Zusammenfassung
Die Psychodermatologie befasst sich mit Hautkrankheiten, bei denen psychosoziale Faktoren einen wesentlichen Einfluss auf Entstehung, Verlauf und Behandlung haben. Sie betrachtet Dermatosen unter einem ganzheitlichen biopsychosozialen Modell. Dabei werden drei Hauptgruppen von Erkrankungen unterschieden: primäre psychische Störungen mit Hautsymptomen, Dermatosen mit multifaktorieller Genese, bei denen psychische Einflüsse eine Rolle spielen (psychosomatische Dermatosen, z.B. atopische Dermatitis, Psoriasis), und sekundäre psychische Störungen als Folge von Hauterkrankungen (somatopsychische Dermatosen). Die Diagnostik umfasst neben der dermatologischen Untersuchung auch die Erfassung der psychischen Belastung, wofür standardisierte Fragebögen zur Verfügung stehen. Die Therapie ist multimodal und kann je nach Indikation psychotherapeutische Verfahren (z.B. Verhaltenstherapie, psychodynamische Verfahren) und Psychopharmaka umfassen, oft eingebettet in verschiedene Versorgungssettings von der ambulanten Praxis bis zur Rehabilitationsklinik.
Definition
- Interdisziplinäres Arbeitsgebiet, das sich mit den Wechselwirkungen zwischen Hauterkrankungen und psychosozialen Ursachen, Folgen oder Begleitumständen befasst [1][2]
- Ziel: Unterstützung von Patient:innen mit Dermatosen in Diagnostik, Therapie und Krankheitsbewältigung
- Fokus
- Psychosoziale Auslösemechanismen und deren Einfluss auf Entstehung und Verlauf dermatologischer Erkrankungen
- Auswirkungen dermatologischer Erkrankungen auf Patient:innen und ihr soziales Umfeld
Epidemiologie
- Prävalenz psychischer Störungen (unter dermatologischen Patient:innen) : Ca. 25–30% [1][3]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Einteilung
- Gemäß Leitlinie [1]
- Psychische Störungen mit dermatologischer Symptomatik
- Somatopsychische Dermatosen: Hauterkrankungen, bei denen psychische Komorbiditäten wie Angst, Depression oder Anpassungsstörungen als Folge auftreten können
- Psychosomatische Dermatosen: Hauterkrankungen, bei denen psychische Faktoren die Manifestation und den Verlauf maßgeblich beeinflussen
- Gemäß internationaler Klassifikation [4]
| Internationale Klassifikation psychodermatologischer Erkrankungen (gekürzt ) [4] | ||
|---|---|---|
| Primär psychische Störungen mit Hautsymptomen | Primäre Hauterkrankungen mit psychischem Einfluss | |
| Primäre Dermatosen | Funktionelle Hauterkrankungen | |
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Ätiologie
Biopsychosoziale und neuroimmunologische Faktoren
- Multifaktoriell: Biopsychosoziales Modell [1][3]
- Biologische Faktoren: U.a. genetische und immunologische Prädispositionen
- Psychologische Faktoren: Psychische Komorbiditäten (bspw. Depression, Angststörungen), Körperbildstörung
- Soziale Faktoren: U.a. Stigmatisierung, Traumen, soziale Isolation
- Psychoneuroimmunologische Faktoren [3]
- Enge Verknüpfung von Haut und Psyche (ontogenetisch, anatomisch, funktionell)
- Möglicher Einfluss von Stress auf die Barriere- und Immunfunktionen der Haut
- Immunologisch: Stress moduliert immunologische Hautreaktionen
- Hormonell: Stresshormone beeinflussen Entzündungsprozesse in der Haut
- Zellulär: Verbindungen zwischen C-Fasern der Haut und Mastzellen
Psychosomatische Aspekte dermatologischer Erkrankungen [3]
- Permanente Sichtbarkeit
- Hautorgan für Betroffene selbst und ihre Mitmenschen jederzeit sichtbar
