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Mesenteriale Ischämie

Letzte Aktualisierung: 12.5.2023

Abstracttoggle arrow icon

Die systemischen Veränderungen im Rahmen einer Arteriosklerose betreffen neben den peripheren Gefäßen (pAVK), Herzkranz- (KHK) und Hirngefäßen auch Arterien des Bauchraums. Bei Einengung der Mesenterialgefäße kommt es typischerweise im Anschluss an die Nahrungsaufnahme zu rezidivierenden dumpfen Bauchschmerzen. Durch Fortschreiten des chronischen Verschlusses oder akute thromboembolische Ereignisse (meist kardialer Genese) kann zudem eine akute Mesenterialischämie entstehen.

Der Mesenterialinfarkt ist ein höchst bedrohliches Krankheitsbild und nimmt einen typischen stadienhaften Verlauf: Im etwa 6 h andauernden Initialstadium treten stärkste (ischämiebedingte) Abdominalschmerzen auf, an die sich eine meist symptomarme Phase mit Absterben des Darms und Durchwanderungsperitonitis anschließt. Diese Phase wird auch „fauler Frieden“ genannt. Im Spätstadium (>12 h) entwickelt sich dann ein akutes Abdomen mit stärksten Schmerzen, blutigen Durchfällen und paralytischem Ileus.

Diagnostisch steht die bildgebende Darstellung der Stenose oder des Verschlusses im Vordergrund – idealerweise mittels CT-Angiografie. Aufgrund der anatomischen Verhältnisse ist meist die A. mesenterica superior betroffen. Laborchemisch gibt es im Frühstadium keine verlässlichen Parameter, erst später steigen Entzündungswerte oder Parameter des Zelluntergangs an.

Die Therapie bei der chronischen Verschlusskrankheit besteht zum einen in einer schonenden Diät, zum anderen kann eine interventionelle oder operative Revaskularisationstherapie indiziert sein (z.B. PTA oder Bypass-OP). Beim akuten Mesenterialinfarkt hingegen ist ein schnelles Vorgehen indiziert, da die Ischämietoleranz des Darms nur bei etwa 6 h liegt. Ein Verdacht sollte also zügig durch bildgebende Verfahren bestätigt oder ausgeschlossen werden. Eine akute Mesenterialischämie stellt eine absolute Notfallindikation für die interventionelle bzw. operative Therapie dar und hat selbst bei schneller Versorgung eine schlechte Prognose.

Epidemiologietoggle arrow icon

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

Chronischer Mesenterialarterienverschluss [4]

Die mesenteriale Arteriosklerose zeigt eine rasche Progredienz und kann durch sekundäre Thrombosierung zu einem Akutgeschehen werden!

Akuter Mesenterialarterienverschluss [2][3][4][6]

Akuter embolischer Verschluss

Akuter thrombotischer Verschluss [4]

Akute nicht-okklusive Perfusionsstörung [2][4][5]

Mesenterialvenenthrombose (MVT) [4]

Weitere Ursachen [3][5][7]

Anatomische und physiologische Grundlagentoggle arrow icon

Mesenteriale Gefäßversorgung [1][8]

Physiologische Grundlagen [3]

  • Hoher Stoffwechsel abdomineller Organe
  • Großer Anteil am HZV (ca. 20% ) im Magen-Darm-Trakt
  • Venöser Blutpool im Splanchnikusgebiet
  • Abhängigkeit der Darmperfusion vom Blutdruck
  • Geringe Ischämietoleranz
    • Dünndarm
      • Ab 15 min: Strukturelle Mukosaveränderungen
      • Ab 3 h: Deutliche Mukosadefekte
      • Ab 6 h: Zerstörung der Mukosabarriere
      • Anschließend: Morphologische Veränderungen der Darmwand
    • Leber > Magen > Pankreas > Milz: 120–60 min
    • Dickdarm: Bis zu 3 Tage

Die Ischämietoleranz des Dünndarms beträgt ca. 6 h!

Pathophysiologietoggle arrow icon

Chronischer Mesenterialarterienverschluss [8]

  • Pathologie: Langsame Stenosierung durch sklerotischen Wandumbau
  • Kompensation: Kollateralisierung hält Zirkulation aufrecht
  • Dekompensation

Akuter Mesenterialarterienverschluss [2][3][4][6]

Akuter embolischer Verschluss

Durch den akuten Verschluss ist eine Versorgung über Kollateralen in den Endstrombahngebieten nicht gewährleistet!

Akuter thrombotischer Verschluss

  • Pathologie: Vorbestehende Mesenterialarteriosklerose mit akuter arterieller Thrombose
  • Kompensation: Durch langsame Progression meist gute Kollateralisierung
  • Dekompensation: Zusätzlicher Verschluss (akute Thrombose) ohne Kollateralisierung für Endstrombahngebiete → Akute arterielle Mesenterialischämie

Durch die langsame Progression der chronischen Erkrankung bis zum völligen Verschluss können oft Kollateralen ausgebildet werden!

