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Blutgerinnung und hämorrhagische Diathesen

Letzte Aktualisierung: 21.11.2022

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Hämorrhagische Diathesen entstehen aufgrund einer Störung der physiologischen Blutgerinnung und bezeichnen eine pathologisch gesteigerte Blutungsneigung. Um die Symptome und Befunde einem bestimmten Krankheitsbild zuordnen zu können, ist ein Grundverständnis der Pathophysiologie der Gerinnung sehr wichtig. Störungen der primären Blutstillung (Thrombozytenaggregation) müssen dabei von Störungen der sekundären Blutstillung (plasmatische Gerinnungskaskade) unterschieden werden. Bei Störungen der Thrombozytenaggregation ist mit petechialen Blutungen und in der Gerinnungsdiagnostik mit einer verlängerten Blutungszeit zu rechnen. Bei Störungen in der plasmatischen Gerinnung kommt es eher zu großflächigen Blutungen und in der Gerinnungsdiagnostik entweder zu einer Verlängerung der aPTT (intrinsisches System, z.B. bei Hämophilie) oder zu einer Erhöhung der INR (extrinsisches System, z.B. Cumarin-Therapie). Bei kombinierten Störungen ist das gleichzeitige Vorliegen von Petechien und großflächigen Blutungen typisch (z.B. beim Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom – wiederum ein Beispiel für eine Störung, die oftmals erst bei größeren Verletzungen oder Operationen auffällt).

Ablauf der Hämostase

Der Ablauf der Gerinnungskaskade ist nur im Beisein von Calcium-Ionen (Faktor IV) möglich!

Physiologische Inhibition der Gerinnungskaskade

Pathologien der Inhibitoren der Gerinnungskaskade führen zu einer verstärkten Gerinnungsneigung!

Für weitergehende Informationen zu Erkrankungen der Inhibitoren der Blutgerinnung siehe auch: Risikofaktoren der tiefen Beinvenenthrombose

Fibrinolyse

Blutgerinnung und Fibrinolyse laufen ständig parallel im Gefäßsystem ab. Durch das fibrinolytische System wird kontinuierlich Fibrin gespalten und abgebaut.

  • Physiologische Fibrinolyse
    1. Urokinase und tissue-type-plasminogen-activator (t-PA) spalten Plasminogen → Entstehung des aktiven Plasmins
    2. Plasmin spaltet Fibrin → Entstehung von D-Dimeren
  • Regulation: Bindung von t-PA an PA-Inhibitor (PA-I) vermindert die t-PA Aktivität und somit die Fibrinolyse

Pharmakologische Beeinflussung der Hämostase

Pharmakologische Beeinflussung der Fibrinolyse

Medikamentös kann die Fibrinolyse durch Fibrinolytika verstärkt und durch Antifibrinolytika gehemmt werden. Fibrinolytika sind bspw. in der Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls von großer Bedeutung, während Antifibrinolytika u.a. bei schwerwiegenden Blutungen aufgrund einer Hyperfibrinolyse eingesetzt werden.

Fibrinolytika (therapeutisch eingesetzte Plasminogenaktivatoren)

Wirkstoffe

Herkunft Wirkmechanismus Indikationen Nebenwirkungen Kontraindikationen

Streptokinase

  • Aktivierung der Umwandlung von Plasminogen in Plasmin → Auflösung bestehender Thromben

Urokinase (u-PA = engl. für „urokinase-type plasminogen activator)

  • Aus menschlichem Urin gewonnenes Enzym

Alteplase (rt-PA = rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator) [3]

  • Gentechnologisch hergestellter t-PA

Reteplase (r-PA)

Tenecteplase (TNK)

Es werden die wichtigsten Indikationen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die häufigsten Komplikationen einer Fibrinolyse sind Blutungen verschiedenster Art, wobei intrakranielle Blutungen am gefürchtetsten sind. Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei schwerwiegenden Blutungskomplikationen ist die sofortige Beendigung der Fibrinolytikagabe!

Antifibrinolytika
Wirkstoff Wirkmechanismus Indikationen Nebenwirkungen Kontraindikationen
Tranexamsäure [4]
  • Synthetischer Plasminogenaktivator-Inhibitor: Komplexbildung mit Plasminogen → Hemmung der Plasminogenaktivierung durch Plasminogenaktivatoren (bspw. t-PA) → Hemmung der Umwandlung von Plasminogen in Plasmin
    • Ggf. verzögerter Wirkeintritt

Es werden die wichtigsten Indikationen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Störungen der primären Hämostase

Bei Störungen der primären Hämostase ist die Thrombozytenaggregation beeinträchtigt!

Störungen der sekundären Hämostase

Bei Störungen der sekundären Hämostase ist die plasmatische Gerinnung (Gerinnungskaskade) beeinträchtigt!

Störungen der Fibrinolyse

Kombinierte Gerinnungsstörungen

Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS)

Thrombozytenaggregationshemmer sind aufgrund der Erhöhung der Blutungsgefahr kontraindiziert!

Formen

Typ Erbgang/Ätiologie Pathophysiologie
Angeboren vWS Typ 1 (80 %)
  • Quantitativer Mangel an vWF und Faktor VIII
vWS Typ 2 (15-20 %)
  • Qualitative Beeinträchtigung des vWF
vWS Typ 3 (ca. 1 %)
  • Quantitativ vollständiges Fehlen an vWF und Faktor VIII
Erworbenes vWS
  • Sekundär meist bei anderen hämato-onkologischen Erkrankungen
  • Autoimmunerkrankungen

Verbrauchskoagulopathie

siehe: Schock Verbrauchskoagulopathie

Blutungszeitpunkt Blutungstyp
Störung der primären Hämostase (Thrombozytenaggregation) direkt nach der Verletzung petechiale Blutungen
Störung der sekundären Hämostase (Plasmatische Gerinnung) Minuten bis Stunden nach der Verletzung großflächige Blutungen; Hämarthros, Hämatome
Kombinierte Gerinnungsstörung unterschiedlich petechiale und großflächige Blutungen

Petechiale Blutungen sprechen für eine Störung der primären Hämostase, großflächige Blutungen für eine Störung der sekundären Hämostase!

