Zusammenfassung
Die aseptische Femurkopfnekrose des Erwachsenen (FKN) ist im Gegensatz zur idiopathischen Hüftkopfnekrose des Kindes (Morbus Perthes) sowie vielen Osteonekrosen nicht mit einem Eigennamen bedacht, obwohl sie die häufigste Lokalisation ist. Sie kann idiopathisch oder traumatisch auftreten, wobei angenommen wird, dass zum einen eine ischämische Minderversorgung des Hüftkopfes ursächlich ist und sie zum anderen durch verschiedene Risikofaktoren wie Alkoholismus oder Behandlung mit Glucocorticoiden/Zytostatika beeinflusst werden kann. In etwa der Hälfte der Fälle sind beide Hüftköpfe betroffen. Klinisch beklagen die Patient:innen belastungsabhängige Schmerzen in der Leiste, die in das Kniegelenk ausstrahlen können. Diagnostisch wegweisend ist eine MRT, anhand der eine stadiengerechte Behandlung eingeleitet werden kann. Eine kausale Therapie existiert nicht. Ohne eine interventionelle oder operative Behandlung kommt es im weiteren Verlauf fast immer zu einer Koxarthrose.
Epidemiologie
- Inzidenz: 5.000–7.000/Jahr
- Häufigkeitsgipfel: 30–50 Jahre [3]
- Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀
- Bilaterales Auftreten: In 40–70% der Fälle, oft zeitversetzt
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Traumatische Femurkopfnekrose
- Zerreißung von Gefäßen (bspw. A. circumflexa femoris medialis), insb. bei
- (Hinterer) Hüftgelenksluxation
- Dislozierter proximaler Femurfraktur
- Postoperativ nach Osteosynthese
Idiopathische Femurkopfnekrose
- Multifaktorielle Genese mit prädisponierenden Faktoren [2][4][5]
- Iatrogene Faktoren
-
Exogene Faktoren
- Alkoholkonsum
- Nicotinabusus
- Folge anderer Erkrankungen und/oder deren Behandlung
- Hämatologische Erkrankungen
- Autoimmunerkrankungen
- Endokrine Erkrankungen
- Andere Erkrankungen
- Genetische Faktoren
- Siehe auch: Pathophysiologie der aseptischen Femurkopfnekrose im Erwachsenenalter
Pathophysiologie
- Multifaktoriell: Diverse auslösende Faktoren (siehe: Ätiologie - Aseptische Femurkopfnekrose im Erwachsenenalter)
- Prinzipielle Unterscheidung zweier Pathomechanismen [6][7][8][9]
- Lokale Minderperfusion (Hypoxie) → Oxidativer Stress, Entzündungsreaktion → Aktivierung von Osteoklasten, Reduktion von Reparaturmechanismen
- Toxische Einflüsse auf Osteoblasten und Osteozyten → Apoptose
- Resultat: Zusammenspiel verschiedener molekularer Wirkmechanismen → Femurkopfnekrose
- Siehe auch: Osteonekrose - Pathophysiologie
Klassifikation
ARCO-Klassifikation (Association Research Circulation Osseous)
Stadieneinteilung der Femurkopfnekrose der ARCO [1][10][11][12] | ||
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Stadium | Befund (siehe auch: Diagnostik der aseptischen Femurkopfnekrose im Erwachsenenalter) | Subklassifikation |
0 |
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1 (Reversibles Frühstadium) |
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2 (Irreversibles Frühstadium) |
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3 (Übergangsstadium) |
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4 (Spätstadium) |
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Symptomatik
- Zu Beginn: Keine spezifischen Symptome! [5][13]
- Im weiteren Verlauf
- Schmerzen, insb. im Bereich der Hüfte oder Leiste
- Bewegungseinschränkung, insb. Abduktion, Flexion und Innenrotation
- Verändertes Gangbild, bspw. Hinken (positives Trendelenburg-Zeichen)
Diagnostik
Anamnese
- Vorgeschichte
- Vorerkrankungen inkl. Medikamenteneinnahme
- Genussmittelanamnese
- Trauma oder sportliche Betätigung
- Beschwerden
- Beginn und Verlauf
- Lokalisation und Ausstrahlung
- Provokation
Körperliche Untersuchung
- Inspektion
- Schonhinken
- Trendelenburg-Zeichen
- Palpation
- Druckschmerz in der Leiste
- Klopfschmerz oberhalb des Trochanter major
- Überprüfung des Bewegungsumfangs
- Eingeschränktes Bewegungsausmaß nach Neutral-Null-Methode
- Siehe auch: Orthopädische Untersuchung der Hüfte
- Funktionstests bspw.
