Abstract
Unter gutartigen Knochentumoren wird eine heterogene Gruppe von Geschwulsten zusammengefasst, die vom Knorpel- oder Knochengewebe ausgehen und meist langsam wachsen. Radiologisch stellen sich die Tumoren scharf begrenzt und ohne Weichteilbeteiligung dar. Wegen Schmerzen oder der Gefahr von pathologischen Frakturen ist in der Regel eine operative Resektion erforderlich.
Allgemeine Kriterien für gutartige Knochenneubildungen
- Einteilung nach histologischem Erscheinungsbild
- Langsames Wachstum
- Radiologisch
- Scharfe Begrenzung
- Keine Weichteilbeteiligung
(Stammfernes) Enchondrom
- Definition: Aus hyalinem Knorpel bestehender Tumor
- Epidemiologie
- Zweithäufigster gutartiger Knochentumor
- Jedes Lebensalter möglich, Häufigkeitsgipfel zwischen 10.–40. Lebensjahr
- Lokalisation: Kleine Röhrenknochen von Fingern und Mittelhand
- Klinik
- Oft keine Symptome
- Auftreibung des Knochens
- Spontanfrakturen
- Diagnostik: Konventionelles Röntgen
- Therapie: Ausräumung und Spongiosaauffüllung, um Spontanfrakturen zu verhindern
- Besondere Verlaufsformen
- Stammnahes Enchondrom
- Definition: Seltenes, semimalignes Enchondrom
- Epidemiologie: Häufigkeitsgipfel im Kindes- bis jungen Erwachsenenalter
- Lokalisation: Insbesondere in langen Röhrenknochen, Rippen, Becken
- Klinik: Schmerzen
- Diagnostik: Abgrenzung zum Chondrosarkom kann in HE-Färbung schwierig sein, deshalb Immunhistochemie notwendig
- Konventionelles Röntgen: Rundlicher Knochendefekt, ausgeprägte Verkalkung möglich
- Therapie: Komplette operative Entfernung
- Enchondromatose
- Definition: Multiples, meist hereditäres Auftreten von Enchondromen
- Häufig Deformierungen und Wachstumsretardierung
- Erhöhtes Risiko der Entartung
- Stammnahes Enchondrom
Chondroblastom
Synoviale Chondromatose
- Definition: Enchondrale Knorpelneubildung als Metaplasie der Synovialis
- Epidemiologie: Häufigkeitsgipfel im 30.–50. Lebensjahr
- Lokalisation: Kniegelenk (ca. 70%)
- Klinik: Schmerzen, Erguss, Einklemmungserscheinungen
- Konventionelles Röntgen: Röntgendichte Gelenkkörper
- Therapie: Entfernung der Gelenkkörper und der Synovialis
- Prognose: Seltene Entartung zum synovialen Chondrosarkom
Osteochondrom (kartilaginäre Exostose)
- Definition: Von Knorpelkappe bedeckter Tumor im Metaphysenbereich
- Epidemiologie
- Häufigster primär benigner Tumor
- Häufigkeitsgipfel: 10.–20. Lebensjahr [1]
- Lokalisation: Metaphyse langer Röhrenknochen
- Klinik
- Oft asymptomatisch
- Lokaler Druckschmerz oder Schmerzentwicklung bei Trauma bzw. Kompression von Umgebungsstrukturen durch vermehrte Bewegung möglich.
