Zusammenfassung
Das kutane Angiosarkom (AS) ist ein seltener, hochmaligner Tumor, der von den Endothelzellen der Blut- oder Lymphgefäße ausgeht und zu den Weichteilsarkomen gehört. Das primäre AS tritt bevorzugt bei älteren Männern im Kopf-Hals-Bereich auf. Sekundäre AS sind oft Strahlentherapie- oder Lymphödem-assoziiert und treten insb. im Brustbereich nach Mammakarzinom auf. Initial ähnelt das kutane Angiosarkom Prellungen oder Hämatomen, was zu einer verzögerten Diagnosestellung beitragen kann. Die Diagnose wird mittels Biopsie und Histopathologie gesichert, wobei immunhistochemische Marker wie CD31, D2-40 und ERG entscheidend sind. Die Therapie der Wahl ist multimodal und besteht aus einer weiten chirurgischen Resektion, gefolgt von einer adjuvanten Strahlentherapie. Bei inoperablen oder metastasierten Tumoren kommen zusätzlich Chemotherapeutika wie Doxorubicin, Paclitaxel oder zielgerichtete Substanzen zum Einsatz. Die Prognose ist insgesamt schlecht und wird durch Faktoren wie Tumorgröße, Lokalisation und Invasionstiefe bestimmt.
Epidemiologie
- Inzidenz: Sehr selten [1]
- Ca. 1–2% aller Weichteilsarkome
- Ca. 40–50 Neuerkrankungen pro Jahr
- Durchschnittsalter: 65–70 Jahre
- Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀ (2:1)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Primäres Angiosarkom [1] [2]
- Genetische Komponente: Wahrscheinlich, mit diversen Mutationen von bspw.
- UV-Exposition: Als Risikofaktor unklar
Sekundäres Angiosarkom
- Strahlentherapie-assoziiertes Angiosarkom
- Insb. nach brusterhaltender Therapie und adjuvanter Radiotherapie bei Mammakarzinom
- Assoziiert mit gesteigerter Expression des Onkogens c-MYC
- Zusätzliche Risikofaktoren: Gleichzeitiges Lymphödem, genetische Prädisposition (z.B. BRCA1/2-Mutationen bei Mammakarzinom)
- Latenzzeit: Ca. 4–8 Jahre nach Strahlentherapie
- Lymphödem-assoziiertes Angiosarkom
- Insb. nach radikaler Mastektomie mit axillärer Lymphknotendissektion
- Oft gesteigerte Expression des Onkogens c-MYC
- Latenzzeit: 10–15 Jahre nach Operation
- Weitere Risikofaktoren
- Chronische AV-Fisteln (z.B. Shunt-Arm bei Dialysepatient:innen)
- Ggf. Immunsuppression
- Exposition gegenüber karzinogenen Chemikalien, insb. Vinylchlorid
Da das radiogene Angiosarkom insg. sehr selten ist, überwiegt der Nutzen der adjuvanten Strahlentherapie deutlich!
Symptomatik
- Initial: Kontusiforme (prellungsartige) Erytheme
- Ggf. dunkelroter Randsaum mit frischen Einblutungen
- Oft multifokal
- I.d.R. asymptomatisch, insb. kein Schmerz oder Juckreiz
- Im Verlauf
- Lokalisation
- Primäres Angiosarkom: Kopf-Hals-Bereich und Capillitium (zusammen ca. 60%)
- Lymphödem-assoziiertes Angiosarkom: Insb. Brust
- Metastasierung: Am häufigsten in Lymphknoten, Lunge, Leber, Milz
Die Diagnose wird aufgrund des klinisch unspezifischen Initialstadiums und insg. seltenen Auftretens oft erst spät gestellt!
Diagnostik
Anamnese
- Allgemein: U.a. zeitlicher Verlauf, Schmerzen und B-Symptomatik
- Berufsanamnese: Insb. bzgl. Exposition gegenüber Chemikalien
- Vorerkrankungen: Bspw. Z.n. Mastektomie und/oder Radiatio, chronisches Lymphödem
Klinische Untersuchung
- Inspektion: Gesamtes Integument
- Bei vorhandenen Läsionen des Capillitiums: Rasur empfehlenswert
- Head-Tilt-Manöver zur besseren Abgrenzung
- Palpation: Insb. Lymphknotenstationen
- Biopsie: Bei geringstem Verdacht, ggf. mehrfach
Histopathologie und Immunhistochemie
- Stellenwert: Entscheidend für definitive Diagnose
- Charakteristische Befunde
- Typische Endothelmarker, bspw.
