placenta praevia mit aktueller Blutung
- Exklusive: Wehen und Entbindung, kompliziert durch Blutung bei Vasa praevia (O69.4)
P02.-: Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch Komplikationen von Plazenta, Nabelschnur und Eihäuten
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P02.0: Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch Placenta praevia
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.