Gerinnungslabor

Die verschiedenen laborchemischen Untersuchungen erfassen jeweils Abschnitte des komplexen Gerinnungssystems. Zusammengenommen geben sie meist Aufschluss über den Ort einer Störung.

Diagnostik von Störungen der primären Blutstillung

  • Thrombozytenzahl
  • Blutungszeit
    • Maß für die Dauer zwischen Lanzettenstich und Stillstand der Blutung
    • Erfasst quantitative und qualitative Pathologien der Thrombozyten
    • Norm: Je nach Testverfahren 2–5 Min

Diagnostik von Störungen der sekundären Blutstillung

Parameter Einheit Beschreibung Beurteilung Klinische Relevanz
Quick-Wert (Prothrombinzeit, Thromboplastinzeit, TPZ) % Dauer von Aktivierung des extrinsischen Systems durch Thromboplastin und Calcium bis zur Bildung von Fibrinpolymeren
International Normalized Ratio (INR) keine

Laborübergreifende Normung des Quick-Werts. Gibt den Faktor an, um den die Gerinnungszeit (Thromboplastinzeit) des Patientenplasmas im Verhältnis zum durchschnittlichen Normalplasma verlängert ist

  • Für die Berechnung wird die Thromboplastinzeit der Patientenprobe ins Verhältnis zu der Thromboplastinzeit eines von der WHO standardisierten Reagenzes gesetzt und mit dem sog. International Sensitivity Index potenziert
  • Ersetzt im klinischen Alltag immer mehr den traditionellen Quick-Wert
(aktivierte) partielle Thromboplastinzeit (aPTT, PTT) sek.

Dauer von Aktivierung des intrinsischen Systems durch Zugabe von Phospholipiden bis zur Bildung von Fibrinpolymeren

  • Intrinsisches System und gemeinsame Endstrecke
(Plasma‑)Thrombinzeit (PTZ, TZ) sek. Dauer ab Zugabe von Thrombin bis zur Entstehung von Fibrinpolymeren
  • Nur terminale Endstrecke
  • Test auf Fibrinogenmangel
  • Überwachung einer Heparin- oder Fibrinolysetherapie
Reptilasezeit sek. Dauer ab Zugabe von Reptilase bis zur Entstehung von Fibrin
  • Test auf Fibrinogenmangel

Differenzialdiagnosen

Lokalisation der Störung Vorkommen bei

Thrombo-

zyten

Blutungs-

zeit

INR Quick aPTT
Störungen der primären Hämostase = = =
↓/ = = = =

Störungen der sekundären Hämostase

= = =
= = = =
Störungen der Fibrinolyse =
Kombinierte Gerinnungsstörungen = = = =/↑
  • Manifeste DIC

Weitere Diagnostik

Die Therapie richtet sich nach der jeweiligen Primärerkrankung!

Störungen der primären Hämostase

Störungen der sekundären Hämostase

Störungen der Fibrinolyse

Kombinierte Gerinnungsstörungen

Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom

Verbrauchskoagulopathie

Siehe: SchockTherapie der Verbrauchskoagulopathie

In Kooperation mit Meditricks bieten wir dir ein Video zum Einprägen relevanter Fakten an. Die Inhalte sind vielfach auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend. Viele Meditricks gibt es in Lang- und Kurzfassung zur schnelleren Wiederholung. Eine Übersicht über alle Videos findest du in dem Kapitel Meditricks.

Primäre Hämostase

Sekundäre Hämostase

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D68.-: Sonstige Koagulopathien

D69.-: Purpura und sonstige hämorrhagische Diathesen

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

  1. Karow: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2021. 29. Auflage Thomas Karow (Verlag) 2020, ISBN: 978-3-982-12231-1 .
  2. Actilyse® Fachinformation .
  3. Cyklokapron®-Injektionslösung Fachinformation .
  4. Siegenthaler, Blum: Klinische Pathophysiologie. 9. Auflage Thieme 2013, ISBN: 978-3-131-76089-0 .
  5. Lüllmann et al.: Pharmakologie und Toxikologie. 15. Auflage Thieme 2002, ISBN: 3-133-68515-5 .
  6. Pötzsch et al.: Hämostaseologie Grundlagen, Diagnostik, Therapie. 2. Auflage Springer 2010, ISBN: 978-3-642-01543-4 .
  7. Luxembourg et al.: Basiswissen Gerinnungslabor In: Deutsches Ärzteblatt. Band: 104, Nummer: 21, 2007, .
  8. Hoffman, Monroe: A cell-based model of hemostasis. In: Thrombosis and haemostasis. Band: 85, Nummer: 6, 2001, p. 958-65.
  9. Versteeg et al.: New Fundamentals in Hemostasis In: Physiological Reviews. Band: 93, Nummer: 1, 2013, doi: 10.1152/physrev.00016.2011 . | Open in Read by QxMD p. 327-358.
  10. Pötzsch, Madlener: Gerinnungskonsil. 1. Auflage Thieme 2002, ISBN: 978-3-131-35331-3 .