Abstract
Ein Fieberkrampf oder fieberassoziierter Krampfanfall ist ein zerebraler Krampfanfall bei Kindern jenseits der Neugeborenenperiode, der im Rahmen einer fieberhaften Erkrankung auftritt, die nicht durch eine ZNS-Infektion bedingt ist. Die Pathogenese ist nicht genau geklärt. Meist handelt es sich um unkomplizierte Anfälle, die primär generalisiert auftreten, i.d.R. harmlos verlaufen und (sofern keine Hinweise auf eine Meningitis bestehen) keine Lumbalpunktion erforderlich machen. Ein komplizierter Fieberkrampf mit fokalem Verlauf, einer Dauer von mehr als 5 Minuten, einem wiederholten Auftreten innerhalb von 24 Stunden oder im Alter unter 6 Monaten oder über 5 Jahren erfordert immer eine weiterführende Diagnostik, insb. um eine Herpes-simplex-Enzephalitis oder eine bakterielle Meningitis auszuschließen. Sistieren Fieberkrämpfe nicht innerhalb von 5 Minuten spontan, sollten sie mit Benzodiazepinen durchbrochen werden. Fieberkrämpfe können durch Fiebersenkung nicht verhindert werden, da sie meist im Fieberanstieg auftreten. Eine familiäre Prädisposition gilt als größter Risikofaktor.
Definition
Definition der International League Against Epilepsy (ILAE): Ein Fieberkrampf oder fieberassoziierter Krampfanfall ist ein zerebraler Krampfanfall bei Kindern jenseits der Neugeborenenperiode (meist im Alter von (3–)6 Monate bis 5 Jahre), der im Rahmen einer fieberhaften Erkrankung auftritt (meist >38 °C), die nicht durch eine ZNS-Infektion bedingt ist. Anfälle symptomatischen Ursprungs und vorausgehende Neugeborenenanfälle oder fieberfreie Anfälle sind Ausschlusskriterien. [1]
Epidemiologie
- Alter: (3–)6 Monate bis 5 Jahre [1][2]
- Altersgipfel: 2. Lebensjahr
- Lebenszeitprävalenz: 3–4% aller Kinder erleiden einen Fieberkrampf [1]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Klassifikation
Einteilung der Fieberkrämpfe [1]
Unkomplizierter Fieberkrampf (ca. 70%) | Komplizierter Fieberkrampf* (ca. 30%) | |
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Klinik |
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Dauer und Häufigkeit |
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Alter |
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*Sobald eines der Kriterien erfüllt ist, gilt der Fieberkrampf als kompliziert! |
Pathophysiologie
- Genaue Pathophysiologie unbekannt [1]
- Senkung der Krampfschwelle aufgrund ungeklärter Mechanismen
- Auftreten des Krampfanfalls meist im Fieberanstieg, unabhängig von der eigentlichen Temperatur
- Häufig zeitliche Zusammenhänge mit Dreitagefieber und Masernimpfungen (Kausalzusammenhang hier ebenfalls nicht geklärt)
- Risikofaktoren [1]
- Positive Familienanamnese
- Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung (erhöhte Infekt- und Fieberwahrscheinlichkeit)
- Entwicklungsverzögerung und/oder auffällige Perinatalzeit
- Exkurs: Bei Patienten, die als Kind an komplizierten Fieberkrämpfen und im späteren Leben an einer Temporallappenepilepsie erkranken, geht man davon aus, dass strukturelle Besonderheiten vorliegen, die beide Krankheitsbilder bedingen (sog. duale Pathologie). Die Epilepsie ist eher nicht Folge des Fieberkrampfes. [1]
Symptome/Klinik
- Auftreten des Fieberkrampfes i.d.R. im Fieberanstieg → Häufig erstes Symptom eines Infekts
- Meist generalisierter tonisch-klonischer Krampfanfall
- Atone oder tonische (10%) sowie fokale Anfälle (15%) möglich
- Dauer i.d.R. 2–3 min
- Protrahierte Anfälle über 20–30 min möglich
- Meist spontanes Sistieren
- Typischerweise postiktale Müdigkeit
- Postiktale Halbseitenlähmung (sog. Todd'sche Parese)
- Insb. nach protrahierten und/oder fokalen Anfällen
- Besserung innerhalb von 60–120 min, sonst weiterführende Diagnostik indiziert!
Ist eine Todd'sche Parese nicht innerhalb von 2 Stunden rückläufig, sollte sofort eine weiterführende Diagnostik eingeleitet werden!