Akute nicht-okklusive Perfusionsstörung [2][4][5]

Mesenterialvenenthrombose [4]

  • Pathologie: Thrombosierung einer Mesenterialvene
  • Dekompensation: Je nach Ausmaß venöse Stauung → Zunahme des venösen Blutvolumens → Drucksteigerung → Arterielle Spasmen → Minderperfusion → Mesenteriale Ischämie, portale Hypertension

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

Chronische arterielle Mesenterialischämie [1][5][10]

Chronische arterielle Mesenterialischämie – Stadieneinteilung
Stadium Symptomatik
I
II
  • Angina abdominalis (intermittierender, postprandialer Schmerz)
  • Stuhlunregelmäßigkeiten
III
IV

Leitsymptom: Angina abdominalis = Hypoxisch bedingter Bauchschmerz im Anschluss an Nahrungsaufnahme!

Die akute arterielle Mesenterialischämie kann auch das Endstadium eines chronischen Mesenterialarterienverschlusses darstellen!

Akute arterielle Mesenterialischämie [4][5]

Akute arterielle Mesenterialischämie – Stadieneinteilung
Stadium Befund
Initialstadium (0–6 h)
  • Symptomatik
  • Untersuchungsbefund
    • Abnorme Peristaltik (wechselnd stark)
    • Palpatorisch weiches Abdomen (meist ohne Abwehrspannung)
Latenzstadium (6–12 h)
Spätstadium (>12 h)

Die Trias Abdominalschmerz, Leukozytose und positive Herzanamnese muss an einen akuten Mesenterialarterieninfarkt denken lassen! [5]

Im typischen IMPP-Fall besteht eine Tachyarrhythmia absoluta mit Vorhofflimmern (bzw. Herzrhythmusstörungen) und plötzlich kommen Bauchschmerzen hinzu!

Nicht-okklusive Mesenterialischämie (NOMI) [2]

  • Symptomatik: Zunehmender unspezifischer Abdominalschmerz, je nach Lokalisation
  • Untersuchungsbefund
    • Aufgetriebenes Abdomen
    • Sepsiszeichen

Mesenterialvenenthrombose [2][4]

  • Symptomatik: Abhängig vom Ausmaß der Thrombose
  • Untersuchungsbefund: Selten Peritonitiszeichen

Diagnostiktoggle arrow icon

Anamnese [3]

Die Kombination aus akuten Abdominalschmerzen und Herzrhythmusstörungen sollte an eine akute Mesenterialischämie denken lassen!

Körperliche Untersuchung [3]

Bei Anzeichen einer Kreislaufinstabilität muss die Diagnostik so kurz wie möglich sein, um die Therapiemaßnahmen nicht zu verzögern!

Die Ischämietoleranz des Dünndarms beträgt ca. 6 h, weshalb bis zur Diagnosestellung nicht viel Zeit vergehen sollte!

Laboruntersuchungen

Es gibt keine spezifischen Laborparameter für den Verschluss von Mesenterialgefäßen, sondern nur Zeichen der fortgeschrittenen Barrierestörung! [4]

Apparative und interventionelle Diagnostik [2][4][6]

Bei Verdacht auf eine chronische Mesenterialischämie

Bei Verdacht auf akute Mesenterialischämie

Explorative Laparotomie

Bei V.a. einen akuten Mesenterialinfarkt ist eine zügige Gefäßdarstellung entscheidend, bei Peritonitis oder Schockgefahr kann jedoch auch eine Notfall-OP ohne apparative Diagnostik notwendig sein!

Angio-CT von Aorta und Intestinalgefäßen

Katheterangiografie [4]

  • Indikationen: Option der direkten interventionellen Therapie, fehlende Verfügbarkeit eines Angio-CT
  • Durchführung siehe: DSA
  • Mögliche Befunde: Gefäßstenosen
  • Vorteil: Direkte interventionelle Therapie möglich (bspw. PTA)
  • Nachteil: Ggf. Verzögerung weiterer Therapiemaßnahmen, Komplikationen einer invasiven Diagnostik (Blutung, Fistelbildung etc.) [4]

Weitere Bildgebung [3][4]

Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapietoggle arrow icon

Chronische arterielle Mesenterialischämie

Konservative Therapie

Interventionelle Therapie

  • Indikation: Symptomatische Verschlussprozesse
  • Vorgehen: Aufdehnung mittels PTA/Stent

Operative Therapie

  • Indikation: Symptomatische Verschlussprozesse
  • Vorgehen: Elektive operative Revaskularisation

