Zusammenfassung
Entzündungen des Knochenmarks (Osteomyelitis) und Knochengewebes (Osteitis) gelten als diagnostische und therapeutische Herausforderung und werden meist interdisziplinär behandelt. Sie können endogen auf dem hämatogenen Infektionsweg oder exogen durch direkte Keiminokulation infolge einer Verletzung oder OP entstehen. Eine hämatogene Ausbreitung ist bei Kindern häufig und tritt oft im Bereich der unteren Extremität auf; bei Erwachsenen ist diese Form eher selten und v.a. im Bereich der Wirbelsäule lokalisiert (Spondylodiszitis). Die bakterielle Osteomyelitis kann einen akuten oder einen chronischen Verlauf haben. Diese Formen unterscheiden sich sowohl in der Symptomatik als auch in der Therapie, haben aber eine ähnliche Diagnostik.
Im Folgenden wird der Fokus auf der hämatogenen (endogenen) Osteomyelitis der langen Röhrenknochen liegen. Für hämatogene Infektionen im Bereich der Wirbelsäule siehe: Spondylodiszitis.
Für detaillierte Informationen zur exogenen Osteomyelitis siehe:
- Nach Frakturen: Frakturassoziierte Infektionen
- Nach Prothesenimplantation: Periprothetische Infektionen
- Bei vaskulärer oder diabetischer Genese: Diabetische Fußsyndrome oder Ulcus cruris
Definition
- Osteomyelitis: Entzündung des Knochenmarks
- Osteitis: Entzündung des Knochens
- Periostitis: Entzündung des Periosts
Epidemiologie
- Inzidenz: 16,7/100.000
- Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀
- Altersgipfel: 60–80 Jahre
- Typische Lokalisation: Untere Extremität (ca. 75%)
- Verlaufsformen
- Chronische Osteomyelitis (47,6%)
- Akute Osteomyelitis (33,2%)
- Unspezifiziert (19,2%)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Infektionsweg [2]
- Endogene Osteomyelitis: Hämatogene Ausbreitung
- Beispiele: Bakteriämie oder Sepsis
- Häufigster Infektionsweg bei Kindern <16 Jahre
- Siehe auch: Osteomyelitis im Kindes- und Jugendalter
- Exogene Osteomyelitis: Direkte oder lymphogene Ausbreitung
- Direkte externe Inokulation (meist iatrogen), bspw. bei offener Fraktur oder nach OPs
- Per continuitatem, bspw. bei diabetischen oder vaskulären Ulzera
- Häufigster Infektionsweg bei Erwachsenen (bis zu 80% der Fälle) [3][4]
Für Risikofaktoren der Osteomyelitis siehe: Cierny-Mader-Klassifikation!
Erreger [5]
- Endogene Infektion: Meist Monoinfektionen [3][4]
- Staphylococcus (Staph.) aureus
- Streptococcus (Strep.) spp.
- Enterobacterales, bspw. Escherichia (E.) coli
- Exogene Infektion: Häufig Mischinfektionen
In bis zu 75% aller Osteomyelitisfälle (endogen und exogen) kann eine Staphylococcus-Spezies nachgewiesen werden! [6]
Pathophysiologie
Anatomische Grundlagen
- Altersabhängige Durchblutung der langen Röhrenknochen [7][8]
- Kleinkinder <18 Monate: Transphyseale Anastomosen vorhanden
- Kinder >18 Monate bis Wachstumsabschluss: Keine Gefäße überqueren die Wachstumsfuge
- Nach Wachstumsabschluss: Gefäße von der Metaphyse bis in die Epiphyse reichend
- Gefäßsystem eines Knochens beim Erwachsenen [9][10]
- A. nutricia
- Transkortikale Kapillaren
- Venöser Abfluss: Sinus des Knochenmarks und transkortikale Venen
Biofilm [6][11]
- Definition: Dreidimensionale Struktur aus einer polymeren Matrix mit bakteriellen Kolonien
- Entstehung
- Adhärenz von Bakterien → Proliferation und Produktion einer Matrix (sog. extrazelluläre polymere Substanz)
- Reifung des Biofilms: Komplexe dreidimensionale Struktur mit Kanälen und eingebetteten bakteriellen Kolonien
- Proliferation der Erreger → Freisetzung und hämatogene Streuung
- Funktion
- Schutz vor körpereigener Immunantwort, Antibiotikum und vor Scherkräften
- Konzentration von Nährstoffen
- Zerstörung von Knochensubstanz
Pathomechanismus [8][12][13]
- Auslöser: Bakterien gelangen (hämatogen) zum Knochen
- Adhärenz: An Knochensubstanz oder ggf. Implantaten
- Bildung eines Biofilms
- Infektion: Abhängig von
- Effektivität der Immunantwort
- Erregerspezifischen Mechanismen
- Lokalen Faktoren
Eine hämatogene Osteomyelitis beginnt häufig im Bereich der Metaphyse! [8]
Klassifikation
Cierny-Mader-Klassifikation [13][14]
- Zweischrittige Beurteilung zur Festlegung des Stadiums