Diagnostik
Akute Diagnostik
- Fokussuche (Fieber- bzw. Infektursache suchen)
- Körperliche Untersuchung
- Urinstix
- Ggf. Abdomen- und/oder Nieren-Sonografie, Röntgen-Thorax
- Blutentnahme: Bei Meningitisverdacht oder Krampfanfall unklarer Ursache
- Zu untersuchende Parameter sind: Differenzialblutbild, CRP, Glucose, Elektrolyte (insb. Natrium, Calcium, Magnesium), GOT, Kreatinin, INR, Quick, PTT, Ammoniak, Laktat, BGA, Blutkultur
- Lumbalpunktion
- Bei jedem Krampfanfall bei Kindern bis 6 Monate
- Bei jedem fieberhaften Krampfanfall bei Kindern bis 12(–18) Monate
- Bei jedem komplizierten Fieberkrampf
- Bei jedem Meningitisverdacht
- Ggf. Bildgebung (Notfall-CT): Bei Verdacht auf Hirndruck oder intrakranielle Raumforderung vor Lumbalpunktion
Eine Herpes-simplex-Enzephalitis präsentiert sich meist wie ein komplizierter Fieberkrampf!
Diagnostik im Verlauf
- EEG
- Bei jedem komplizierten Fieberkrampf
- Bei unkomplizierten Fieberkrämpfen i.d.R. nicht notwendig
- Ggf. Schlaf- bzw. Schlafentzugs-EEG
- Ggf. MRT
- Ggf. toxikologische Untersuchung
Differenzialdiagnosen
- (Konvulsive) Synkope
- Schüttelfrost
- Fieberdelir
- ZNS-Infektion, insb. Meningitis und Enzephalitis
- Erstmanifestation einer Epilepsie
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
- Ruhe bewahren!
- Eltern beruhigen
- Kind so betten, dass es sich nicht verletzt (insb. am Kopf)
- Monitoring der Vitalparameter: Herzfrequenz, O2-Sättigung, Atemfrequenz
- Sauerstoffvorlage
- Antipyrese mit Ibuprofen oder Paracetamol
- Indikation für die stationäre Aufnahme
- Erster Fieberkrampf
- Komplizierter Fieberkrampf
- Krampfanfall anderer Ursache oder unklarer Genese
Medikamentöse Anfallsunterbrechung
- Bei Anfallsdauer über 5 min: Benzodiazepine nasal, rektal oder bukkal, wenn nötig einmalige Wiederholung möglich
- Bei fehlender Anfallsdurchbrechung oder erneutem Anfall nach Benzodiazepingabe: Antikonvulsiva i.v.
Benzodiazepine nasal, rektal oder bukkal [4]
- Diazepam
- Rektale Dosierung Kinder <15 kg
- Rektale Dosierung Kinder ≥15 kg
- i.v.-Standarddosierung bei Status epilepticus (jedes Alter)
- Midazolam
- Nasale oder bukkale Applikation mittels i.v. Injektionslösung: Standarddosierung jedes Alter
- Intravenöse Applikation: Standarddosierung jedes Alter
- Bei Überdosis: Antidot Flumazenil
Antikonvulsiva i.v. [4]
- Phenobarbital: Standarddosierung bei Status epilepticus (jedes Alter)
- Phenytoin: Dosierung bei Status epilepticus (altersabhängig)
- Neugeborene
- Säuglinge und Kleinkinder
- Schulkinder und Jugendliche
Rezidivprophylaxe und Therapie von Wiederholungskrämpfen (Tipps für zu Hause)
- Rezeptierung eines Medikaments zur Anfallsunterbrechung
- Nicht empfohlen:
- Fiebersenkende Therapie ab einer bestimmten Temperatur: Die Eltern müssen vielmehr darüber aufgeklärt werden, dass auch eine frühzeitige Antipyrese einen weiteren Fieberkrampf nicht verhindern kann.
- Diazepamprophylaxe im Infekt
- Eine Rezidivprophylaxe mit Phenobarbital oder Valproat ist wirksam, aber nebenwirkungsträchtig und bleibt Ausnahmefällen vorbehalten
Komplikationen
- Febriler Status: Fieberassoziierter Krampfanfall mit einer Dauer >30 min
- Hemikonvulsions-Hemiplegie-Epilepsie-Syndrom (HHE-Syndrom) [1]
- Kind wird klassischerweise morgens krampfend im Bett aufgefunden (Dauer unbekannt .)
- Akut: Klinisch irreversible Hemiparese, im MRT einseitiges bzw. seitenbetontes Hirnödem
- Im Verlauf: Klinisch zunehmende geistige Regression und rezidivierende fokale Krampfanfälle, im MRT progrediente ipsilaterale Hemisphären-Atrophie
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Wiederholungsrisiko für fieberassoziierte Krampfanfälle 30–40% (bei Auftreten im 1. Lebensjahr 50%) [1]
- Bei 95% der Kinder mit Fieberkrämpfen gute Prognose (ohne Entwicklungsbeeinträchtigung oder Übergang in eine Epilepsie), auch bei wiederholtem Auftreten
- Epilepsierisiko (Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung: 1%) [5]
- 1–2% der Kinder nach unkompliziertem Fieberkrampf
- 10–15% der Kinder nach kompliziertem Fieberkrampf
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- R56.-: Krämpfe, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive: Krämpfe und Anfälle: beim Neugeborenen (P90), dissoziativ (F44.5), Epilepsie (G40-G41)
- R56.0: Fieberkrämpfe
- R56.8: Sonstige und nicht näher bezeichnete Krämpfe
- Anfall o.n.A., Krampfanfall o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.