- Konventionelles Röntgen: Pilzförmige Vorwölbung (auch blumenkohlartig)
- Therapie: Nur bei Symptomen Abtragung des Tumors
- Verlaufsform: Multiple kartilaginäre Exostose
- Definition: Autosomal-dominant vererbte Sonderform mit multiplen Exostosen
- Ab 2.–3. Lebensjahr tastbar
- Maligne Entartung möglich (etwa 5%)
Osteoidosteom und Osteoblastom
Osteoidosteom
- Definition: Vorwiegend kortikaler, kleiner Tumor (etwa 1 cm) mit radiologisch zentraler Aufhellungszone (Nidus)
- Epidemiologie: Häufigkeitsgipfel im 10.–20. Lebensjahr
- Häufigste Lokalisationen
- Diaphyse langer Röhrenknochen (hauptsächlich proximale Tibia)
- Wirbelkörper
- Klinik
- Starke nächtliche Schmerzen
- Die Schmerzen sprechen typischerweise gut auf eine Behandlung mit Acetylsalicylsäure an („ASS-sensibel“)
- Diagnostik
- Konventionelles Röntgen: Perifokale Sklerosierung rund um einen als Nidus bezeichneten Aufhellungsherd
- Goldstandard: Dünnschicht-CT
- Evtl. ergänzend
-
Szintigrafie: Meist intensive Anreicherung
- Double-Density-Zeichen
- Intraoperative nuklearmedizinische Messsondentechnik zum Aufspüren des Tumors
- MRT
-
Szintigrafie: Meist intensive Anreicherung
- Therapie
- 1. Wahl: Radiofrequenzablation
- 2. Wahl: Operative Entfernung
- Nachsorge: Kontrollen nur bei erneuten Beschwerden nötig
Osteoblastom
- Definition: Ein Tumor, der dem Osteoidosteom sehr ähnlich, aber größer ist (>1 cm)
- Epidemiologie: 10.–20. Lebensjahr
- Lokalisation: Wirbelsäule (hauptsächlich Wirbelbögen)
- Klinik: Starke lokale Schmerzen (kein Nachtschmerz)
- Konventionelles Röntgen: Kortikal lokalisiert, zentrale Aufhellungszone (Nidus) bei meist schwacher oder fehlender perifokaler Sklerosierung
- Therapie: Operative Entfernung
Osteoklastom (Riesenzelltumor)
- Definition: Vom Knochenmark ausgehender Tumor mit Riesenzellen
- Epidemiologie: Häufigkeitsgipfel im 20.–30. Lebensjahr
- Lokalisation: Epiphyse langer Röhrenknochen (meist kniegelenksnah)
- Klinik
- Lokale Belastungsschmerzen
- Spontanfrakturen
- Diagnostik
- Röntgenbild: Multizystische osteolytische Läsion
- Histopathologie: Mehrkernige Riesenzellen
- Therapie: En-bloc-Resektion
- Besonderheit: Mit steigendem Alter besteht die Gefahr der malignen Entartung
Osteom
- Definition: Gutartiger rundlicher Knochentumor
- Epidemiologie: Jedes Lebensalter
- Lokalisation
- Häufig Schädel (Nasennebenhöhlen)
- Lange Röhrenknochen
- Klinik: Häufig asymptomatisch
- Therapie: Ggf. Operation bei Beschwerden infolge eines verdrängenden Wachstums
Nicht-ossifizierendes Knochenfibrom
- Definition: Häufig vorkommende, tumorähnliche Raumforderung, die im Rahmen von Wachstumsstörungen entsteht (Daher Auftreten fast immer im 2. Lebensjahrzehnt)
- Lokalisation: Metaphysär, sehr häufig distales Femur und distale Tibia
- Klinik: Keine Symptomatik; daher meist Zufallsbefund
- Konventionelles Röntgen: Randständige Sklerose, lobulierte Binnenstruktur mit Aufhellung (Traubenkonfiguration)
- Therapie
- Meist selbstlimitierend
- Größere Läsionen haben eine erhöhte Frakturgefahr → Spongiosaauffüllung
Ossifizierendes Knochenfibrom
- Definition: Fibröser Knochentumor
- Lokalisation
- Bei Erwachsenen im Bereich des Unterkiefers
- Bei Kindern <10 Jahren (osteofibröse Dysplasie; Campanacci): Vorkommen an der Tibia, hier auch mit Aufweitung des Markraums und Spontanfrakturen
- Therapie: Operative Entfernung
Juvenile Knochenzyste
- Definition: Solitäre, meist einkammerige Knochenzyste
- Epidemiologie: Auftreten meist im 8.–15. Lebensjahr
- Lokalisation: Metaphyse langer Röhrenknochen (meist proximaler Humerus, proximales Femur)
- Klinik
- Meist symptomlos
- Erstdiagnose meist bei pathologischer Fraktur
- Diagnostik
- Röntgen: Scharf begrenzte, osteolytische Knochenläsion im Bereich der Metaphyse
- MRT : Nicht gekammerte, flüssigkeitsgefüllte Läsion
- Differenzialdiagnose: Aneurysmatische Knochenzyste (v.a. lange Röhrenknochen und Wirbelsäule betroffen)
- Therapie
- Ausräumung und Spongiosaauffüllung zur Verhinderung von Spontanfrakturen
