Abstract
Das HELLP-Syndrom (Haemolysis, Elevated Liver Enzyme Levels, Low Platelet Count) bezeichnet einen lebensbedrohlichen Zustand in der Schwangerschaft. Es gehört zur Familie der hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen, kann jedoch auch ohne Hypertonie auftreten. In der Frühphase präsentiert sich das HELLP-Syndrom typischerweise mit einem durch Leberkapselspannung ausgelösten Oberbauchschmerz. Oftmals treten zusätzlich Symptome der Präeklampsie auf wie bspw. Übelkeit, Erbrechen und/oder Proteinurie. Die einzige kausale Therapie und Ultima Ratio ist die Beendigung der Schwangerschaft.
Definition
Lebensbedrohlicher Zustand in der Schwangerschaft, welcher mit folgender Trias einhergeht:
- Hämolyse (LDH↑)
- Leberzellschäden (Transaminasen↑)
- Thrombozytopenie
Es ist ungeklärt, ob das HELLP-Syndrom ein eigenständiges Krankheitsbild oder eine Komplikation der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie bzw. Präeklampsie ist. Nach ICD-10 wird das HELLP-Syndrom als Verlaufsform der Präeklampsie behandelt.
Epidemiologie
- Inzidenz
- 0,1–0,2% aller Schwangerschaften
- 10–20% aller Patientinnen mit Präeklampsie
- Zeitpunkt: 69% präpartal, 31% postpartal(!)
- Gehäuft bei Nullipara
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Pathophysiologie
- Weitestgehend unklar
- Vermutung: Gestörte Invasion des Trophoblasten (vgl. Pathophysiologie der hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen) → Einschwemmung von Teilen des Zytotrophoblasten in den mütterlichen Kreislauf
- Verlegung der peripheren Lungenstrombahn → Rechtsherzbelastung → Volumenrückstau in die Leber → Hypoxische Leberzellschädigung → Leberenzyme↑
- Antikörper-Antigen-Reaktion → DIC (Hämolyse und Thrombozytopenie)
Symptome/Klinik
Das häufigste Symptom des HELLP-Syndroms sind Oberbauchschmerzen. In bis zu 80% der Fälle treten zusätzlich Symptome der Präeklampsie auf.
- Leitsymptom: Rechtsseitige Oberbauchschmerzen/epigastrische/retrosternale Schmerzen (durch Leberkapseldehnung)
- Mögliche weitere Symptome
- Übelkeit/Erbrechen
- Anämie
- Proteinurie
- Hypertonie
- Sehstörungen (z.B. Doppelbilder, Augenflimmern)
- Ikterus
In ca. 30% der Fälle tritt das HELLP-Syndrom postpartal auf! Auch schubartige Verläufe mit Remission und Exazerbation sind möglich!
Bei Symptomen einer Präeklampsie ist laborchemisch immer ein HELLP-Syndrom auszuschließen.
Verlaufs- und Sonderformen
Der klinische Verlauf ist nicht vorhersehbar und kann individuell sehr stark variieren.
- Oftmals schubartiger Verlauf
- Remission in 46% der Fälle
- Akute Exazerbation innerhalb weniger Stunden möglich
- Gefahr von Komplikationen wie bspw. DIC
- Postpartales Auftreten in ca. 30% der Fälle
Diagnostik
Basisdiagnostik
- Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge
- Regelmäßige Gewichtskontrolle
- Blutdruckmessung
- Urindiagnostik
- Blutbild-Kontrolle
- Siehe auch
Spezifische Diagnostik
Bei V.a. HELLP-Syndrom soll eine stationäre Aufnahme erfolgen.
