Abstract
Hirnstimulationsverfahren wirken über eine elektrische oder magnetische Stimulation des Gehirns und werden u.a. zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen eingesetzt. Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) gilt in diesem Rahmen als etabliertes und sicheres Verfahren.
Bei der EKT wird ein generalisierter Krampfanfall durch elektrische Stimulation des Gehirns ausgelöst. Das therapeutische Agens ist der Krampfanfall selbst, wobei der genaue Wirkmechanismus bislang ungeklärt ist. Die Behandlung erfolgt in Allgemeinanästhesie und unter Muskelrelaxation. Im Regelfall wird der Krampfanfall unilateral über der nicht-dominanten Hemisphäre ausgelöst. Eine Behandlungsserie umfasst im Durchschnitt 10 Behandlungen bei einer Frequenz von meist 2–3 Behandlungen pro Woche. Die häufigste Behandlungsindikation ist die therapieresistente Depression. Weitere Indikationen sind andere schwerwiegende psychiatrische Störungen (bspw. perniziöse Katatonie). Einige Konstellationen (bspw. hohes Narkoserisiko, erhöhter Hirndruck, frischer Myokardinfarkt) bedürfen einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung. Absolute Kontraindikationen gibt es nicht. Die Wirksamkeit ist hoch mit einer Remissionsrate von 50–90% bei depressiven Störungen.
Neben der EKT gibt es weitere therapeutische Hirnstimulationsverfahren wie bspw. die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS).
Elektrokonvulsionstherapie
Die Elektrokonvulsionstherapie ist ein modernes Behandlungsverfahren, das bei einigen schweren psychiatrischen Erkrankungen indiziert und wirksam ist.
Entwicklung [1]
- 1934: Erster pharmakologisch ausgelöster, generalisierter Krampfanfall
- Ab 1938: Methodenverbesserung durch den Einsatz elektrischen Stroms zur Anfallsauslösung [2]
- Seit 1960er: Behandlung unter Muskelrelaxation und in Allgemeinanästhesie
- In deutschsprachigen Ländern: Vergleichsweise seltener Einsatz
Wirkmechanismus [1]
- Nicht abschließend geklärt
- Therapeutisches Agens: Generalisierter Krampfanfall
Wirksamkeit [1]
- Insg. sehr gute Wirksamkeit bei schweren Verläufen und Therapieresistenz insb. affektiver und psychotischer Störungen
- Beste Wirksamkeit bei depressiven Störungen [3]
Indikation
EKT bei Depression [4][5]
- Therapieresistente Depression, insb. bei
- Älteren Personen
- Psychotischen Symptomen [3]
- Akute Suizidalität
- Depressiver Stupor (bei unzureichender Wirksamkeit von Lorazepam erwägen)
- Potenzielle Lebensgefahr bei psychotischer Depression
EKT bei anderen psychiatrischen Erkrankungen [6]
- Perniziöse Katatonie
- Malignes neuroleptisches Syndrom (Ultima Ratio)
- Therapieresistenz bei [7]
- Akut exazerbierten schizophrenen Psychosen
- Katatonie
- Manischen Episoden
Kontraindikation
Grundsätzlich gibt es für eine EKT keine absoluten Kontraindikationen. Eine intensive Aufklärung, Risiko-Nutzen-Abwägung und Absprache mit anderen Fachrichtungen ist jedoch u.a. in folgenden Fällen notwendig: [1][3][5]
- Deutlich erhöhtes Komplikationsrisiko bei Allgemeinanästhesie
- Erhöhter intrazerebraler Druck
- Zerebrale Gefäßveränderungen (bspw. Aneurysmen, Angiome)
- Frischer Myokardinfarkt/Schlaganfall (<3 Monate)
- Schwerer arterieller Hypertonus
- Akuter Glaukomanfall
- Thrombose der Bein- oder Beckenvenen
- Frische Fraktur
- Schwangerschaft (siehe: EKT bei Schwangeren)
Für eine EKT bestehen keine absoluten Kontraindikationen!
Vorbereitung
- Ausführliche Anamnese [3]
- Problemsituationen abklären und ggf. vorbereitende Maßnahmen treffen [1]
- Siehe auch: Risikokonstellationen für eine EKT
- Narkoserisiken abklären
- Medikation auf mögliche Interaktionen mit der EKT überprüfen, insb.
