Abstract
Der Schockraum stellt ein wichtiges Bindeglied zwischen präklinischer und klinischer Patientenversorgung dar. Als wesentlicher Bestandteil einer Notaufnahme ermöglicht er die schnelle Diagnostik und Therapie von lebensbedrohlichen Verletzungen oder Erkrankungen. Bezüglich der personellen, räumlichen, logistischen und materiellen Anforderungen gibt es klare Empfehlungen, bspw. im Rahmen der S3-Leitlinie „Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung“. Dort wird auch die Wichtigkeit der Entwicklung von Versorgungskonzepten betont, die sich an den lokalen Verhältnissen orientieren und ein koordiniertes und abgestimmtes Zusammenarbeiten ermöglichen. Darüber hinaus sind die Kenntnis und Anwendung von Schockraum-Algorithmen (bspw. cABCDE-Schema, SAMPLE-Schema) essenziell, um die Behandlungsqualität und damit die Überlebenswahrscheinlichkeit kritisch kranker Patient:innen zu verbessern. [1][2][3]
Für die grundlegenden Prinzipien der Schockraumbehandlung siehe: Notfallmanagement - Grundlegende Prinzipien
Schockraumaktivierung
Der Begriff Schockraumaktivierung bezeichnet die Informierung aller zur Versorgung kritisch kranker Patient:innen erforderlichen Personen (ärztliches und pflegerisches Personal) sowie die Vorbereitung der benötigten diagnostischen und therapeutischen Materialien nach vorangegangener Anmeldung durch die Rettungsleitstelle. Entsprechende Aufnahmekriterien sind durch die S3-Leitlinie „Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung“ für traumatologische Fälle definiert. Eine vergleichbare Beschreibung für nicht-traumatologische Fälle existiert aktuell nicht, modifizierte Kriterien lassen sich jedoch ableiten .
Anmeldung und Aufnahmekriterien
- Telefonische Anmeldung durch die Rettungsleitstelle
- Kommunikation von
- Allgemeinen Patientendaten (bspw. Alter, Vorerkrankungen)
- Verdachtsdiagnose bzw. Verletzungsmuster
- Wesentlichen Beeinträchtigungen (cABCDE-Schema)
- Wesentlichen Begleitumständen (bspw. Schwangerschaft)
- Schockraumaktivierung durch Notfallkoordinator/Schockraum-Teamleiter
- Sonderfälle
- STEMI → Typischerweise direkte Aufnahme ins Herzkatheterlabor
- Schlaganfall → Anbindung an Schlaganfallstation (Stroke Unit) erwägen
Aufnahme- bzw. Aktivierungskriterien für den Schockraum | |
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Traumatologische Fälle [1] | Nicht-traumatologische Fälle [1][4][5] |
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Sichtungssysteme [7][8]
Sichtungssysteme dienen der schnellen Ersteinschätzung von Notfällen. Insb. bei hohem Patientenaufkommen können sie dazu genutzt werden, die vorhandenen personellen Ressourcen sinnvoll einzusetzen (bevorzugte Behandlung nach medizinischer Dringlichkeit) .
Manchester Triage System [9]
Manchester Triage System | ||
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Kategorie | Indikatoren (Beispiele) | Zeitfenster |
Rot |
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Orange |
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Gelb |
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Grün |
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Blau |
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Fälle der Kategorie „Rot“ (und ggf. „Orange“) sollten primär über den Schockraum aufgenommen werden!
Emergency Severity Index [10]
Emergency Severity Index | ||
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Kategorie | Bedingungen | Zeitfenster |
1 |
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2 |
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3 |
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4 |
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5 |
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Legende |
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Bradykardie oder Bradypnoe fließen beim Emergency Severity Index nicht in die Beurteilung der Vitalparameter mit ein. Klinisch können sie jedoch ebenso bedrohlich wie Tachykardie oder Tachypnoe sein!
Fälle der Kategorie „1“ (und ggf. „2“) sollten primär über den Schockraum aufgenommen werden!
Team Time-out und Briefing [11]
- Verantwortlich: Notfallkoordinator:in bzw. Schockraumteamleiter:in
- Voraussetzung: Ärztliches und pflegerisches Personal vollständig anwesend
- Mitteilung an das gesamte Schockraumteam
- Anmelde-Informationen der Rettungsstelle (inkl. prähospitaler Therapie)
- Geplante diagnostische und therapeutische Maßnahmen (Plan A)
- Alternative Maßnahmen (Plan B)
- Zuständigkeiten der Teammitglieder
- Personalschutzmaßnahmen erforderlich?