- Faktor VIII und CD31 (PECAM1)
- CD34
- D2-40 (Podoplanin)
- Spezifische Transkriptionsfaktoren, bspw. ERG
- Bei Strahlentherapie-assoziiertem AS: Nachweis von c-MYC via FISH
- Proliferierende atypische Endothelzellen
- Abgeschilferte Tumorzellen im Gefäßlumen
- Bildung bizarrer, blutleerer Gefäßnetzwerke
- Typische Endothelmarker, bspw.
- Epitheloides Angiosarkom
- Subtyp des kutanen Angiosarkoms
- Unterscheidungsmerkmale v.a. histologisch, bspw. Nester großer epitheloider Zellen
- Mit schlechterer Prognose assoziiert
Bildgebung
- Indikation: Ausbreitungsdiagnostik (Staging) und OP-Planung
- Verfahren
- Lymphknotensonografie
- CT und/oder MRT
- Ggf. 18F-FDG-PET
Differenzialdiagnosen
| Differenzialdiagnosen des kutanen Angiosarkoms | |
|---|---|
| Frühstadium | |
| Posttraumatisches Hämatom und/oder Kontusion | |
| Erysipel | |
| Inflammatorische Gesichtsdermatosen (bspw. seborrhoisches Ekzem, Acne vulgaris, Rosazea) | |
| Urtikarielle Vaskulitis | |
| Hämangiotheliome | |
| Spätstadium | |
| Malignes Melanom | |
| Plattenepithelkarzinom der Haut | |
| Kutane Lymphome | |
| Hämangiotheliome | |
Hämangiotheliome
- Definition: Gruppe verschiedener Gefäßtumoren (low- bis intermediate-grade) mit
- Lokal destruierendem Wachstum
- Häufigen lokalen Rezidiven
- Seltener Metastasierung
- Epidemiologie: Oft Auftreten im Kindesalter, bspw. kaposiformes Hämangioendotheliom und papilläres intralymphatisches Angioendotheliom
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Kurativer Ansatz
- Therapieprinzip
- Multimodale Therapie entscheidend zur signifikanten Verbesserung der lokalen Befundkontrolle und der Gesamtmortalität
- Verzögerung der Strahlentherapie durch extrem große chirurgische Resektion möglichst vermeiden
- Chirurgische Therapie
- Ziel: R0-Resektion
- Vorgehen: Mikrografisch kontrollierte Chirurgie (MKC), alternativ Debulking (z.B. bei ausgedehnten Befunden oder Rezidiven)
- Defektdeckung: Primären Wundverschluss oder Spalthautdeckung bevorzugen
- Adjuvante Strahlentherapie
- Unmittelbar nach chirurgischer Resektion
- Resektionsfeld inkl. Sicherheitsabstände bestrahlen
- Dosis abhängig vom Resektionsergebnis
- Bei (angenommener) R0-Resektion: 55–60 Gy
- Bei R1/R2-Resektion oder makroskopisch sichtbaren Tumorresten: >70 Gy
- Bei großen Feldern: Initial 50 Gy und anschließend 6–10 Gy auf definiertere Tumorregion
- Neoadjuvante Chemotherapie: Option bei drohendem Organverlust
- Rezidive: Multimodale Therapie mit Kombination aus
- Erneuter Resektion (Debulking/R0)
- Erneuter Bestrahlung (ggf. hyperfraktioniert oder Brachytherapie)
- Chemotherapie
Die kurative Therapie umfasst eine chirurgische Resektion und unmittelbare adjuvante Strahlentherapie!
