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Migräne

Letzte Aktualisierung: 17.11.2023

Abstracttoggle arrow icon

Bei der Migräne handelt es sich um einen rezidivierend auftretenden, meist einseitig lokalisierten Kopfschmerz, welcher oftmals mit Übelkeit, Erbrechen, Phono- oder Photophobie einhergeht. In etwa 10–30% der Fälle kommt es dabei zu Auraphänomenen. Damit werden reversible fokale neurologische Ausfälle, wie z.B. Gesichtsfeldausfälle (Flimmerskotome) oder Paresen, bezeichnet, die nicht länger als eine Stunde anhalten. Therapie der Wahl beim akuten Migränekopfschmerz sind bei leichten Attacken nicht-steroidale Antiphlogistika (z.B. ASS), bei (mittel‑)schweren Attacken Triptane. Zusätzlich kann in jeder Akutsituation ein Mittel gegen die Übelkeit gegeben werden (z.B. Metoclopramid). Treten Attacken häufiger als dreimal im Monat auf oder halten sie länger als 72 h an, ist eine medikamentöse Prophylaxe (bspw. mit Betablockern) sinnvoll.

Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer studentischen AMBOSS-Audio-Reihe vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der Sektion „Tipps & Links“.

Epidemiologietoggle arrow icon

  • Jahresprävalenz: 10–15% [1]
  • Geschlecht: > (3:1) im mittleren Erwachsenenalter [1]
  • Alter
    • Erstmanifestation meist zwischen dem späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter
    • Prävalenzgipfel: Ca. 20–50 Jahre

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

  • Familiäre Disposition
  • Über die pathophysiologische Ursache der Erkrankung gibt es viele Theorien, aber keine eindeutigen Erkenntnisse
  • Mögliche Triggerfaktoren

Pathophysiologietoggle arrow icon

  • Kopfschmerz [2]: Die pathophysiologische Grundlage ist bisher nicht eindeutig geklärt!
  • Begleitsymptomatik (Übelkeit, Erbrechen, Licht-/Geräuschempfindlichkeit): Herabsetzung endogener antinozizeptiver Hirnstammfunktionen
  • Aura: Langsame Ausbreitung einer Depolarisationswelle, meist beginnend am Okzipitalpol; Veränderung kortikaler neuronaler Aktivität („Cortical Spreading Depression“)
  • Prodromi: Stunden bis Tage vor Aura und Kopfschmerz treten limbisch/dienzephal vermittelte Symptome auf

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

  • Prodromi (fakultativ, etwa bei einem Drittel der Betroffenen)
    • Vorboten Stunden bis 2 Tage vor der Migräneattacke
      • Stimmungsveränderung
      • Heißhunger oder Appetitlosigkeit
      • Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen
      • Vermehrtes Gähnen
      • Erschöpfung [3]
      • Hypo- oder Hyperaktivität [3]
      • Polyurie
      • Polydipsie
  • Kopfschmerzen
    • Lokalisation: Ca. 60% einseitig (kann auch während eines Anfalls die Seite wechseln), insb. frontal, frontotemporal, retroorbital
    • Dauer: 4–72 h
    • Verlauf: Langsam zunehmender Schmerz
    • Charakter: Pulsierend, bohrend, hämmernd
  • Begleitphänomene
    • Phonophobie
    • Photophobie
    • Appetitlosigkeit
    • Übelkeit
    • Erbrechen
    • Leichtes Augentränen
    • Geruchsüberempfindlichkeit
    • Verstärkung durch körperliche Tätigkeiten
  • Migräne mit Aura [4] (früher Migraine accompagnée)

Die Diagnose Migräne kann anhand diagnostischer Kriterien gestellt werden. Landläufig werden unter „Migräne“ jedoch häufig zahlreiche nicht ärztlich diagnostizierte Kopfschmerzformen subsumiert!