- 1. Schritt: Beurteilung des Befallsmusters
- 2. Schritt: Beurteilung des Allgemeinzustands der betroffenen Person [4][5][15]
- Ergebnis: Insg. 12 Stadien möglich
- Stadium = Befallsmuster (Typ) + klinische Einteilung (Klasse)
- Beispiel: Stadium 4A = Diffuse Osteomyelitis bei einer sonst gesunden Person ohne Risikofaktoren
- Keine Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Osteomyelitis
Lokalisation des Befallsmusters | ||||||||
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Typ | Beschreibung | |||||||
Typ 1 |
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Typ 2 |
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Typ 3 |
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Typ 4 |
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Klinische Einteilung der betroffenen Person | ||||||||
Klasse | Beschreibung | Beispiele | ||||||
Klasse A |
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Klasse B | BL |
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BS |
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BLS |
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Klasse C |
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Stadium = Typ + Klasse, bspw. Osteomyelitis Stadium 3BS |
Symptomatik
Akute Osteomyelitis [5][15][16]
- Symptombeginn: Akut bis subakut
- Symptomdauer: <2 Wochen
- Lokaler Befund
- Schmerzen: Häufig eher stechend, klopfend
- Schwellung, Rötung oder Überwärmung
- Bewegungs- und Funktionseinschränkung
- Druckschmerz
- Systemische Anzeichen: B-Symptomatik wie bspw. Fieber, Abgeschlagenheit, ggf. Sepsis
Chronische Osteomyelitis [5][15]
- Symptombeginn: Meist schleichend
- Symptomdauer: Meist >4 Wochen
- Lokaler Befund
- Systemische Anzeichen: Meist nicht vorhanden
Das Fehlen einer (lokalen) Symptomatik schließt eine Osteomyelitis nicht aus!
Verlaufs- und Sonderformen
Brodie-Abszess [17][18]
- Definition: Sonderform der subakuten Osteomyelitis mit intraossärer Abszessbildung
- Lokalisation: Meist Metaphyse der langen Röhrenknochen der unteren Extremität
- Ätiologie: Häufigster Erreger Staph. aureus
- Symptomatik
- Schleichender Beginn
- Häufig wenige und unspezifische Symptome
- Ggf. Schwellung und Druckschmerz
- Meist keine systemischen Entzündungszeichen
- Diagnostik: Siehe Diagnostik der Osteomyelitis
- Therapie
- Operative Abszesssanierung
- Häufig in Kombination mit Antibiotikatherapie
Osteomyelitis sclerosans [19]
- Definition: Sonderform der chronischen Osteomyelitis
- Lokalisation: Meist lange Röhrenknochen der unteren Extremität
- Symptomatik
- Schleichender Beginn
- Meist unspezifische Schmerzen
- Ggf. Schwellung oder Knochendeformation
- Selten Fistelbildung
- Diagnostik: Typischer radiologischer Befund
- Einengung des Knochenmarks
- Suprakortikale aber subperiostale Sklerosierung
- Periostreaktion
- Therapie
- Meist operative Infektsanierung [20]
- Häufig Kombination mit revaskularisierenden Verfahren
- Ggf. Resektion des betroffenen Segments notwendig
Diagnostik
Diagnostischer Algorithmus bei V.a. Osteomyelitis
Diagnostischer Algorithmus bei V.a. Osteomyelitis [5][15][16] | ||
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Schritt | Indikation bzw. Ziel | Maßnahme |
1. Anamnese und klinische Untersuchung |
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2. Laboruntersuchung |
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3. Blutkultur (vor Antibiotikatherapie!) |
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4. Bildgebung |
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5. Diagnosesicherung |
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6. Biopsie |
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Anamnese [5][15][16]
- Schmerzanamnese
- Beginn und Verlauf
- Lokalisation
- Schmerzcharakter und -intensität
- Begleitsymptome, bspw. B-Symptomatik
- Prädisponierende Faktoren
- Vorerkrankungen, insb. Diabetes mellitus, Tumorerkrankungen oder kardiovaskuläre Erkrankungen
- Vorherige Infektion
- Vor-OPs bzw. -Eingriff
- Suchtanamnese, insb. i.v. Drogenabusus
