Abstract
Bei der bipolar-affektiven Störung zeigen die Betroffenen einerseits eine gehobene Stimmung mit vermehrtem Antrieb, Aktivität und Reizbarkeit (manische Episode), die aber andererseits auch jederzeit in ein Stimmungstief mit Antriebs- und Interessenverlust (depressive Episode) übergehen kann. Während der manischen Episoden kommt es nicht selten zu Selbst- oder Fremdgefährdung (Risikoverhalten) und zu sozialen Schwierigkeiten (Trennungen, finanzielle Notlagen, Verlust des Berufes), so dass die positive Stimmung von weitreichenden negativen Konsequenzen überschattet wird. Eine manische Episode wird akut mit Antipsychotika und Benzodiazepinen behandelt. Um manischen Rezidiven vorzubeugen, ist eine Phasenprophylaxe mit Lithium oder Antikonvulsiva zwingend notwendig.
Epidemiologie
- Geschlecht: ♀ = ♂
- Lebenszeitprävalenz: 3–5%
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Multifaktorielle Genese
- Ausgeprägte genetische Komponente: Familiäre Häufung
- Risiko wenn ein Elternteil betroffen: ca. 25%
- Risiko wenn beide Elternteile betroffen: Bis zu 50%
- Umweltfaktoren: Stress und Veränderungen in der Lebenssituation
Symptome/Klinik
Manische Episode
- Manie ohne psychotische Symptome (F30.1)
- Affekt: Gehobene Stimmung, Reizbarkeit, Distanzlosigkeit, Selbstüberschätzung, Affektlabilität, Aggressivität und Feindseligkeit
- Antrieb: Gesteigerte Aktivität, psychomotorische Agitation
- Vitalfunktionen: Vermindertes Schlafbedürfnis, gesteigerte Libido
- Formales Denken: Ideenflucht, Rededrang
- Verworrene Manie: Verwirrtheitszustand, der durch eine extreme Beschleunigung von Denken und Sprechen entsteht
- Manie mit psychotischen Symptomen (F30.2)
- Symptome einer Manie (F30.1)
- + Wahrnehmungsstörungen: Manchmal akustische Halluzinationen
- + Wahn: Wahngedanken, synthymer Wahn → Häufig Größenwahn
Diagnosekriterien einer manischen Episode
Einschlusskriterien einer manischen Episode | |
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A |
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B |
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C |
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D |
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Depressive Episode (→ siehe auch: Depression: Klinik)
Die Symptome der depressiven Episode ähneln denen einer unipolaren Depression.
- Gedrückte Stimmung, Interessen- und Antriebsverlust
- Manche Patienten zeigen über Jahre nur depressive Symptome, weshalb bei ihnen dann häufig zunächst nur eine rezidivierende depressive Störung (F33) diagnostiziert wird
- Diagnosestellung: Nach der ersten manischen Episode muss die Diagnose "ex post" (nachträglich) auf eine bipolar affektive Störung (F31) umgestellt werden
Verlaufs- und Sonderformen
Rapid cycling
Rapid cycler leiden unter einer unipolaren (Depression, Manie) oder einer bipolaren Störung mit raschem Phasenwechsel (mindestens vier Manien/Hypomanien oder Depressionen innerhalb eines Jahres). Beim saisonalen Rapid cycling ist darüber hinaus eine Korrelation zu den Jahreszeiten nachweisbar (ähnlich: Saisonale affektive Störung).
- Rapid cycling: Mindestens vier Episoden pro Jahr
- Ultra rapid cycling: Mindestens vier Episoden pro Monat
- Ultradianes cycling: Episodenwechsel innerhalb eines Tages an mindestens vier Wochentagen
Differentialdiagnosen
Manisches Syndrom
Das manische Syndrom ist nicht mit dem Krankheitsbild einer bipolar affektiven Störung bzw. einer Manie gleichzusetzen. Es beschreibt lediglich, dass die klinischen Symptome einer manischen Episode vorliegen, wobei dies aber bei zahlreichen Krankheitsbildern der Fall sein kann.
