Zusammenfassung
Die Diphtherie ist eine klassischerweise durch Corynebacterium diphtheriae hervorgerufene Erkrankung, die über Tröpfcheninfektion übertragen wird und sowohl den Rachen als auch den Kehlkopf betreffen kann. Die Rachendiphtherie stellt sich als Angina tonsillaris mit Pseudomembranen dar, während die Kehlkopfdiphtherie im klinischen Vollbild als echter Krupp (bellender Husten, zunehmende Heiserkeit und Aphonie) imponiert. Ausgehend vom Ort der Infektion kommt es nach einigen Tagen zu einer systemischen Intoxikation, die ohne Gabe eines Diphtherie-Antitoxins zu einem Multiorganversagen führen kann. Seit Einführung des Totimpfstoffs in den 1920er-Jahren ist die Inzidenz massiv gesunken.
Ätiologie
- Erreger [1]
- Corynebacterium diphtheriae (grampositives Stäbchen, Toxinbildner)
- Seltener andere Spezies der Corynebakterien: Corynebacterium ulcerans, Corynebacterium pseudotuberculosis
- Pathogenese [2]
- Infektion des Corynebakteriums mit Bakteriophagen → Ausschüttung von Diphtherietoxinen → Hämatogene Aussaat → Inaktivierung des Elongationsfaktors (EF-2) → Inhibition der Proteinbiosynthese → Ggf. lebensgefährliche Komplikationen
- Infektionsweg
- I.d.R. Tröpfcheninfektion (über Niesen, Husten, Küssen)
- Bei Hautdiphtherie: Schmierinfektion oder Infektion über kontaminierte Gegenstände
- Infektiosität
- Unbehandelt 2–4 Wochen
- Behandelt 2–4 Tage
- Häufigkeit
- Deutlich rückläufig seit Einführung der Impfung
- Saisonaler Morbiditätsgipfel: Herbst und Winter
Symptomatik
Inkubationszeit
- 2–5 Tage
Allgemeinsymptome
- Fieber
- Abgeschlagenheit
Lokale Symptome bei Diphtherie
- „Cäsarenhals“ : Stark geschwollene, schmerzhafte Halslymphknoten, die zu einem Anschwellen des gesamten Halses führen
- Kehlkopfdiphtherie
- „Echter Krupp“
- Anschwellen des Kehlkopfes mit inspiratorischem Stridor (Erstickungsgefahr) und Dysphagie
- Rachendiphtherie
- Angina tonsillaris mit Pseudomembranen
- Foetor ex ore: Faulig-süßlicher Mundgeruch
- Nasendiphtherie: Blutiger Schnupfen, beidseitige Nasensekretion
- Hautdiphtherie
- Hautbefall durch direkte Übertragung mit Erythem, Impetigo oder tiefen Ulzerationen
- Häufig Mischinfektion mit Staphylokokken und Streptokokken
Systemische Ausbreitung/Komplikationen
- Auftreten 4–5 Tage nach Lokalinfektion
- Herz: Myokarditis und Herzrhythmusstörungen, Endokarditis
- Nervensystem: Polyneuropathie, Paresen (Gaumensegellähmung), Enzephalitis
- Niere: Akute Nierenschädigung
- Lunge: Lungenembolie
- Ggf. Multiorganversagen
Diagnostik
- Klinische Untersuchung: siehe Lokale Symptome bei Diphtherie
- Labor
- Kultureller Erregernachweis (Neisser-Färbung) [3]
- Nachweis des Diphtherietoxins
- Elek-Ouchterlony-Immunpräzipitationstest (ELEK-Test)
- oder PCR
- Nachweis des Diphtherietoxin-Gens mittels PCR
- Umfelddiagnostik
Differenzialdiagnosen
- Für Rachendiphtherie siehe: Differenzialdiagnosen der akuten Tonsillitis
- Für Kehlkopfdiphtherie siehe: Differenzialdiagnosen des Pseudokrupp
- Hautdiphtherie: Sekundäre Haut- und Wundinfektionen (bspw. durch Staphylococcus aureus bedingte Pyodermien)
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Bereits bei Verdacht auf Diphtherie bedarf es einer notfallmäßigen stationären Aufnahme mit Isolation des Patienten und einer unmittelbaren Therapieeinleitung!