Verlaufs- und Sonderformentoggle arrow icon

  • Aura ohne Kopfschmerz [2][3][6]
    • Symptome/Klinik
    • Diagnostik:
      • Erschwerte Diagnosestellung aufgrund der fehlenden Kopfschmerzen
      • Differenzialdiagnostische Abklärung (z.B. TIA) besonders wichtig, insb. bei
        • Erstmaligem Auftreten der Aura bei Lebensalter >40 Jahre
        • Prolongierter oder sehr kurzer Aura
        • Ausschließlichen Negativsymptomen (z.B. Hemianopsie)
  • Migräne mit Hirnstammaura (früher: Migräne vom Basilaristyp) [3]
  • Ophthalmoplegische Migräne [3]
    • Epidemiologie: Meist Kinder betroffen
    • Symptome/Klinik
      • Migränekopfschmerzen
      • Paresen eines oder mehrerer Nerven für die Okulomotorik (Hirnnerven III, IV, VI) → Doppelbilder
  • Vestibuläre Migräne [3]
    • Epidemiologie: Häufigste Ursache spontan rezidivierender Schwindelattacken im mittleren Lebensalter
    • Symptome/Klinik: Schwindel im Sinne einer Bewegungsillusion der Umwelt als Migräneaura mit Zeichen einer peripher- oder zentral-vestibulären Störung
      • Vestibuläre Aurasymptome können den migränetypischen Kopfschmerzen vorausgehen oder als isolierte Migräneaura auftreten
    • Diagnostik: Diagnosestellung insb. über gründliche Anamnese, bei Erstmanifestation mit zentralen vestibulären Symptomen ist eine MRT-Bildgebung zum sicheren Ausschluss anderer zentraler Ursachen sinnvoll
    • Therapie
  • Hemiplegische Migräne: Hemiparesen oder Hemiplegien im Rahmen der Aura
  • Retinale Migräne: Reversible Attacken von Migränekopfschmerzen mit monokularen visuellen Phänomenen wie Flimmerskotomen oder Erblindung
  • Periodische Syndrome in der Kindheit (vermutlich Vorläufer einer Migräne im Erwachsenenalter): Zyklisches Erbrechen, abdominelle Schmerzen, Blässe, paroxysmaler Schwindel, Beschwerdefreiheit zwischen den Attacken

Diagnostiktoggle arrow icon

  • Klinische Diagnose der klassischen Migräne ohne Aura [3]: Anamnestisch mind. fünf Attacken, die folgende Kriterien erfüllen und nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen sind
    • Dauer (ca. 4–72 h)
    • Mind. zwei der folgenden Kriterien bzgl. der Kopfschmerzen werden erfüllt
      • Lokalisation (meistens einseitig)
      • Pulsierender Charakter
      • Mittlere bis starke Intensität
      • Verstärkung durch körperliche Tätigkeiten
    • Auftreten von mind. einem der folgenden Begleitsymptome
      • Übelkeit und/oder Erbrechen
      • Photophobie und Phonophobie
  • Diagnosekriterien weiterer Verlaufsformen der Migräne: In der IHS-Klassifikation [3] abgebildet (frei verfügbar)
  • Allgemeine Untersuchung beim Leitsymptom Kopfschmerz zum Ausschluss anderer Ursachen
  • Zusatzdiagnostik
    • MRT
      • Indikation
        • Erstmaliges Auftreten einer Migräne bei Patienten >40 Jahre
        • Sehr häufige Aurasymptomatik
        • Veränderung des Kopfschmerzcharakters
        • Bisher effektive Therapie nicht mehr wirksam
        • Außergewöhnliche Klinik (z.B. zum Ausschluss einer Subarachnoidalblutung)
        • Persistierende neurologische oder psychopathologische Auffälligkeiten
      • Mögliche Befunde: Sog. „White Matter Lesions“
    • VEP: I.d.R. Normalbefund im Intervall

Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Für das Notfallmanagement von Kopfschmerzen zunächst unklarer Ursache siehe: Kopfschmerzen - AMBOSS-SOP

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapietoggle arrow icon

Allgemeine Maßnahmen zur Behandlung von Migräneattacken

  • Reizabschirmung
  • Ruhe, Schlaf
  • Kühlen von Schläfen und Stirn

Akuttherapie einer Migräneattacke [1]

Medikamentöse Maßnahmen

Leichte bis mittelstarke Migräneattacke

Mittelschwere bis schwere Migräneattacke

Triptane – Anwendung bei Migräneattacken
Substanzen und Dosierungen
  • Sumatriptan
    • Subkutane Applikation: Schnellste und wirksamste Akutbehandlung
    • Orale Applikation: Mittelschneller Wirkeintritt (und längere Wirkdauer)
  • Eletriptan
    • Nur orale Applikation
    • Schneller Wirkeintritt
  • Rizatriptan
    • Nur orale Applikation
    • Schneller Wirkeintritt
  • Zolmitriptan
    • Nasale Applikation: Schneller Wirkeintritt
    • Orale Applikation: Mittelschneller Wirkeintritt (und längere Wirkdauer)
  • Almotriptan
    • Nur orale Applikation
    • Mittelschneller Wirkeintritt (und längere Wirkdauer)
  • Frovatriptan
    • Nur orale Applikation
    • Langsamer Wirkeintritt (und lange Wirkdauer)
  • Naratriptan
    • Nur orale Applikation
    • Langsamer Wirkeintritt (und lange Wirkdauer)
Wirkung
  • Agonist des 5-HT1-Rezeptors (5-HT1B/DR-Agonist)
    • Hemmung der perivaskulären, aseptischen Entzündung im Bereich der Duraarterien
    • Vasokonstriktion
  • Beachte möglichen Wiederkehrkopfschmerz (engl. headache recurrence): Wiederauftreten innerhalb von 2–24 h nach primär wirksamer Therapie (in ca. 15–40% der Fälle nach oraler Gabe); erneute Gabe ist dann möglich
Nebenwirkungen (Auswahl)

Kontraindikationen (Auswahl)

  • Bei Kontraindikation gegen Triptane
    • Rimegepant (CGRP-Rezeptorantagonist) oder
    • Lasmiditan (Serotonin-1F-Rezeptoragonist)

Die subkutane Applikation von Sumatriptan (3 oder 6 mg) ist die schnellste und wirksamste Akutbehandlung einer Migräneattacke!