- Risikofaktoren, siehe: Cierny-Mader-Klassifikation
Körperliche Untersuchung [5][15][16]
- Orientierende körperliche Untersuchung
- Allgemein- und Ernährungszustand
- Vitalparameter
- Bei V.a. Sepsis: qSOFA-Score
- Orientierende neurologische Untersuchung, insb. sensibles Defizit
- Inspektion und Palpation
- Lokale Rötung und/oder Überwärmung
- Offene Verletzung
- Lokaler Druckschmerz
- Fehlstellung oder Schonhaltung
- Bewegungsumfang nach Neutral-Null-Methode
Labordiagnostik [5][15][16]
- Blutuntersuchung
- Entzündungsparameter: CRP↑, BSG↑
- Ggf. Leukozytenanzahl↑
- Serumwerte: Calcium, Phosphat, alkalische Phosphatase
- Bei V.a. Sepsis: PCT↑
- Blutkultur: Insb. bei Sepsis
- Biopsie: Erregernachweis häufig möglich
- Offen > perkutan
- Standardisierte Probenentnahme [21]
- Mikrobiologische und histopathologische Untersuchung
- Ggf. PCR: Bei weiterhin negativem Keimnachweis
Bildgebung
- Indikation: Klinischer V.a. Osteomyelitis
- Durchführung
- Ausgangsuntersuchung: Konventionelle Röntgenaufnahme in 2 Ebenen
- Diagnosesicherung: MRT mit KM
Auswahl bildgebender Verfahren zur Diagnostik einer Osteomyelitis [8][22] | ||||
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Verfahren | Typische Indikationen | Durchführung | Mögliche Befunde | Bemerkungen |
Konventionelle Röntgenaufnahme |
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Sonografie |
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MRT [7] |
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CT |
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Skelettszintigrafie |
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PET |
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Bei der akuten Osteomyelitis fehlen häufig konventionell-radiologisch erkennbare Veränderungen!
Osteomyelitis-Score zur Diagnosesicherung
Osteomyelitis-Score [23] | ||
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Diagnostikum | Befunde | Punkte |
MRT |
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Mikrobiologie |
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Histopathologie |
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Auswertung: ≥2 Punkte = Osteomyelitis sehr wahrscheinlich; 1 Punkt = Osteomyelitis kann nicht ausgeschlossen werden; ≤0 Punkte = Osteomyelitis sehr unwahrscheinlich |
Differenzialdiagnosen
- Bakterielle Arthritis
- Maligne Knochentumoren, bspw. Osteosarkom oder Ewing-Sarkom
- Benigne Knochentumoren, bspw. aneurysmatische Knochenzyste oder einfache Knochenzyste
- Knochenmetastasen
- Aseptische Knochennekrose
- Reaktive Arthritis, bspw. Coxitis fugax
- IgA-Vaskulitis
- Nicht-bakterielle Arthritiden, bspw. chronisch nicht-bakterielle Osteomyelitis (CNO) oder SAPHO-Syndrom
- Gicht
- Weichgewebeinfektion, bspw. Zellulitis
- Diabetische Neuroosteoarthropathie
- Frakturen
- Bursitis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeines [5][24]
- Ziele
- Individuelle Entscheidungsfindung: Insb. abhängig von
- Allgemeinzustand
- Vorliegen einer OP-Indikation
- Akuter oder chronischer Verlaufsform
- Besonderen Begleitumständen
- Vorliegen einer Fraktur: Frakturassoziierte Infektionen
- Vorhandensein einer Prothese: Periprothetische Infektionen
- Begleitender Diabetes mellitus: Diabetisches Fußsyndrom
- Vorgehen: Antibiotikatherapie und konservative oder operative Therapie
- Interdisziplinäre Behandlung
- Regelmäßige klinische, laborchemische und ggf. radiologische Kontrollen
- Bei akutem Verlauf: Sofortiger Beginn einer empirischen Antibiotikatherapie plus
- Konservativer Therapieversuch (falls keine OP-Indikation vorliegt)
- Operative Therapie (bei OP-Indikation)
- Bei chronischem Verlauf: Antibiotikatherapie nach Antibiogramm plus
- Operative Therapie (bei kurativer Behandlung)
- Konservative Therapie (bei suppressiver Behandlung)
- Supportive Maßnahmen
-
Analgesie
- Paracetamol
- Ibuprofen ggf. kombiniert mit Protonenpumpenhemmer , bspw. Pantoprazol
- Ggf. medikamentöse Thromboseprophylaxe
-
Analgesie
Ziel jeder Therapie ist der Erhalt oder die Wiederherstellung von Funktionalität und Mobilität der betroffenen Region!