- Labor: Kontrolle initial alle 6–8 h
- H = Hämolyseparameter
- Haptoglobin↓ , LDH↑ >200 U/L, Bilirubin↑ ≥1,2 mg/dL
- EL = Erhöhte Leberenzyme: Transaminasenerhöhung AST und ALT über das 2- bis 3-Fache
- LP = Low Platelet: Thrombozytopenie <100.000/μL
- Fibrinogenabfall und Anstieg der D-Dimere als Zeichen der intravasalen Gerinnung
- Erhöhtes CRP
- H = Hämolyseparameter
- Oberbauchsonografie: Ausschluss eines Leberhämatoms
- Blutgasanalyse: Beurteilung der pulmonalen Leistung
- Monitoring des Kindes
- CTG, siehe auch: Kardiotokografie (CTG)
- Sonografie: Fetometrie, Beurteilung der Fruchtwassermenge, geburtshilfliche Doppler-Sonografie
- Ausschluss einer intrauterinen Wachstumsretardierung (IUGR)
- Ausschluss eines Oligohydramnions
Differenzialdiagnosen
Akute Schwangerschaftsfettleber [1][2][3]
- Definition: Schwangerschaftsassoziierte Fettleber mit fulminantem Leberversagen
- Epidemiologie: Sehr selten (1:7.000–1:16.000 Schwangerschaften)
- Pathophysiologie: Störung der β-Oxidation
- Klinik
- Zumeist im 3. Trimenon
- Unspezifischer, plötzlicher Beginn mit rechtsseitigen Oberbauchbeschwerden, Ikterus, Fieber, Übelkeit und Erbrechen
- In bis zu 50% der Fälle Proteinurie und Hypertonie
- Leberfunktionsstörung
- Gerinnungsstörungen mit erhöhter Gefahr einer disseminierten intravasalen Koagulation (DIC)
- Hypalbuminämie → Aszites
- Hepatische Enzephalopathie
- Diagnostik
- AST/ALT↑
- Bilirubin↑
- Kreatinin↑, Harnsäure↑, Harnstoff↑
- Blutbild: Leukozyten↑↑↑, Thrombozyten↓
- Glucose↓
- Lebersyntheseparameter: Gerinnungsfaktoren↓↓, Cholinesterase↓↓
- Abdomensonografie: Echoreiches Schallmuster (Verfettung der Leber)
- Therapie: Sofortiger Kaiserschnitt
- Komplikationen: Akutes Leberversagen und akute Nierenschädigung
- Prognose
- Maternale und fetale Mortalität: 5–8%
- Postpartal reversibel
- Geringes Rezidivrisiko
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase [1][2]
- Epidemiologie
- In Europa selten: 0,1–1% aller Schwangerschaften
- Gehäuft in Skandinavien, Chile, Bolivien (bis zu 7%)
- Pathophysiologie: Multifaktoriell
- Klinik
- Leitsymptom: Juckreiz (insb. Handflächen und Fußsohlen)
- Ikterus (in 25% der Fälle)
- Übelkeit, Erbrechen, Oberbauchschmerzen, Steatorrhoe
- Diagnostik
- Serum-Gallensäuren↑
- AP↑
- ALT↑
- Direktes Bilirubin↑
- Therapie
- Mittel der 1. Wahl: Ursodesoxycholsäure
- Alternativ: Dexamethason [4]
- Colestyramin p.o. → Nebenwirkungen durch Mangel an fettlöslichen Vitaminen möglich
- Komplikationen
- Fetal: Frühgeburtlichkeit in 20%, intrauteriner Fruchttod: 1–2%
- Maternal: Vitamin-K-Mangel mit postpartalen Blutungen (selten)
- Geburtshilfliches Management
- Prognose
- Postpartal reversibel
- Wiederholungsrisiko: 40–70%
Eine frühzeitige Therapie mit Ursodesoxycholsäure scheint das Früh- und Totgeburtsrisiko deutlich zu mindern!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Medikamentöse Therapie
- Fibrinogen <100 mg/dl: Fresh Frozen Plasma
- Thrombozyten <50.000/μL: Thrombozytenkonzentrate
- Ggf. antikonvulsive Therapie bei hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen sowie antihypertensive Therapie bei hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen
Vorgehen gemäß Schwangerschaftsalter
- ≥34+0 SSW: Entbindung anstreben
- <34+0 SSW
-
Schwangerschaftsprolongierendes Vorgehen bevorzugen
- Voraussetzung: Intensivüberwachung von Mutter und Kind, engmaschige Laborkontrollen (6- bis 8-stündlich), Möglichkeit der sofortigen Entbindung mittels Sectio caesarea
- Entbindung bei therapierefraktärer Präeklampsie, DIC, schwerer Niereninsuffizienz, kardialer Dekompensation, Lungenödem
-
Schwangerschaftsprolongierendes Vorgehen bevorzugen
Komplikationen
- Leberhämatom
- Leberruptur
- Nierenversagen
- DIC
- Vorzeitige Plazentalösung mit fetaler Hypoxie
- Plazentainsuffizienz mit Entwicklung einer IUGR
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Weitere Schwangerschaften grundsätzlich möglich
- Wiederholungsrisiko: 12%
- Risiko für eine hypertensive Schwangerschaftserkrankung in der Folgeschwangerschaft: 30%
- Jede Folgeschwangerschaft gilt als Hochrisikoschwangerschaft
- Siehe auch: Vorsorge einer Risikoschwangerschaft
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- O14.-: Präeklampsie
- Exklusive: Pfropf-Präeklampsie (O11)
- O14.0: Leichte bis mäßige Präeklampsie
- O14.1: Schwere Präeklampsie
- O14.2: HELLP-Syndrom
- Kombination von Hämolyse, erhöhten Leberenzymen und verminderter Thrombozytenzahl
- O14.9: Präeklampsie, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.