Bei Übelkeit oder Erbrechen

Nicht-medikamentöse Maßnahmen [1]

  • Leitlinienempfehlung vorliegend für

Migräne-Notfallmedikation

Komplikationentoggle arrow icon

  • Chronische Migräne
    • Kopfschmerzen an ≥15 Tagen/Monat über ≥3 Monate, ohne dass ein Medikamentenübergebrauch besteht
    • Dabei an ≥8 Tagen/Monat typische Migränesymptomatik
  • Status migraenosus: Migräneattacke, die länger als 3 Tage anhält
  • Migränöser Infarkt: Persistierende Migräne mit Aurasymptomen in Kombination mit einem Infarktgeschehen (z.B. klinisch fokal-neurologische Ausfälle)
    • Diagnosekriterien und Symptome/Klinik
      • Persistenz der Aura über mind. 60 min
      • Nachweis eines Infarktgeschehens (in einem relevanten Hirnareal) in der Bildgebung (mittels MRT oder cCT)
      • Der ischämische Infarkt ist nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen
  • Persistierende Aura ohne Hirninfarkt: Dauer der Aurasymptome >1 Woche, aber kein morphologisches Korrelat für einen Hirninfarkt in der Bildgebung
  • Zerebraler Krampfanfall: Getriggert durch eine Migräneattacke

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Präventiontoggle arrow icon

Nicht-medikamentöse Migräneprophylaxe [1]

Medikamentöse Migräneprophylaxe [1]

Besondere Patientengruppentoggle arrow icon

Schwangerschaft [1]

In der Schwangerschaft (insb. im 2. und 3. Trimenon) kommt es bei ca. 50–80% der Patientinnen zu einer Reduktion von Migräneattacken.

Stillzeit [1]

In der Stillzeit kommt es oftmals zur Wiederkehr des vor der Schwangerschaft bekannten Migränemusters.

Kinder und Jugendliche [1]

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AMBOSS-Podcast zum Thematoggle arrow icon

Migräne – Update aus der Forschung (März 2021)

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Patienteninformationentoggle arrow icon

Meditrickstoggle arrow icon

In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.

Migräne

Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

  • G43.-: Migräne
    • Soll bei Arzneimittelinduktion die Substanz angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer (Kapitel XX) zu benutzen.
    • Exkl.: Kopfschmerz o.n.A. (R51)
    • G43.0: Migräne ohne Aura [Gewöhnliche Migräne]
    • G43.1: Migräne mit Aura [Klassische Migräne]
      • Migräne:
        • Äquivalente
        • Aura ohne Kopfschmerz
        • basilär
        • familiär-hemiplegisch
        • mit:
          • akut einsetzender Aura
          • prolongierter Aura
          • typischer Aura
    • G43.2: Status migraenosus
    • G43.3: Komplizierte Migräne
    • G43.8: Sonstige Migräne
    • G43.9: Migräne, nicht näher bezeichnet

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne 2022.Stand: 18. Oktober 2022. Abgerufen am: 15. August 2023.
  2. Müller:Migräne-Antikörper nur alle drei Monate - EU-Zulassung von FremanezumabIn: DAZ.online. 2019, .
  3. Müller:Erster Migräne-Antikörper im deutschen MarktIn: Deutsche Apotheker Zeitung. 2018, .
  4. Sumatriptan Embryotox.. Abgerufen am: 20. Februar 2019.
  5. Diener et al.: Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. 7. Auflage Kohlhammer 2017, ISBN: 978-3-170-31612-6.
  6. International Headache Society (IHS):The International Classification of Headache Disorders, 3rd editionIn: Cephalalgia. Band: 38, Nummer: 1, 2018, doi: 10.1177/0333102417738202 . | Open in Read by QxMD p. 1-211.
  7. Göbel: Migräne. Springer 2012, ISBN: 978-3-642-25558-8.
  8. Sachsenweger et al.: Duale Reihe Augenheilkunde. Thieme 2002, ISBN: 978-3-131-28312-2.
  9. Göbel: Die Kopfschmerzen. 3. Auflage Springer 2012, ISBN: 978-3-642-20694-8.

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