- Trendelenburg-Zeichen: Absinken des Beckens bei Insuffizienz der Hüftabduktoren
- FABER-Test nach Patrick (Vierer-Zeichen): Unspezifisch, positiv bei Hüftgelenk- und ISG-Pathologien
- Thomas-Handgriff: Extensionsdefizit im Hüftgelenk bei Beugekontraktur
- Bei V.a. FAIS: Hüft-Impingement-Tests
Bildgebung
- Indikation: Klinischer V.a. Femurkopfnekrose
- Unklare Hüftschmerzen >6 Wochen
- Ggf. vorliegende Risikofaktoren
- Passende klinische Symptomatik, bspw. Bewegungseinschränkung oder Funktionseinschränkung
- Diagnostischer Algorithmus
- Konventionelle Röntgenaufnahme beider Hüftgelenke
- Befund zu Beginn: Häufig unauffällig
- Befund im Verlauf: Subchondrale Fraktur, Osteolysen, Osteophyten, siehe auch: Radiologische Zeichen einer Arthrose
- MRT beider Hüftgelenke: Diagnose in frühen Stadien möglich : Einteilung in ARCO-Stadien zur Einleitung einer stadiengerechten Therapie
- Bei V.a. subchondrale Fraktur: CT
- Bei unauffälligem MRT-Befund: Erneute MRT nach 6–8 Wochen
- Konventionelle Röntgenaufnahme beider Hüftgelenke
Auswahl bildgebender Verfahren zur Diagnose einer Femurkopfnekrose [14][15][16][17][18] | ||||
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Verfahren | Typische Indikation | Aufnahmetechnik | Möglicher Befund | Bemerkungen |
Konventionelle Röntgenaufnahme |
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MRT |
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CT |
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Szintigrafie |
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In einem frühen Stadium ist eine Diagnosestellung mit einer MRT möglich!
Differenzialdiagnosen
- Intraartikuläre Differenzialdiagnosen
- Koxarthrose
- FAIS
- Transitorisches Knochenmarködem (transiente Osteoporose)
- Stressfraktur
- Hüftdysplasie
- Proximale Femurfraktur
- Labrumläsion
- Knochentumoren
- Pigmentierte villonoduläre Synovialitis
- Rheumatoide Arthritis
- Extraartikuläre Differenzialdiagnosen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapieprinzipien
- Allgemein
- Bisher keine kausale Therapie bekannt
- Ausschalten bzw. Reduktion der osteonekroseinduzierenden Noxen (falls möglich)
- Vorgehen insb. abhängig vom ARCO-Stadium und individuellen Parametern
- Frühe Stadien
- Versuch des Gelenkerhalts mit interventioneller und operativer Therapie, bspw. Entlastungsbohrung oder Umstellungsosteotomie
- Kombination mit konservativen Maßnahmen
- Spätere Stadien
- Totalendoprothese
- Konservative Maßnahmen
- Supportive Therapie: Analgesie nach WHO-Stufenschema
- Frühe Stadien
Die alleinige konservative Therapie kann das Fortschreiten der Femurkopfnekrose nicht aufhalten! [1][20]
Konservative Therapie [21][22]
- Indikation
- Begleitend zur interventionellen Therapie
- Interventionelle Therapie nicht möglich
- Ziele
- Linderung der Symptome
- Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen
- Funktionsverbesserung
Durchführung
- Pharmakologische Behandlung
- Bisphosphonate : Bspw. Alendronat, Zoledronat
- Off-Label Use
- Indikation: Frühe Stadien und kleine Defekte <30%
- Ergebnis: Schmerzreduktion und Verzögerung des Fortschreiten der FKN
- Vasodilatatoren : Bspw. Iloprost
- Off-Label Use
- Indikation: ARCO-Stadium 1–2 wenn OP nicht möglich
- Ergebnis: Reduktion des Knochenmarködems und der Schmerzen
- Antikoagulanzien: Keine Therapieempfehlung
- Statine: Keine Therapieempfehlung
- Bisphosphonate : Bspw. Alendronat, Zoledronat
- Physikalische Behandlung: Krankengymnastik, Entlastung
- Begleitend zur pharmakologischen Therapie
- Ggf. nach interventioneller und operativer Therapie notwendig
- Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT): Aktuell keine alleinige Therapieempfehlung
- Hyperbare Oxygenierung: Aktuell keine alleinige Therapieempfehlung
- Gepulste elektromagnetische Felder: Aktuell keine alleinige Therapieempfehlung
Operative Therapie [22][23]
- Indikation: ARCO-Stadium 1–4
- Ziele
- Gelenkerhalt insb. bei jüngeren Betroffenen bis zu Stadium 3 möglich
- Reduktion der Schmerzen
- Wiederherstellung der Funktion
Gelenkerhaltende Verfahren
- Indikation: ARCO-Stadium 1–3
- Kontraindikation, bspw.