Akute arterielle Mesenterialischämie

Die akute Mesenterialischämie ist ein Notfall; die rasche Wiederherstellung der mesenterialen Durchblutung ist die einzige kausale Therapie! [8]

Interventionelle Therapie [1][2]

Chirurgische Therapie [3][4][8][11]

  • Indikationen
  • Durchführung
    1. Revaskularisierung: Katheterembolektomie bzw. Thrombektomie , Bypassanlage oder direkte Gefäßreimplantation in die Aorta
    2. Resektion avitaler und nicht-revitalisierbarer Darmabschnitte
    3. Rekonstruktion: Anastomose
    4. Reevaluation: Second Look nach 12–24 h zur Beurteilung der Vitalität

Therapiebegleitende intensivmedizinische Behandlung

Komplikationentoggle arrow icon

Allgemeine Komplikationen der Mesenterialischämie

Komplikationen der interventionellen Therapie [8]

Komplikationen der operativen Revaskularisierung [1][4][8]

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Prognosetoggle arrow icon

Letalität

Prognostische Faktoren

Behandlungsspezifische Faktoren

  • Behandlungszeitpunkt: Entscheidend ist v.a. die schnelle Behandlung (Prognose ist abhängig von der Dauer der Ischämie) [13]
    • Unter 2 h: Vollständige Abheilung ohne Resektion wahrscheinlich (Letalität 10%)
    • Bis 12 h: Abheilung auch ohne Resektion möglich (Letalität >30%)
    • Bis 24 h: Notwendigkeit der Darmresektion wahrscheinlich (Letalität >60%)
    • Über 24 h: Hohes Risiko für ausgedehnte Darmwandnekrosen (Letalität 80–100%)
  • Management der Darmischämie [8]

Patientenspezifische Faktoren

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. Mamopoulos et al.:Operative und endovaskuläre Therapien bei Verschlussprozessen der MesenterialarterienIn: Gastroenterologie up2date. Band: 12, Nummer: 02, 2016, doi: 10.1055/s-0042-108128 . | Open in Read by QxMD p. 139-158.
  2. Klar et al.:Akute mesenteriale Ischämie – ein vaskulärer NotfallIn: Deutsches Ärzteblatt Online. Band: 109, Nummer: 14, 2012, doi: 10.3238/arztebl.2012.0249 . | Open in Read by QxMD.
  3. Ludwig: Facharztwissen Angiologie. Springer 2019, ISBN: 978-3-662-58451-4.
  4. Debus, Gross-Fengels: Operative und interventionelle Gefäßmedizin. Springer 2020, ISBN: 978-3-662-53378-9.
  5. Kogel:Akute Verschlüsse der ViszeralgefäßeIn: DoctorConsult - The Journal. Wissen für Klinik und Praxis. Band: 2, Nummer: 1, 2011, doi: 10.1016/j.dcjwkp.2011.03.008 . | Open in Read by QxMD p. 49-56.
  6. Schwarz et al.: Allgemein- und Viszeralchirurgie essentials. 8. Auflage Georg Thieme Verlag 2017, ISBN: 978-3-131-26348-3.
  7. Perera, Rohrer:Acute mesenteric ischaemia : Part IIIn: Sri Lanka Journal of Surgery. Band: 36, Nummer: 1, 2018, doi: 10.4038/sljs.v36i1.8477 . | Open in Read by QxMD p. 24.
  8. Luther et al.:Akuter MesenterialarterienverschlussIn: Notfall + Rettungsmedizin. Band: 20, Nummer: 4, 2017, doi: 10.1007/s10049-017-0316-4 . | Open in Read by QxMD p. 299-304.
  9. Bremer et al.:Sexuell übertragbare Infektionen in DeutschlandIn: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz. Band: 60, Nummer: 9, 2017, doi: 10.1007/s00103-017-2590-1 . | Open in Read by QxMD p. 948-957.
  10. Obermaier: Breitner - Chirurgische Operationslehre. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH 2008, ISBN: 978-3-437-24830-6.
  11. Kallmayer et al.:Multimodales Management der akuten mesenterialen IschämieIn: Gefässchirurgie. Band: 27, Nummer: 6, 2022, doi: 10.1007/s00772-022-00933-x . | Open in Read by QxMD p. 425-434.
  12. Lippert: Fehler in der Allgemein- und Viszeralchirurgie. Georg Thieme Verlag 2017, ISBN: 978-3-131-99481-3.
  13. Schwilden:Anatomie und Physiologie im SplanchnikusgebietIn: Gefässchirurgie. Band: 11, Nummer: 3, 2006, doi: 10.1007/s00772-006-0461-4 . | Open in Read by QxMD p. 148-158.

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