- Mögliche Folgen
- Stigmatisierung durch das soziale Umfeld
- Gefühle wie Ekel oder Angst vor Ansteckung bei Mitmenschen
- Scham oder Ekel über die eigene Krankheit bei Betroffenen
- Rolle in der Entwicklungsychologie
- Zentrale Rolle der Haut in früher taktiler Phase zur Identitätsbildung
- Ggf. Assoziation von Hauterkrankungen mit frühen Bindungsstörungen
- Einfluss auf das Körperbild
- Psychosoziale Belastungen seltener durch angeborene Hautveränderungen (bspw. Feuermale) als durch später erworbene Hautveränderungen (bspw. Vitiligo, Narben)
- Bei später erworbenen Hautveränderungen: Körperbildstörung und Suizidalität möglich
Medikamentöse Faktoren
| Ausgewählte Medikamente mit psychodermatologischer Relevanz [2] | ||
|---|---|---|
| Substanz(-gruppe) | Psychiatrische Nebenwirkungen (Auswahl) | Dermatologische Nebenwirkungen (Auswahl) |
| Antihistaminika | — | |
| Systemische Glucocorticoide |
| — |
| Methotrexat |
| — |
| — | |
| Minocyclin | — | |
| — | |
| Apremilast | — | |
| Lithium | — |
|
| Fluoxetin | — | |
Diagnostisches Vorgehen
Exploration [1][2][3]
- Grundprinzip
- Bei jeder Hauterkrankung psychosomatischen Diagnostik- oder Behandlungsbedarf abklären
- Ganzheitlicher Ansatz: Biopsychosoziales Modell berücksichtigen
- Vorgehen
- Offene Fragen stellen
- Zusammenhang zwischen Hautsymptomen und psychischen Belastungen als Möglichkeit anbieten
- Umgang mit der Gesprächszeit
- Reden als wichtigstes Element der Konsultation
- Zufriedenheit der Patient:innen abhängig von subjektiv wahrgenommener (nicht tatsächlicher) Gesprächsdauer
- Allgemeine Anamnese, inkl.
- Krankheitsverlauf
- Psychiatrische Vorgeschichte
- Medikamentenanamnese (siehe auch: Ausgewählte Medikamente mit psychodermatologischer Relevanz)
- Substanzkonsum
- Gezielte Exploration
- Nach aktuellen oder früheren Belastungen fragen
- Einfluss der Hauterkrankung auf
- Lebensqualität
- Soziale Interaktionen
- Stressbelastung
- Coping-Strategien
- Krankheitsmodell
- Individuelles Krankheitsmodell der Patient:innen explorieren und respektieren
- Ziel: Laienverständnis mit wissenschaftlichem Modell integrieren
- Nicht-Beachtung des Patientenmodells senkt Compliance
- Bei V.a. somatoforme dermatologische Störung siehe:
Offene Fragen sind wichtig, weil sie den Betroffenen Raum geben, ihre Perspektive und mögliche psychische Belastungen zu schildern, wodurch die Erkrankung umfassender verstanden und die Beziehung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen gestärkt wird! [5]
Ärzt:innen sollten die Sichtweise der Patient:innen auf ihre Erkrankung respektieren und sie behutsam mit dem wissenschaftlichen Krankheitsmodell erweitern, statt sie frontal zu widerlegen!
Hinweise auf eine psychosomatische Komponente [2]
- Schwer einzuordnende Hautveränderungen
- Umfassende Vorbefunde / zahlreiche Konsultationen dokumentiert
- Zeitaufwändige Gespräche
- Hautsymptome mit überhöhter Relevanz für Betroffene
Psychodermatologische Testverfahren [1]
- Spezifische dermatologische Fragebögen
- Marburger Hautfragebogen (MHF)
- Freiburg Life Quality Assessment (FLQA)
- Skindex
- Fragebogen zur Entstellung bei Hautpatienten (FEH)
- Juckreiz-Kognitions-Fragebogen (JKV)
- Therapiezufriedenheit: Patient Benefit Index
- Allgemeine psychologische Testinventare
Psychodermatologische Interventionen
Dermatologische Initialversorgung [1][5]
- Basismaßnahmen, u.a.