Antibiotikatherapie [5][24][25]
- Akute Osteomyelitis (oder Sepsis): Sofortiger Beginn einer empirischen Antibiotikatherapie [3]
- Cephalosporin der 2. (Cefuroxim ) oder 3. Generation (Ceftriaxon ) plus Clindamycin ( ) oder
- Aminopenicillin/β-Lactamase-Inhibitor (Ampicillin/Sulbactam oder Amoxicillin/Clavulansäure ) oder
- Bei V.a. spezifische Erreger : Siehe Antibiotikatherapie der Osteomyelitis bei Erwachsenen
- Ggf. Umstellung der Therapie nach Erhalt des Antibiogramms
- Chronische Osteomyelitis: Beginn einer spezifischen Antibiotikatherapie nach Erregernachweis
- Applikation
- Dauer
- Akute Osteomyelitis: Mind. 8 Wochen
- Chronische Osteomyelitis: Mind. 6 Wochen nach letztem chirurgischen Eingriff
- Suppressive Therapie: Meist 6 Monate
Antibiotikatherapie der Osteomyelitis bei Erwachsenen [3][5][15][26] | |
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Erreger | Antibiotikum (i.v. Gabe) |
Staphylokokken, oxacillinsensibel |
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Staphylokokken, oxacillinresistent | |
Streptokokken | |
Enterobacteriaceae, chinolonsensibel |
|
Enterobacteriaceae, chinolonresistent | |
Anaerobier | |
Mischinfektion | |
Pseudomonas aeruginosa |
Falls möglich, sollte die Antibiotikatherapie erst nach dem Keimnachweis beginnen!
Eine akute Osteomyelitis erfordert einen sofortigen Therapiebeginn, bei einer chronischen Osteomyelitis kann meistens das Ergebnis der mikrobiologischen Untersuchung abgewartet werden!
Konservative Therapie [5]
- Indikation
- Akute Osteomyelitis ohne OP-Indikation
- Chronische Osteomyelitis mit suppressiver Behandlung
- Durchführung: Immer begleitend zur Antibiotikatherapie
- Ruhigstellung
- Kein Therapieansprechen nach 1 Woche: Re-Evaluation und ggf. operative Therapie erwägen
Eine konservative Therapie der chronischen Osteomyelitis ist nur im Rahmen einer suppressiven Behandlung indiziert!
