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Primäre zerebelläre Ataxien

Letzte Aktualisierung: 29.6.2023

Abstracttoggle arrow icon

Primäre zerebelläre Ataxien bezeichnen eine Gruppe nicht-fokaler degenerativer Kleinhirnerkrankungen, die sich wiederum in hereditäre und sporadische Formen unterteilen lassen. Je nach Erkrankung gehen sie neben dem Leitsymptom einer progredienten oder episodischen zerebellären Ataxie meist mit weiteren neurologischen und nicht-neurologischen Symptomen einher. Pathophysiologisch liegt eine Schädigung des Kleinhirns und seiner auf- und absteigenden Bahnen zugrunde. Zur Eingrenzung der Verdachtsdiagnose sind neben der klinischen Untersuchung insb. die Familienanamnese, das Erkrankungsalter und teilweise auch Laborparameter und MRT-Bildgebung hilfreich. Bei den hereditären Ataxien ist der molekulargenetische Nachweis einer Mutation entscheidend zur Diagnosestellung. Es existieren zwar keine kausalen Therapien, jedoch stehen für einige Entitäten neben supportiven Maßnahmen auch medikamentöse Behandlungsoptionen zur Verfügung.

Durch lokale oder systemische Störungen verursachte symptomatische Ataxien werden an anderer Stelle behandelt. Für eine Übersicht siehe: Sekundäre Kleinhirnerkrankungen

Zum allgemeinen praktischen Vorgehen bei ätiologisch zunächst unklarer Ataxie siehe: Vorgehen bei Kleinhirnsymptomen

Hereditäre Ataxien (Heredoataxien)toggle arrow icon

Die hereditären Ataxien lassen sich je nach Erbgang in autosomal-dominante, autosomal-rezessive, x-chromosomale oder mitochondrial vererbte Ataxien einteilen. Zur Eingrenzung der Verdachtsdiagnose sind insb. die Familienanamnese, das Erkrankungsalter und teilweise auch Laborparameter und MRT-Bildgebung hilfreich. Zur Diagnosesicherung wird eine molekulargenetische Untersuchung durchgeführt. Auch wenn keine kausalen Therapien existieren, stehen für einige Entitäten neben supportiven Maßnahmen medikamentöse Behandlungsoptionen zur Verfügung. Bei den spinozerebellären Ataxien und der Friedreich-Ataxie kann z.B. ein individueller Heilversuch mit Riluzol versucht werden.

Autosomal-dominante Ataxientoggle arrow icon

Das Vorliegen einer autosomal-dominant vererbten Ataxie ist insb. dann in Betracht zu ziehen, wenn in jeder Generation Merkmalsträger zu finden sind. Die Eingrenzung der Ataxie-Form erfolgt mithilfe des Manifestationsalters, der Art des Auftretens der Ataxie (progredient vs. paroxysmal), charakteristischer Nebensymptome sowie der MRT-Befunde und wird schließlich durch die genetische Diagnostik gesichert. Für manche autosomal-dominant vererbte Ataxien stehen medikamentöse Therapien zur Verfügung.

Spinozerebelläre Ataxien (SCA) [1][2]

Unterformen der spinozerebellären Ataxien - Klinische Einteilung
Gruppe Nebensymptome bedeutsamer Unterformen

ADCA I

ADCA II
ADCA III
  • Gruppenmerkmal: Reine Kleinhirnsymptomatik
  • SCA 6: Ataxie mit spätem Beginn (>50 Jahre)

Episodische Ataxien [1][2]

  • Allgemeines
    • Gruppe hereditärer Ataxien mit episodisch auftretender Symptomatik
    • 9 Formen bekannt, dabei Typ 1 und Typ 2 am häufigsten
    • Provokation der Symptome durch Stress, Schreck, körperliche Anstrengung, Alkohol und Nikotin
Episodische Ataxien - Übersicht
Typ 1 Typ 2
Ätiologie
Manifestationsalter
  • Frühe Kindheit
  • Mit 2–20 Jahren
Symptome
  • Wiederkehrende Sekunden bis maximal 15 Minuten anhaltende Attacken mit Ataxie und Dysarthrie
  • Frequenz der Attacken bis zu 15×/Tag
  • Im attackenfreien Intervall: Oft Myokymien der Gesichts- und Extremitätenmuskulatur
Diagnosesicherung
  • Molekulargenetische Untersuchung
Therapie [1]

Autosomal-rezessive Ataxientoggle arrow icon

Eine autosomal-rezessiv vererbte Ataxie ist insb. bei progredienter Ataxie mit phänotypisch gesunden Eltern (Konduktoren) und ggf. betroffenen Geschwistern in Betracht zu ziehen. Die Eingrenzung der Ataxie-Form erfolgt mithilfe charakteristischer Nebensymptome sowie Laborparameter und wird schließlich durch die genetische Diagnostik gesichert. Für einige autosomal-rezessiv vererbte Ataxien stehen spezifische Therapien zur Verfügung. Es handelt es sich um eine große Erkrankungsgruppe, aus der wir folgend eine Auswahl relativ häufiger Entitäten vergleichend darstellen. [2]