- Problemsituationen abklären und ggf. vorbereitende Maßnahmen treffen [1]
- Aufklärung und schriftliche Einwilligung [1][3]
- Frühzeitig und idealerweise Angehörige einbeziehen
- EKT nicht als Ultima Ratio nennen
- Bei fehlender Einwilligungsfähigkeit: Juristischer Vertreter
Ablauf/Durchführung
Durchführung [1][5]
- Auslösung eines generalisierten Krampfanfalls
- Durch Applikation von Stromimpulsen über Oberflächenelektroden an der Kopfhaut [3]
- I.d.R. selbstlimitierend (30–90 s) [2]
- In Zusammenarbeit mit Anästhesieteam
- Kurze Allgemeinanästhesie (wenige Minuten)
- Muskelrelaxation
- Beatmung mittels (Larynx‑)Maske
- Monitoring
- EEG (Ableitung über beiden Hemisphären)
- Pulsoximetrie
- EKG
- Blutdruck [1]
Platzierung der Stimulationselektroden [1]
Eine unilaterale Stimulation der nicht-dominanten Hemisphäre ist vergleichsweise nebenwirkungsarm und wird i.d.R. als 1. Wahl eingesetzt. Bei unzureichendem Erfolg kann auf eine bilaterale Stimulation gewechselt werden.
- Rechts unilateral (RUL)
- 1. Elektrode: Rechts temporal
- 2. Elektrode: Rechts hochparietal
- Bitemporal (BT)
- 1. Elektrode: Rechts temporal
- 2. Elektrode: Links temporal
- Links anterior - rechts temporal (LART)
- 1. Elektrode: Links frontal
- 2. Elektrode: Rechts temporal
- Bifrontal (BF) [3]
- 1. Elektrode: Rechts frontal
- 2. Elektrode: Links frontal
Behandlungssteuerung [1][9]
- Allgemein
- Größte Relevanz: Klinische Wirksamkeit
- Hilfreich: Beurteilung der Qualitätsmerkmale eines Anfalls
- Verbesserung der Anfallsqualität durch diverse Steuerungsmaßnahmen möglich
- Bei insuffizientem Anfall (0–2 Qualitätsmerkmale erfüllt): Restimulation mit erhöhter Intensität im Rahmen der bereits bestehenden Narkose erwägen
- Qualitätsmerkmale eines Anfalls
- Dauer >25 s
- EEG-Amplitude während des Anfalls >180 μV
- EEG-Synchronität der Hemisphären während des Anfalls: Mind. 90%
- Postiktale Suppression
- Herzfrequenz >120/min
- Mögliche Steuerungsmaßnahmen
- Stimulusintensität erhöhen
- Elektrodenposition ändern (Wechsel auf bilaterale Stimulation)
- Narkotikum wechseln [10]
- Konvulsionshemmende Medikamente reduzieren (bspw. Benzodiazepine)
- Hyperventilation vor Stimulation
Behandlungsdauer [1][5]
Therapieserie
- 8–12 Behandlungen
- Frequenz: Meist 2–3 Behandlungen pro Woche
- Ende: Durch klinischen Verlauf bestimmt
Erhaltungsbehandlungen
- Ziel: Rezidivprophylaxe
- Indikation: Nach erfolgreicher EKT-Behandlungsserie und
- Anamnestischem Rückfall unter anderer Rezidivprophylaxe
- Unverträglichkeit für andere Rezidivprophylaxe
- Präferenz der Betroffenen
- Intervalle
- Zunächst meist 1 Woche
- Schrittweise Verlängerung der Intervalle
- Bis zu 4–6 Wochen
Nebenwirkungen und Komplikationen
Die EKT gilt als sicheres Behandlungsverfahren, das keine strukturellen Hirnschäden zur Folge hat. Das Mortalitätsrisiko von ca. 1:50.000 Behandlungen entspricht dem allgemeinen Narkoserisiko kleinerer Eingriffe. [3]
Nebenwirkungen [1][5]
- Häufige Nebenwirkungen
- Schwindel, Übelkeit
- Kopfschmerzen
- Muskelkater
- Kognitive Nebenwirkungen
- Meist vollständige und zügige Rückbildung von [11]
- Postiktalen Verwirrtheitszuständen
- Postiktalen Funktionsstörungen (bspw. Wortfindungsstörungen)
- Amnesien um den Ereigniszeitpunkt herum
- Selten anhaltende retrograde Amnesie