- Vorkommen
- Bipolar affektive Störung
- Zyklothymia
- Schizoaffektive Psychosen
- Schizophrenie
- Borderline-Störung
Zyklothymia (F34.0)
- Kurzbeschreibung: Langandauernde manisch-depressive Stimmung, ohne dass jemals die Kriterien einer manisch-depressiven Erkrankung erfüllt werden
- Charakteristika
- Andauernde Instabilität der Stimmung mit zahlreichen Phasen depressiver Stimmung, die durch hypomane Phasen abgelöst werden
- Vom Ausmaß nicht ausreichend, um von einer bipolar affektiven Störung sprechen zu können
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Akuttherapie einer manischen Episode
Die Akuttherapie soll die manische Episode zeitlich und im Ausmaß reduzieren. Dabei steht die medikamentöse Therapie im Vordergrund.
- Nicht-medikamentöse, allgemeine Prinzipien
- Abschirmung von äußeren Reizen
- Klare Begrenzung durch stabile Regeln
- Belassen von Freiräumen
- Medikamentöse Therapieverfahren: Aufgrund der wenigen Studien zu einer medikamentösen Kombinationstherapie wird die Monotherapie primär empfohlen [1]
- Antipsychotika mit ausgeprägter antipsychotischer Potenz (z.B. Olanzapin, Risperidon, Haloperidol)
- Lithium
- Antikonvulsiva (z.B. Carbamazepin, Valproat)
- Benzodiazepine kurzzeitig und als Zusatzbehandlung (z.B. Clonazepam, Lorazepam, Diazepam)
- Nicht-medikamentöse Therapieverfahren: Bei leichten manischen Episoden und Hypomanien kann eine Psychotherapie zum Einsatz kommen. Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) kann bei schweren manischen Episoden und sollte bei pharmakotherapieresistenter manischer Episode angewendet werden. [1]
Medikamentöse Akuttherapie einer depressiven Episode
Es gibt bisher nur wenige Studien, die die medikamentöse Therapie einer bipolaren Depression untersuchen, weshalb diesbezüglich noch keine klaren Empfehlungen ausgesprochen werden können. Als Antidepressiva können SSRIs zum Einsatz kommen. Im Vergleich zur Therapie einer unipolaren Depression besteht bei bipolar Erkrankten unter medikamentöser antidepressiver Therapie durch die antriebssteigernde Wirkung das Risiko des Umschlagens einer depressiven in eine manische oder gemischte Episode (sog. Switch-Risiko). [1]
Langfristig (Phasenprophylaxe)
Eine Phasenprophylaxe ist unbedingt notwendig und soll verhindern, dass es zu einer erneuten manischen Episode kommt.
Bei Überdosierung kann es zu einer lebensbedrohlichen Lithiumintoxikation kommen!
- Mittel der ersten Wahl: Lithium
- Alternative: Antikonvulsiva
- Supportiv: Die Evidenz von verschiedenen Psychotherapien ist umstritten. Einzelne Verfahren, die, fokussiert auf aktuelle Symptome, zu deren Bewältigung und als Rezidivprophylaxe eingesetzt werden, sind aber als supportive Maßnahme durchaus sinnvoll.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
F30.-: Manische Episode
- Inklusive: Bipolare Störung, einzelne manische Episode
- F30.0: Hypomanie
- F30.1: Manie ohne psychotische Symptome
- F30.2: Manie mit psychotischen Symptomen
- Manie mit parathymen psychotischen Symptomen
- Manie mit synthymen psychotischen Symptomen
- Manischer Stupor
- F30.8: Sonstige manische Episoden
- F30.9: Manische Episode, nicht näher bezeichnet (Manie o.n.A.)
F31.-: Bipolare affektive Störung
- Inklusive: Manisch-depressiv: Krankheit, Psychose, Reaktion
- Exklusive: Bipolare affektive Störung, einzelne manische Episode(F30.‑), Zyklothymia (F34.0)
- F31.0: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig hypomanische Episode
- F31.1: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode ohne psychotische Symptome
- F31.2: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode mit psychotischen Symptomen
- F31.3: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig leichte oder mittelgradige depressive Episode
- F31.4: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome
- F31.5: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen
- F31.6: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig gemischte Episode
- Exklusive: Einzelne gemischte affektive Episode (F38.0)
- F31.7: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig remittiert
- F31.8: Sonstige bipolare affektive Störungen
- Bipolar-II-Störung
- Rezidivierende manische Episoden o.n.A.
- F31.9: Bipolare affektive Störung, nicht näher bezeichnet
F34.-: Anhaltende affektive Störungen
- F34.0: Zyklothymia
- Affektive Persönlichkeit(sstörung)
- Zykloide Persönlichkeit
- Zyklothyme Persönlichkeit
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.