- Infektiologisch (bspw. Schutzbrille, Atemmaske)
- Radiologisch (bspw. Röntgenschürze)
Vorbereitung: Materielle Ausstattung des Schockraums [4][5]
Erforderliche Geräte im Schockraum vorhanden und einsatzbereit
- Basismonitoring
- Erweitertes Monitoring
- Invasive Blutdruckmessung (Schlauchsystem und Messwandler)
- 12-Kanal-EKG
- Beatmungsgerät (inkl. Funktionsprüfung) [12]
- Defibrillator (inkl. Elektroden-Klebepads)
- Spritzenpumpen
- Druckinfusionsbeutel (ggf. Druckinfusionsgerät)
- Thermoregulation (Möglichkeit zum Wärmen bzw. Kühlen)
- Absaugung
- Zur Diagnostik
- Sonografie
- Echokardiografie
- Computertomografie
- Mobiles Röntgengerät
Erforderliches Material bereitgelegt
- Atemwegssicherung
- Laryngoskop (ggf. Videolaryngoskop)
- Verschiedene Endotrachealtuben (mit Führungsstab)
- Supraglottische Atemwegshilfen (Larynxmaske, Larynxtubus)
- Koniotomie-Set
- Katheter
- Periphere Venenkatheter (ggf. intraossärer Zugang)
- Arterielle Druckmesskatheter
- Zentrale Venenkatheter (ggf. Shaldon-Katheter)
- Urindauerkatheter (mit Temperaturmessung)
- Labor
- Abnahmesystem
- Röhrchen beklebt und Laborschein ausgefüllt
- Blutgasanalyse
- Blutgruppenbestimmung und Antikörpersuchtest
- Bedside-Test
- Notfalleingriffe
- Thoraxdrainage-Set
- OP-Siebe (Thorakotomie, Laparotomie)
Erforderliche Medikamente vorbereitet
- Analgosedierung und Narkose
- Kreislaufunterstützung
- Volumentherapie
- Vollelektrolytlösungen
- Blutprodukte (EK, FFP)
- Hämostase
- Tranexamsäure [13]
- Gerinnungsfaktoren (bspw. Fibrinogen, PPSB)
- Thrombozytenkonzentrate
Die konkreten Vorbereitungen richten sich nach dem medizinischen Anforderungsprofil (Verletzungsmuster, Erkrankungsschwere) sowie dem jeweiligen Klinikstandard!
Grundlegende Prinzipien der Schockraumbehandlung sind im Kapitel „Notfallmanagement - Grundlegende Prinzipien“ beschrieben!
Zusammensetzung des Schockraumteams
Die personellen Anforderungen (ärztlich, pflegerisch) für die Versorgung traumatologischer Fälle sind durch die S3-Leitlinie „Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung“ klar definiert. Da eine vergleichbare Leitlinie für nicht-traumatologische Fälle bisher nicht vorliegt, orientiert sich die Zusammensetzung des Schockraumteams in dieser Hinsicht eher an allgemeinen Kriterien wie Art und Ausmaß der Erkrankung sowie dem jeweiligen klinikinternen Standard. [1][4][7][14][15]
Allgemeine Empfehlungen
- Festes Schockraumteam (an die jeweiligen Bedürfnisse adaptiert)
- Vorstrukturierte Pläne (klinikinterne Leitlinien und Absprachen) und/oder spezielles Teamtraining (bspw. ATLS®, ETC®)
- Klare Verantwortlichkeiten (Aufgabenbereiche gemäß der individuellen Kompetenzen)
Schockraumteamleiter:in
- Aufgaben
- Organisation und Koordination
- Aufgabenverteilung
- Kontinuierliche Rückmeldung an das Schockraumteam
- Entscheidungsfindung bei Unstimmigkeiten in der Behandlung
- Ggf. Kontaktaufnahme mit Angehörigen
- Anforderungsprofil
- Erfahrung in der Betreuung kritisch kranker Patient:innen (Notfallmedizin, Schockraumversorgung)
- Priorisierung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen
- Überwachung des effektiven Einsatzes der vorhandenen (personellen, materiellen) Ressourcen
- Vorbereitung der weiteren Patientenversorgung im Anschluss an die Schockraumbehandlung
- Interdisziplinäre Kompetenz
- Fachübergreifende medizinische Kenntnis (inkl. Arbeitsweise, Arbeitsabläufe)
- Fähigkeit zur Teamarbeit und zur Teamführung
- Kommunikative Fähigkeiten: Klare und direkte Kommunikation
- Erfahrung in der Betreuung kritisch kranker Patient:innen (Notfallmedizin, Schockraumversorgung)
- Alternativ: (Interdisziplinäre) Führungsgruppe
Durch die Benennung und Kennzeichnung einer verantwortlichen Person für die Schockraumteamleitung können die Abläufe in der Schockraumversorgung und das Behandlungsergebnis verbessert werden!