- Meist vollständige und zügige Rückbildung von [11]
Mögliche Komplikationen [1]
- Prolongierter Anfall: Iktales EEG >2 min
- Maßnahme im Akutfall: Pharmakologische Durchbrechung des Anfalls
- Benzodiazepin
- Bei Persistenz: Anfallssuppressivum (Valproat) oder Anästhetikum (Propofol oder Thiopental)
- Mögliche Maßnahmen für folgende Behandlungen
- Stimulationsintensität erhöhen
- Propofolnarkose
- Keine Hyperventilation vor Stimulation
- Ggf. anfallsfördernde Medikation reduzieren (bspw. Antipsychotika)
- Maßnahme im Akutfall: Pharmakologische Durchbrechung des Anfalls
- Weitere
- Herzrhythmusstörungen
- Blutdruckdysregulation
- Switch zu hypomaner Symptomatik
Besondere Patientengruppen
Schwangere [8]
Eine EKT ist in der Schwangerschaft nicht kontraindiziert, unerwünschte Ereignisse kommen jedoch in ca. 30% der Fälle vor. Der Einsatz sollte daher nur bei schwerer Symptomausprägung und als Ultima Ratio erwogen werden.
Mögliche unerwünschte Ereignisse der EKT bei Schwangerschaft
- Herzratenabfall des Fötus
- Uterine Kontraktionen
- Frühzeitige Geburt
- Kindliche Mortalität: Ca. 7%
Sicherheitserhöhende Maßnahmen für eine EKT bei Schwangerschaft
- Zusätzliche ärztlich-gynäkologische Begleitung der EKT
- Arterielle BGAs während und sofort nach EKT
- Kardiotokografie während und sofort nach EKT
Andere Hirnstimulationsverfahren
Repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS) [1][3][12][13]
- Indikationen, u.a.
- Therapieresistente Depression
- Schizophrenie
- Andauernde akustische Halluzinationen
- Persistierende Negativsymptome
- Behandlungsmethode
- Einsatz repetitiver, kurzer, starker Magnetimpulse
- Applikation über Spule direkt an Kopfoberfläche
- Ansteuerung gezielter Kortexareale möglich, bspw.
- Frequenzabhängige Modulation kortikaler Erregbarkeit
- Stimulation i.d.R. 5× pro Woche, über 2–6 Wochen
- Merkmale
- Nicht-invasiv
- Keine Anästhesie notwendig
- Ambulant durchführbar
- Insg. sehr gute Verträglichkeit
- Keine kognitiven Nebenwirkungen bekannt
- Nebenwirkungen
- Häufig: Passagere Kopf-, Nacken-, Zahnschmerzen und Parästhesien
- Selten: Switch in (Hypo‑)Manie , epileptischer Anfall
- Kontraindikationen
- Relative
- Zurückliegende epileptische Anfälle
- Tumore oder Läsionen im Gehirn (vaskulär, traumatisch, entzündlich, metabolisch)
- Krampfschwellensenkende Medikation (bspw. Clozapin), ohne gleichzeitige Einnahme eines Anfallssuppressivums
- Schlafentzug
- Alkoholkonsum
- Schwangerschaft
- Schwere Herzerkrankung
- Absolute
- Magnetische Metallgegenstände im Kopfbereich (Ausnahme: Zahnprothesen)
- Implantierte Geräte, inkl.
- Medikamentenpumpe
- Hirnstimulatorsysteme (bspw. tiefe Hirnstimulation)
- Cochlea-Implantat
- Relative
Studientelegramme zum Thema
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 62-2022-2/3: ECT more effective than ketamine in major depressive episode
Interesse an wöchentlichen Updates zur aktuellen Studienlage im Bereich der Inneren Medizin? Abonniere jetzt das Studientelegramm (Beiträge zur Inneren Medizin in Kooperation mit HOMe sowie zur Überversorgung in der Inneren Medizin mit der DGIM). Zusätzlich haben wir auch das englische One-Minute-Telegram und den AMBOSS-Podcast im Angebot. Alle Links zur Anmeldung findest du am Seitenende unter "Tipps & Links".