- Fortgeschrittene Koxarthrose
- Osteomyelitis des Femurs oder aktuelle Infektion
- OP-Methode
- Entlastungsbohrung („core decompression“) [24]
- Typische Indikation: ARCO-Stadium 1–2 mit medialer oder zentraler Nekrose und einem Nekroseanteil <30%
- Prinzip: Retrograde Anbohrung des nekrotischen Areals
- Kombination mit
- Vasodilatatoren, bspw. Iloprost (Off-Label Use)
- Bisphosphonaten, bspw. Alendronat (Off-Label Use)
- Implantation von autologem Knochen
- Implantation von osteogenen oder osteoinduktiven Materialien [20]
- Multipotente mesenchymale Stammzellen oder Knochenwachstumsfaktoren
- Bioglass
- Vaskularisierter oder nicht-vaskularisierter Fibulatransfer
- Modifizierte „advanced core decompression“ [25]
- Typische Indikation: ARCO-Stadium 1–2
- Prinzip: Versuch des vollständigen Ausräumens der Nekrose und Wiederauffüllung mit autologem Knochen oder Knochenersatzstoff
- Umstellungsosteotomie [26]
- Typische Indikation: ARCO-Stadium 1–3A mit lokalisierter Nekrosezone
- Prinzip: Verlagerung der Nekrosezone aus der gewichtstragenden Belastungszone
- Hüftarthroskopie plus „advanced core decompression“
- Typische Indikation: ARCO-Stadium 1–3 insb. bei V.a. Begleitpathologie, bspw. FAIS
- Prinzip: Evaluation der Knorpeloberfläche, Behandlung von Begleitpathologien und (modifizierte) Entlastungsbohrung
- Osteochondraler Allograft: Aktuell keine Therapieempfehlung
- Entlastungsbohrung („core decompression“) [24]
Gelenkersetzende Verfahren
- Indikation: ARCO-Stadium 3B–4 plus generelle Indikation zum Gelenkersatz
- Siehe auch: Operative Therapie der Koxarthrose
- Durchführung
- TEP
- Siehe auch: Endoprothetik des Hüftgelenks
Komplikationen
- Allgemeine Komplikationen: Fortschreiten der FKN [1]
- Sekundäre Koxarthrose
- Schmerzen
- Bewegungs- und Funktionseinschränkung
- Muskuläre Insuffizienz
- Operative Komplikationen (abhängig von gewählter Intervention)
- Wundheilungsstörung, Infektion
- Serom, Hämatom
- Lockerung des Implantats
- Luxation der Endoprothese
- Siehe auch: Komplikationen nach Osteosynthese/Endoprothese
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Prognostische Faktoren
- Ätiologie
- Lokalisation
- Größe der Läsion
- ARCO-Stadium der Nekrose
- Prognose ohne Behandlung: Fortschreiten mit Kollaps des Femurkopfes [23]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M87.-: Knochennekrose
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.