Autosomal-rezessive Ataxien – Übersicht
Friedreich-Ataxie [1] Ataxie mit Vitamin-E-Defizit (AVED)[1][2][4][5] Zerebrotendinöse Xanthomatose (CTX)[1][2][4][6] RFC1-assoziierte Ataxie [2][4] Ataxia teleangiectatica (Louis-Bar-Syndrom) [2][4] Ataxie mit okulomotorischer Apraxie (AOA) Typ 1 und 2 [1][2][4] Morbus Niemann-Pick Typ C [1][7] A-β-Lipoproteinämie (Bassen-Kornzweig-Syndrom) [4][8]
Ätiopathogenese
Manifestationsalter
  • Kindes- und Jugendalter
  • Meist vor dem 20. Lebensjahr
  • Meist nach dem 20. Lebensjahr
  • Einzelne Symptome auch schon ab Kindheit
  • 40.–70. Lebensjahr [9]
  • 2.–3. Lebensjahr
Häufige Nebensymptome
Spezifische Diagnostik
  • Molekulargenetische Untersuchung zum Nachweis der FXN-Genmutation
  • Serum: Cholestanol↑
  • Molekulargenetische Untersuchung zum Nachweis der CYP27A1-Genmutation
Therapie
  • Bisher keine spezifische Therapie bekannt
  • Bisher keine spezifische Therapie bekannt
  • Supportive und präventive Maßnahmen: Meiden von Strahlenexposition, ggf. Substitution von Immunglobulinen, Screening auf Malignome
  • Bisher keine spezifische Therapie bekannt
  • Miglustat p.o. [1][11]

Weitere (Auswahl)

X-chromosomale Ataxientoggle arrow icon

Fragiles-X-assoziiertes Tremor-Ataxie-Syndrom (FXTAS) [1][2][4]

Unter den x-chromosomalen Ataxien ist das FXTAS am häufigsten. Aufgrund des Erbgangs ist vorwiegend das männliche Geschlecht betroffen. In der Familienanamnese der Erkrankten haben häufig der Großvater oder die Onkel mütterlicherseits ein Fragiles-X-Syndrom. Betroffene Frauen zeigen i.d.R. eine weniger starke Ausprägung der neurologischen Symptome.

Mitochondriale Ataxientoggle arrow icon

Syndrom aus Neuropathie, Ataxie und Retinitis pigmentosa (NARP) und Maternal vererbtes Leigh-Syndrom (MILS) [4]

Weitere (Auswahl)

Sporadische degenerative Ataxientoggle arrow icon

Sporadische degenerative Ataxien sind Ataxien des Erwachsenenalters, die ohne Hinweise auf genetische oder erworbene (sekundäre) Ursache bleiben.

Sporadische Ataxie im Erwachsenenalter (SAOA) [2][4]

Weitere

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. S1-Leitlinie Ataxien des Erwachsenenalters.Stand: 3. Juli 2018. Abgerufen am: 4. März 2022.
  2. Jacobi, Minnerop:Ataxien des ErwachsenenaltersIn: Der Nervenarzt. Band: 92, Nummer: 4, 2021, doi: 10.1007/s00115-021-01099-9 . | Open in Read by QxMD p. 379-389.
  3. Schöls et al.:Autosomal dominant vererbte spinozerebellare Ataxien: Klinik, Genetik und PathogeneseIn: Ärzteblatt. Band: 98, Nummer: 23, 2001, p. 1546–1558.
  4. Hufschmidt et al.: Neurologie compact. 8. Auflage Thieme 2020, ISBN: 978-3-132-43448-6.
  5. Gabsi et al.:Effect of vitamin E supplementation in patients with ataxia with vitamin E deficiencyIn: European Journal of Neurology. Band: 8, Nummer: 5, 2001, doi: 10.1046/j.1468-1331.2001.00273.x . | Open in Read by QxMD p. 477-481.
  6. Cerebrotendinous xanthomatosis.Stand: 1. September 2011. Abgerufen am: 21. Dezember 2022.
  7. Mengel et al.:Morbus Niemann-Pick Typ CIn: Monatsschrift Kinderheilkunde. Band: 160, Nummer: 1, 2011, doi: 10.1007/s00112-011-2532-1 . | Open in Read by QxMD p. 47-54.
  8. Abetalipoproteinämie.. Abgerufen am: 20. Juli 2022.
  9. Meindl et al.:CANVAS: Fallbericht einer neuen Repeat-Erkrankung mit spät beginnender AtaxieIn: Der Nervenarzt. 2020, .
  10. Fachinformation - Chenodesoxycholsäure Leadiant 250 mg Hartkapseln.. Abgerufen am: 22. Juli 2022.
  11. Fachinformation Zavesca.. Abgerufen am: 18. März 2022.
  12. Tay-Sachs-Krankheit.Stand: 1. April 2006. Abgerufen am: 21. Februar 2023.

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