Operative Therapie [4][5]
- Indikation
-
Akute Osteomyelitis mit OP-Indikation
- Abszess (subperiostal oder intraossär), Gelenkempyem
- Nekrotischer Knochen, Sequester
- Notwendige Stabilisation des Knochens
- Ausgeprägte begleitende Weichgewebeinfektion
- Nicht-Ansprechen auf konservative Therapie
- Chronische Osteomyelitis mit kurativer Behandlung
-
Akute Osteomyelitis mit OP-Indikation
- Ziele
- Infektsanierung
- Rekonstruktion eines knöchernen Defekts
- Erreichen einer vitalen Weichgewebedeckung
- Durchführung: Immer begleitend zur Antibiotikatherapie
- Offene Biopsie
- Radikales Débridement und Nekrosektomie
- Ggf. primärer Verschluss
- Ggf. temporäre Stabilisierung mit Fixateur externe
- Ggf. Nachresektionen [27]
- Ggf. Einbringen lokaler Antibiotikaträger
- Ggf. Rekonstruktion des knöchernen Defekts
- Ggf. Entfernen von Implantaten (inkl. Biofilm), siehe auch:
- Ultima Ratio: Amputation
Komplikationen
Allgemeine Komplikationen
- Persistierende Infektion bzw. Chronifizierung
- Progrediente Infektion mit lokaler oder systemischer Ausbreitung
- Lokal: Abszess, Gelenkempyem
- Systemisch: Hämatogene Streuung, Sepsis
- Rezidiv [28]
- Knöcherne Destruktion und Instabilität
- Pathologische Fraktur
- Fehlstellung bzw. Deformität
- Pseudarthrose
- Arthrose
- Bei offenen Wachstumsfugen: Wachstumsstörung
- Weichgewebedestruktion
- Chronische Wunde, Wundheilungsstörung
- Fehlende Weichgewebedeckung
- Chronische Schmerzen
- Bewegungs- und Funktionseinschränkung
- Phlebothrombose, Embolie
Operative Komplikationen
- Wundheilungsstörung, Bildung eines Hämatoms oder Seroms
- Insuffiziente Weichgewebedeckung
- Pseudarthrose
- Sekundäre Infektion eines Implantats
- Defektheilung
- Siehe auch:
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Osteomyelitis im Kindes- und Jugendalter
Epidemiologie [30]
- Inzidenz: 9,2/100.000 Kinder (2019)
- Altersgipfel: Bimodale Verteilung
- Geschlechterverteilung: ♂ = ♀
- Lokalisation: Untere Extremität (ca. 60%)
- Metaphysen der langen Röhrenknochen [31]
- Ggf. Ausbreitung in das Gelenk, insb. bei Kleinkindern [17]
- Sehr selten: Wirbelsäule, siehe auch: Spondylodiszitis im Kindes- und Jugendalter
Ätiologie [17][32]
- Infektionsweg: Endogen > Exogen
- Typischer Erreger
- Altersunabhängig: Staph. aureus (ca. 50%), bspw. Gruppe-A-Streptokokken, Streptococcus (Strep.) pneumoniae
- Altersspezifisches Keimspektrum, bspw. Kingella kingae im Kindergartenalter
- Siehe auch: Antibiotikatherapie der akuten hämatogenen Osteomyelitis bei Kindern
Symptomatik [17][32]
- Akuter Verlauf
-
Schmerzen
- Lokaler Druckschmerz
- Belastungsschmerz, bspw. Schonhinken, Unfähigkeit zur Belastung
- Lokale Entzündungszeichen
- Fieber, Schüttelfrost
- Verschlechterung des Allgemeinzustands: Bewegungsarmut, Krankheitsgefühl, Unruhe, Trinkverweigerung
-
Schmerzen
- Chronischer Verlauf
- Wiederkehrende Schmerzen
- Keine ausgeprägten lokalen oder systemischen Entzündungszeichen
Bei jedem Fieber unklarer Genese im Wachstumsalter muss eine Osteomyelitis ausgeschlossen werden!
Diagnostik [17]
- Labordiagnostik
- CRP↑ , BSG↑, Leukozytenanzahl↑
- Venöse Blutkulturen
- Abnahme 3× innerhalb von 90 min (insb. während eines Fieberschubs sinnvoll)
- Erfolgsquote ca. 40%
- PCR bei V.a. Kingella kingae
- Biopsie: Insb. bei bisher fehlendem Erregernachweis
- Bildgebung
- Konventionelle Röntgenaufnahme: Insb. zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen und zur Verlaufskontrolle
- MRT mit KM: Goldstandard
- Ggf. Sonografie
- Siehe auch: Diagnostik der Osteomyelitis
Die Bestimmung des verursachenden Keimes ist essenziell für eine zielgerichtete Antibiotikatherapie, gelingt mittels Blutkultur aber in weniger als der Hälfte der Fälle!