Therapie (mutmaßlich) erkrankter Personen
Allgemeine Maßnahmen
- Immer stationäre Aufnahme
- Ggf. intensivmedizinische Betreuung mit Atemwegssicherung
- Isolation
- Behandlung nur durch Personal mit aktuellem Impfstatus
- Für den Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen siehe: Wiederzulassung in Gemeinschaftseinrichtungen (Diphtherie)
- Schonung
- Volumengabe
Medikamentöse Therapie (unmittelbar, d.h. bereits ab Verdacht!)
- Diphtherie-Antitoxin (Antitoxin als Immunserum vom Pferd) [4]
- Um anaphylaktische Reaktionen zu vermeiden, zunächst intrakutane Gabe von 0,1 mL Diphtherie-Antitoxin (Verdünnung 1:10), bei guter Verträglichkeit einmalige intravenöse Therapie
- Dosierungsstufen
- Bei leichter Nasendiphtherie [4]
- Bei Tonsillen- und Rachendiphtherie [4]
- Bei mittelschwerer nasopharyngealer Diphtherie [4]
- Bei schwerer nasopharyngealer Diphtherie, Kehlkopfdiphtherie, Cäsarenhals oder Krankheitsdauer >48 h [4]
- Antibiotikatherapie
-
Penicillin G
- Säuglinge, Kinder und Jugendliche [4][5]
- Erwachsene
- Bei Penicillinallergie: Erythromycin
- Alternativen: Tetracycline, Rifampicin, Clindamycin
-
Penicillin G
- Schmerzmedikation
- NSAR wie Ibuprofen (bedarfsorientiert), ggf. in Verbindung mit einem Protonenpumpenhemmer wie Pantoprazol
- Kinder ≥3 Monate
- Erwachsene
- oder Paracetamol
- Kinder (jeden Alters)
- Erwachsene
- NSAR wie Ibuprofen (bedarfsorientiert), ggf. in Verbindung mit einem Protonenpumpenhemmer wie Pantoprazol
Entscheidend ist die frühzeitige Gabe des Antitoxins, da die klinischen Symptome nicht vom Erreger hervorgerufen werden, sondern vom Toxin!
Therapie von Kontaktpersonen [1]
Prognose
- Letalität [1]
- Mit Behandlung ca. 5–10%
- Ohne rechtzeitige Behandlung ca. 25%
Prävention
Allgemeine Maßnahmen (bei Erkrankungs- und Verdachtsfällen) [1]
- Isolation bzw. Kontaktbeschränkung
- Schutzmaßnahmen gegen Tröpfchen- oder Kontaktübertragung
- Adäquate Desinfektionsmaßnahmen
- Ausschluss aus Gemeinschaftseinrichtungen
Diphtherie - Wiederzulassung in Gemeinschaftseinrichtungen [7]
Zur Wiederzulassung in Gemeinschaftseinrichtungen ist immer die Vorlage eines ärztlichen Attests erforderlich!
Personen mit nachgewiesener Erkrankung, Krankheitsverdacht oder Keimträgerstatus
- Voraussetzung der Wiederzulassung: 2 negative Abstrich-Paare
- Indikationen
- Nachgewiesene Erkrankung
- Krankheitsverdacht ohne Abstrichentnahme vor antibiotischer Therapie
- Keimtragende
- Durchführung
- Nasenabstrich und Rachen- bzw. Wundabstrich
- 1. Abstrich ≥24 h nach Ende der antibiotischen Therapie
- 2. Abstrich ≥24 h nach 1. Abstrich
- Indikationen
- Ausnahme: Nicht bestätigter Krankheitsverdacht
- Wiederzulassung mit Befundeingang
Enge Kontaktpersonen Erkrankter
- Voraussetzung der Wiederzulassung
- Bei Abstrichentnahme vor antibiotischer Postexpositionsprophylaxe: Negativer Abstrichbefund
- Falls kein Abstrich vor antibiotischer Postexpositionsprophylaxe erfolgte: 1 negatives Abstrich-Paar
- Nasenabstrich und Rachen- bzw. Wundabstrich
- Entnahme ≥24 h nach Ende der Postexpositionsprophylaxe
Diphtherie-Impfung
STIKO-Empfehlungen [8]
Standardimpfung
- Grundimmunisierung: 3 Impfdosen (je 1 Impfdosis im Alter von 2, 4 und 11 Monaten)
- Beachte: Bei Frühgeborenen 4 Impfdosen (je 1 Impfdosis im Alter von 2, 3, 4 und 11 Monaten)
- Auffrischungsimpfung
- Kinder und Jugendliche <18 Jahre: 2 Impfdosen
- 1. Impfdosis im Alter von 5–6 Jahren
- 2. Impfdosis im Alter von 9–16 Jahren
- Erwachsene ≥18 Jahre: 1 Impfdosis alle 10 Jahre
- Kinder und Jugendliche <18 Jahre: 2 Impfdosen
Nachholimpfung
- Bei fehlender Grundimmunisierung oder unklarem Impfstatus: 3 Impfdosen
Postexpositionelle Impfung
Eine durchgemachte Erkrankung verleiht keine Immunität. Deswegen gelten die Impfempfehlungen für alle Menschen!