- Alternativ Injektion von Glucocorticoiden in die Zyste
Aneurysmatische Knochenzyste
- Definition
- Osteolytische, meist septierte Knochenläsion, die aus blutgefüllten Zysten besteht
- Entstehung entweder idiopathisch (=primäre aneurysmatische Knochenzyste) oder als Begleiterscheinung anderer, maligner oder benigner Knochentumoren (=sekundäre aneurysmatische Knochenzyste)
- Epidemiologie: Auftreten meist im 10.–20. Lebensjahr
- Lokalisation: Prinzipiell kann jeder Knochen betroffen sein, besonders häufig sind jedoch die Wirbelsäule und die Metaphysen des Femurs und der Tibia betroffen
- Klinik
- Meist symptomlos, ggf. lokale Schwellung und Schmerzen
- Erstdiagnose meist bei pathologischer Fraktur
- Diagnostik
- Röntgen: Meist metaphysär gelegene, scharf begrenzte, osteolytische (transparente) Läsion
- MRT : Gekammerte, blutgefüllte Läsion, die typischerweise ein Schichtungsphänomen („fluid-fluid-level“) aufweist
- Differenzialdiagnosen
- Juvenile Knochenzyste
- Bei soliden Anteilen: Maligne Tumoren, bei denen sekundär eine aneurysmatische Knochenzyste entstanden ist
- Therapie
- Ausräumung und Spongiosaauffüllung
- Hohes Rezidivrisiko
Intraossäres Hämangiom
- Definition: Aus neu formierten Gefäßen bestehender Tumor
- Epidemiologie: ♀ > ♂ (2:1)
- Ätiologie:
- Klinik: Meist asymptomatisch → Oft Zufallsbefund
- Komplikationen: Kompressionsfraktur, Spinalkanalstenose, Blutungen mit spinalem Epiduralhämatom
- Lokalisation: Häufigster gutartiger Tumor der Wirbelsäule, insbesondere im Bereich thorakaler und lumbaler Wirbelkörper
- Diagnostik: Konventionelles Röntgen
- Vertikal „gestreifte“ Wirbelkörper
- Wabenartige, scharf begrenzte Läsion
- Differenzialdiagnose: Osteoporose
- Therapie: Meist keine notwendig
Übersichtstabelle gutartige Knochentumoren
Beschreibung | Häufigkeitsgipfel | Typische Lokalisation | Klinik | Diagnostische Besonderheiten | Therapie | Sonstiges | |
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Tumoren mit knorpeligem Anteil | |||||||
(stammfernes) Enchondrom |
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Chondroblastom |
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Synoviale Chondromatose |
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Osteochondrom („kartilaginäre Exostose“) |
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Überwiegend knöcherne Tumoren | |||||||
Osteoidosteom |
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Osteoblastom |
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Osteoklastom (Riesenzelltumor) |
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Osteom |
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Fibrome | |||||||
Nicht-ossifizierendes Knochenfibrom |
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Ossifizierendes Knochenfibrom |
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Zysten, Hämangiome | |||||||
Juvenile Knochenzyste |
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Aneurysmatische Knochenzyste |
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Intraossäres Hämangiom |
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- D16.-: Gutartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels
- Exklusive: Bindegewebe:
- D16.0: Skapula und lange Knochen der oberen Extremität
- D16.1: Kurze Knochen der oberen Extremität
- D16.2: Lange Knochen der unteren Extremität
- D16.3: Kurze Knochen der unteren Extremität
- D16.4-: Knochen des Hirn- und Gesichtsschädels
- Exklusive: Unterkieferknochen (D16.5)
- D16.41: Kraniofazial
- Knochen der Augenhöhle
- Os:
- ethmoidale
- frontale
- occipitale
- parietale
- sphenoidale
- temporale
- D16.42: Maxillofazial
- Gesichtsknochen o.n.A.
- Maxilla
- Nasenmuschel
- Oberkiefer
- Os:
- nasale
- zygomaticum
- Vomer
- D16.5: Unterkieferknochen
- D16.6: Wirbelsäule
- D16.7-: Rippen, Sternum und Klavikula
- D16.8: Knöchernes Becken
- D16.9: Knochen und Gelenkknorpel, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.