- Positiver Beziehungsaufbau
- Empathische und wertschätzende Gesprächsführung
- Psychoedukation
- Indikationen für Psychotherapie bei dermatologischen Erkrankungen erkennen
- Motivationsarbeit durch behandelnde:n (Haut‑)Arzt/Ärztin
- Vorphase des Problembewusstseins
- Psychische Einflüsse werden durch Betroffene bislang nicht erkannt oder abgelehnt
- Dermatologische Fachperson sensibilisiert für psychische Faktoren
- Phase der Problemreflexion
- Betroffene beginnen, psychische Einflüsse auf die Hauterkrankung wahrzunehmen
- Eigenes Verständnis der Problematik entwickelt sich
- Phase der Entscheidungsfindung
- Betroffene entscheiden aktiv, Hilfe/Therapie in Anspruch zu nehmen
- Dermatologische Fachperson motiviert und unterstützt Überleitung zur Psychotherapie
- Phase der aktiven Veränderung
- Patient:innen beteiligen sich aktiv am therapeutischen Prozess
- Umsetzung von Strategien und Interventionen
- Phase der Aufrechterhaltung: Erreichte Veränderungen werden stabilisiert und in den Alltag integriert
- Vorphase des Problembewusstseins
- Ggf. Empfehlung eines Tagebuchs
- Ziele: U.a.
- Erkennen von Zusammenhängen zwischen Belastungen und Hautreaktionen
- Förderung von Achtsamkeit und Körpergefühl
- Stärkung der Eigenverantwortung
- Identifikation von Abhilfestrategien
- Unterstützung von Selbstwirksamkeit
- Dauer: Über mehrere Wochen
- Ziele: U.a.
- Ggf. Empfehlung von Selbsthilfegruppen
- Ggf. Unterstützung bei Therapeutensuche: Mögliche Anlaufstellen sind bspw.
- Krankenkassen
- Kassenärztliche Vereinigungen
- Psychotherapie-Informationsdienst
Psychotherapie
- Indikationen für Psychotherapie bei dermatologischen Erkrankungen
- Ausgeprägte soziale Ängste und Vermeidungsverhalten
- Stigmatisierungserleben
- Erschwerte Krankheitsverarbeitung
- Exazerbation der Hauterkrankung durch psychische Belastung
- Entstellungsbefürchtungen (z.B. körperdysmorphe Störung) oder tatsächliche Entstellung
- Komorbide Störungen (insb. Depression und Angststörungen)
- Weitere: Bspw. Patientenwunsch, starker Manipulationsdrang, Probleme im sozialen Umfeld
- Kontraindikationen: U.a.
- Akute Psychose
- Organische psychische Störungen
- Akute Suizidalität
- Substanzabhängigkeit
- Mangelnde Therapiemotivation
- Verfahren
- Psychodynamische Psychotherapie
- Klärung und Bearbeitung oft unbewusster, aus der Kindheit stammender, beeinträchtigender Erlebnis- und Gefühlsmuster
- Hautsymptome bspw. Ausdruck unbewusster Kompromisse bei Konflikten, Entwicklungsstörungen oder Traumen
- Kognitive Verhaltenstherapie
- Kognitive Umstrukturierung: Gezielte Modifikation dysfunktionaler Erlebens- und Verhaltensmuster
- Wirksamkeit: Bspw. bei Juck-Kratz-Problematik (Stimuluskontrolle), Stigmatisierung (Expositionstraining), Angststörungen, Depressionen, somatoformen Störungen
- Weitere: Bspw. Entspannungsverfahren , Hypnotherapie
- Psychodynamische Psychotherapie
- Ziele: U.a.
- Verbesserung der Krankheitsbewältigung
- Reduktion dysfunktionaler Verhaltensweisen
- Stärkung des Selbstwerts
- Setting
- Im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung in der dermatologischen Praxis
- In der Praxis von Fachpsychotherapeut:innen
- Als Konsil- und Liaison-Dienst in Hautkliniken
- Als Teil von Schulungsprogrammen und Rehabilitationsmaßnahmen
- Für krankheitsspezifische Inhalte siehe entsprechende Kapitel, bspw.
Therapeut:innen sollten Betroffene frühzeitig über die Wechselwirkungen zwischen körperlichen und psychischen Faktoren aufklären und deren Selbstwahrnehmung fördern, ohne dabei das somatische Krankheitsmodell voreilig zu hinterfragen. Gleichzeitig muss im Verlauf sichergestellt werden, dass somatische Aspekte weiterhin angemessen Beachtung finden!
Psychopharmakotherapie
- Indikation: Ggf. bei gesicherter psychiatrischer Haupt- oder Nebendiagnose, siehe bspw.