Therapie
- Konservative Therapie
- Indikation: Akute hämatogene Osteomyelitis
- Vorgehen: Antibiotikatherapie, kurzfristige Ruhigstellung und Analgesie
- Chirurgische Therapie [33]
- Indikation
- Drainierungsbedürftiger Abszess, Gelenkempyem oder Sequester
- Kein Ansprechen auf Antibiotikatherapie
- Chronische Osteomyelitis
- Typisches Vorgehen: Zugang häufig über ein kortikales Fenster möglich
- Débridement und Nekrosektomie
- Ggf. Abszessdrainage
- Primärer Wundverschluss
- Ruhigstellung
- Indikation
- Supportive Maßnahmen, bspw. Analgesie
- Paracetamol: Kinder (jeden Alters)
- Ibuprofen: Kinder ≥3 Monate
In den meisten Fällen ist ein konservatives Vorgehen erfolgreich!
Antibiotikatherapie
- Beginn: Nach Entnahme der Blutkulturen, jedoch vor etwaiger geplanter Biopsie
- Dauer
- 3–4 Wochen: Bei Alter ≥2 Monate und unkompliziertem Verlauf
- >4 Wochen: Bei Alter <2 Monate und/oder Risikofaktoren für komplizierten Verlauf [17]
- Grunderkrankungen
- Behandlungsverzögerung >5 Tage
- Keimnachweis von MRSA oder Strep. pneumoniae
- Hüfte, Knie- oder Sprunggelenk betroffen
- Begleitende bakterielle Arthritis, Abszessbildung oder Pyomyositis
- Durchführung [17]
- Initial empirische Antibiotikatherapie i.v. für ca. 3 Tage
- Altersabhängig empfohlenes Antibiotikum: Siehe Antibiotikatherapie der akuten hämatogenen Osteomyelitis bei Kindern
- Bei V.a. Staph. aureus: Cephalosporine der 1. Generation, bspw. Cefazolin i.v.
- Bei V.a. Gruppe-A-Streptokokken oder Staph. aureus und Penicillinallergie: Clindamycin i.v.
- Wechsel auf p.o. Gabe nach Antibiogramm für mind. 20 Tage
- Meist hohe Dosierung und adäquate Knochenpenetration notwendig
- Bspw. Cephalosporine der 1. Generation oder Clindamycin
- Initial empirische Antibiotikatherapie i.v. für ca. 3 Tage
Altersspezifisches Keimspektrum und Antibiotikatherapie der akuten hämatogenen Osteomyelitis bei Kindern | ||
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Altersgruppe | Typische Erreger [17] | Empfohlene empirische Antibiotikatherapie (i.v. Gabe) [32] |
Neugeborene |
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Säuglinge <1 Jahr |
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Kinder 1–5 Jahre |
| |
Kinder >5 Jahre |
| |
Jugendliche ≥12 Jahre |
|
Bei einer Prävalenz von MRSA ≥10% und clindamycinresistentem Staph. aureus ≥10% sollte die empirische Antibiotikatherapie ein gegen MRSA wirksames Antibiotikum enthalten, bspw. Vancomycin! [17]
Ein sofortiger Therapiebeginn mit i.v. Antibiotika ist notwendig, da eine Beschädigung der Wachstumsfuge gravierende langfristige Folgen haben kann!
Verlaufskontrolle
- Laborkontrolle: Regelmäßige Bestimmung von CRP [17]
- Radiologische Kontrolle
- Bei Beteiligung der Epiphyse
- Bei kompliziertem Verlauf
- Bei Therapieversagen
- Re-Evaluation der Antibiotikatherapie
- Re-Evaluation einer chirurgischen Intervention
- Ggf. multilokulärer Befall
- Nachkontrollen: Mind. 1 Jahr bei Kindern mit kompliziertem Verlauf
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M86.-: Osteomyelitis
- Exklusive: Osteomyelitis durch Salmonellen (A01–A02), Kiefer (K10.2‑), Wirbel (M46.2‑)
- M86.0-: Akute hämatogene Osteomyelitis
- M86.1-: Sonstige akute Osteomyelitis
- M86.2-: Subakute Osteomyelitis
- M86.3-: Chronische multifokale Osteomyelitis
- M86.4-: Chronische Osteomyelitis mit Fistel
- M86.5-: Sonstige chronische hämatogene Osteomyelitis
- M86.6-: Sonstige chronische Osteomyelitis
- M86.8-: Sonstige Osteomyelitis
- M86.9-: Osteomyelitis, nicht näher bezeichnet
- Knocheninfektion o.n.A., Periostitis o.n.A.
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.