Traumatologisches Schockraumteam
- Ärztliche Mindestbesetzung
- Zwei Vertreter:innen der Chirurgie (fachärztlicher Standard)
- Ein/eine Vertreter:in der Anästhesie (fachärztlicher Standard)
- Ein/eine Vertreter:in der Radiologie
- Pflegerische Mindestbesetzung
- Zwei chirurgische Pflegekräfte
- Eine anästhesiologische Pflegekraft
- Eine medizinisch-technische Radiologiefachkraft (MTRA)
Falls im Rahmen der Schockraumversorgung oberärztliche Unterstützung benötigt wird, sollte diese innerhalb von max. 30 min nach Anforderung verfügbar sein!
Empfohlene ärztliche Teamzusammensetzung nach Versorgungsstufe (erweitertes traumatologisches Schockraumteam)
Fachabteilung | ÜTZ | RTZ | LTZ |
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Unfallchirurgie | ✓ | ✓ | ✓ |
Allgemein- oder Viszeralchirurgie | ✓ | ✓ | ✓ |
Anästhesie | ✓ | ✓ | ✓ |
Radiologie | ✓ | ✓ | ✓ |
Gefäßchirurgie | ✓ | (✓) | ∅ |
Neurochirurgie | ✓ | (✓) | ∅ |
Herz- oder Thoraxchirurgie | ∞ | ∞ | ∅ |
Plastische Chirurgie | ∞ | ∞ | ∅ |
Augenheilkunde | ∞ | ∞ | ∅ |
HNO-Heilkunde | ∞ | ∞ | ∅ |
MKG-Chirurgie | ∞ | ∞ | ∅ |
Pädiatrie oder Kinderchirurgie | ∞ | ∞ | ∅ |
Gynäkologie | ∞ | ∞ | ∅ |
Urologie | ∞ | ∞ | ∅ |
Legende |
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In überregionalen Traumazentren soll ein qualifizierter Vertreter (Facharztstandard) der erforderlichen Abteilung innerhalb von max. 30 min. nach Anforderung verfügbar sein!
Nicht-traumatologisches Schockraumteam
Die personelle Zusammensetzung des nicht-traumatologischen Schockraumteams orientiert sich aufgrund fehlender Empfehlungen seitens der Fachgesellschaften v.a. am jeweiligen klinikinternen Standard und den medizinischen Anforderungen in der Patientenversorgung. Die genannten Empfehlungen beruhen aktuell auf Expertenmeinungen. [4][5]
- Mindestbesetzung zur Schockraumversorgung nicht-traumatologischer, kritisch kranker Patient:innen in der zentralen Notaufnahme (ZNA)
- Ein/eine ZNA-Oberarzt/-ärztin bzw. -Facharzt/-ärztin
- Ein/eine ZNA-Assistenzarzt/-ärztin
- Zwei ZNA-Pflegekräfte
- Kompetenzen des gesamten Teams insb. hinsichtlich
- Atemwegsmanagement, Beatmung
- Kreislaufstabilisierung
- Zusatzweiterbildung(en) des ärztlichen Teams
- Notfallmedizin
- Intensivmedizin
- Klinische Akut- und Notfallmedizin
Dokumentation
Eine gute und standardisierte Dokumentation ist (neben der medizinischen Behandlung) bei der Versorgung kritisch kranker bzw. polytraumatisierter Patient:innen von besonderer Wichtigkeit. [14]
- Zeitpunkt: Optimalerweise begleitend zur Schockraumversorgung
- Wesentlicher Inhalt
- Eigen- bzw. Fremdanamnese
- Verlauf der Vitalparameter
- Durchgeführte diagnostische und therapeutische Maßnahmen
- Vorteile bei Verwendung standardisierter Protokolle (bspw. Notaufnahmeprotokoll der DIVI) [16]
- Transparenz von Prozess- und Ergebnisqualität
- Überprüfung und ggf. Korrektur von Behandlungsprozessen möglich