Abstract
Die Epididymitis (Nebenhodenentzündung) stellt ein häufiges Krankheitsbild dar, das häufig bei älteren Männern im Rahmen Restharn-bedingter Harnwegsinfekte auftritt. Bei jüngeren Männern sind eher sexuell übertragbare Erkrankungen als Auslöser typisch. Vor der Pubertät kann häufig kein Erreger nachgewiesen werden, weshalb man primär von einer postinfektiösen Genese ausgeht. Betroffene Patienten klagen meist über Schmerzen und eine zunehmende Schwellung des Skrotums. Diagnostisch führend ist die Klinik, wobei Differenzialdiagnosen, insb. eine Hodentorsion, schnellstmöglich sonografisch auszuschließen sind. Therapeutisch steht die Sicherung adäquater Harnabflusswege, zum Beispiel durch einen suprapubischen Katheter, in Kombination mit einer prompten antibiotischen und antiphlogistischen Medikation im Vordergrund. Bei unklaren Befunden oder persistierender Entzündung können ein operatives Vorgehen und/oder eine stationäre Behandlung indiziert sein.
Die Orchitis (Hodenentzündung) ist meist infektiös und am häufigsten durch das Mumpsvirus bedingt. Die Therapie entspricht der bei Epididymitis. Oft ist eine genaue Abgrenzung zwischen Hoden- und Nebenhodenentzündung klinisch unmöglich, weshalb die Orchitis hier nicht gesondert abgehandelt wird.
Definition
- Epididymitis = Entzündung des Nebenhodens
- Akute Epididymitis (Dauer <6 Wochen)
- Chronische Epididymitis (Dauer ≥6 Wochen), entwickelt sich in ca. 15% der Fälle infolge einer akuten Epididymitis
- Orchitis = Entzündung des Hodens
- Epididymoorchitis = Entzündung von Hoden und Nebenhoden
Epidemiologie
- Inzidenz: Ca. 25–65 auf 10.000 erwachsene Männer/Jahr [1]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Infektiöse Ursachen
-
Bakterielle Genese
- Harnwegsinfekt
- Sexuell übertragbare Erkrankungen
- Hämatogene Manifestation einer Tuberkulose (sehr selten)
- Nicht-bakterielle Genese
Nicht-infektiöse Ursachen
- Trauma
- Autoimmunreaktion
- Amiodaron
- Idiopathisch
Risikofaktoren für eine Epididymitis
- Im Kindesalter: Anatomische Besonderheiten von Samenstrang oder Ureteren
- Im Erwachsenenalter: Restharn, Prostatahypertrophie
Symptome/Klinik
- Lokale Entzündungszeichen am Skrotum: Rötung, Schwellung, Überwärmung und Schmerzen (meist einseitig)
- Ggf. regionale Lymphknotenschwellung
- Ggf. Dysurie
- Ggf. Fieber
- Positives Prehn-Zeichen
- Definition: Das positive Prehn-Zeichen beschreibt eine Schmerzabnahme beim Anheben des Skrotums auf der betroffenen Seite
- Interpretation
- Im Falle einer Epididymitis (oder Orchitis) ist das Prehn-Zeichen positiv, d.h. der Schmerz nimmt ab.
- Bei der Hodentorsion ist das Prehn-Zeichen negativ, d.h. der Schmerz nimmt nicht ab.
- Seitengleicher Kremasterreflex
Diagnostik
- Klinik und Anamnese (inkl. Impfungen)
- Urin-Stix und Urinkultur, ggf. PCR
- Ggf. urethraler Abstrich
- Labor
- Erhöhte Entzündungswerte (Leukozytose, CRP und BSG↑)
- Bei V.a. Mumps-Orchitis und ohne Impfung: Spez. IgM-Antikörper im Serum
- Sonografie des Skrotums
- Duplexsonografie des Skrotums
Differenzialdiagnosen
- Hydrozele testis
- Varikozele testis
- Spermatozele testis
- Hodentorsion
- Hodentumor und Tumoren des Hodens anderer Genese
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Allgemeine Maßnahmen
- Skrotum hochlagern (Hodenbänkchen) und kühlen
- Bettruhe
- Engmaschige urologische Verlaufskontrollen zum Ausschluss einer Abszedierung
- Medikamentöse Therapie der Epididymitis
-
Antiphlogistische Therapie, bspw. mit Ibuprofen
- Für pädiatrische Dosierungen siehe: Ibuprofen (pädiatrisch)
- (Kalkulierte) Antibiotische Therapie
- Erwachsene mit geringem Gonorrhö-Risiko (ohne urethralen Ausfluss)[1]
- Fluorchinolone (z.B. Levofloxacin) p.o.
- oder Doxycyclin p.o.
- Erwachsene mit schwerem Verlauf oder Beteiligung von Gonokokken[1][2]: Cephalosporine der 3. Generation (z.B. Ceftriaxon) plus Azithromycin und anschließend Doxycyclin
- Bei Nachweis von Chlamydien siehe auch: Therapie der Chlamydien-Epididymitis
- Kinder[3]: Cotrimoxazol oder Cephalosporine der 3. Generation p.o. oder i.v.
- Bei Kindern wird eine Epididymitis meist initial i.v.-antibiotisch behandelt, bis es zu einer signifikanten klinischen Besserung kommt, mind. jedoch über 3 Tage; anschließend kann die Therapie ggf. oralisiert werden
- Erwachsene mit geringem Gonorrhö-Risiko (ohne urethralen Ausfluss)[1]
- Bei schwerer Epididymitis des jungen Mannes[1]: Ggf. zusätzlich Glucocorticoide p.o.
-
Antiphlogistische Therapie, bspw. mit Ibuprofen
- Weitere Maßnahmen
- Bei hohem Fieber oder Urosepsis: (Intensiv‑)stationäre Aufnahme
- Bei Restharnbildung: Einlage eines suprapubischen Dauerkatheters
- Bei Persistenz der Beschwerden und/oder der Inflammation bzw. Abszedierung: Operative Intervention, ggf. Orchiektomie
Bei einer Infektion durch sexuell übertragbare Erreger ist an die Behandlung des Partners zu denken!
Komplikationen
- Abszessbildung
- Urosepsis
- Fournier-Gangrän
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Bei unkompliziertem Verlauf gute Prognose
- Nach Epididymitis selten Sterilität
- Nach Mumps-Orchitis ipsilaterale Hodenatrophie möglich, selten Sterilität
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- N45.-: Orchitis und Epididymitis
- N45.0: Orchitis, Epididymitis und Epididymoorchitis mit Abszess
- Abszess der Nebenhoden oder Hoden
- N45.9: Orchitis, Epididymitis und Epididymoorchitis ohne Abszess
- Epididymitis o.n.A., Orchitis o.n.A.
- N45.0: Orchitis, Epididymitis und Epididymoorchitis mit Abszess
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.