Palliativer Ansatz
- Indikation: Inoperabler Primärtumor und/oder Metastasierung
- Therapieprinzip: Multimodale Therapie bevorzugen, insb. primäre Radiochemotherapie
- Durchführung: Initial Radiotherapie mit anschließender Chemotherapie
- Erstlinientherapie: Taxane, Anthrazykline (jeweils im Off-Label Use)
- Zweitlinientherapie: Bspw. Trabectedin, Pazopanib
- Ggf. Elektrochemotherapie (ECT): Zur lokalen Kontrolle des Primärtumors
Komplikationen
- Rezidive
- Metastasierung
- Unkontrollierbare Blutungen aus ulzerierten Tumoren
- Ischämieartige Schmerzen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Allgemeine Prognose: 10-Jahres-Überlebensrate ca. 14% [1]
- Prognose nach Subtyp
- Lymphödem-assoziiertes Angiosarkom: Besonders schlechte Prognose, 5-JÜR ca. 15%
- Strahlentherapie-assoziiertes Angiosarkom der Brust: 10-JÜR ca. 20%
| Prognostische Faktoren beim kutanen Angiosarkom | ||
|---|---|---|
| Faktoren | Günstige Faktoren | Ungünstige Faktoren |
| Wachstumsart und Größe |
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| Lokalisation |
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| Wachstum |
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| ECOG |
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| Histologie |
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Nachsorge
| Nachsorgeintervalle kutaner Angiosarkome anhand individueller Risikoeinschätzung | |||
|---|---|---|---|
| Untersuchung | Jahr nach Erstdiagnose | ||
| 1–3 | 4–5 | 6–10 | |
| Niedrigrisikogruppe | |||
| Klinische Untersuchung, ggf. Biopsie | Alle 3 Monate | Alle 6 Monate | Alle 12 Monate |
| Sonografie der lokoregionären Lymphknoten | Bei V.a. Progress | ||
| CT-Thorax | |||
| Hochrisikogruppe | |||
| Klinische Untersuchung, ggf. Biopsie | Alle 6 Wochen | Alle 3 Monate | Alle 6 Monate |
| Sonografie der lokoregionären Lymphknoten | Alle 3 Monate | Bei V.a. Progress | |
| CT-Thorax | Alle 6 Monate | ||
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Melanom und sonstige bösartige Neubildungen der Haut (C43-C44)
C44.- Sonstige bösartige Neubildungen der Haut
- Inklusive: Bösartige Neubildung Schweißdrüsen, Talgdrüsen
- Exklusive: Bösartige Melanom der Haut (C43.‑), Haut der Genitalorgane (C51-C52, C60.-, C63,‑), Kaposi-Sarkom (C46,‑)
- C44.0: Lippenhaut
- C44.1: Haut des Augenlides, einschließlich Kanthus
- Exklusive: Bindegewebe des Augenlides (C49.0)
- C44.2: Haut des Ohres und des äußeren Gehörganges
- Exklusive: Bindegewebe des Ohres (C49.0)
- C44.3: Haut sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Gesichtes
- C44.4: Behaarte Kopfhaut und Haut des Halses
- C44.5-: Haut des Rumpfes
- C44.50: Perianalhaut
- C44.59: Haut sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Rumpfes, Haut der Brustdrüse
- C44.6: Haut der oberen Extremität, einschließlich Schulter
- C44.7: Haut der unteren Extremität, einschließlich Hüfte
- C44.8: Haut, mehrere Teilbereiche überlappend
- C44.9: Bösartige Neubildung der Haut, nicht näher bezeichnet
Bösartige Neubildungen des mesothelialen Gewebes und des Weichteilgewebes (C45-C49)
C49.- Bösartige Neubildung sonstigen Bindegewebes und anderer Weichteilgewebe
- Inklusive: Blutgefäß, Bursa, Faszie, Fett, Knorpel, Ligamentum (ausgenommen Bänder des Uterus), Lymphgefäß, Muskel, Sehnen (-Scheide), Synovialmembran
- Exklusive: Bindegewebe der Brustdrüse (C50.‑), Kaposi-Sarkom (C46.‑), Knorpel: Gelenk (C40-C41), Knorpel: Larynx (C32.3), Knorpel: Nase (C30.0) Mesotheliom (C45.‑), Periphere Nerven und autonomes Nervensystem (C47.‑), Peritoneum (C48.‑), Retroperitoneum (C48.0)
- C49.0: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe des Kopfes, des Gesichtes und des Halses
- Inklusive: Bindegewebe: Augenlid Bindegewebe: Ohr
- Exklusive: Bindegewebe der Orbita (C69.6)
- C49.1: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe der oberen Extremität, einschließlich Schulter
- C49.2: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe der unteren Extremität, einschließlich Hüfte
- C49.3: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe des Thorax
- Inklusive: Axilla Große Gefäße Zwerchfell
- Exklusive: Brustdrüse (C50.‑) Herz (C38.0) Mediastinum (C38.1-C38.3) Thymus (C37)
- C49.4: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe des Abdomens
- Inklusive: Bauchwand Hypochondrium
- C49.5: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe des Beckens
- Inklusive: Damm Gesäß Leistengegend
- C49.6: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe des Rumpfes, nicht näher bezeichnet
- Inklusive: Rücken o.n.A.
- C49.8: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe, mehrere Teilbereiche überlappend
- Inklusive: Bösartige Neubildung des Bindegewebes und anderer Weichteilgewebe, deren Ursprungsort nicht unter den Kategorien C47-C49.6 klassifiziert werden kann
- C49.9: Bindegewebe und andere Weichteilgewebe, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.