Impfschutz
- Beginn: Ab 2 Wochen nach der 2. Impfdosis
- Dauer: Über 10 Jahre (nach Grundimmunisierung)
Impfstoffe
- Totimpfstoffe mit Diphtherie-Toxoid (Adsorbatimpfstoffe)
Zur Diphtherie-Impfung steht kein monovalenter Impfstoff zur Verfügung, Kombinationsimpfstoffe können aber auch bei einer bestehenden Immunität gegen einen oder mehrere der anderen Erreger verwendet werden!
Diphtherie-Postexpositionsprophylaxe
- Indikation: Enger Kontakt zu Erkrankten
- Maßnahmen
- Chemoprophylaxe (unabhängig vom Impfstatus)
- Depotpenicillin i.m.
- Kinder [4][9]
- Erwachsene [10]
- Oder Erythromycin p.o.
- Säuglinge und Kinder ≥1 Monat bis <12 Jahre [4][6]
- Jugendliche ≥12 Jahre [4][6]
- Erwachsene
- Alternativen bei Unverträglichkeit
- Depotpenicillin i.m.
- Ggf. Impfung
- Wenn letzte Auffrischungsimpfung >5 Jahre zurückliegend: 1 Impfdosis mit Td-Impfstoff
- Bei fehlender/unvollständiger Grundimmunisierung: Grundimmunisierung nachholen/komplettieren
- Nasen-Rachen-Abstriche
- Regelmäßig Hände- und Flächendesinfektion durch die Kontaktperson
- Ärztliches Beobachten des Gesundheitszustandes
- Verbot, in einer Gemeinschaftseinrichtung tätig zu sein bzw. diese aufzusuchen
- Chemoprophylaxe (unabhängig vom Impfstatus)
Meldepflicht
- Arztmeldepflicht
- Nach § 6 IfSG: Namentliche Meldepflicht bei Verdachts-, Krankheits- und Todesfällen von Diphtherie
- Nach IfSGMeldeVO (nur in Sachsen ): Namentliche Meldepflicht bei Ausscheidern von Corynebacterium-diphtheriae
- Labormeldepflicht
- Nach § 7 IfSG: Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis von Corynebacterium diphtheriae
- Nach § 11 IfSG: Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis von Corynebacterium diphtheriae an das RKI (Robert-Koch-Institut) über die zuständigen Landesbehörden
- Meldepflicht für Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen nach § 34 IfSG
- Namentliche Meldepflicht bei Verdachts- und Krankheitsfällen von Diphtherie (§ 34 (1) IfSG)
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Diphterie
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- A36.-: Diphtherie
- A36.0: Rachendiphtherie / Angina pseudomembranacea diphtherica / Tonsillendiphtherie
- A36.1: Nasenrachendiphtherie
- A36.2: Kehlkopfdiphtherie / Diphtherische Laryngotracheitis
- A36.3: Hautdiphtherie
- Exklusive: Erythrasma (L08.1)
- A36.8: Sonstige Diphtherie / Diphtherisch:
- A36.9: Diphtherie, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.